laut.de-Kritik
Gewinnt jeden Saddam Hussein-Lookalike-Contest: Tom Araya.
Review von Michael EdeleDas letzte Mal, als ich Slayer in der Böblinger Sporthalle sah, war 2001 kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center im Rahmen der Tattoo The Earth-Tour. Damals haben sich noch Biohazard durch ihren Gig gelabert und Cradle Of Filth wurden gnadenlos von der Bühne gepfiffen. Leicht hatten es die Vorbands der Thrash-Titanen noch nie, aber diesmal war das Line-Up wirklich stark.
Allzu viel bekommen wir von dem Opener Thine Eyes Bleed, der wohl tatsächlich punkt 18 Uhr auf die Bühne musste, allerdings nicht mit: Probleme mit den Tickets an der Kasse. Nach einer Viertelstunde sind sie schon wieder weg vom Fenster und den paar Tönen nach zu urteilen, die wir noch mitbekommen haben, muss man sich darüber nicht ärgern. Dass nicht viel im Gedächtnis hängen bleibt, liegt bestimmt nicht nur am nicht sonderlich prickelnden Sound.
In Böblingen müssen Lamb Of God als nächstes ran und sorgen mit ihrem Sound für Bewegung. Sowohl auf der als auch vor der Bühne ist einiges los, und besonders Shouter Randy Blythe bleibt permanent in Bewegung und beansprucht Mikro plus P.A. dermaßen, dass eines von beiden immer wieder abkackt. Davon lässt sich der Kerl natürlich nicht abhalten und gibt nur noch fiesere und derbere Geräusche von sich: Unglaublich, was aus dem Spargeltarzan alles raus kommt. Seine Kollegen stehen ihm derweil in nichts nach und verdienen ebenfalls ordentlich Kilometergeld.
Danach stehen Children Of Bodom auf der Bühne und bleiben ihrem Stil zwischen Arroganz und zur Schau gestellter Langeweile treu. Spieltechnisch sind sie den anderen Bands auf dem Billing meilenweit voraus, und auch in Sachen Posing gehören sie zu den ganz Großen. Musikalisch scheiden sich an den Finnen aber die Geister. Die jüngere Generation kreischt sich die Stimmbänder wund, die etwas Älteren findens ganz gut, wundern sich aber über die vielen Tralala-Melodien. Alexi und seine "Kids from Bodom" (Zitat des In Flames-Sänger Anders) sehens gelassen, spielen einen sauberen Gig herunter und fahren anständigen Applaus ein.
Nun ist es Zeit für Sweden's Finest und nachdem ein paar bunte Leuchtstoffröhren um die eigens dafür entworfenen Speaker aufgefahren sind, legen In Flames, die ihren Gitarristen Jesper ersetzen müssen, los. Fronter Anders verzichtet heute auf extravagante Sockenmode und führt seine Truppe wie immer souverän an. Im Gegensatz zum Kollegen aus Finnland verzichtet der Mann auf sämtliche "Fucking fuck you fucking fucker"-Ansagen und setzt auf ordentliche Kommunikation. Die Frage, ob sich das Publikum lieber was Langsameres oder was Schnelleres wünscht, hätte er sich vor Slayer zwar sparen können. Aber zumindest bekommen die Jungs diverse In Flames-Sprechchöre zu hören, anstelle der sonst üblichen Slayer-Shouts. Mission also eindeutig geglückt.
Dass trotzdem alle wegen Slayer gekommen sind, zeigt sich sofort, als die Lichter zum letzten Mal ausgehen. In der Vorhalle hätte man wahrscheinlich locker Fußball spielen können, denn die ganze Meute drängt sich vor der Bühne. Zwei riesige, umgedrehte Kreuze aus gefakten Marshall-Türmen rechts und links, in der Mitte ein Podest auf dem das Drumset trohnt - mehr brauchen die Thrasher aus Kalifornien nicht fürs Bühnenbild. Dave Lombardo nimmt als erster seinen Platz hinter den Drums ein und im Dunkeln folgen ihm Jeff Hanneman, Kerry King und ein Zausel am Bass.
Auch wenn man zweimal hinschauen muss, aber das ist tatsächlich Tom Araya, der da jeden Saddam Hussein-Lookalike-Wettbewerb gewinnen würde. Genau so haben sie den Kerl damals aus dem Erdloch gezogen! Okay, die Haare waren nicht so lang, aber der Bart ... Dafür begrüßt Tom die Fans nach den ersten Breitseiten wie der nette Onkel von nebenan. Stimmlich ist er anfangs nicht so ganz auf der Höhe, kommt aber immer besser in Fahrt. Während Jeff meist wie ein Zombie am rechten Bühnenrand steht (man munkelt, er wird von einem Roadie hinter der Bühne ferngesteuert), sieht Kerry wenigstens immer noch so aus, als wolle er jeden Moment seine Klampfe zerbrechen.
Die Gitarre des Glatzkopfs ist meist deutlich lauter als die des Kollegen, was möglicherweise nicht unbegründet ist. Die Soli sind natürlich immer noch sinnlos und schräg wie von keiner anderen Band, aber schließlich macht das mit den Reiz Slayers aus. Dave Lombardo bearbeitet wie ein Irrer das Drumkit und macht seinem Saitentrio gehörig Feuer unterm Arsch. Im Hintergrund laufen ständig irgendwelche Dia oder Film-Animationen ab, und auf einmal sagt Onkel Tom artig danke, macht noch auf ein Bild von Dimebag Darrell auf der Leinwand aufmerksam, schlappt von der Bühne und das Licht geht an.
Das anschließende Pfeifkonzert ist in etwa doppelt so laut, wie die Band zuvor spielte. Der Blick auf die Uhr macht nämlich klar, dass Slayer gerade mal eine knappe Stunde auf der Bühne waren und sich zwischen den Songs immer ausgiebig Zeit gelassen haben. Da scheint sich das Alter doch nicht nur in den grauen Haaren Tom Arayas zu manifestieren. Da die Stunde aber wirklich massiv auf die Glocke gab, spare ich es mir mal, hier von Abzocke zu reden, aber ein paar Songs mehr hätten es schon sein dürfen.
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