12. April 2023
"Die Liebe ist ein Leiden"
Interview geführt von Giuliano BenassiAn jenem Tag, als sich Berlin für den Besuch von König Charles III bereit machte, war eine Königin unter den Singer/Songwriterinnen bereits in der Stadt.
Ende März war Natalie Merchant in Deutschland, um ihr erstes Album mit neuem Material seit neun Jahren zu promoten. Untätig war sie in diesen Jahren nicht: Unter anderem engagierte sie sich gegen Donald Trump, betreute Vorschulkinder aus sozial benachteiligten Familien und kümmerte sich um ihre heranwachsende Tochter. Ende 2022 wurde sie in das Kuratorium des American Folklife Center berufen, das zu einer der wichtigsten kulturellen Institutionen der USA gehört, der Library of Congress.
Mit einer persönlichen Begegnung klappte es leider nicht, doch auch über Zoom entwickelte sich ein engagiertes Gespräch mit ernstem Inhalt, das trotzdem fröhlich verlief. Zum Schluss zeigte sie, dass sie ein altes deutsches Kinderlied kennt, "Sehnsucht Nach Dem Frühling".
Nach "Paradise Is There" und "Collection" dachte ich, das war's - du hast genügend Songs geschrieben und keine Lust mehr, dich durch den Aufnahmeprozess zu ackern, all diese Interviews zu geben und so weiter. Jetzt kommt "Keep Your Courage". Das klingt irgendwie nach einem Neuanfang.
Das Album ist die Summe von so vielen Dingen, die ich in den letzten 40 Jahren gelernt habe. Wie man Songs schreibt, wie man die richtigen Musiker auswählt, wie man das richtige technische Team zusammenstellt. Plattenproduktion ist ein Prozess, bei dem Tausende von kleinen Entscheidungen getroffen werden, die am Ende ein Werk ergeben. Und es geht um tausende Transaktionen mit anderen Menschen.
Nach der Pandemie und all der Isolation wollte ich unbedingt mit anderen Musikern zusammen sein, und wir fuhren nach Vermont. Im Grunde war es ein Rückzugsort für Künstler - das hatte ich vorher noch nie gemacht. Ich habe immer entweder in einem Studio in einer Stadt gearbeitet oder in einem, das ich einfach von zuhause erreichen konnte. Daheim warteten aber Verantwortungen und Ablenkungen. Jetzt verstehe ich, warum die Leute auf Künstler-Retreats gehen. Dort wird man sehr verwöhnt. Ich kann im Prinzip überall arbeiten, aber ich habe gemerkt, dass es besser geht, wenn ich mich mit Menschen in einer abgelegenen Umgebung befinde.
Im Booklet erzählst du, dass dich der schottische Dichter Robin Robertson dazu brachte, wieder zu schreiben.
Ich habe ihn tatsächlich erst diese Woche getroffen! Wir begannen uns auszutauschen, als ich ihm schrieb, um ihm für sein Buch "The Long Take" zu danken. Er hat mir dann weitere Bücher geschickt und ich habe ihm meine Platten geschickt. Er ist eigentlich schon seit den 80er Jahren ein Fan meiner Musik und hatte alle meine Alben. Er sagte: "Du brauchst mir diese Platten nicht zu schicken, ich besitze sie bereits". Das gab mir Selbstvertrauen, weil ich dachte: "Jemand, ein Schriftsteller dieses Kalibers, mag, was ich mache?" Nun, ich schreibe auch. Ich hatte das nur aus den Augen verloren, weil ich es schon so lange nicht mehr gemacht hatte. Ich habe meine kreative Energie in so viele andere Richtungen als das Schreiben gelenkt.
Es war also eine Kombination aus Inspiration durch seine Arbeit und Unterstützung durch ihn. Ich begann, ihm die Sachen zu schicken, die ich schrieb. Ich spielte die Lieder auf dem Klavier, sang dazu und schickte sie ihm dann. Er hat sie nicht beurteilt. Er sagte nur: "Toll, mach weiter so".
Wie bist du an diese Platte herangegangen? Hast du dich hingesetzt und gesagt: Jetzt mache ich ein neues Album? Oder hast du einen bestimmten Song geschrieben und dann gedacht, OK, da könnte noch etwas kommen?
