19. Oktober 2010
"Ich bin ja auch eine Frau!"
Interview geführt von Ulf KubankeDie Welt kennt Sharon Corr seit 20 Jahren als Violine und Hintergrundsängerin der Corrs. Doch dieser goldene Käfig ist ihr nicht genug, sie versucht die eine Solokarriere samt eigener Platte.Ich treffe Sharon an einem herbstlichen Morgen in ihrer Hotelsuite. Noch während ich durch den Flur Richtung Living Room gehe, höre ich einen derben, lauten irischen Fluch, der eher von einem Kutscher als einer Dame stammen könnte.
Da steht die zierliche Person inmitten des Zimmers und hat sich versehentlich mit einer Mineralwasserflasche und nicht wenig Inhalt überschüttet. Errötend grinsend steht sie nun vor mir.
Hi Sharon, schön dich hier zu treffen.
Sharon Corr (mit knallrotem Gesicht): Gleichfalls. Das ist echt peinlich. Ich habe auf 15 Jahren Tour eigentlich gelernt, Flaschen unfallfrei zu öffnen.
Glaub mir, das passiert den Besten unter uns. Macht doch nichts. Mich zumindest stört es nicht.
(Lacht) Ok, na dann können wir ja loslegen.
Was für eine ungewöhnliche Situation. Da feiern die Corrs ihr 20-jähriges Bestehen, die Welt erwartet eine neue Platte von euch und jetzt kommst du überraschend mit der ersten Soloplatte um die Ecke.
(Betont ernsthaft) Ach weißt du, die Corrs brauchten echt mal eine wirkliche Auszeit. Wir waren auf Tour seit fast ununterbrochenen 15 Jahren. Und dieser ewige Kreislauf, gemeinsam ein Album zu machen, zu promoten und zu touren verliert seinen Reiz, wenn man auch ein anderes Leben führt, eine Familie gründet. Alles was für andere selbstverständlich war, ist für uns doch erst in den letzten Jahren normal geworden.
Aber keine Pause für dich mit Recording, Promo und Tour?
Eine Sache, die ich mir schon ganz fest vorgenommen habe, war vor fünf Jahren die Entwicklung meines Songwritings und die Beschäftigung mit der Violine. Wenn du so etwas schleifen lässt, entwickelt es sich sehr schnell zurück. Und so entwickelte sich alles eigentlich fast schon automatisch. Bevor ich es recht bemerkte, hatte ich bereits einen Stapel Songs geschrieben; ein Album. Das Album war eigentlich fertig, bevor ich entschied, es zu machen. Wow!
Und das kam wirklich so plötzlich? Schwer vorstellbar, dass du in den ganzen 15 Jahren mit der Mutterband nicht schon längst mit einer Solokarriere geliebäugelt hast. So was macht man doch.
Ok, ich hatte da schon so eine unausgegorene Idee im Kopf. Aber ich habe es eben nicht durchplant. Unser großer weltweiter Erfolg hat mich auch so dankbar gemacht und beeindruckt. Da hatte ich fast schon ein schlechtes Gewissen, nach mehr zu fragen. Erst als ich allein für mich zur Ruhe kam, machte das Schreiben urplötzlich total Sinn.
Jetzt hast du die Scheibe in den Läden und ich muss ehrlich gestehen, die Platte verwirrt mich.
(Lacht überrascht) Wirklich? Warum? Aber das ist eigentlich gut!
Nun, es gibt Sachen, die ich für deutlich gelungener halte als die gemeinsamen Corrs-Tracks und daneben auch ein paar mir unverständliche Ausrutscher. Aber dazu später mehr. Lass uns mal auf die Gästeliste kommen. Du hast dir Jeff Beck gekrallt. Wie bekommt man eine solche Rocklegende?
(Lacht) Ich war auf einem Gig von ihm in Dublin. Das war vor ca. anderthalb Jahren. Und das Publikum war voll dieser Gitarrentypen. Du weißt, was ich meine. Und dann ich als einzelnes Mädchen dazwischen. Als echte in Dublin lebende Irin kannte ich natürlich die ganzen Kerle von der Security und so weiter. Da bin ich dann backstage gegangen und habe ihn getroffen.
Einfach so abgefangen? Hi, I am Sharon? Wie ein Fan oder Groupie?
Genau! Ich sagte ihm, ich wollte mich einfach mal für den großartigen Gig bedanken. Er war so süß und so freundlich.
Ok, aber du hattest auch ein anderes Standing als ein normaler Fan. Du bist immerhin die berühmte Kollegin von den Corrs.
