laut.de-Kritik
So sieht Coolness aus.
Review von Philipp SchiedelEs ist stockdunkel, der Winter gibt alles, um endgültig aus den Startlöchern zu preschen, und vor dem Club gießt es in Strömen. Anstatt nach Jamaika-Palmen-Feeling riecht das eher nach einer heißen Schokolade im trostlosen Billard-Café um die Ecke. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für ein Reggae-Konzert.
Rein in den Club und versuchen, das Beste aus der Sache rauszuholen. Die Vorband Star Eyes schafft das mit ihrem Gute-Laune-Dub-Sound schon mal ganz passabel. Was aber hauptsächlich daran liegt, dass der MC weiß, wie man das Publikum in ein Set einbindet. Mit "Alle mal hinsetzen"- und "Throw your hands in the air..."-Aktionen sind die Leute einfach in den Griff zu bekommen und applaudieren dementsprechend feste. Musikalisch fallen Star Eyes aber nicht aus der Einheits-Schiene, innovativ anders sein überlassen sie anderen.
Nach einer kurzen Umbauphase begibt sich die Seeed-Kapelle zu ihren Instrumenten. Saxophonist Moritz Delegado trumpft mit seinem Hanswurst-Kostüm (Hosenträger, Sonnenbrille und Wollmütze) gleich heftig auf. So sieht Coolness aus. Auch die restlichen Bühnen-Klamotten müssen sich nicht verstecken: am Keyboard leuchtet eine blaue Stollenlampe von der Stirn, die Gitarre hängt sich eine Löwenmähne im Anzug um den Hals und an den Percussions wirkt der einzige echte Jamaikaner, Alfi Trowers, wie ein jazzy Barpianist des Waldorf Astoria. Dann beginnen die acht Vollblut-Musiker mit einem reinen Instrumental-Stück, das sich, als vom linken Bühnenrand drei MCs in Richtung Mitte schleichen, in den Opener "Dancehall Caballeros" entwickelt: "Wir sind Seeed...!" Alles klar, der Spaß kann beginnen.
Seltsamerweise riecht es im Club kaum nach Jamaika. Hey, ihr Rastafarians, wir sind doch auf einem Reggae-Konzert, oder? Da werden ja bei jeder Brutalo-Mosh-Bluterguss-Hardcore-Combo mehr Tüten gedreht. Aber Drogen sind nicht alles ... Seeed hampeln auch so völlig irre über die Bühne: hüpfen, strampeln, arschwackeln, kicken. Niemals Stillstand. Von Relaxen scheint erst mal keiner etwas zu wollen. Do the Hampelman!
Die Elf sind kaum still zu kriegen und spielen ihre Songs ungewöhnlich hektisch und aggressiv. Zuweilen wirkt das etwas sehr runtergeknüppelt. Es scheint als würde die Band den richten Flow noch suchen. Keine Frage, Seeed sind exzellente Musiker und wissen worauf es ankommt, aber hier wurde das Tempo ein wenig zu streng angezogen.
Nach einigen Songs hat man davon wohl genug, die Band beruhigt sich und gefällt sofort um Längen besser. Ein bisschen Entspannen mit smoothen Reggae-Songs wie "Tide Is High" regiert das gemächliche Geschehen. Und man dankt den ruhigen Songs, dass der Rasta-Typ vor einem jetzt nicht mehr wild umher springen kann und mit seinen schulterlangen Filz-Locken Watsch'n verteilt. Immer wieder verrennen sich Seeed in Tempo, Tempo, Tempo, und machen ordentlich Dampf unter dem Hintern, bis mit der Berlin-Hommage "Dickes B" ein erster Schlusspunkt gesetzt wird.
Das war's natürlich noch nicht: zwei Zugaben sind noch drin, die beide zum Abschluss eines guten Konzertes noch einmal sehr relaxt gespielt werden. Das Rasta-Kopfnicken zieht ein letztes Mal durch den Club. Dann geht es wieder raus in den kalten Regen - so ganz sicher ist man sich nicht, ob das jetzt das war, was man sich erhofft hatte.