Es war irgendwie explosionsartig. Ich war lange stumm gewesen. Ich hatte weiter Klavier gespielt und arbeitete gerade an einem Projekt in Italien mit einer italienischen Band. Ich nahm italienische Gedichte von einer Frau namens Lena Schwarz auf. Klingt deutsch, ihre Familie stammte aber eigentlich aus Ungarn, bevor sie nach Verona zogen, wo sie aufgewachsen ist. Jedenfalls habe ich auf Italienisch gesungen, aber es war wie bei "Leave Your Sleep", ich habe die Worte von jemand anderem genommen und sie in Musik gesetzt. Nachdem ich "The Long Take" gelesen hatte, passierte etwas. Die Sprache ist sehr intuitiv und es kommen viele Analogien und Metaphern vor, die mit der Natur zu tun haben. Ich weiß nicht, mein Kopf ist irgendwie explodiert und ich habe angefangen, in Tagebücher zu schreiben und einfach jeden Tag geschrieben, geschrieben, geschrieben. Es war großartig.
Dann ging meine Tochter aufs College und ich hatte plötzlich all diese Zeit. Nach der Geburt meiner Tochter hatte ich meine Tage sehr effizient eingeteilt. Wenn man Kinder hat, weiß man, dass es so sein muss, weil sie irgendwann aufwachen und einen brauchen oder hinfallen und einen brauchen und eine Frage haben und einen brauchen. Also arbeitet man oft im Randbereich, etwa mitten in der Nacht, wenn man aufwacht und den Impuls hat, etwas zu schaffen. Als meine Tochter noch jünger war, ging ich um neun ins Bett und wachte morgens um drei auf, damit ich Zeit hatte, zu zeichnen, zu malen und was auch immer ich tun wollte - mit Kopfhörern auf dem Klavier spielen.
Man merkt, wie viel Zeit man verschwendet hat, bevor man Kinder hatte. Ich war nicht so produktiv.
"Was, wenn dein Schutzengel böse ist?"
2014 habe ich zu deinem Album "Natalie Merchant" eine positive Kritik geschrieben. Als ich es für dieses Interview wieder eingelegt habe, ist aufgefallen, dass ich es seitdem nie wieder angehört habe. Wirklich schade, denn ich habe festgestellt, dass einige gute Lieder drauf sind.
Das ist genau der Grund, warum ich neun Jahre lang keine Platte wie diese gemacht habe. Weil jene Platte von vielen Leuten übersehen wurde.
Ich habe über den Grund nachgedacht. "Natalie Merchant" hat einen ziemlich düsteren Unterton. Es ist keine fröhliche Platte. Trostlos ist vielleicht das richtige Wort. Der letzte Song "The End" beinhaltet eine Menge katastrophaler Bilder. Die neue Platte klingt viel fröhlicher, lebensbejahender.
Auch sie hat etwas Düsteres. Ich würde sagen, "Guardian Angel" hätte vielleicht besser auf die Platte von 2014 gepasst. Die ich übrigens "Lady Bird" nennen wollte, nach dem ersten Song, aber dann kam ein Film mit demselben Titel heraus und ich hatte nicht genug Vorstellungskraft, um mir einen besseren auszudenken.
Ich weiß es nicht. Ich schreibe, was ich schreiben will. Als ich sie zu Nonesuch brachte sagte eine der Mitarbeiterinnen: "Ich vermisse die glückliche Natalie". Ich sagte: "Natalie ist im Moment nicht glücklich. Das ist das Album, das Natalie gemacht hat, und ihr könnt es veröffentlichen, wenn ihr wollt, oder auch nicht". Denn das ist es, wie ich es mache: Ich finanziere meine Platten selbst und bringe sie zur Plattenfirma. Wir schließen einen Lizenzvertrag ab, und dann können sie es entweder veröffentlichen oder auch nicht.
Weißt du, ich nehme diese Art von Input nicht wirklich an. So etwas wie "geh und schreibe jetzt einen fröhlichen Song, um die Platte auszugleichen". Ich bin auch nicht auf Tour gegangen. Und ich habe nicht so viel Promotion gemacht, nur zwei Monate oder so.
Um ehrlich zu sein, ist "Guardian Angel" mein Lieblingssong auf der neuen Platte.
Du magst also das Dunkle!
Es scheint so. Meine Lieblingsstelle ist, wenn du "Take my breath away" immer wieder singst und immer höher und höher gehst und dann plötzlich, ein letztes Mal, ganz sachlich. Das ist ein prägender Kontrast.
