16. März 2012

"Die Emotion muss stimmen!"

Interview geführt von

Totale Lindemannisierung, Nivellierung der Musik, Epigonentum - unser Interviewer Ulf Kubanke konfrontiert den Chef von Unheilig mit harten Vorwürfen. Den Grafen lässt das alles kalt, denn für ihn ist "Musik lediglich das Transportmittel einer Geschichte".

Für das neue Unheilig-Album "Lichter Der Stadt" hat der Graf die derzeit angesagtesten Produzenten verpflichtet. Dass die von Thorsten Brötzmann produzierten Lieder nun eben an Rammstein erinnern, andere an Silbermond oder Die Happy, findet der Graf nicht schlimm. So klinge die Musik eben, heutzutage.

Worin siehst du die Entwicklung der neuen Platte im Vergleich zu den Vorgängern und dem letzten Album? Oder gibt es keine?

Der Graf: Ich glaube schon, dass da eine Entwicklung drin ist. Für "Große Freiheit" haben wir schon insgesamt vier Produzenten genommen. Und mir war es beim neuen Album wichtig, dass ich ihnen die Songs so geben konnte, dass sich alle auf ihre Art mit dem Sound und der Musik so richtig austoben können. Ich habe die Lieder alle geschrieben. Sie waren komplett als normales Demo fertig.

Was heißt das denn genau, wenn man von dir ein Demo bekommt?

Wenn man von mir ein Demo bekommt, ist das eine komplette Vorproduktion. Da ist z.B. schon Schlagzeug drin und verschiedene Melodien. Ich nenne es immer gern "Audio-Logo". Alles auch komplett mit Text schon eingesungen. Wir haben nämlich auf Tour ein Studio gehabt, in dem wir die Lieder schon vorproduzieren konnten. Beim Produzenten lasse ich das dann ausproduzieren. Er bekommt ein echtes, arrangiertes Lied. So wie ich mir das ungefähr vorstelle.

Wie soll man sich denn dann als Produzent noch austoben, wie du sagtest? Im Grunde kann man doch aber nur deiner Linie folgen oder übersehe ich etwas?

Nee nee, ein Beispiel: Gerade das Lied "Lichter Der Stadt"! Da wollte ich z.B. U2/Coldplay/A-ha-Gitarren haben.

Meinst du den typischen Daniel Lanois Sound? Es fällt auch auf, dass der Track etwas anders klingt als der Rest.

Ja genau, so ähnlich. Ich hab einfach mal in mein Plattenregal geschaut und mir danach die passenden Produzenten gesucht. Es gab Lieder, bei denen der Kiko Maßbaum – der "Geboren Um Zu Leben" gemacht hat – optimal war. Oder diese sehr rammsteinigen Lieder. Die waren dann eher was für den Thorsten Brötzmann, der bzgl. des Gitarrensounds einfach führend ist. Darauf basiert eigentlich alles, was heutzutage läuft. So bin ich dann zu den Produzenten gegangen und habe denen diese Linie vorgegeben. Aber dazu habe ich gesagt: Jetzt seid ihr mal dran. Gebt mir viele Ideen. Hier ein paar Beispiele und jetzt könnt ihr euch mal austoben. Ich saß direkt daneben und konnte immer meinen Senf dazu geben.

Das ist jetzt allerdings eine rein technische Antwort auf meine Eingangsfrage gewesen. Ob jetzt Produzent X oder Y dabei war, ist dem Hörer doch qualitativ erst einmal egal. Ich möchte von dir als purem Künstler aber gern wissen, ob es eine inhaltliche Entwicklung gibt oder Kontinuität.

Das Album "Lichter Der Stadt" ist ja entstanden, während ich 2010/2011 immer nur unterwegs gewesen bin.

Mit der heißen Nadel im Bus?

