Porträt

laut.de-Biographie

N.W.A.

Wir befinden uns in der Mitte der 80er Jahre an der amerikanischen Westküste. Am entgegengesetzten Ende des Kontinents hebt Hip Hop, der Soundtrack zum Ghetto- und Streetlife, zu ersten Höhenflügen ab. Was New York recht ist, ist Los Angeles billig, denkt sich Eric Wright a.k.a. Eazy-E und gründet mit Geld, das ihm seine Karriere als Dealer einbringt, sein eigenes Label Ruthless Records.

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Er signt den einen oder anderen Act. Alles in allem erhält Ruthless aber keine nennenswerte Aufmerksamkeit, bis Dr. Dre (mit bürgerlichem Namen Andre Rommel Young) von der World Class Wreckin' Cru und Ice Cube (einst auf den Namen O'Shea Jackson getauft) auf den Plan treten, um gemeinsam Songs für Eazy-Es Künstler zu schreiben. Mit "Boyz-N-The-Hood" nimmt die Geschichte einer Crew ihren Anfang, deren Einfluss noch lange nach ihrer Auflösung spürbar bleibt.

Ursprünglich ist der Titel für eines von Eazy-Es Signings vorgesehen, allein: Es findet sich niemand, der ihn interpretieren will. Bleibt nur die Do-It-Yourself-Alternative: Eazy-E, Dr. Dre und Ice Cube holen sich The D.O.C. (Tracy Lynn Curry), The Arabian Prince (Mik Lezan) und Dres Wreckin' Cru-Kollegen DJ Yella (Antoine Carraby) ins Boot und formieren sich 1986 zu N.W.A., Niggaz With Attitude. Im darauf folgenden Jahr legen die Herren ihr Debüt-Album vor.

"N.W.A. And The Posse": Der Titel trifft den Kern der Sache recht gut. Über die Hälfte der durchgehend partylastigen Tracks geht gar nicht auf die Kappe der Band sondern stammt von anderen Gestalten aus dem Ruthless-Umfeld, darunter Ron-De-Vu, Fresh K und die Fila Fresh Crew. "N.W.A. And The Posse" verhallt weitgehend unbeachtet.

Ein weiteres Jahr später stößt in Person von Lorenzo Patterson MC Ren zu N.W.A. Der Sound, für den Yella und in erster Linie Dr. Dre verantwortlich zeichnen, verdüstert und entwickelt sich in Richtung der Noise-Collagen, mit denen an der East Coast Public Enemy von sich reden machen. Deren revolutionäre, intelligente und sozialkritische Botschaft geht den Jungs aus dem Westen allerdings vollkommen ab. Deren Lyrics, vorwiegend aus der Feder Ice Cubes stammend, werden selbstbewusster, gleichzeitig aber auch härter, gewalttätiger und frauenfeindlicher.

Im Juli 1988 steigt The Arabian Prince aus, um nur wenig später sein Solo-Debüt "Brother Arab" zu veröffentlichen. Auf dem Cover des Albums, das den tatsächlichen Startschuss zur Karriere N.W.A.s darstellen soll, ist er allerdings trotzdem noch zu sehen. "Straight Outta Compton" erscheint im August 1988 und erschüttert die US-amerikanische Hip Hop-Landschaft (eine andere existiert zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal) wie ein Donnerschlag.

Die Titel der ersten drei Tracks geben die Marschrichtung vor: Man stammt "Straight Outta Compton", fordert "Fuck Tha Police", denn man ist "Gangsta, Gangsta". N.W.A. bringen quasi über Nacht die West Coast auf den Plan. Hedonistische Selbstabfeierei gehört zum guten Ton. Ice Cube schildert darüber hinaus ohne Blatt vor dem Mund die Zustände in South Central L.A., berichtet von Polizeigewalt, Straßengangs und ähnlich ungeliebten Themen.

Dres jetzt wesentlich langsamere, Funk-lastigen Produktionen untermalen die Lyrics, indem er Schüsse, Sirenen, Stimmfetzen, Motorengeräusche und Vergleichbares verwurstet. Compton erlebt zwar nicht unbedingt die Geburtsstunde von Gangster-Rap (Ice-T und insbesondere Schoolly D haben bereits ordentlich vorgelegt), bezeugt aber zweifellos dessen ersten großen Wachstumsschub.

