Platz 11: Tool – "Fear Inoculum"
Warum war das Thema?
Dreizehn Jahre lag ihr letztes Album zurück. Drei-zehn. Jahre. Tool muteten ihrer Jüngerschar einiges zu. Nicht wenige derart lange versprochene Platten verkommen in der kleinen Ewigkeit, in der sie wie die unerreichbaren Karotten am Stöckchen vor den Fan-Nasen baumeln, zum eigenen Treppenwitz. "Chinese Democracy", anyone? Oder "Detox"? Was so lange auf sich warten lässt, kann die mittlerweile in den Himmel gewachsenen Erwartungen doch eigentlich nur enttäuschen. Oder?
Was schrieben wir?
Gerade die Zehn- bis Fünfzehn-Minüter, die Tool vor Release nicht live präsentierten oder vorab veröffentlichten, bieten ein paar musikalische Anknüpfungspunkte, die helfen, sich mit "Fear Inoculum" besser zurechtzufinden, obwohl es ihnen an abenteuerlichen Breaks ebenfalls nicht mangelt. Jedenfalls durchkreuzen "Culling Voices" und "7empest" immer wieder treibende Heavy-Passagen, nur um wenig später wieder mehr Ruhe zu verströmen. Generell zeichnet "Fear Inoculum" ein insgesamt recht entschleunigter Charakter aus, ohne dass man die Intensität früherer Platten vermisst. Tool lassen sich sehr viel Zeit, ihre Songs aufzubauen, geben ihnen aber gerade deswegen mehr Luft zum Atmen als bisher.
Was denken wir heute?
Mit "Lateralus" legten Tool 2001 ein nahezu beängstigend perfektes Album vor, bestehend aus intensiven Spannungsbögen, waghalsig progressiven Rhythmen und einer mysteriösen Atmosphäre. Jeder Versuch, diesem Monster etwas Ebenbürtiges entgegenzusetzen, schien zum Scheitern verurteilt. Schon auf "10,000 Days" von 2006 stagnierten die US-Amerikaner, wenn auch auf hohem Niveau. Mit "Fear Inoculum" knüpften sie nach dreizehn Jahren Albumpause zumindest wieder an die Atmosphäre von "Lateralus" an.
Im Nachhinein hat sich die Scheibe melodisch nach und nach geöffnet. Ein paar Instrumentalpassagen fallen zwar ein bisschen zu langatmig aus, zum Beispiel am Ende von "Descending", und Maynard James Keenan sorgt wegen seiner größtenteils ruhigen Stimme nicht mehr für so viele Gänsehautmomente wie früher. Von den Klängen und dem Gesang lässt man sich in der passenden Stimmung dennoch gerne für rund 80 Minuten dahintreiben. Selbst an das klinisch kühle Klangbild gewöhnt man sich. Nur das merkwürdige Zwischenspiel "Chocolate Chip Trip" wirkt immer noch wie ein Fremdkörper. Andererseits bekommt man auf einer Gitarren-Platte auch nicht alle Tage ein Drum-Solo geboten. Letzten Endes stellt "Fear Inoculum" eine würdevolle Verwaltung des eigenen musikalischen Erbes dar. Das Werk reift im Grunde wie ein guter Whiskey. (Toni Hennig)
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4 Kommentare mit 8 Antworten
"Im Nachhinein hat sich die Scheibe melodisch nach und nach geöffnet"
Sehe ich auch so. Anfangs als, vor allem als Nicht-Tool-Fan, schräges Teil empfunden. Dann aber doch recht zugänglich. "Descending" nach wie vor mein Geheimfavourit neben den beiden oft zitierten "Pneuma" und "7empest". Wird noch einige Zeit lang funktionieren.
Habs doch gleich gesagt. Bei ner Band wie Tool springt einem die Genialität eben nicht immer direkt mit dem Arsch ins Gesicht. Diese Platte ziehe ich mir heute eher rein als "Lateralus".
Ich finds immer noch grösser gemacht als es ist. Maybe seh ich das 2030 anders...
Wie der Ragi es einfach nicht lassen kann an jeden Kommentar noch ne möglichst unpopuläre Meinung dranzuklatschen.