Ja richtig. Wir haben da richtig viele Lieder geschrieben. In Hotelzimmern, Nightlinern und im Auto. Ich brauchte das Komponieren und die Musik zu der Zeit besonders, um mit der Situation, in der ich mich befand, klar zu kommen. Alles was 2010 auf mich eingeprasselt ist. Radiotermine, Fernsehauftritte, wir sind in Krankenhäusern gewesen und haben dort Pianokonzerte gespielt. Wir sind in Hospize gegangen, weil es dort Menschen gab, die mich gerne treffen wollten. All das waren natürlich Emotionen und Eindrücke, die ich erst mal verarbeiten musste.

Klar.

Und ich glaube, wenn ich die Musik nicht gehabt hätte, um mir all das von der Seele zu schreiben ... Ich musste mir selbst erst eimal wieder zu verstehen geben, was da eigentlich alles gerade passiert. Ich kam mir zu dieser Zeit vor wie der kleine Junge, der auf einmal in die Großstadt kommt. Vom Land, wo alles behütet und beschützt ist, geht es plötzlich in die Stadt, wo alles neu ist. Alles dreht sich. Alles bewegt sich. Alles fremd und ganze viele Leute wollen was von einem. Das war eine Situation, die ich so nicht kannte.

Ist es nicht gefährlich, sich auf einmal so sehr von Pontius zu Pilatus herum reichen zu lassen? Mal hier bei Stefan Raab, dort bei RTL ... überall taucht der Graf auf. Aber leider wenig im künstlerischen Kontext, sondern rein beim Privatfernsehen-Plastikzirkus. Du warst doch früher unabhängiger von den Medien?

(Trocken, würdevoll:) Früher wollte mich einfach keiner.

(Gelächter)

Ich habe doch immer schon darauf geträumt – wie jeder andere Künstler – endlich mal im Fernsehen auftreten zu dürfen. Es war immer mein größter Wunsch, auch wie andere Musiker im Fernsehen aufzutreten oder zu Radiointerviews zu fahren. Zehn Jahre gab es keinen Sender, der uns gespielt hat. Da war ich doch total stolz drauf, dass das endlich geht. Und wenn man dann diese Gelegenheit kriegt, dann darf man das auch – wenn man es gern möchte – ebenso gern wahrnehmen. Wir haben auch nie einen Unterschied gemacht, wo wir aufgetreten sind. Wir sind u. a. zu Big Brother oder Carmen Nebel gegangen. Da haben alle Leute gesagt: Wie kannst du jetzt zu Carmen Nebel gehen? Für mich war das aber total selbstverständlich.

"Ich rolle das 'R' doch nicht!"

Es passt ja auch musikalisch ganz gut. Nehmen wir doch einmal "Tage Wie Gold": "Das sind unsere besten Jahre und unsere beste Zeit; manche Tage sind wie Gold – so selten wertvoll, rein". Und dann: "Ich lasse los von jedem Streben ... die kleinen Dinge werden wertvoll, schenk dem Moment Aufmerksamkeit". Ist es nicht ein Widerspruch, oberflächliches Gold in den Himmel zu heben und erst hinterher zum ganzheitlichen Ansatz zu kommen?

Mir geht es darum, zu zeigen, dass diese Tage – der Moment, in dem ich gerade lebe – was besonderes sind. Der Wert dieses Moments sollte einem bewusst sein. Das Gold ist nur ein Sinnbild dafür, dass der Moment schön ist. Das Gold funktioniert hier nur als eine Art Wertschätzung des Augenblicks. Das hat nichts mit dem Gold als greifbares Material zu tun. Das ist für mich echt total wichtig, dass das rüberkommt. Ich möchte nicht, dass mir erst nach Jahren bewusst wird, dass meine beste Zeit vielleicht 2010 oder jetzt war.