Etwa 100.000 Einheiten von "Straight Outta Compton" bringen N.W.A. ohne jegliche Unterstützung seitens Radio, der Presse oder gar MTV an den Mann, ehe ausgerechnet das FBI für die wirksamste aller Werbemaßnahmen sorgt. Dort befindet man nämlich, "Fuck Tha Police" rufe zur Gewalt gegen Ordnungshüter auf und sei deswegen schleunigst vom Markt zu nehmen. Ruthless veröffentlicht den entsprechenden Brief des FBI und katapultiert N.W.A. damit in die nationalen Nachrichten.

Plötzlich wird über die Crew berichtet, wohin man schaut. Die Plattenverkäufe explodieren. "Straight Outta Compton" verzeichnet am Ende mehr als drei Millionen Käufer und tätowiert die Buchstaben N.W.A. unauslöschlich in die Rap-Geschichte. Nicht dokumentiert ist, ob Ruthless ein artiges Dankschreiben an die Bundespolizei aufgesetzt hat. Verdient hätte sie es. Ob N.W.A. ohne ihre Schützenhilfe auch zu "The world's most dangerous group" aufgestiegen wären? Wir werden es nie erfahren.

Erfolg schützt jedoch nicht vor internen Streitereien. Aufgrund finanzieller Unstimmigkeiten verlässt mit Ice Cube Ende 1989 auch ein Großteil ihres politischen Bisses die Crew. Eazy-E, der nun weitgehend die Regie (will meinen: den Stift) übernimmt, hat jedoch merklich Schwierigkeiten, das lyrische Niveau zu halten und nicht in eine Parodie abzugleiten.

Zwischen dem nunmehr nicht gerade erfolglos auf eigene Faust operierenden Cube und den verbliebenen N.W.A.-Brüdern fliegen verbale Giftpfeile hin und her. Auf der 1990 erscheinenden EP "100 Miles And Runnin'" heißt es im Titeltrack: "Started with five but one couldn't take it / So now it's four, 'cause the fifth couldn't make it." Cube schießt auf "Death Certificate" von 1991 mit "No Vaseline", in dem er das Management von N.W.A. vorführt, vernichtend zurück. Zu diesem Zeitpunkt ist die Crew allerdings bereits Geschichte.

Was ist geschehen? N.W.A. liefern mit "Niggaz 4 Life" (das in den USA unter dem rückwärts buchstabierten Titel "Efil4ziggan" erscheint) einen weiteren Meilenstein ab. Dr. Dres G-Funk-Sound stößt international auf Beifall. Dass die Texte inzwischen fast schon lächerlich gewalttätig geraten, stört die Zielgruppe keineswegs.

So war es immer und so wird es immer sein: Die Aufregung unter Moralaposteln facht den Hype zusätzlich an. "Eine allgemein antiautoritäre Haltung, verbunden mit zwei der typischsten amerikanischen Obsessionen, Schusswaffe und Frauenfeindlichkeit, (hatten) ihre Wirkung auf pubertierende Jungs noch nie verfehlt, ob sie nun von Rockern oder Rappern propagiert wurden", kommentiert der amerikanische Musikkritiker Nelson George.

N.W.A. stehen auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, als Eifersüchteleien und, allem voran, Streit ums Geld der Crew ein rasches Ende bereiten. Aus einem geplanten dritten Album wird nichts mehr. Anfang 1992 bringt ein in seinen Augen unfairer Plattenvertrag das Fass für Dr. Dre zum Überlaufen. Er verlässt N.W.A., um zusammen mit Suge Knight Death Row Records zu gründen.

Ob Letzterer tatsächlich Morddrohungen gegen N.W.A.-Manager Jerry Heller vom Stapel ließ, sollte der Dre nicht aus seinen vertraglichen Pflichten entlassen, oder ob diese Anekdote ins Reich der Legenden verwiesen werden muss: Eine gute Story gibt sie allemal ab.

