Porträt

laut.de-Biographie

Jamaica Papa Curvin

"'Light up your love light, children all over the world', diesen Song namens 'Shine' hab ich zu einer Zeit gemacht, als ich das Gefühl hatte, dass die Leute sich zu sehr auf ein negatives Level ziehen lassen, in der Gegend wo ich wohnte, in Hamburg. Ich legte den Fokus darauf, indem ich ihnen erzählte, 'children all over the world, shine - shine your light!' Dass die Leute im dunklen Loch es sehen konnten."

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Jamaica Papa Curvin "Die Leute zeigten auf die Einwanderer"
Der erste deutsche Reggae-Artist über seine Zeit in Hamburg, Schlager und Laptop-Beats.

"Shine" - das veröffentlicht Papa Curvin gleich auf zwei Studioalben, 1992 auf "Celebration" sowie in einer Version mit seinem Gast Daddy Rinks auf "4.000 Days" (1999). Trotzdem hat sogar dieser Song keinen offiziellen Videoclip - ein Medium, um das sich der Jamaikaner Zeit seines Lebens drückt. Er vollbringt das Paradoxon, einer der gefragtesten Live-Acts im Roots Reggae zu werden, aber nie eine Single zu veröffentlichen. Besonders in Deutschland, wo er sich niederlässt, gehört er zur Grundausstattung von Events wie dem Chiemsee Reggae Summer. Ein großer Hit geht aber dennoch auf sein Konto, auch wenn er nur die Rhythmus-Inspiration dazu gab und seine Urheber-Rolle daran vor Gericht zu klären war: "Rivers Of Babylon" von Boney M.

Eigentlich ein Doppel-Hit, denn beide Seiten des Vinyls verstanden sich als A-Seite, das karibische Kinderlied "Brown Girl In The Ring" erreichte die Eins der europäischen Hot 100, "Rivers Of Babylon" wurde gleich weltweit von Australien bis Mexiko eine Eins. Das Lied mit biblischen Textverweisen beruht auf einer jamaikanischen Aufnahme des Vokal-Trios The Melodians.

"Boney M. endete für mich mit dem Gerichtsprozess gegen den Produzenten Frank Farian (...) Der Prozess um Boney M. ist der längste der Musikgeschichte", sagte Curvin der taz. "Boney M ist bis heute das Musikprojekt, das der deutschen Musikindustrie die höchsten Gewinne beschert hat!"

Curvin Merchant, geboren am 18. September 1943 in Harewood im jamaikanischen Bezirk Saint Catherine, ist in dieser Zeit eine Art reisender Botschafter zwischen Jamaika und Norddeutschland. Nachdem er als Schüler Schlagzeug lernt, entwickelt er eine Vorliebe für die Technik der 'Talking Drums': Auf den Percussion-Membranen spielt er verschiedene Tonhöhen so, dass sie Wortklänge westafrikanischer Sprachen nachahmen, wo etliche Vokabeln mehrfach vorkommen und für verschiedene Begriffe stehen, je nachdem in welcher Tonalität man sie mit der Stimmhöhe ausspricht. Außerrhythmische Zwischenschläge markieren das Ende von Satzteilen.

Als Schiffsmusiker dockt er 1962 in der Hafenstadt Hamburg an. Bis 2006 bleibt sie sein vorrangiger Wohnsitz, immer wieder pendelt er aber auch auf die Heimatinsel in der Karibik zurück. Während seiner Zeit in Deutschland eröffnet er einen Plattenladen, aus dem später ein 'Culture Center' wird. Hier treffen sich andere Migranten, tauschen sich aus. "Wir waren die ersten, die frische Reggae-Platten aus Jamaika anboten. Diese Scheiben gab in den gängigen Musikläden nicht", erläutert der Künstler rückblickend in einem Interview mit der taz.

In Hamburg landen in den 1970ern neben Einwanderern aus der Karibik auch viele Hafenarbeiter aus Ghana an. Curvin eröffnet in den 80ern das 'Culture Center', erklärt den Angekommenen karibische Musiktraditionen, kann aber auch gut Deutsch. Er wird für die Fremden eine Art 'Jamaica Papa' - somit heißt er dann Jamaica Papa Curvin. In seinem ' Center' kann man auch Musik aufnehmen, und es wird das erste Aufnahmestudio für Reggae in Deutschland.

Nach vielen Studio-Engagements zwischen Schlager und Disco-Pop, erkennt Curvin den Stellenwert von Musik auch für eigene Textbotschaften und lässt sich von der bedrückenden Situation der südafrikanischen Apartheid, die immer mehr auch in Europa ans Licht kommt, zu einigen bewegenden Songs inspirieren.

Sein starkes und vom Funkrock-Reggae Eddy Grants und Third Worlds inspiriertes Debüt "Unity" enthält 1986 das schwungvolle "Africa, South Africa", während "Free Mandela - Why?" 1989 schon weniger zuversichtlich und vor allem nachdenklich wirkt. Die Neun-Minuten-Aufnahme ist noch eine der kürzesten auf "Live", wo mehrere Konzert-Cuts zwölf Minuten dauern.

Die eigene Studio-Infrastruktur nutzt Curvin dann für die Alben "Celebration", "Heavy Load" und "4.000 Days". Sie etablieren ihn als ruhigen Geschichtenerzähler mit stringenten langen Liedern mit ausgeweiteten Instrumental-Passagen. "See The Flute" (1999) auf "4.000 Days" ist gar ein Querflöten-Instrumental. Mehrere seiner Songs thematisieren die Wirkung und Bedeutung von Musik wie "Chant Reggae Music", "Give Me A Chance" und "Musical Addiction".

Die Konzerte des Papas sind regelmäßig ausverkauft, wobei auch Curvin Opfer der teils mangelnden Professionalität im Reggae-Biz wird. "Die Diskothek war recht leer und es irrten vielleicht maximal 30-40 Leutchen umher und verloren sich in den Räumen. Irgendwas mit der Bewerbung des Abends muss falsch gelaufen sein", schreibt das Portal Irieites.de über einen Gig in Bad Wildungen in den 90ern. Die intensive Stimmung während der Bühnen-Shows bietet dennoch Anlass für eine weitere Live-CD 2003, "Backed By The KP-Crew".

2006 verlässt der gelernte Schneider Deutschland und lässt sich wieder auf Jamaika nieder. Nicht ohne für die ein oder andere Weihnachtsshow zu uns zurück zu kommen. 2015 bewirbt er seine letzte und vorletzte CD "Nyabinghi Inspiration" und "Questions", die sich in einigen Tracks überschneiden ("Call On Me", "Call On Jah") und die man nur bei seinen Konzerten erwerben kann. Fortan vermietet er Ferienwohnungen und kündigt ein Konzept des "Slow"-Tourismus an. 2023 gibt er wieder je eine einzelne Show open air und indoor in Deutschland und sorgt für glänzende Augen bei Roots-Fans. Papa Curvin bleibt ein Original und einer der wenigen singenden Drummer.

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