In dem Fall kann er sie gerne alleine haben. Fear Inoculum ist natürlich viel Fan-Service und wahrscheinlich einiges an Zoll für Maynards nachlassende Stimmfähigkeiten. Der Fanservice bewirkt immerhin, dass ich mich dem Album emotional deutlich verbundener fühle als 10.000 Days. Das wird auch in 30 Jahren und darüber hinaus noch gelten. Und wenn's unerwartet von heut auf morgen hart auf hart kommt wandert meine Hand eh immer automatisch zur Aenima. Diesen lebenserhaltenden emotionalen Bonus abgezogen kann ich mich heute recht unkritisch in die Mitte des Fankonsens einreihen und Lateralus als ihr Magnum Opus akzeptieren.
Wenn ich also gerade mal freie Wahl habe für ein Tool-Album, dann würde ich sicher auch am ehesten zu Lateralus greifen.
"Maynards nachlassende Stimmfähigkeiten"
Belege? Zumal nichtmal ein Jahr (Aufnahmezeitraum) vorher seine Stimme auf dem letzten Perfekt Circle Album, über den Klee gelobt wurde.
Davon weg, ich schrieb damals zu "Fear Inoculum" das ich es für eine Art Referenz halte und kann es heute genauso noch begründen.
1. Sämtliche digitalen Kurzeinlagen (Chocolate Chip Trip) blicke ich nicht musikkalisch, gerade deswegen halte ich sie für genial.
2. Der Opener hat die Leute Wochenlang beschäftigt, selbst du warst am rumraten und dachtest beim vor Fanservice triefenden Sound, das kann nicht sein, Album wird komplett anders.
3.7empest, besser werden wir Tool nie wieder hören, so ein geniales ausspielen und verbessern ihrer Trademarks zog sich durchs ganze Album und wurde damit perfektoniert/abgerundet.
"Belege"
- Jede APC- und Tool-Liveshow, die ich im VÖ-Zeitraum besucht habe. Diverse von Krypta hier verlinkte YT-Liveeinlagen aus demselben Zeitraum, die diese Aussagen stützen. Eigene YT-Recherche - wobei da momentan wohl auch noch seine persönliche Tagesform zu kaschieren weiß.
Wie er im Studio und damit auf Platte klingt, das lässt zugegebenermaßen eher wenige Rückschlüsse darauf zu, wenn mensch so gnädig ist und ihm die fehlenden Shouts auf FO als atmosphärisches Konzept durchgehen lässt.
Um eine älter werdende Stimme kaschieren zu können, muss schon ein verdammt guter Sänger drin stecken. Gerade die Shouts, die im Studio noch mit technischen Firlefanz astrein klingen, bekommste live nur noch brüchig hin. Das Wissen darum und dann da was gegen zu tun, zeichnet ihn eher aus.
Hast du wärend irgendeines Konzertes, einen Totalausfall seiner Stimme bemerkt? Kann ich mir nicht vorstellen, wäre rum gegangen wie ein Lauffeuer!
Tja, Speedy. Dieses verdammte Internet. Souli ist halt schlau .
Na ja, war schon eine ziemliche Schoner-Setlist im Vergleich zu denen der 10.000 Days-Touren und da solltest Du schon am Plural merken, dass sie bzw. Maynard mit DER EINEN für die internationale Fear Inoculum-Begleittour sehr auf "Nummer sicher" gingen.
Abgesehen davon hab ich mit "Tagesform" und auch im Eingangspost durch das gerne überlesene Wörtchen "wahrscheinlich" schon Hinweise gestreut, dass ich in diesem Fall nicht wirklich auf Absolutheit beim Gelten meiner Meinung aus bin.
Alles gut Schoni nee Souli.
Bisschen Neid bei meiner Meinung dabei, da darf der Vogel vor Corona mein Album des Jahres sehen und ich dachte an Tochter und zeig ihr mal The National, weil zu Tool bekomme ich sie nie, dachte. Die Hälfte des Konzerts dachtest dir was soll das, paar Hupfdollen auf der Bühne und dahinter versteckte sich Matt. Gott gegebene Bühnenpräsenz am verstecken, super!
Das Waschbenzin fließt in NRW wieder in Strömen...
Und der Hai schwimmt in Fusel, eher Gold(krone)fisch als Raubtier.