laut.de-Kritik

Düstere Dynamik und eine geballte Ladung Energie.

Review von

Wie ein Lauffeuer geisterte die Nachricht seit Ende Juli durch sämtliche Blogs und Newsspalten: TV On The Radio veröffentlichen Ende September eine neue Platte! Gespannte Vorfreude allenthalben: Was kommt nach dem Meilenstein "Return To Cookie Mountain" von 2006?

Der Nachteil an derlei Begeisterungssturm ist, dass manche Labels auf die Idee kommen, streng kopiergeschützte Promo-CDs erst wenige Tage vor dem Release heraus zu geben und somit viel zu wenig Zeit bleibt, sich vollständig in die musikalischen Tiefen einer Band wie TV On The Radio hineinzuhören.

Eigentlich kann ich also von Glück reden, dass "Dear Science" ein Stück weit weniger komplex und verschachtelt daherkommt als der Vorgänger. Zwar ist es nicht so, dass der musikalische Panoramablick über etliche Genres dabei verschwunden wäre. Er konzentriert sich allerdings nicht mehr so sehr auf einzelne Titel, sondern verteilt sich angenehm auf die Platte in ihrer Gesamtheit.

Für diese Erkenntnis sorgt schon der schwelende Opener "Halfway Home". Wer ein loderndes Abfackeln sämtlicher Spielarten wie seinerzeit auf dem abgehobenen "I Was A Lover" erwartet, landet schnell auf dem harten Boden der Realität, wo er sich vor einer beachtlich dichten Soundwand wieder findet. Eine solch geballte Ladung Energie würde bei manch anderer Band wohl in kreischenden Gitarren münden, TV On The Radio setzen eher auf düstere Dynamik.

Das bleibt jedoch nicht so, schon die Prince-Anleihe "Crying" bringt mit einem dezent im Hintergrund gehaltenen, funky Gitarrenschlag etwas mehr Licht ins Dunkel. Das Rapstück "Dancing Choose" schielt zu Beginn sogar in Richtung Grime und führt die bisherige Schlagrichtung komplett ad absurdum. Als stünde Frontmann Tunde Adebimbe dem Rest der Band gegenüber, kommt es erst ab dem ersten Refrain wieder zu einer Einheit, wenn sich aus dem Zusammenspiel von Sax und Gitarre die Melodie heraus schält.

"Stork & Owl", ein ruhiges Stück in Gospel-Manier, lässt kurz Zeit zum Verdauen, bevor das unbedeutende "Family Tree" den ersten richtigen Hänger markiert. Als ob Sitek und Kollegen es nötig hätten, auf die mehr oder minder ausgelutschte Kombination von Streichern und Piano zu setzen, um Atmosphäre zu erzeugen. Die gesamte Platte ist ein einziges Hin und Her an Stimmungen, wozu vor allem die Masse an Effekten ihren Teil beiträgt.

Das zweite richtige Highlight nach dem Opener folgt mit "Shout Me Out", das in seinem Verlauf immer ausschweifender, immer dichter wächst. Was übersichtlich mit Bass, Gitarre, Drums und einem unauffälligen Effekt beginnt, führt schließlich in einen Drum'n'Bass-Rhythmus, der von klassischen Rock-Gitarren geschnitten wird und trotz des folkigen Gesangs so gar nicht unpassend wirkt.

"Shout Me Out" ist sowas wie die Konzession an alle, die "Return To Cookie Mountain" abgefeiert haben und denen "Dear Science" nun vergleichweise zu poppig geraten ist. Denn im Gegensatz zu weiten Teilen des Vorgängers funktioniert "Dear Science" auch ohne das Aufbringen der vollen Konzentration äußerst prächtig. Und ist dabei kein bisschen weniger spektakulär.

Trackliste

  1. 1. Halfway Home
  2. 2. Crying
  3. 3. Dancing Choose
  4. 4. Stork & Owl
  5. 5. Golden Age
  6. 6. Family Tree
  7. 7. Red Dress
  8. 8. Love Dog
  9. 9. Shout Me Out
  10. 10. DLZ
  11. 11. Lover's Day

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