Die Person befindet sich zunächst in einem Zustand der Ehrfurcht. Beim Anblick des Engels verschlägt es ihr den Atem. Dann merkt sie, dass der Schutzengel sich nicht nur von ihr entfernt, sondern sie absichtlich verlässt. Da will sie dem Schutzengel den Atem rauben. Sie will ihren Schutzengel zerstören.
Was wahrscheinlich keine gute Idee ist.
Aber was ist, wenn man das Gefühl hat, einen dämonischen Engel zu haben, der einen eher leiden sehen möchte als einen zu beschützen? Ich habe den Eindruck, dass es so viele Menschen gibt, denen einfach schreckliche Dinge in ihrem Leben widerfahren und die einen Schuldigen suchen. Ich habe dieses Lied über eine Freundin geschrieben, die innerhalb von zwei Jahren beide Töchter und ihren Mann verloren hat. Ich war bei ihr, als sie am Grab ihres Mannes zusammenbrach und nur noch schluchzte. Daraufhin bin ich nach Hause gegangen und so ist es entstanden.
Es ist auch das einzige Stück auf der Platte, das es schon vor der Pandemie gab. Das Erlebnis liegt vielleicht zehn Jahre zurück. Ich hatte eigentlich geplant, es schon 2014 zu veröffentlichen, aber ich hatte nicht das richtige Arrangement dafür. Es war noch nicht bereit.
Mit diesem Hintergrund klingt das Lied noch schöner. Sehr bewegend. "Narcissus" gefällt mir ebenfalls sehr gut. Als ich es hörte, dachte ich an "Golden Boy", ein Stück von dir von 1999. "Heroes are born, idols are made / We're all fools for this factory fame / And you've got the brand new face". In beiden Fällen gibt es einen erstaunlichen, wunderschönen Mann, der sich im Grunde zu Tode liebt und diejenigen in den Abgrund zieht, die ihn lieben.
Ich liebe die Mythologie, weil man erkennt, dass die Inspiration aus dem menschlichen Bereich kommt, aber dann in den übernatürlichen Bereich übergeht. Man kann sich vielleicht einreden, dass es nicht um reale Menschen geht, aber es ist so. Es handelt sich immer um Eigenschaften und Verhaltensweisen, die Dinge, die Menschen sagen und tun, aber es wird alles von übernatürlichen Wesen dargestellt, so dass wir davon Abstand nehmen können.
Der mythologische Ansatz bietet einen interessanten Blickwinkel auf die Liebe, das Hauptthema deiner Platte. Es gibt so viele schnulzige Liebeslieder. Es ist schwierig, weil wir versuchen, rational zu sein und Dinge rational zu tun. Im Grunde ist das unser Zeitalter. Aber dann trifft dich die Liebe und alles ändert sich, der Plan geht nicht mehr auf. Es ist also viel einfacher, wenn man sich vorstellt, dass eine Göttin oder ein Pfeil einen plötzlich trifft und alles verändert.
Du willst nicht glauben, dass es nur an deinen Hormonen liegt? 'Es sind meine Hormone, die mein Gehirn beeinflussen. Das wird schon wieder vorbeigehen'.
Das ist die biologische Sichtweise - nicht besonders romantisch.
Die Liebe ist ein Leid. Es ist interessant, dass die Geschichte von Echo und Narziss zur Bezeichnung einer krankhaften Störung geführt hat, dem Narzissmus. Menschen können krankhaft narzisstisch sein. Sie sagt uns auch, dass das schon seit Tausenden von Jahren so ist. Es ist kein modernes Phänomen, sondern es gab schon immer Menschen, die nicht in der Lage sind, sich in andere Menschen einzufühlen oder ihre Liebe wirklich auszudrücken oder Liebe zu geben. Sie wollen sie nur empfangen.
Die Menschen vor 50.000 Jahren hatten keine iPhones, aber vermutlich waren sie nicht viel anders als wir. Sie hatten die gleichen grundlegenden Sorgen. Sie verliebten sich, litten wegen der Liebe und versuchten, sich zu organisieren. Vielleicht haben sie Mammuts oder Gazellen gejagt, aber wie wir hatten sie immer etwas zu erledigen.