Dennoch verstehe ich deine Selbstdarstellung nicht. Einerseits vermittelst du den Eindruck eines nachdenklichen Menschen mit persönlicher Note in den Texten. Andererseits bricht bei Songs wie "Feuerland" oder "Eisenmann" erneut die totale Lindemannisierung aus. Du hast so eine angenehme Stimme in Sprache und Gesang. Warum immer dieses ausgelutschte rollende R?

Och, ich rolle das R doch nicht.

Mag ja ne unbewusste Sache sein. Ich verstehe nur nicht, warum man sich als eigenständiger Künstler so sehr in eine Art babylonische Gefangenschaft begeben kann, so dass jeder sofort rufen könnte: Epigonenalarm! Warum nur?

Ich sehe das ganz einfach so: Ich war und bin riesiger Rammsteinfan. Und bei mir ist das so: Wenn ein Lied hart sein muss und Gitarren hat, ist das in Richtung Rammstein schon was ganz eigenes. Es gibt Rock, Pop, Hip Hop, Schlager, Metal und es gibt Rammstein. Wenn ich also ein richtig metallisch rockendes Liedchen machen will, warum soll das anders als Rammstein klingen? Warum stattdessen wie Metal von vor zehn Jahren?

Ich spreche nur von den Vocals. Es geht doch um Eigenständigkeit und nicht darum, ob man für ein Lied einem bestimmten Stil folgt. Und wenn du Rammstein schon so hervorhebst: Sind wir ehrlich: Die Typen haben das bei Laibach geklaut.

Ich finde das einfach nicht schlimm. Wenn man sich über ein Lied ausdrücken möchte, darf man sich doch dessen bedienen, was es schon gibt. Und wenn man das mit dem tiefen, harten Gesang macht, ist das doch vollkommen ok. Wenn ich von einem Eisenmann erzählen will, ist es einfach fehl am Platz, das mit der normalen Stimme auszudrücken. Diese – wie hast du das genannt? Lindemannisierung? – ist doch für mich nur ein Instrument unter vielen, um einen Ausdruck rüber zu bringen. Wenn ich jetzt mit der normalen Stimme sänge (singt klar) "Straßenschluchten, tief wie Meere". Das kommt doch echt nicht so rüber, als wenn ich singe (Lindemannknopf an) "Straßenschluchten, tief wie Meere".

Das klingt halt ein wenig nach Evil Märchenonkel. Das kann doch dem Text auch eine gewisse Tiefe nehmen. Du begibst dich doch ganz freiwillig in die Nähe des Comicstrip und der Karikatur.

Ok, aber ich glaube, das ist doch eher eine Geschmacksache. Im Gegenteil: Ich glaube sogar, dass es total wichtig ist, damit ein Album eine gewisse Abwechslung hat, dass man diese Sparten auch hat und dass man es genau so macht. Ansonsten glaube ich, wenn man eine Platte macht, die nur so mit dem normalen Gesang dahin plätschert, wird das schnell langweilig. Du brauchst die Abwechslung. Du brauchst den Bruch darin. Ich glaube, viele Künstler machen auch den Fehler, dass sie dauernd versuchen, sich in ihr eigenes Korsett rein zu zwängen. Und wenn ich Unheilig so eingrenzte, mir das alles zu verbieten, würde ich Unheilig doch ein eigenes Korsett machen. Ich sage als Prämisse: Ich mache Musik, um den Ausdruck X oder Y rüberzubringen, ein Album abwechslungsreicher zu gestalten und den Hörer auf eine Achterbahnfahrt zu schicken.

Du möchtest das also als reines Stilmittel begründet sehen? Wie die Growls im Metal?

Ja genau. Ich muss auch sagen. Ich habe die Jungs von Rammstein auch getroffen. Die fanden das auch vollkommen ok und haben gar nicht komisch darauf reagiert.

Warum auch? Ist für sie doch eine Hommage. Zumal sie es ja selbst nicht anders machten. Ist es nicht ein wenig schade, dass Laibach als Erfinder hier immmer ein wenig zu kurz kommen?

