laut.de-Kritik
600.000 strömten zum Abschied des erfolgreichen Duos ins Kolosseum.
Review von Giuliano Benassi"Es ist für mich unangenehm, gar schmerzhaft, auf etwas zurückzublicken, das ein anderer geschaffen hat. Ein anderer, der ich selbst war. Ich schäme mich weder darüber, wo ich gewesen bin, noch über was ich gedacht habe. Es ist einfach so, dass ich nicht mehr so bin wie damals. Es ist mir vollkommen klar, dass mir die Lieder, die ich heute schreibe, morgen nicht mehr gehören werden. Ein Verlust, den ich nicht bereue", erklärt Paul Simon im Kommentar zu einem seiner Alben.
Worte, die nicht verwundern, kämpfte er viele Jahre gegen seinen fast übermenschlichen Status als Liederschreiber des erfolgreichsten Popduos aller Zeiten. Schon erstaunlicher ist, dass sie 1965 entstanden, als er mit seiner Gitarre durch England tingelte, nachdem das erste Album mit seinem lockigen Kollegen ein miserabler Flop gewesen war. Zu den Liedern des damals erschienenen "Paul Simon Songbook" gehören neben "I Am A Rock", "Leaves That Are Green", "April Come She Will" und "Kathy's Song" auch eine Soloversion des noch in Stille schlummernden "The Sound Of Silence".
39 Jahre später versammeln sich in Rom 600.000 Menschen vor dem Kolosseum, um ebendiesen Stücken zu lauschen. Simons Gedanke, "es ist mir vollkommen klar, dass mir die Lieder, die ich heute schreibe, morgen nicht mehr gehören werden", trifft die Stimmung auf den Punkt. Wir sind nicht hier, um einen der tiefgründigsten Musiker der Popgeschichte zu erleben, wir sind hier, um vor einer traumhaften Kulisse uns selbst und den Soundtrack unserer Jugend zu feiern – egal, ob wir nun sechzehn oder sechzig sind. Keine Experimente, kein neues Material. Der Perfektionist Simon wird's verschmerzen: Bei der triumphalen Abschieds-Tour durch die USA und Europa verdienten er und Garfunkel mindestens eine Million US-Dollar. Pro Auftritt.
Dennoch beherrscht die Musik, und nicht der Kommerz, die freudige Erwartung. Trotz Hitze, Enge und sengender Sonne strömen Zigtausende bereits am Morgen in Via die Fori imperiali und breiten sich auf dem Kopfsteinpflaster aus. Das Konzert ist kostenlos, es gibt keine Sicherheitskontrollen, weit und breit ist kein uniformierter Polizist zu sehen. Trotz Schwüle und Gedränge bleibt die Lage bis auf vereinzelte Scharmützel bei den Wasserständen und den Klos ruhig. Rom, eben. Die größte Gefahr eines blauen Auges entsteht durch die Mitarbeiter des Sanitätsdienstes, die Plastikwasserflaschen in die Menge werfen.
Um halb zehn ist es dunkel, das Vorgeklimper vorbei, auf den sieben Riesenbildschirmen laufen Bilder von Simon & Garfunkel in ihren verschiedenen Lebensphasen, umgeben von römischen Ruinen. Bei den ersten Noten von "Old Friends" erlöschen alle Stimmen - bis auf die des Duos, das wie zu den guten alten Zeiten nebeneinander auf der Bühne steht, begleitet von Simons gefühlvoller Gitarre.
"Hazy Shade Of Winter" und "I Am A Rock" ebnen den Weg für das erste kollektiv gesungene Lied, "America". Die siebenköpfige Begleitband um Schlagzeuger Jim Keltner und Multi-Instrumentalisten Mark Stewart hält sich dezent im Hintergrund und liefert eine solide Basis für Melodien, Texte und Simons Gezupfe. Die ersten Takte von "Hey Schoolgirl" führen das große Vorbild des Duos ein, die Everly Brothers. Zwar sehen sie kaum älter aus als ihre Gastgeber, der Zahn der Zeit hat an ihren Stimmen jedoch weitaus mehr genagt. Den Höhepunkt ihres Intermezzos ("Wake Up, Little Susie", "Dream" und "Let It Be Me") liefert das gemeinsam gesungene "Bye Bye Love".
Bei "Kathy's Song" kommt ein riesiger Vollmond hinter den Gemäuern des Kolosseums zum Vorschein und taucht die Stadt in ein warmes, verträumtes Licht. Da kann selbst die bunt beleuchtete Kampfstätte kaum mithalten. "Scarborough Fair", "Homeward Bound" und "The Sound Of Silence" schließen den ersten Teil von Karriere und Konzert ab.
Während einer kurzen Pause darf Dustin Hoffman seinen Alfa Spider über die Bildschirme spazieren fahren und Anne Bancroft ihre Beine zeigen. "Mrs. Robinson" gibt Simon breitbeinig in James Hetfield-Pose wieder, bevor das fast gesamte "Bridge Over Troubled Water"-Album folgt. Allein "El Condor Pasa" scheint überflüssig, auch wenn die unerträglichen Flöten nicht zum Einsatz kommen. Dafür gibt es das melancholische "The Only Living Boy In New York" und zwei der ersten Solostücke Simons, "Slip Slidin' Away" und "American Tune", bei dem Garfunkel zur Höchstform anwächst. Bezeichnend für die Atmosphäre: Nachdem Garfunkel das Lied angekündigt hat, ist es im Publikum still wie in einer Kirche. 600.000 Leute, und man hört mitten in einer Drei-Millionen-Stadt die Zikaden zirpen. Ein Augenblick, der für Gänsehaut sorgt.
Das während einer kurzweiligen Reunion 1975 entstandene "My Little Town" verschafft eine Schnaufpause, bevor der Flügel "Bridge Over Troubled Water" anstimmt. Unerwartet mischt sich Simon in Garfunkels Revier ein und singt eine Strophe selbst. Eine gelungene Interpretation, die den Kitsch der Originalversion lindert.
Auf der Bühne wird es dunkel und still. Nicht aber im Publikum, das lauthals eine Zugabe fordert. Die sie mit "Cecilia" und vor allem "The Boxer" bekommt. "Na na na" singt es auch nach dem zweiten Abgang minutenlang weiter, und ist erst ruhig zu bekommen, als Simon und Garfunkel, wieder alleine mit Gitarre, "Leaves That Are Green" anstimmen. Die Band begleitet sie durch das abschließende "59th Street Bridge Song (Feelin' Groovy)", in dem sich ein Trombidoo (eine Mischung aus Posaune und Didgeridoo) und eine Ziehharmonika mit Lungenantrieb ein unwahrscheinliches Duell liefern.
Das Konzert endet mit einem Schmunzeln und trotz aller Erschöpfung mit vielen fröhlichen Gesichtern. Ein emotionsgeladenes Konzert ist leider vorbei, der Zauber der römischen Nacht und seiner Geschöpfe geht glücklicherweise aber weiter.