Lust hat es schon immer gegeben, aber ich weiß nicht, wie es mit der Romantik aussieht. Ich denke, das ist eher die Entwicklung einer Gesellschaft, die den Luxus besaß, diese romantischen Impulse zu erfinden. Vor 400 Jahren hat man denjenigen geheiratet, den einem die Eltern aufgetragen haben. Wenn man in einem kleinen Dorf lebte, heiratete man jemanden aus dem Dorf, der die richtige Anzahl von Kühen hatte. Man hat sich gepaart, um zu überleben, man hat nicht auf seinen Seelenverwandten gewartet.
In Indien wurde ich gefragt, wie wir das in Europa oder Amerika machen, denn die Idee, sich zu verlieben und dann zu heiraten, funktioniert oft nicht – grob die Hälfte der Ehen endet mit einer Scheidung. Die Aussage war, nein, man kann es auch andersherum machen, heiraten und dann hat man ein ganzes Leben Zeit, sich ineinander zu verlieben. Vielleicht ist es also nur ein anderer Ansatz? Auch dort, oder damals, war Romantik möglich.
Das ist eine interessante Frage. Werden wir dazu erzogen, daran zu glauben, dass wir uns verlieben, oder zu glauben, dass Liebe überhaupt existiert? Als ich meine neugeborene Tochter im Arm hielt, entdeckte ich die wahre Liebe. Diese familiäre Bindung, diese Eltern-Kind-Beziehung war wahre Liebe.
Oft in meinem Leben, wenn ich glaubte, verliebt zu sein, habe ich nur meine Bedürfnisse und mein Verlangen auf eine andere Person projiziert. Wenn ich dann merkte, dass die Person, die ich mir ausgedacht hatte, gar nicht existierte, ging die Beziehung meist in die Brüche. Aber ich habe eine wirklich gute Vorstellungskraft und ich bin eine Problemlöserin. Also stellte ich mir jemanden vor, und wenn ich einen Makel oder ein mögliches Problem sah, sagte ich mir einfach: "Na ja, wir können das Problem lösen, die Liebe wird das Problem lösen". Das tat sie aber nie. Es verlängerte nur die Qual.
Vielleicht hast du ja noch Glück. Ein Freund von mir hat mit 75 Jahren geheiratet, und es war eine glückliche Ehe.
Wow, es gibt also noch Hoffnung für uns alle. Ein irischer Freund von mir meinte: "Es gibt für jeden Topf einen Deckel"!
Bei "Eye Of The Storm", das einen starken irischen Einfluss aufweist, kam mir Bob Dylan in den Sinn. Wenn man sich im Auge des Sturms befindet und darauf wartet, dass er mit voller Kraft zurückkehrt, sucht man Schutz, und ich dachte an "Shelter From The Storm". Interessanterweise verwendest du genau diesen Begriff im letzten Song "The Feast Of St. Valentine": "Good comrade, you're not alone. We're here to give you shelter from the storm".
So ist es!
Es besteht also eine Verbindung? In jenem Song erklärst du, dass Liebe schmerzhaft, aber auch heilend sein kann. Du hast den größten Teil des Albums während der Pandemie geschrieben, aber das Thema ist nicht die Pandemie, das war nur der Rahmen. Trotzdem singst du über das Bedürfnis nach Beziehung und Nähe zu jemandem. Dieses besondere Gefühl von Gemeinschaft, das aufkam.
Die Gemeinschaft besteht aus all jenen Menschen auf dieser Welt, die in irgendeiner Weise durch die Liebe verletzt wurden. Der Erzähler, die Stimme, die die Geschichte erzählt, ist Teil dieser Kraft, die den Globus umkreist und nach Menschen sucht, die von der Liebe verletzt wurden. Es ist eine Art magischer Realismus, denn es geht um jemanden, der seelisch an einem dunklen Ort ist, dem aber gesagt wird: Fühl dich nicht allein, fühl dich nicht isoliert, denn du bist nicht der einzige. Andere Menschen haben die gleiche Erfahrung gemacht und finden darin Trost. Und der Erzähler ermutigt die Menschen, sich immer wieder aufzuraffen: "Seid nicht zu ängstlich, um wieder etwas für die Liebe zu aufs Spiel zu setzen. Für DIE Liebe!"
Ich verwende auf dieser Platte viele Klischees, und ich mag es, mit Sprache zu arbeiten. Ich betrachte sie im Prinzip nicht als Klischees - Dinge werden oft wiederholt, weil sie eine Art universelle Wahrheit beinhalten. "Schutz vor dem Sturm" ist ein Satz, der ständig verwendet wird. Es ist also ein neuer Kontext, um diesen kleinen idiomatischen Ausdruck, dieses kleine Stück Kultur zu erleben. Es fasziniert mich, wenn ich eine neue Redewendung in einer anderen Sprache lerne. Als ich mit meinem Mann in Spanien lebte, war eine davon: "Ein verbranntes Kind fürchtet das Feuer". Ich dachte immer, das sei gut. Das klingt so spanisch, nicht wahr?