Sämtliche Mitglieder von N.W.A. versuchen sich nun mit unterschiedlichem Erfolg an Solo-Karrieren. Während die Alben von Yella und MC Ren auf wenig Resonanz stoßen, schwingt sich Dr. Dre mit "The Chronic" von 1992 zum führenden Hip Hop-Produzenten der 90er Jahre auf. Auch Ice Cube macht am Mikrofon wie auf der Leinwand nicht die schlechteste Figur. Eazy-E veröffentlicht ebenfalls mehrere Alben.

Auch, wenn sich ihr Ruhm weniger auf technische oder lyrische Brillanz gründet: Ihre expliziten Texte, ihre Energie und die Wut, die besonders zwischen Ice Cubes Zeilen kocht, sorgen für ungeahnte Auswirkungen auf Hip Hop generell und auf Westcoast-Rap im Besonderen. N.W.A. etablieren in ihrer gerade einmal fünfjährigen Existenz Gangster-Rap als die dominierende Strömung der 90er.

Zwischen den ehemaligen Kollegen stehen die Dinge allerdings trotzdem nicht zum Besten. Besonders zwischen Dre und Eazy-E fliegen in einer publikumswirksam inszenierten Fehde heftig und immer wieder die Fetzen. Zu einer Aussöhnung zwischen diesen beiden und Ice Cube kommt es erst kurz bevor Eazy im Frühjahr 1995 im Alter von 31 Jahren an den Folgen einer HIV-Infektion stirbt.

Danach lösen sich die Spannungen weitgehend auf. Schon 1994 produzieren Ice Cube und Dr. Dre gemeinsam "Natural Born Killaz" für den Soundtrack von Snoop Doggs Kurzfilmprojekt "Murder Was The Case". 1998 kommt es sogar beinahe zu einer Reunion: Cube, Dre und MC Ren nehmen einige neue Songs auf, darunter "Hello" (später auf Ice Cubes "War & Peace - Volume 2" zu finden). Für Cubes Film "Next Friday" entsteht "Chin Check". Snoop übernimmt in dieser Konstellation den Part, der früher an Eazy-E gefallen wäre.

Tatsächlich: N.W.A. planen ein neues Album. "Not These Niggaz Again" soll allerdings niemals realisiert werden. Volle Terminkalender der Beteiligten, vor allem aber die endlose Rangelei dreier beteiligter Label um die Nutzungsrechte am Namen "N.W.A." vereiteln das ehrgeizige Projekt.

Immerhin landen zwei der in diesem Zusammenhang neu entstandenen Songs auf einer Greatest Hits-Compilation. 1998 bringen Capitol und Ruthless gemeinsam den ersten Teil der "N.W.A. Legacy" heraus. Neben drei gemeinsamen Songs präsentiert diese Compilation Solo-Material der einzelnen Beteiligten. Der Verkaufserfolg rechtfertigt zwei Jahre später einen zweiten, nach dem gleichen Prinzip zusammen gestellten Sampler.

Kids, die die Ursprünge von Gangster-Rap bereits nicht mehr kennen, konfrontiert 2004 der Soundtrack des Videospiels "Grand Theft Auto: San Andreas" mit den Großvätern des Genres. N.W.A. steuern hier "Always Into Somethin'" und "Express Yourself" bei. 2007, man sollte es nicht mehr für möglich halten, kommt es dann richtig dicke: Im Januar erscheint mit dem Untertitel "The Strength Of Street Knowledge" eine Best-Of-Compilation,

2008 folgt mit "N.W.A. And Their Family Tree" ein weiterer Sampler. Daran, dass die Geschichte der Crew ebendas, nämlich Geschichte ist, besteht kaum ein Zweifel.

... bis 2015 zum absoluten N.W.A.-Jahr mutiert. Der unter der Regie von F. Gary Gray entstandene Kinofilm über die Niggaz With Attitude, "Straight Outta Compton", lockt die Besucher scharenweise in die Kinos. Auch nicht so furchtbar Hip Hop-affine Zeitgenossen wollen plötzlich schon immer N.W.A.-Fans gewesen sein.

Mit weltweit über 200 Millionen eingespielten US-Dollar steht der Streifen am Ende des Jahres zugleich als erfolgreichstes Musik-Bio-Pic aller Zeiten und als erfolgreichster Rap-Film der US-amerikanischen Kinogeschichte in den Rekordbüchern. Wo kam das noch gleich alles her?

"Straight Outta Compton"!

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