Naja, weil die jetzt nicht so bekannt sind. Das ist doch alles nicht schlimm. Viele fragen mich ja danach, warum es ein wenig wie bei Rammstein klingt. Da sag ich einfach: Na und? Das ist doch auch klasse.

"Ich kann was fühlen oder eben nicht."

Nun wehrst du dich ja gern und oft dagegen, dass man Unheilig überhaupt in Schubladen kategorisiert, nicht wahr?

Richtig.

Aber was würdest du entgegnen, wenn ich dich als großen deutschen Musiknivellierer bezeichnete? Zum einen hast du diesen Bezug zur Postpunk- und Gothic-Kultur. Das ist aus meiner Sicht jedoch eine Mogelpackung, weil letzten Endes die Musik unbeleckt davon ist. WGT, Schwarze Szene, das 'Grafending', bei dem man sich sofort an Bela Lugosi erinnert fühlt, deine Vampirkontaktlinsen. Und dann hört man sich das Album an und fragt sich erst recht: Was ist denn hiervon eigentlich authentisch? Meiner Ansicht nach wenig.

(Brummt skeptisch zuhörend.)

Beispiele? Du benutzt Producer wie den Kiko Maasbaum. Der hat das Genre ja gerade auch schön lecker mit Eisblume getötet.

(Lacht)

Alles klingt genau so wie bei Stürmer, Silbermond, Die Happy etc. Ihr könntet locker die Platten voneinander etwas umgedengelt singen und keiner würde es merken.

Naja ... ich weiß nicht.

Und zu der von dir gepriesenen Vielfalt deiner Produzenten: Du hast dir genau jene Leute genommen, die das Gesamtbild schon seit längerem zum Einheitsbrei degradieren. Brötzmann ist der Typ von Christina Stürmer, No Angels und DJ Ötzi. Kiko Maasbaum hat gerade das Eisblume-Werk verbrochen. Im Grunde lebst du doch in der Kunst das Gegenteil von dem, was du mir hier erzählst.

Nee, das äußere Erscheinungsbild liegt ja auch an dieser Kunstfigur. Der Graf existiert aber nur, weil ich mein Privatleben so weit wie möglich von der Öffentlichkeit abschirme. Und was ich trage und anziehe, das hat doch alles seinen Grund. Ich habe ja niemals gesagt, dass ich gezielt für die Szene Musik mache. Das kann man auch überall nachlesen, wie das war. Ich habe einfach den Namen ausgesucht. Der bietet sich bei mir ja an. Und bei der ersten Platte waren die Leute, die die Musik liebten, eben aus dieser Szene. Das waren echt die ersten, die meine Lieder gut fanden. Gerade bei den ersten Konzerten wurde ich von Veranstaltern aus der Gothicszene eingeladen.

Kann ich mir vorstellen.

Aber so bin ich überhaupt erst einmal da reingewachsen und habe die Szene kennen und lieben gelernt. Aber meine Musik ist immer so gewesen. Da kannst du dir jedes Album anhören. Von Anfang bis Ende.

Die kenne ich alle. Wir missverstehen einander. Ich will dir doch nicht vorwerfen, unehrlich in die Szene gegangen zu sein.

(Sehr bestimmt) Ja, das wäre auch nicht ok.

Aber du bewegst dich in dieser Szene und weißt durchaus mit ihr zu flirten wie mit einer Kamera. Es geht um die Musik, und spätestens seit der letzten Platte ist das Bild austauschbar. Es sind immer dieselben altbekannten Zutaten. Dieselben Wummsgitarrenwände, die machen sie für Ooomph genauso wie für Die Happy, Nena, Stürmer. Im Grunde machen ein Dutzend Bands in Deutschland den prägenden Einheitssound, und du bist einer von ihnen. Jetzt verkaufst du mir das als große kreative Errungenschaft.

(Leicht entrüstet) Ich finde aber schon das meine Sachen individuell sind.

