laut.de-Kritik
Alle gehören zum toolschen Genpool.
Review von Matthias MantheDie humanoide Riesenschlange vor der ausverkauften Philipshalle schimmert in den unterschiedlichsten Farben: Headbanger und Computernerds, Indiekids und Dunkeljünger, Althippies und sonnenbankgebräunte BWLer – alle sind dem Ruf der Prog-Metaller Tool gefolgt. Schließlich überbrückten die meisten von ihnen wenigstens vier Jahre Wartezeit bis zur neuerlichen Chance, die Kalifornier in concert zu bestaunen.
So schwer allerdings der Eindruck der Pluralität im ersten Moment wiegt, so leicht lässt sich die Fan-Gemeinde in zwei mehr oder minder feste Lager dividieren. Da wäre zum einen die Fraktion der treuen Wegbegleiter aus den mittleren Neunzigern, als die Kalifornier mit "Undertow" und vor allem "Ænima" Meilensteine alternativer Gitarrenmusik setzten. Zum anderem erweitern Anhänger der "Lateralus"-Ära schon seit Jahren den toolschen Genpool. Im Unterschied zu Erstgenannten liegt die Präferenz hier auf dem vertrackteren, künstlich-kunstvolleren und noch opulenteren Oeuvre dieser Band.
Bleibt die Frage, ob es Maynard und Kollegen gelingt, beide Seiten zufriedenzustellen. Die Antwort fällt an diesem Donnerstagabend aus vielerlei Gründen indifferent aus. Doch in medias res und von vorne: Frontmann Keenans nackter Oberkörper, gewappnet mit Cowboy-Hut und Talkbox, platziert sich zunächst vor der im Tool-Kontext bekannten Videoinstallation. Anfänglichen Soundproblemen zum Trotz feuert er alsbald die fiebrigen Verse aus "Rosetta Stoned" ins Publikum. Zwischen weiteren Sprengseln des jüngsten Streiches "10,000 Days" ("Jambi", "Right In Two", "Vicarious") erfolgt dann eine Art 90-Minuten-Best Of.
Der "Ænima"-Opener "Stinkfist" und die Metaldisco-Nummer "Sober" bedienen die angestammte Hörerschaft, "Schism" und "Lateralus" neuere Klientel. Keenan kokettiert des Öfteren mit schwuler Ästhetik, vollführt an einer imaginären Striptease-Stange Kopulationsbewegungen. Ansonsten allerdings marginalisiert das visuelle Rückgrat aus MTV-Clips und Lavalampenemulsionen die stets stillstehenden Akteure. Einige arhythmisch schwingende Mädchenkörper weiter hinten ausgenommen (LSD, anyone?), verharrt man vor der Bühne meist ebenfalls reglos bis andächtig.
Den Schlusspunkt unter eine durchgestylte, routinierte Rockshow setzt schließlich "Ænema". Mitschuld an der insgesamt etwas unterkühlten Konzertdarbietung trägt sicher die weitläufige Venue. Als wirklich kritikwürdig offenbart sich im Nachhinein aber eine überwiegend auf Hits fokussierte Setlist, die atmosphärischen Schwerpunkten keinen Raum ließ. Das Gros der Anwesenden stört das jedoch wenig, sondern stürzt nach dem Finale an den Merchandise-Stand, um hochpreisige T-Shirts und/oder ein original Tool-Höschen zu erwerben. Ich für meinen Teil fahre kurz darauf mit nicht ganz erfüllten Erwartungen wieder heimwärts.