laut.de-Kritik

Das nächste große Griselda-Album.

Review von

Inzwischen sind wir von Griselda ja alle einen gewissen Qualitätsstandard gewohnt. Der Oldschool-Revivalism mit opulenter Beat-Arbeit, Killer-Adlibs und Wu-Tang-Worship hat auf keinem der dreihundert Griselda-Alben je schlecht geklungen. Da wird die Frage lauter: Statt die Messlatte aufrecht zu halten, was braucht Griselda, um einen Schritt weiter nach oben zu treten? Was machen die Standout-Alben wie "Pray For Paris" oder "The Plugs I Met" spannender als die anderen? Vielleicht finden wir die Antwort im neuen, großen Griselda-Album. Und das kommt nicht mal unmittelbar aus dem eigenen Lager. Aber die Platte, auf der sich Mach-Hommy mit Ex-Partner in Crime Westside Gunn aussöhnt, wird in den Kanon ihrer Sparte eingehen. Es ist imaginativ, kaltblütig und bis zum Ende unausweichlich atmosphärisch.

Dabei hat Mach-Hommy dem Rest der Crew wenig Mittelbares voraus. Er ist weder der kälteste Spitter, noch die herausragendste Stimme. Was er aber sein Eigen nennen darf, das ist sein Enigma. Er ist ein verschickter Neo-MF Doom mit der Bandbreite, der Ästhetik und der völligen Hingebung für die Musik. Er verkörpert das eigentlich überholte Konzept des Underground-MCs so vehement, er könnte auch als Zeitkapsel funktionieren, wenn er mit einer beachtlichen Reichweite an Delivery, Ton, Texten und Stimmungen seine eigenen Karten von New York, New Jersey und Haiti schafft. Auf der Textebene kriegen wir hier zwar auch vorrangig opulenten Coke-Rap, der sich in Snappern wie "served the whole block like food trucks" entlädt, aber in den Zwischentönen entpuppt sich "Pray For Haiti" als ein Werk der Identitäts-Verteidigung.

Seine sprachlichen Anleihen an das Kreole und die spezifischen Redewendungen seiner haitianischen Wurzeln durchziehen diese Platte und werden für ein paar spitze Formulierungen über Zugehörigkeit und Sichtbarkeit verarbeitet. Auch die Sample-Kiste adaptiert diese Diaspora-Melancholie in eine entsprechend verregnete Insel-Mood, die wunderbar ergänzend gegen die potentielle Monotonie des klassischen Griselda Glam-Grims agiert. Das bedeutet konkret, dass wir von Produzenten wie Conductor weiterhin die Millionen-Dollar-Klavierflips bekommen, wahlweise mit Blechbläsern und Streichern aus den Hinterzimmern der Cosa Nostra versetzt. Aber je weiter nach hinten wir in die Tracklist vordringen, desto mehr finden wir Gitarren-Lines, Gesangs-Versatzstücke und Steeldrum-Twang, der sehnsuchtsvoll auf einen Austausch mit den Wurzeln verweist.

Das gibt Hommy Raum, entweder klassisch Shit zu talken – oder rational den eigenen Werdegang zu durchleuchten. An mancher Stelle spricht er sich dafür aus, nur in nackten und empirischen Daten Entscheidungen zu treffen, dann seziert er wiederum seine Chancen in der derzeitigen Musik-Industrie. "Only commodity I have is patience" rappt er auf "26th Letter" und meint es so; "Pray For Haiti" ist ein Geduldsakt von einem Album, das spürbar am Ende eines langen Werdegangs und einer langen Lernperiode steht. Hommy will geben, was er als Künstler zu geben hat – und jetzt ist er das erste Mal an einem Punkt, an dem er das ohne Kompromiss tun kann.