Du als Typ absolut, klar. Aber doch nicht deine Mucke.

Ja, aber die Produktion ist halt nun einmal so, wie Musik im Jahr 2011 oder 2012 klingt.

Doch nur in der Musikprovinz Deutschland. Mr. Bauhaus Peter Murphy etwa hat sich 2011 bewusst gegen eine typische Protools-Einheitsproduktion entschlossen und ein echtes Soundwunder erschaffen. Jetzt stellt sich doch die Frage, warum kommen internationale Musiker auf solche Ideen, während bei uns von dir bis Nena alles ähnlich klingt. Dass auf dem neuen Album der Xavier Naidoo im Duett so gut zu dir passt, ist doch ein Ausdruck dessen, dass es stilistisch schon völlig egal ist, welchen Song man bringt.

Tja, da habe ich mir echt noch keine Gedanken drüber gemacht.

Mein Vorwurf klingt jetzt so hart und brutal. Ich bitte dich jedoch, es nicht als Beleidigung aufzufassen.

Nee, das ist ja alles vollkommen ok. Ich habe mir da ehrlich noch nie solche Gedanken gemacht. Ich kann immer nur sagen: Das gefällt mir oder eben nicht. Ich kann das immer nur spontan, wenn ich mit einem Produzenten zusammen arbeite. Da sage ich klar: Ich gehe nach meinem Geschmack. Aber nie mache ich mir groß Gedanken darüber, ob das jetzt austauschbar klingt.

Das ist eventuell das Problem.

Nicht unbedingt. Aus meiner Sicht muss primär die Emotion stimmen und auch rüberkommen. Deshalb lautet die Frage von mir an mich stets: Kann ich dabei etwas fühlen oder nicht. Und dann wird es einfacher. Ist da nichts, wird es nichts. Wenn ich jedoch etwas spüre, wird es gut. Dann ist mir doch echt egal, ob das jetzt so oder so klingt.

Den Ansatz verstehe ich aus deiner Sicht. Was du mental ausblendest, sind die anderen ähnlichen Arbeiten der Kollegen. Zieh dir nur mal das aktuelle Eisblume-Album rein. Da hat der Kiko auch mitgemacht. Dann vergleiche mal die Schablone ...

Die Ria von Eisblume habe ich ja auch kennen gelernt. Das war 2011. Da hat sie mir ihr aktuelles "Für Immer" auch vorgespielt. Sie war bei einer Fernsehshow. Und das Lied fand ich super. Da hab' ich mir gar keinen Kopf drüber gemacht, ob das jetzt klingt wie der oder der. Ob das jetzt austauschbar ist oder 'schon wieder so ne Klaviermelodie' oder was auch immer. Genau wie eben gesagt. Ich hör das und kann was fühlen oder eben nicht.

Finde ich hochsympathisch, dass du so offen darauf reagierst. Ich dachte schon, das Gespräch wird ja schnell durch sein. Der Mann legt gleich wieder auf.

Nee, keine Angst. Ich finde das vollkommen ok, wenn man das so fundiert sagt. Glaub mir, ich bin überhaupt kein Mensch, der da eingeschnappt reagiert, wenn man fair bleibt. Ich liebe es doch auch, über die Musik zu diskutieren. Aber wahrscheinlich hast du auch aus dem Grunde so ein Problem damit, wenn ich ähnliche Sachen wie Rammstein mache. Du fragst mich: Warum machst du das und nichts eigenes? Warum nimmst du dir den Stil von Rammstein, um ein eigenes Gefühl wie "Eisenmann" auszudrücken, oder?

Es langweilt mich einfach, wenn ich bei Künstlern mit viel Potential immer nur ihre Vorbilder erkenne, während ich den eigenständigen Musiker mit der Lupe suchen muss. Bowie konnte er selbst und Ziggy Stardust sein. Wo ist der Graf. Der fehlt doch noch.