"Reib es mir nur unter die Nase!"
Bei den Arrangements ist mir aufgefallen, dass es auf diesem Album kaum E-Gitarren gibt, dazu sind sie noch stark im Hintergrund.
Wir hatten bei drei Liedern E-Gitarre. Aber ja, es gründet mehr auf Klavier. Und Streichern. Das Klavier hat eine gewisse Eleganz, und es ist auch das Instrument, auf dem ich schreibe. Es kann sehr perkussiv sein, aber eher liebe ich die Art und Weise, wie der Klang lange nachhallt. Das Klavier schafft diesen besonderen Raum. Man hat den Anschlag und dann den langen Nachklang.
Das tut es. Besonders in "Song Of Himself", vermutlich inspiriert von Walt Whitmans Gedicht "Song Of Myself"? Das Lied hat mich an Lambchop aus alten Zeiten erinnert.
Bei diesem Lied habe ich mehrmals versucht, eine Fiddle und ein Banjo einzubringen und zu sagen: "Das ist amerikanische Musik". Drei verschiedene Geiger versuchten, eine Melodie zu finden, die mir gefiel. Ich verbrachte einen ganzen Tag mit einem von ihnen und einen halben mit einem anderen. Schließlich habe ich alles weggeworfen. Dann kam dieser arme Kerl den ganzen Weg aus einem anderen Teil von Vermont mit sechs verschiedenen Banjos. Wir haben sie alle ausprobiert, und er hat eine sehr schöne Melodie gefunden. Wenn da nicht das Klavier gewesen wäre, hätte ich gesagt, na ja, das ist perfekt. Aber dann habe ich doch wieder das Klavier genommen. Ich dachte: "Das klingt eher nach Walt Whitman". Er hatte eine gewisse Eleganz an sich, und ich weiß, dass er die Oper liebte. Ich sehe ihn nicht mit einem Banjo auf einer Veranda sitzen, ich sehe ihn eher in einem Saal. Am Klavier.
Ich liebe das Wechselspiel in diesem Lied. Und auch in "Tower of Babel". Es gibt viele Wechselspiele zwischen der Stimme und dem Klavier. Carmen Staaf ist eine phänomenale Pianistin. Sie hat an einem Konservatorium studiert und kann klassische Musik spielen, aber sie hat auch viel Zeit in Südamerika und in Kuba verbracht, weil sie Salsa-Musik liebt. Sie spielt auch Jazz, sie ist also sehr vielseitig. Ich finde, sie ist einfach eine tolle Musikerin. Ich schätze mich sehr glücklich, sie auf dem Album zu haben.
Die auffälligste Frau ist jedoch Àbena Koomson-Davis. Du hast schon früher mit anderen Frauen, und auch Männern, gesungen. Aber noch nie hast du jemandem eine so zentrale Rolle beim Gesang gegeben, scheint mir?
Eine meiner größten beruflichen Enttäuschungen besteht darin, dass ich Mavis Staples im Studio hatte und kein Duett mit ihr aufgenommen habe. Dummerweise ging uns die Zeit aus. Ich hatte sie nur für einen Nachmittag, aber ich hätte wirklich Druck machen sollen. "Saint Judas" und "Build A Levee" sollten beide Duette mit ihr sein. Im Hinterkopf schwirrt mir immer noch dieser Gedanke herum - wie ich das nur vermasseln konnte.
Abena und ich lernten uns bei einer politischen "Get Out To Vote"-Kundgebung kennen. Ihr Resistance Revival Chorus führt das fort, was rund um den Women's March in Washington entstanden ist, nachdem Trump gewählt wurde. Sie spielen viele Protestlieder und wir hatten einige Male die Gelegenheit, gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Wie unsere Stimmen miteinander verschmelzen, hat etwas Ungewöhnliches. Es hat etwas mit der Textur zu tun, auch wenn wir sehr unterschiedlich klingen. Also sagte ich ihr, dass ich für mein nächstes Album ein paar Songs für uns schreiben würde. So kam es zustande.