Dass das nun möglich ist, dafür ist auch ein anderes erfreuliches Ereignis notwendig gewesen. Dass sein langer Rap-Kollege Westside Gunn wieder zu ihm gefunden hat. Kurz bevor der nämlich zu Griselda gestoßen ist, haben die beiden sich verkracht und damit Hommy wohl die wertvollste Brücke der für ihn relevanten Industrie verbrannt. Aber das Beil ist begraben und zur Feier des Tages kriegen wir Gunn in Topform auf gleich drei Features und als Diddy-mäßigen Moderator über das Tape verteilt. Und gerade, wenn sie auf einem Song wie "Rami" hin und her rappen und das "Nutmeg" namedroppen, spürt man die Freude zur Musik von zwei Wu-Tang-Nerds, die gerade die Zeit ihres Lebens haben.

"I keep seeing Diddy in my sleep with the gold teeth, sagt er dann auf Standout-Song "Kriminell", dem vielleicht am meisten Kreole-gefärbten Song der Platte. Die Atmosphäre ist dicht, die Raps kommen perfekt an den Beat angepasst und dann fährt Hommy auch noch seine Singstimme auf. Vielleicht ist bei all dem Berücksichtigen von Thematik und Stringenz doch die die Ursache, die ihn über die Kante wirft. Der Mann kann singen, und vor allem, wenn er dann hier oder auf Songs wie "Au Revoir" seine Stimme mit den warmen Samples aus Stimmen und Insel-Gitarren verschmelzen lässt, entsteht eine magische Sound-Tiefe, die man so auch auf einem Jazz-Album hätte finden können.

"Pray For Haiti" ist das nächste große Griselda-Album, weil es das erste in einer langen Reihe von Platten ist, das wirklich etwas neues zu erzählen hat – und dazu auch noch neue Wege findet, es zu erzählen. Unter einem wunderschönen, opulenten Sample-Game und standesgemäß virtuosen Coke-Raps befindet sich eine Schicht verregneter Diaspora-Denkarbeit, die sich durch Klang, Wortwahl und Redewendung immer wieder in den Vordergrund drängt. Das gibt Mach-Hommy auf diesem essentiellen Album seiner Karriere nicht nur eine Extraportion Kohärenz und konzeptueller Tiefe, es erklärt vor allem den alles erschütternden Hunger, mit dem der Mann hier rappt.

Trackliste

  1. 1. The 26th Letter
  2. 2. No Blood No Sweat
  3. 3. Folie Á Deux (feat. Westside Gunn & Keisha Plum)
  4. 4. Makrel Jaxon
  5. 5. The Stellar Ray Theory
  6. 6. Marie
  7. 7. Leta Yo (Skit)
  8. 8. Kriminel
  9. 9. Pen Rale
  10. 10. Murder Czn (feat. Westside Gunn)
  11. 11. Magnum Band (feat. The God Fahim)
  12. 12. Rami (feat. Westside Gunn)
  13. 13. Kreyol (Skit)
  14. 14. Au Revoir (feat. Melanie Charles)
  15. 15. Blockchain
  16. 16. Ten Boxes - Sin Eater

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Mach-Hommy

Es gibt nicht viele Rapper, die ein waschechtes Enigma bleiben. Mach-Hommy ist aber zweifelsohne einer von ihnen. Der Mann aus Haiti gehört zu den wenigen …

2 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    Keine Griselda Stans mehr am Stizzey? Mir ist es beattechnisch nach wie vor zu narkotisierend.

  • Vor 3 Jahren

    Das Album hätte mehr Aufmerksamkeit verdient, ist sehr fein geworden. Die Beats Griselda typisch und doch durch diesen haitianischen Flair nicht totgehört, den Vortrag stabil, die Asmosphäre konstant. Wirkliche Ausfälle sind auch nicht dabei.

    Schön auch, dass sich Gunn mit seinen ADHS Adlibs im Zaun hält. Er scheint einfach glücklich zu sein, dass er mit Mach stur sein Soundbild durchziehen kann, von dem sich Benny und Conway ja in letzter Zeit doch etwas emanzipiert haben.