laut.de-Biographie
Fanfare Ciocarlia
Hinter den Bergen bei den sieben Zwergen ...
Was in einem bekannten Märchen als charmante Umschreibung für "am Arsch der Welt" herhalten muss, könnte genauso gut für die Heimatstadt der Fanfare Ciocarlia gelten. Zece Prajini (Zehn Felder) heißt das mit Kuhkaff noch charmant umschriebene Dorf im Osten Rumäniens, das zwar an einem Bahngleis liegt, der dort dreimal am Tag vorbeifahrende Zug hält jedoch nicht. Die Passagiere, die zu der kleinen Ansammlung von Häusern gelangen möchten, müssen kurzerhand aus dem fahrenden Zug springen. Gnädigerweise verlangsamt der Lokführer an der Stelle das Tempo, damit die Reisenden sich sanft in die Böschung werfen können.
Wie in vielen anderen abgelegenen Dörfern auf dem Balkan, gibt es auch in Zece Prajini eine rege Blechbläser-Szene der Roma. Diese Kapellen nennen sich Fanfare und spielen bei allen möglichen Festlichkeiten auf. Die Musik, die sie dabei spielen geht in musikgeschichtlich auf die Marschmusik der Osmanen zurück. Das Reich der Türken hatte den Balkan jahrhunderte im Griff und beeinflusste viele Bereiche des Lebens. Relativ einfach heraus zu hören ist dies bei den orientalisch anmutenden Melodiebögen.
Notenblätter und derlei Krimskrams existiert dabei nicht. Die Musiker holen einfach ihre verbeulten Tröten hervor und rocken das Fest im besten Wortsinn. Dabei kann es schon einmal vorkommen, dass die Musiker ohne große Unterbrechung an die 20 Stunden vor sich hin tuten. Welche Auswirkungen das auf die körperliche Verfassung hat, kann jeder nachvollziehen, der schon mal in eine Trompete geblasen hat. Da wirkt der stetige Nachschub an Schnaps wie ein willkommenes Anästhetikum.
So weit so gut und wahrlich nichts besonderes, was sich da auf dem Balkan tut. Auch die Musiker der Fanfare Ciocarlia musizieren in diesem Stil bereits Jahre, ohne dass sich außer den Hochzeits- und anderen Festgesellschaften jemand dafür interessieren würde. Der 6. Oktober 1996 ist aber ein Datum, von dem die Bewohner von Zece Prajini wahrscheinlich noch ihren Urenkeln erzählen werden. An jenem herbstlichen Tag schneit ganz unverhofft ein junger Deutscher namens Henry Ernst ins kleine Dörfchen herein (auch er musste vom Zug springen!). Der blonde Henry, von Beruf Toningenieur, setzt sich zu Ioan Ivancea auf eine Bank unter dessen Zwetschgenbaum und lässt sich erst einmal ein Bier kredenzen. Beim anschließenden Plausch kommt die Sprache auf die Musik des Dorfes und dass er von der Blaskapelle schon einmal gehört habe.
Die Autodidakten an den Instrumenten geben ihm eine kleine Kostprobe ihres Könnens und als Henry ihnen unterbreitet, dass er die Kapelle gerne einmal nach Deutschland bringen würde, sind einige versucht, ihn in die nächste Klapse einweisen zu lassen. Blasmusik aus Rumänien in Deutschland? Der spinnt doch. Als der vermeintlich Verrückte jedoch mit geliehenem Geld aus Teutonien zurück kehrt und den verblüfften Musikern sagt, sie sollten sich doch bitteschön Pässe ausstellen lassen, damit das mit der Einreise auch klappt, beginnen bei den Betroffenen reihenweise die Knie zu zittern. Das war im Frühjahr 1997. Ernst gelingt es tatsächlich, der Fanfare Ciocarlia in Deutschland Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen.
Die Reaktionen des Publikum auf die Shows der Roma-Combo sind umwerfend und das ist erst der Anfang. Im Laufe der Jahre folgen Tourneen durch Städte und Kontinente, die sich die Musiker früher nicht einmal im Traum vorstellen konnten; die meisten haben es bis zu Henrys Besuch nicht einmal in die eigene Landeshauptstadt Bukarest geschafft. Neben den vier Alben "Radio Pascani" (1998), "Baro Biao" (1999), "Lag Bari" (2001) und "Gili Garabdi" (2005) dokumentiert die DVD "The Story Of The Band" (2004) den Werdegang der Fanfare Ciocarlia, die mit ihren mitreißenden Live-Shows den Weg für weitere interessante und abgedrehte Musiker des Balkans ebnen.
Neben all den Hochs - ausverkaufte Konzerte etc. - muss die Fanfare aber auch Niederschläge einstecken. Im Oktober 2006 stirbt ihr Bandleader, der Gründer und Klarinettist Ioan Ivancea im Alter von 66 Jahren. Dennoch rollt der Blechbläserzug weiter. Für die Aufnahmen des Albums "Queens And Kings" holen sie eine ganze Reihe berühmter Roma-Musiker an Bord; eine würdige Ehrung des verstorbenen Ivancea.
Ihre Platten leiden unter dem Verlust indes kein bisschen. Die Raffinesse ihres Spiels verfeinert sich sogar noch, ohne am Energielevel zu rütteln. Mittlerweile ist das rumänische Wunder auch in den internationalen Medien ein Topthema. Besonders die ehrwürdige BBC zeigt sich hochgradig interessiert und produziert eine komplette Doku über die Story der Fanfare. Zum 20. Jahrestag des Bestehens veröffentlichen sie 2016 das souveräne "Onwards To Mars". Die Jubiläumsscheibe ist weit mehr als eine formale Fingerübung zum Geburtstag. Es ist eines ihrer besten Alben und zeigt die Fanfare auf dem Zenit ihres Schaffens.
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