Ich sehe den Grafen eigentlich nicht so sehr als abhängig von dieser oder jener Produktion. Das hat bei mir auch gar nichts mit Bela Lugosi oder so was zu tun. So tiefgreifend bin ich da gar nicht. Bei mir ist es einfach so: Ich hab 'ne Geschichte zu erzählen. Die möchte ich gern äußern. Und wie sie erzählt wird, kann ich doch ehrlicherweise nur dadurch beeinflussen, dass ich auf meine Emotionen höre.

Dennoch laufen auch tolle Lieder Gefahr unterzugehen, weil sie aus einer Masse von ähnlich produzierten Tracks der Medienwelt nicht mehr herausstechen.

Ja klar. Jetzt darfst du nur nicht vergessen: Ich mag den Sound wirklich und wollte es ja auch deshalb genau so haben. Ich sitze doch nicht in meiner eigenen Produktion und sage: Das klingt jetzt wie Silbermond. Aus dem Grunde finde ich das jetzt gut. Ich habe doch auch einen gewissen Sound im Ohr, den ich vom jeweiligen Produzenten erwarte. Nimm nur den Roland Spremberg, der das letzte A-ha-Album mit produziert hat. Und als ich mit dem Thorsten zum ersten Mal zusammen gearbeitet habe – muss ich dir ehrlich sagen – hat mich das umgehauen, was der da gemacht hat. Mein Gedanke war: 'Boah, wow, gerade DAS ist doch mal innovativ. Hör dir doch nur "Vergessen" oder "Ein Guter Weg" an. Das sind Sachen, bei denen die Musik nichts anderes macht, als die Geschichte zu transportieren, indem sie den Text lediglich unterstreicht. Da habe ich bemerkt, wie sehr sich der Mensch im Produzenten mit dem Text auseinandergesetzt hat. So was zählt für mich in dem Augenblick. Das war schon ganz toll. Da denke ich nicht daran, ob das austauschbar ist. Das ist mir egal. Das ist mir sogar völlig egal.

Weil ich einfach sage: Die Musik ist lediglich das Transportmittel meiner Geschichte. Und wenn das in meinen Augen stimmig und gut ist, passt es auch. Das ist doch bei "Lichter" viel innovativer als bei "Große Freiheit". Hör es dir an. Das letzte Album ist unheimlich vollgepackt; sehr dicht. Es fehlt fast die Luft zum Atmen. Und die neue Produktion ist da wesentlich schlupfiger, wesentlich musikalischer. Ist doch eine Geschmacksache.

Die Lyrics sind dir entscheidend wichtig, wie du sagst. Sie kommen auch entsprechend authentisch rüber. Wobei ich das Vokabular als äußerst eingeschränkt empfinde. "Stern", "Licht" etc kommen gehäuft vor. "Lasst uns aufstehen, um die Welt zu sehen. Ich suche mir ein kleines Glück und das Leben ist schön", wirkt zwar authentisch, ist aber doch nichts Besonderes, was man nicht auch in diversen Schlagertexten von Andrea Berg fände.

Uargh, ich mag ja Schlager nicht so. Aber ganz ehrlich: Ich habe in meinem Leben zwei Bücher gelesen. Das war einmal "Der kleine Nick", dann noch einen Stephen King und ansonsten Clever & Smart. Ich bin nicht belesen. Ich habe das nie gelernt und bin auch keiner, der sich mit Sprache so gut auskennt. Was du hörst, ist meine echte Sprache.

Das heißt: Du rockst durch das Showbiz wie durch einen großen Abenteuerspielplatz, machst dein Ding; hast Spaß. Und was alle anderen dazu denken, ist auch Latte; nicht wahr?

Ja!

(Gelächter)

Ich bin wirklich ein ganz einfacher Mensch. Und ich habe auch nur eine ganz einfache Sprache.

Werter Graf, vielen Dank für dieses schonungslose Gespräch.

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