Jaja klar. Natürlich bin ich mir im Klaren darüber. Aber Jeff war eben wirklich sehr angenehm. Er sagte gleich: Hey Girl, du kennst meinen Freund Rod Stewart. Rod hatte ja mal mit uns zusammengearbeitet. So hatten wir quasi einen gemeinsamen Freund. Das hat schnell diese warme Atmosphäre geschaffen.
Das reicht dann im Ernst schon, um Jeff Becks Gitarre zu bekommen?
Nein, oh nein! Er ist sehr, sehr wählerisch mit seinen Projekten. Es ist ja bekannt. Jeff tut niemals etwas aus einer kommerziellen Motivation heraus. Er muss schon total inspiriert sein von dem, was er da hört.
Er ist quasi der Anti-Santana, der eben nicht bei jedem Schlonz vorbeikommt und 90 Sekunden uninspiriert vor sich hin gniedelt.
Das fand ich eben auch erstaunlich. Er ist sich der Tatsache, ein Künstler zu sein, permanent bewusst. Und ich wusste, ich wollte Jeff auf meinem Album haben. Ohnehin wollte ich ein großes Instrumentalstück bringen. Etwas, das als Klassiker auch mit meiner Violine gut funktioniert.
Und da hast du das großartige "Mna Na h'Eireann" von Folkikone Sean O’Riada gefunden? Das ist ja nicht ohne Risiko. Immerhin haben das u.a. auch Kate Bush oder Mike Oldfield sehr gelungen interpretiert.
Yeah, aber ich bin im Gegensatz dazu immerhin Irin.
Der Dialog zwischen Jeffs Gitarre und deiner Violine ist auch geglückt.
Jeff hat den Song von der ersten Sekunde an bewundert. Er ist total darauf abgefahren. Das hat natürlich vieles erleichtert. Er hat es sofort in sein Liveprogramm integriert und u.a. in London gespielt.
Eine ganz andere Seite zeigt hingegen das Lied "Buenos Aires" mit dem spanischen Superstar Alex Ubago, der hierzulande nicht so bekannt ist. Das Lied klingt eben so gar nicht nordisch-irish, sondern südländisch fluffig. Wie kam es zu dieser neuen Erfahrung?
Ich würde das Lied nicht als fluffig bezeichnen. Ich habe es ja selbst geschrieben. Wir hatten schon einmal vorher zusammen gearbeitet. Und als ich ihm den Song "Buenos Aires" zeigte, kam er gerade aus dieser Stadt. Es musste einfach ein Duett werden. So macht es Sinn. Ich liebe seine Stimme. Unsere Stimmen ergänzen sich sehr gut. Das war mir wichtig für das Album.
Der richtige Spirit?
Oh ja. Das ist mir sehr wichtig. Ich arbeite gern mit Leuten, die ich kenne und mag. Es wäre mir nicht möglich, mit mir komplett unbekannten Menschen ein Album aufzunehmen oder auf Tour zu sein.
"Ich bin ja auch eine Frau ..."
Das Erstaunlichste Stück auf deiner Platte ist dennoch nach meiner Ansicht deine Coverversion von Bronski Beats "Smalltown Boy". Sehr mutig von dir, die weltbekannte Synthielinie nur mit dem Piano anzudeuten und das Lied so traurig und weich zu machen. Der Höhepunkt auf deiner Platte!(Strahlt mich an) Ich bin ja auch ein Kind der 80er. Das war meine Teenager-Zeit. Und besonders Bronski Beats "Smalltown Boy" war so etwas wie meine persönliche Hymne in diesen Tagen. Das war schon merkwürdig. Vor ca. einem Jahr war ich mit meinem Mann und den Kids in Frankreich im Urlaub. Kennst du das, wenn man nur mal etwas Ruhe braucht und stattdessen jeden Tag bis in die Morgenstunden die Hoteldisko wummert? Die Familie schlief schon eines Nachts. Ich konnte nicht schlafen, war genervt und bumm: Um fünf Uhr morgens hämmert da "Smalltown Boy" aus den Boxen. Da wusste ich, dass ich deshalb so unruhig war. Es war dieses Lied. Ich wollte es. Ich wollte es covern. Ich musste es tun. Ich tat es.
Dein Arrangement klingt zum Glück ja nicht gerade nach wummernder Hoteldisco.
