laut.de-Kritik

Die Rumänen tröten dir ordentlich einen!

Review von

Vier mit Tröten bewaffnete Männer betreten ganz unprätentiös die Bühne des Kesselhauses zu Berlin. Langsam stimmen sie eine träge und melancholische Melodie an. Das erinnert zuweilen etwas an einen Begräbnisumzug aus New Orleans, aber nur bis zu dem Moment, in dem der mittlerweile sechste Blechbläser unvermittelt Gas gibt. Der Polka-Virus galoppiert wie wild über die Bühne und infiziert sogleich das Publikum.

Entgegen dem normalen Konzertverhalten eines deutschen Auditoriums sind die Berliner an jenem Abend erstaunlich bewegungsfreudig, was gar nicht so einfach ist, wie es sich anhört. Die Fanfare Ciocarlia gibt nämlich ein Tempo vor, wie man es sonst nur von Thrash Metal-Bands kennt. Die einzige elektronische Verstärkung, mit der die rumänischen Musiker auskommen, ist die des Mikrofons, und selbst darauf können die Roma aus dem Dörfchen Zece Prajini getrost verzichten, wenn sie sich zur letzten Zugabe kurzerhand unter das Publikum mischen.

Das Programm der Fanfare verzichtet auf den sonst üblichen balkanesischen Gegensatz zwischen himmelhoch jauchzend und Trübsal blasen bis zum Exitus. Die Rumänen geben von Anfang an Gas, Balladeskes behalten sie sich für ihre Senoritas zuhause vor. Die Bass-Tuba zementiert den fetten, treibenden Rhythmus, über den Saxophon und Trompete mit dankbarer Percussion-Unterstützung ihre luftig leichten Melodien legen. Lediglich kurze Soli der Bläser und eine sympathische Scat-Einlage zum Evergreen "Summertime" unterbrechen den energetischen Reigen.

Unwiderstehlich treiben die Ciocarlias auf den Höhepunkt des Konzertes zu, ihrem wohl bekanntesten Stück "Iag Bari". Shantel hat diesen Track, in dem es um Eifersucht geht, auf seinem Sampler "Bucovina Club" mit sachten Dance-Beats unterlegt, fertig ist der Clubhit. So einfach geht das. Die Fanfare verbindet geschickt Tradition mit Moderne, orientalische Klänge mit Pop-Weisen. Das erwähnte Summertime, sowie Stücke aus dem Repertoire von Goran Bregovic ("Kalasnjikov") vereinigen sich zu einem stimmigen Ganzen. Der Partyaspekt steht dabei ganz deutlich im Vordergrund, die Anwesenden sind begeistert und stampfen mit den Füßen auf dem Boden oder mit Bierflaschen auf den Bühnenrand.

Den langen Weg aus dem rumänischen Dorf jenseits von Nirgendwo zeichnet der zweite Teil der DVD nach. Der Film "Iag Bari - Brass On Fire" zeigt einfühlsam - wenn auch mit Hang zu einer gewissen Verklärtheit - den Weg den die Band aus dem kleinen Zece Prajini bislang so erfolgreich ging. Um die Geschichte eines kleinen Jungen, der im eisigen Wasser eines Sees eine zerbeulte Tröte findet und sie von einem Handwerker reparieren lässt, baut Ralf Marschalleck einen Streifen, der nicht mit gewaltigen und eindrucksvollen (Landschafts-) Bildern geizt. Hochzeit, Kirchenbau, Streitgespräch, immer ist die Kamera gegenwärtig, ohne dass der Betrachter das Gefühl haben muss, voyeuristisch eine traute Gemeinschaft zu stören. Jedoch sei die Frage gestattet, ob wirklich alles so romantisch und unbefleckt ist in jenem Dörfchen im Nordosten Rumäniens, oder ob die negativen Seiten des Ruhms der Fanfare Ciocarlia - die es mit Sicherheit auch gibt - nur bewusst ausgespart wurden.

Zusätzlich zu diesem fast einstündigen Film kann man sich noch das Video zu "Iag Bari" im unverzichtbaren Shantel-Remix anhören und einen Trailer zum Film "Gypsy Caravan" genießen. Gute Unterhaltung garantiert.

Trackliste

Concert Live At The Kesselhaus

  1. 1. Vivaldi
  2. 2. Ruseasca Lui Filon
  3. 3. Hora Cu Strigaturii
  4. 4. Dansul Lui Sulo
  5. 5. Ciocarlia
  6. 6. Lume, Lume
  7. 7. Hurichestra
  8. 8. So Te Kerau
  9. 9. Asfalt Tango
  10. 10. Hora Arapeasca
  11. 11. Nicoleta
  12. 12. Ibrahim
  13. 13. Iag Bari
  14. 14. Tziganeasca
  15. 15. Presentare

Movie - Iag Bari, Brass On Fire

Extras

  1. 16. Presentation
  2. 17. History
  3. 18. Videoclips
  4. 19. Discography

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