laut.de-Kritik

Aufstand in den Straßen, Heulen im Club und ein aufregend neuer Sound.

Review von

Das Trap-Zeitalter neigt sich dem Ende zu. Darin ist man sich eigentlich einig. Nur darüber, was danach im Hip Hop kommen soll, darüber streitet man sich noch gerne. Drill, Grime, Rage, es gab viele Anwärter: Singles wie Lil Uzi Verts "Just Wanna Rock" und Drakes "Honestly, Nevermind" deuteten zumindest darauf hin. Jersey Club heißt das Genre, das schrittweise den Weg in Richtung Rap-Mainstream gefunden hat – und es gibt einen Patienten Null, auf den sich diese Explosion zurückführen lässt.

Bandmanrill aus New Jersey ist nicht der exquisiteste oder künstlerisch anspruchsvollste MC auf dem Planeten. Aber als er während des Lockdowns das Rap-Ding ernster nahmt, schuf er eine Synthese aus den Stilen seines Umfelds, die jetzt gerade Schule macht: Seine Vocals sind melodischer Straßenrap, der irgendwo zwischen modernen Drillern wie NBA Youngboy oder Lil Durk und Soundcloud-Floridanern wie XXXTentacion anzusiedeln ist. Dabei schnappt sich seine Produktion den inzwischen Jahrzehnte alten Club-Sound, der ehemals schwulen schwarzen Club-Szene von Trenton, Newark und Baltimore zuzuschreiben war.

Erlebt man dies alles auf seinem Debütalbum "The Clubfather" in Aktion, fragt man sich, warum dieser Hybrid eigentlich erst jetzt in Angriff genommen wurde. Straßenrap, Drill und Club teilen die Eigenschaft, dass sie vor allem funktional geschreinert werden und oft einen rustikalen Charme in unsauberer Produktion finden. Die Beats auf diesem Album sind teilweise simple Bootyhouse-Kick-Kaskaden, über die recht plakativ ein Sample gespannt ist. Die Trompete auf "Bouncin" mit NLE Choppa, der melodramatische R'n'B-Loop auf "Tell Me Something" - und das Instrument auf "Piano" könnt ihr selbst erraten.

Aber es ist eine alte Weisheit, dass jede gute Produktion mit den Drums steht und fällt. Und wo die Producer-Tags "Project X" und "make another hit" zu hören sind, darf man mit bombigen Drums rechnen. Die hektische Uptempo-Percussion zieht, und alleine mittels reiner Wucht gibt es im Laufe dieses Albums kaum eine dürre Stelle. Gleichzeitig entsteht so auch eine Menge Spaß mit Sampling, weil Rill gut darin ist, auf den energetisch ähnlichen, aber in Sachen Stimmung recht unterschiedlichen Instrumentals verschiedene Momente abzugewinnen.

So ist vom Aufstand in den Straßen bis hin zum Heulen im Club eigentlich alles dabei, was kompensieren kann, dass Rill nicht unbedingt die lyrischste Seele unter der Sonne sein mag. Er ist eben ein klassischer MC, ein Crowd-Mover, der seinen Shit äußert und Respekt einfordert, hungrig allein deshalb, weil er aus einer seit Redman so sträflich unterrepräsentierten Hip Hop-Gegend in den Mainstream vorstößt. Darum hängt er sich in Sachen Flow auch ziemlich rein und klingt auf keinem Song, als würde er gerade weniger als 100 Prozent geben. Ein bisschen Raffinesse dürfte sicher noch hinzukommen, vor allem, wenn man bei den Adlibs - abgesehen von seinem Signatur-"on bro" - die Einflüsse von XXXTentacion und Lil Durk noch recht deutlich heraushört.

Wie hoch hinaus die Musik gehen kann, zeigt sich spätestens auf dem Highlight-Track "Don't Mix", der hier vermutlich die poppigste, vollste und melodischste Produktion mitbringt und Rill sanft in Richtung Gesang stößt. Der Song klingt buttersmooth, der Refrain zieht. Sobald die ersten EDM-DJs mit Hip Hop-Affinität auf diesen Sound stoßen, man denke an einen Marshmello oder einen Jamie XX, dann sollte kaum in Frage stehen, dass Bandmanrill Mainstream-Format mitbringt.

Vor allem deswegen, weil "Club Godfather" nicht nur eine solide Anleitung für diesen aufregenden neuen Sound liefert, sondern auch seine Pole zwischen kommerziellem Glanz und richtig ungestümem Straßenrap mit Features von NLE oder Sha EK ausmisst. Wird Club-Rap die nächste große Welle oder doch nur eine weitere kleine Ader im Trap-Strom? Schwer zu sagen. Aber zumindest für diesen Moment bringt der neue Sound eine Menge Spaß.

Trackliste

  1. 1. Free Bro
  2. 2. Influence
  3. 3. Bouncin' (feat. NLE Choppa)
  4. 4. Knockin'
  5. 5. Beautiful Diamonds (feat. Skaiwater)
  6. 6. Don't Mix
  7. 7. Tell Me Something
  8. 8. Piano (feat. Lay Bankz)
  9. 9. Lurkin'
  10. 10. Real Hips
  11. 11. Copy And Paste
  12. 12. Jiggy In Jersey (feat. Sha EK & DJ Swill B)
  13. 13. Who You Touch (feat. Sha EK)

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