Da hast du zum Glück Recht. Zu Hause widmete ich mich derzeit ganz dem Piano. Es half mir auch, die eigene Stimme überhaupt zu finden. Bei "Smalltown Boy" habe ich mich dann besonders mit doch sehr zu Herzen gehenden traurigen Lyrics beschäftig. Ich wollte diesen Text hervorheben, unterstreichen. Das hat mich auch so berührt. Homosexuell zu sein in einer ländlich-provinziellen Gegend, dominiert von groben Heteros, muss ja auch wirklich die Hölle sein. Das ist so ein dunkles Gefühl. Da will ich auch eine dunkle Version machen. Das hat ja Sinn gemacht, wie ich merke (strahlt mich wieder an).
Das macht definitiv Sinn. Hat Jimmy Somerville je davon erfahren?
Oh ja, hat er. Er hat mir eine 40-Sekunden-Nachricht auf die Website geschickt und klar gemacht, wie sehr es ihm gefällt.
Dann war dieses Lied für dich der Schlüsselmoment zur Findung der eigenen Stimme?
In gewisser Weise ja. Es fällt mir und anderen Sängern – und das finde ich selbst merkwürdig – immer sehr schwer, die eigenen Songs zu singen. Bei den geliebten Songs von anderen geht es mir nicht so. Das geht ganz einfach. Aber ich musste eine und zwar meine Stimme finden, die mich in den Augen der Welt als Sängerin ausweist. Ich wollte und will als Singer-Songwriter identifiziert werden.
Klingt nach einem ursprünglich nicht so großen Selbstvertrauen.
Das hatte ich als Sängerin auch nicht. Ich war ja immer nur die Backing Vokalistin hinter Andrea. Der Unterschied zu Lead Vocals ist nicht nur vorhanden. Er ist massiv.
Danach klingt dein Song "Love Me Better" so gar nicht. Zum ersten Mal nehme ich im Corr-Universum so etwas wie bewusst präsentierte Weiblichkeit und Laszivität war.
(Strahlend) Ich bin ja auch eine Frau und kein junges Mädchen mehr. Ich freue mich, dass das gelungen ist.
"Ich schreibe immer von Herzen!"
Nun, auf der einen Seite scheinen deine eigenen Songs von Herzen zu kommen. Auf der anderen Seite – und jetzt kommen wir zu der anfangs erwähnten Irritation – bringst du qualitativ solch einen derben Kontrast. Da ist das Korgis-Cover "Everybody's Got to Learn Sometime" in seinem oberflächlichen Loungemantel; da sind songwriterische Supermarktnummern à la "It's Not A Dream", "So Long Ago" und "Dream Of You". Kann es sein, dass du durch die Vergangenheit und den Erfolg gewohnt bist, kein künstlerisches Wagnis einzugehen, weil es möglichst jedem gefallen soll?(Strahlt mich nicht mehr an; wird unwirsch) Ich schreibe immer von Herzen. Das kannst du glauben; das kannst du dir merken. Denn das ist es, was mir das gute Gefühl gibt. Es kommt nie von anderen Zwängen oder Einflüssen. Gerade "It's Not A Dream" ist solch ein Song, bei dem ich mir des Inhalts und Textes sehr bewusst war. Da geht es um Dankbarkeit für alles Erreichte in der Liebe. Die meisten Menschen suchen erst eine Ewigkeit nach der Liebe. Und wenn sie sie gefunden haben, nehmen sie sie als selbstverständlich. Und genau so ist es mit den Tracks auf dem Album. Ich habe viele Seiten, viele Stimmungen. Am Ende bekommst du alles von mir auf dem Album. Von Pop bis Folk bis Klassik.
Und deine ganz persönlichen Helden?
Oh, ich liebe Nick Drake und Joni Mitchell.
Großartige Nennung. Die beiden sind ja kaum zu toppen. Keine Iren? Ich hätte jetzt gedacht, du erwähnst Gavin Friday oder Luka Bloom.
Oh doch. Ich wusste nicht, dass man die hier überhaupt kennt. Friday ist natürlich so was von Weltklasse. Ein unfassbarer Songwriter und Bühnendarsteller. Aber ich mag es bei der irischen Musik auch gern klassisch traditionell im Folk-Sinne. Martin Hayes ist ein ganz großer Fiddler. Von ihm habe ich viel gelernt.
Und die Geschwister? Kommen die bei der Live-Präsentation als Gäste auf die Bühne?
(Verräterisch strahlend) Das weiß man nie. Lasst euch überraschen.
Liebe Sharon, ich danke dir für dieses Gespräch.
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