Ich finde, du könntest öfters mit anderen singen, weil es immer gut ist. Einer meiner Lieblingssongs ist "Let The Mystery Be", den du mit David Byrne aufgenommen hast.
[Singt und lacht] Eine meiner schönsten Erfahrungen, mit anderen Leuten zu singen, war mit Ladysmith Black Mambazo. Ich habe mit ihnen Aufnahmen gemacht und bin dann auch mit ihnen aufgetreten. Sie haben versucht, mir beizubringen, in einer Reihe zu stehen, zu springen und ihren Tanz zu machen. Wir traten dann in der Carnegie Hall auf. Ich sang auf "Rain, Rain, Beautiful Rain", das war ihr Lied. Aber dann sangen sie "Kind And Generous": "Thank you, thank you", und dann sprangen wir. Ich sang "thank you, thank you" und sie erwiderten "thank you, thank you" ... Ich habe viele schöne Erinnerungen. Und so viele davon sind mit anderen Musikern entstanden.
Ich habe erfahren, dass du wieder im Geschäft bist, als ich im letzten Sommer ein Video von dir und Paul Simon beim Newport Folk Festival gesehen habe. Du hast dort ein Interview gegeben, in dem du meintest, dass du eine neue Platte machst.
Das war eine schöne Einladung, die ich da erhalten habe. Wir sollten "Mermaid Avenue" aufführen. Deshalb war ich dort. Es war das 25-jährige Jubiläum der Aufnahmen, also wollten sie, dass ich ...
... "Birds And Ships" singst?
Ja, und auch "Way Over Yonder In The Minor Key", mit The Tallest Man On Earth. Es gab all diese jüngeren Künstler, die die Songs singen sollten. Billy Bragg und Jeff Tweedy waren nicht vor Ort, also wäre ich die einzige Person gewesen, die auf der Platte tatsächlich gesungen hat. Und dann bekamen die zweijährigen Zwillinge des Produzenten am Tag zuvor COVID.
Ich bin trotzdem angereist und habe mich dann einfach zu den anderen gesellt. Ich habe einen Song mit Marcus Mumford gespielt. Ich habe einen Song mit einer Gospelgruppe namens The Union gemacht und dann haben wir gesagt, na ja, da das mit "Mermaid Avenue" nicht klappt, gehen wir einfach auf die Bühne und spielen ein paar Songs. Also spielte ich drei mit meinem Gitarristen. Und dann habe ich diesen Paul-Simon-Song, "El Condor Pasa", mit dem Silk Road Ensemble gespielt. Und ich habe sogar mit Lucius gesungen. Ich war überall mit dabei!
Es war großartig und eine tolle Rückkehr in die Musikwelt, denn ich hatte tatsächlich drei Jahre oder länger nichts mehr gemacht. Es gab ein paar Jahre, in denen ich nur eine Show pro Jahr gespielt habe, und das war bei einer lokalen Benefizveranstaltung.
Hast du Joni Mitchells Comeback miterlebt?
Nein, nein, reib es mir nur unter die Nase! Wir sind um drei nach Hause gefahren und sie stand um sieben auf die Bühne. Mein Manager hatte einen gebrochenen Knöchel und wir hatten einfach keine Lust mehr. Es war sehr heiß und trocken und der Staub wehte überall hin. Wir sagten uns: "Joni Mitchell oder nach Hause". Wir gingen nach Hause.
Ich war aber vor kurzem dabei, als sie den Gershwin-Preis der Library of Congress erhalten hat. Am nächsten Tag gab es dort auch eine Q&A-Session mit ihr. Das habe ich also miterlebt. Und ich habe Joni einige Male getroffen, als ich jünger war, weil ihr Manager Peter Asher auch mein Produzent war. Ich habe sie getroffen, bevor ich sie wirklich kannte. Bevor ich "Blue" hörte. "Blue" hat alles verändert.
Du kommst in diesem Herbst nach Europa, aber nicht nach Deutschland. Wie schade.
Ich kann es mir einfach nicht leisten. Die Band ist zu groß. Es ist eine zehnköpfige Band. Du solltest nach Brüssel oder Amsterdam kommen!
[Freundliche Stimme aus dem Off: "Wir müssen leider schon wieder Schluss machen."]
[Auf Deutsch] Komm gut nach Hause und schlaf gut. Die Sonne blendet meine Augen. Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün, und lass mir an dem Bache die kleinen Veilchen blühn.
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