laut.de-Kritik
Solokunststücke von Adam Greens besserer Hälfte.
Review von Jasmin LützKürzlich haben The Moldy Peaches ein Benefizkonzert "For Accidental Records" in Brooklyn, New York gegeben. Die quirligen Früchtchen würde ich auch sehr gerne noch mal sehen. 2002 stellten sie uns in Europa eine hierzulande eher unbekannte Szene vor. "Antifolk" hieß der neue Shit aus New York. Musiker wie Jeffrey Lewis demonstrieren ihre Singer/Songwriter-Kunst und überzeugen mit schrulliger, ehrlicher Punk-Independent-Art. Hier hat jeder was zu sagen, und keine Hemmungen, die Gedanken offen auszusprechen.
Leider gerät der Künstler-Underground nach intensiver Euphorie langsam in Vergessenheit. Bis auf den verträumten Moldy Peaches-Sänger Adam Green hört man in Deutschland kaum etwas von seinen ebenfalls talentierten Familienangehörigen. Sein Album "Friends Of Mine" ist 2003 in aller Munde. Schade nur, dass seine ehemalige Tanz- und Gesangspartnerin Kimya Dawson dadurch ein wenig ins Abseits gerät. Dabei haben ihre Solokunststücke mindestens genauso viel Aufmerksamkeit verdient.
"Hidden Vagenda" erscheint 2004 auf K-Records (Beat Happening, Modest Mouse, Calvin Johnson, Chicks On Speed) und schon der erste Song "It's Been Raining" bedeckt die inneren Organe mit Zuckersirup. Wenn man die sympathische Frau mit der Wuschelmähne bis jetzt noch nicht ins Herz geschlossen hat, nun gibt es kein Zurück mehr. Eine wunderbare Ballade, die Will Oldham vielleicht noch etwas trauriger singen könnte. Schon auf ihrem Debüt "I'm Sorry That Sometimes I'm Mean" durfte man sehr intim in das Innere einer New Yorker Musikerin blicken, ob man nun wollte oder nicht.
Kimya vermittelt Emotionen, die unter die Haut gehen ("Anthrax – Power Ballad Version"). Gerne auch mal kritisch, politisch und medientauglich: "I don't want my MTV 'cause it brought VIVA to its knees" ("Viva La Persistence"). Anders als bei Adam Green und den "verschimmelten Früchten" beinhalten ihre Texte weniger abgedrehte Phantasien oder absurde Träume, die sich beispielsweise damit beschäftigen, wie es sich anfühlt, mit einem Beinamputierten Sex zu haben. Kimya will stattdessen mit dem Strokes-Gitarristen Nick Valensi ins Bett ("5 Years"). Ihre zuckersüßen Liedchen bestechen durch einfache Textzeilen ("Lullaby For The Taken") und klare Ansagen ("The lady took the baby. I know she loves the baby but the baby has a daddy and his daddy loves him too. How could she take the baby?") Ein schräges und energisches Wiegenlied aus der etwas anderen Perspektive.
Die wachsweiche Flüsterstimme Kimyas verursacht ständig Gänsehaut. Eine gesunde, tiefgehende Pflege von Lo-Fi-Rock 'n' Roll. Bei den Peaches haben die Stimmen von Adam und Kimya hervorragend miteinander harmoniert. Auf "Hidden Vagenda" gibt es ebenfalls gelungene Gastmelodien, zum Beispiel von Daniel Johnston (Singing Machine) und Major Matt Mason USA (Fire). Matt, ebenfalls in der Antifolk-Szene zu Hause und ein weiteres Mitglied der Band Schwervon, die gemeinsam im Frühjahr mit Kimya auf Europatour gehen. Das Geheimnis von Kimya Dawson steckt wohl vor allem in ihrer unschuldigen, verrauchten Stimme. Äußerlich klingt sie naiv und zerbrechlich. Man möchte sie einfach mit ihrem harmlosen Solozynismus in die Arme schließen.
In der Anti-Folk-Szene ist alles möglich. Da werden Songs auch schon mal gerne in der Küche von Familie Dawson aufgenommen, oder in der Garage und natürlich im Schlafzimmer produziert. Alle Songs sind von ihr selbst geschrieben. Allerdings weist sie in ihrem Booklet extra darauf hin, dass die Musiker, die sie auf dem Album begleiten, ihre eigenen Parts mit einbringen durften. Harmonie pur! Fazit: "Hidden Vagenda" ist eine tanztaugliche Rock'n'Roll-Variation ("Viva La Persistence") mit einprägenden Melodien ("I Will Never Forget"), die man sofort mitsingt. Die intensiven Emotionen und Wahrheiten kennt man sonst nur von seiner besten Freundin.
1 Kommentar
ganz, ganz tolle scheibe... glaub kaum ein album wurde in den letzten jahren so in - gemeinhin genannten - kifferkreisen rumgereicht wie diese scheibe...