"Der Idiot" vs. "4. Symphonie"
Das Buch: Fjodor Dostojewski - "Der Idiot"
Das Album: Brahms - "4. Symphonie"
Warum passt es?
Jesus, ich verspiele hier jede Kredbilität, im Magazin jemals wieder als etwas anderes als ein kernprätentiöser Wichser gesehen zu werden, aber, listen: Über die drei Millionen Seiten, die ein Dostojewski-Roman hat, kann man sich durch eine ganze Menge Musik wühlen. Also habe ich Freunde, die sich mit klassischer Musik mehr auskennen als ich, gefragt, was ich mal gehört haben sollte, habe mich durch all diese geschichtsbuchschwangeren Namen geklickt, und der eine, bei dem es richtig funktioniert hat, war Brahms. Da ich sowieso schon immer eine Freundin hatte, die obsessiv viel Ahnung von ihm hatte (Hi, Bex!) konnte ich mir auch ein paar gute Anspielstationen geben lassen, wo ich am besten einhake. Die "4. Symphonie" war der erste Moment, an dem wirklich Magie entstanden ist und ich das erste Mal so richtig - ohne es mir einzureden - dachte, dass ich klassische Musik fühle.
Das war bei "Der Idiot", der zwar vielleicht nicht ganz so großartig wie die "Gebrüder Karamasow" ist, aber trotzdem einer der liebevollsten Texte, die ich je gelesen habe. Die eine Sache, die dieser Dostojewski wirklich besser macht als all die anderen Autoren, die wir nicht die besten Autoren aller Zeiten schimpfen, ist die schiere Menge an Herz und Einfühlvermögen, mit denen er jede einzelne Figur ausstaffiert. Der tollpatschige Fürst, er lebt und atmet und blödelt so realistisch vor sich hin, nach hundert Seiten war ich vollkommen von seinem Eigenleben überzeugt. Hilft natürlich auch, dass die Handlung quasi das Forrest Gump des 19. Jahrhunderts beschreibt. So prätentiös das alles auch klingt, Brahms und Dostojewksi, Gott im Himmel, im Grunde hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, ich sähe gerade die beliebteste Drama-Sendung von vor zweihundert Jahren mit dem passendem Soundtrack. Ich habe mich königlich unterhalten gefühlt.
Leseprobe:
Der General wunderte sich sehr.
"Und Sie haben in Russland niemanden, wirklich niemanden?", fragte er.
"Im Augenblick niemanden ... aber ich hoffe ... ich erhielt nämlich einen Brief ..."
"Aber Sie haben doch", unterbach ihn der General, ohne die Erwähnung des Briefes zu beachten, "wenigstens irgend etwas gelernt, und ihre Krankheit wird Sie nicht daran hindern, einen, sagen wir, nicht allzu anstrengenden Posten irgendwo in einer Behörde zu übernehmen?"
"Oh, ganz sicher nicht. Eine Stelle würde ich sogar sehr gerne antreten, weil ich selber wissen möchte, was ich leisten kann. Gelernt habe ich die ganzen vier Jahre ununterbrochen, wenn auch nicht ganz so, wie es üblich ist, sondern anders, nach seinem besonderen System. Und dabei hatte ich auch Gelegenheit, sehr viele russische Bücher zu lesen."
"Russische Bücher? Das heißt, dass Sie lesen und ohne Fehler schreiben können?"
"O ja, durchaus."
"Ausgezeichnet; und die Handschrift?"
"Die Handschrift ist exzellent. Hier habe ich vielleicht ein gewisses Talent; ich bin einfach ein Kalligraph. Lassen Sie mich zur Probe etwas schreiben", sagte der Fürst eifrig.
"Tun sie mir den Gefallen. Das ist sogar erforderlich ... Mir gefällt ihre Bereitwilligkeit, Fürst, Sie sind wirklich ganz reizend."
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2 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Finde man tut dem Fürsten unrecht ihn als tollpatschig zu charakterisieren. Und dass er viel rumblödelt ist mir auch nicht aufgefallen. Die Adjektive die ich mit ihm verbinde sind eher ehrlich, selbstlos, tiefsinnig. Er hat ein reines Herz. Und weil alle um ihn herum mehr oder weniger korrumpiert sind, wird er für naiv befunden und als Idiot abgestempelt.