laut.de-Kritik
Die Legende aus Amerikas Westen hält Einzug im Schwabenländle.
Review von Alexander EngelenAmerikas Westen hält Einzug im Schwabenländle. Und wenn Westcoast-Repräsentant Nummer Eins Snoop Dogg und die neue Speerspitze Kaliforniens The Game einmal ins winterliche Europa aufbrechen, dann müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn der geneigte Fan sich die Chance entgehen lässt, diese Hochkaräter live zu erleben. Dementsprechend waren flux die drei Deutschlandtermine ausverkauft, und auch für die zwei zusätzlichen Konzerte bot schnell der Schwarzmarkt die letzte Alternative.
Aufgrund der angereisten Hundertschaften platzte die Sporthalle in Böblingen fast aus allen Nähten. Erste Begeisterungsstürme besorgten leicht bekleidete Damen, die zum Sound des DJs auf der Bühne sich selbst und das Publikum aufwärmten. Wer jetzt schon eine "Girls Gone Wild - Doggystyle"-Eskapade mit sabberndem Munde herannahen sah, wurde aber im weiteren Verlauf des Abends enttäuscht.
Begeistert haben eher der Sound und die männlichen Protagonisten. Im Speziellen die Mixtur aus Alt und Neu. Snoop Dogg, als unbestrittene Größe des G-Funks vergangener Tage, und The Game, als zukunftsträchtiger Jungspund, der die Hip Hop-Hörer wieder an die Westcoast lockt. Snoops begeistert mit einer Mischung aus alten Klassikern, mit denen er der Musik des amerikanischen Westens eines seiner Gesichter lieferte, und seinen neuen musikalischen Schritten, mit denen er - gemeinsam mit den Neptunes - die Klingeltoncharts der Welt erobert, während Game das Verhalten eines klassischen Nigga Witha Attitude aus Compton Ende der Achtziger und die Adaptionen des modernen G-Unit Rapstyles aus dem Herzen von New York ineinander würfelt.
Seinen Hunger stellt The Game bei seinem knapp 20-minütigen Auftritt fulminant unter Beweis. Der Dr. Dre-Protegé weiß sich und seine Platten zu verkaufen. Denn trotz heiserer Stimme präsentiert er einen Teil seines Albums voller Energie und ohne die Hilfe eines Backup-MCs. Seine Verbundenheit mit den Legenden des Genres stellt er nicht nur mit Namensnennungen alter Helden unter Beweis. DJ Quik, einer der Männer der ersten Stunde des Westcoastraps, unterstützt ihn an den Turntables. Sichtlich berauscht von der Begeisterung des Publikums will Game schließlich dem strengen Tourmanager das Mikro nicht in die Hand geben und elektrisiert die Menge mit endlosen Disstiraden in Richtung Murder Inc., Memphis Bleek, Joe Budden usw.
Die Hauptattraktion des Abends ist aber ein Anderer. Unter frenetischem Applaus erscheint der Doggfather auf der Bühne, die passend mit einem Wald aus Hanfpflanzen dekoriert ist. Stimmig zum Outfit eröffnete Snoop Dogg im pinken Mantel mit dem Song "P.I.M.P.", zu dem die Typen bedrohlich ihre Kappen nicken und die Mädels betörend die Hüften kreisen lassen. Daraufhin entführt Snoop die Anwesenden mit Hilfe seiner Liveband - der Snoopadelics - auf eine Reise durch seine langjährige Karriere. Jeden Stop begrüßt die Meute mit ausgelassenem Jubel und enthusiastischem Armwippen: "Ain't Nothing But A G-Thang", "Beautiful", "Next Episode", "Upside Your Head", "Let's Get Blown" ... Jeder Song macht deutlich: der schlaksige, in seiner eigenen Welt lebende Kerl auf der Bühne ist eine Legende. Mehr noch, eine Ikone. Er personifiziert die Lockerheit des kalifornischen Way of Life, die bedrohliche Überheblichkeit eines Gangsters aus der Hood von Long Beach und die größenwahnsinnige Übergeschnapptheit eines Pimps, jener pelzbemäntelter Spezies, die mit königlicher Anmut die Fäden in den Straßen des urbanen Amerikas zieht. Ob es diese Menschen wirklich gibt oder ob sie den haschschwangeren Fantasien Snoops entsprungen sind, spielt dabei keine Rolle.
Genetisch ist Snoops Lockerheit wohl auf seinen Onkel zurückzuführen. Dem ist der Ehrenpreis des Pimpordens jedenfalls sicher. Der durchgeknallte Endfünfziger tänzelt nämlich von Zeit zu Zeit so was von locker über die Bühne und schießt schließlich den Vogel mit seiner schauspielerischen Interpretation von "Smoke Weed, Get Drunk & Fuck" ab. Ohne Frage erreichen einige der zahlreichen ins Publikum geworfenen Luftküsse ihr Ziel und schicken den einen oder anderen weiblichen Fan in die Ohnmacht.
Endgültig sichert sich Snoop die Sympathien des Publikums durch den Auftritt im Deutschlandtrikot. Die Meute stimmt begeistert ein Fußballlied an und feiert Snoop als legitimen Nachfolger des deutschen Paffkickers Mario Basler. Nach 80 Minuten ist die musikalische Reise in den sonnigen Westen Amerikas zwar vorbei, doch der Doggfather hinterlässt nichts als kollektive Begeisterung.