laut.de-Kritik
Natur und Techno - Wolfgang Voigts Gas live in Berlin.
Review von Philipp SchiedelKurz bevor Wolfgang Voigt mit einem seiner äußerst raren Live-Auftritte des Gas-Projektes die Club Transmediale eröffnet, weht ein fast andächtiges Gefühl durch die Volksbühne. Die letztjährige Veröffentlichung der Box "Nah und Fern", die einem breiten Publikum Zugang zu den bis dahin vergriffenen Gas-Alben der Neunziger ermöglichte ("Gas", "Zauberberg", "Königsforst", "Pop"), katapultierte den Kölner regelrecht auf die Stardom-Bühne zurück.
Es hagelte massenhaft Lob für deren Pioniergeist, manch einer nannte die vier Werke gar in einem Atemzug mit "Nagelbett" von Autobahn. Wolfgang Voigt selbst hatte das Projekt jahrelang auf Eis gelegt, um sich mit seinem Label Kompakt ein großes Minimal-Techno-Imperium aufzubauen und unzählige Pseudonyme wieder anzukurbeln ("Mike Ink", "Dieter Gorny"). Sein Selbstverständnis, das wird auch an diesem Abend erneut überdeutlich, entspricht eher dem eines All-Areas-Künstlers als dem eines reinen Musikers.
Als sich der Vorhang hebt, bezieht der Techno-Mozart in dunklem Anzug und mit Rüschentuch hinter seinem Knöpfchendreher-Instrumentarium und einem Laptop Stellung. Seine abseitige Bühnenposition zeigt, dass bei diesem Live-Auftritt nicht unbedingt seine Person im Mittelpunkt steht, sondern vor allem die Visuals der Kölner Videokünstlerin Petra Hollenbach. In Anlehnung an die Covergestaltung der Gas-Platten setzt Hollenbach die Natur der Kölner Wälder, die Voigt neben Wagner und Schönberg zu seinen Werken inspirierten, mikrokosmisch in Szene.
Audiovisuelle Konzeptkunst
Ungeachtete der zurückgenommenen Bühnenpräsenz spielt die Musik in dieser Szenerie natürlich weiterhin die Hauptrolle. Ganz ähnlich wie Philipp Glass' ausufernden Kompositionen zur Dokumentar-und Kifferfilm-Legende "Koyaanisqatsi" regiert der Klang die Bilder. Sobald der stumpf-markante Bass einsetzt, erwacht die Naturszenerie zum Leben: Äste sprießen in Nahaufnahme, die Kamera rotiert in Zeitlupe um grüne Blätter. Dreht Voigt den Bass heraus, reduziert sich seine Musik auf konstant geloopte Ambientflächen - und auch die Visuals wechseln in eine dunkel-bedrohliche Atmosphäre. Letztlich beschwört die Bass-Domina dann aber doch immer wieder die düsteren Geheimnisse des deutschen Waldes, bis alles in einem apokalyptischen Ausmaß endet.
Genau diese Konzeptgeilheit ist es - der Traum von einer genuinen deutschen Popmusik -, die der Live-Umsetzung die nötige Substanz gibt: Alles ergibt im großen Ganzen einen Sinn. Dass Voigt ausgerechnet in der Berliner Volksbühne auftritt, dem Tempel des künstlerischen Austobens, passt da nur zu gut ins Leitmotiv. Herzlichen Glückwunsch.