23. März 2015
"Manche wundern sich, dass ich nicht besoffen von der Bühne falle"
Interview geführt von Lisa WörnerEs gibt neuen Stoff von Wuppertalers "Suff-Kopp": am Freitag erschien die "Handfeste EP", und das für Ende 2015 geplante Album "Limbus" steht auch schon in der Pipeline. Die diesjährige Tapefabrik #5 in Wiesbaden ist also ein guter Zeitpunkt, sich endlich mal wieder mit dem "talentierten Mr. Prezident" zu unterhalten. Der spricht gutgelaunt über seine Anfänge mit den Beginnern, Fella Oner und dem Taschenrechner, über seine Handfeste EP, Fans, die Antilopen Gang, geldgierige Untergrund-Geier und brennende Mülltonnen. Und gibt uns oben drauf noch ein kleines Tutorial in Sachen Beatbastelei.
Er ist ein genialer Storyteller, wortgewaltig, kompromisslos, aufwühlend und: humorvoll. Dabei ist jede Line "Buttersäure in eure Komfortzone". Soviel ist mal sicher. Das ist natürlich nicht immer leicht zu verdauen. Dass Prezident dann auch noch mit zahlreichen Referenzen jongliert - sei es aus Filmen, Literatur oder anderen popkulturellen Quellen - trägt sicherlich dazu bei, dass sein Publikum immer noch ein sehr erlesenes ist. Weiß ja nicht jeder um den feinen Unterschied zwischen Bourdieu und Bordeaux. Prezident steht für genau das, woran es dem schnelllebigen Musikzirkus oft mangelt: Qualität, Konsistenz und Substanz. Ein Rapper, der sich lieber mit der Kunst als mit dem nächsten Promomove beschäftigt – und darin konsequent ist. Trotz einer stetig wachsenden Fanbase und der verhältnismäßig großen Aufmerksamkeit, die ihm durch sein letztes Album "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" vergönnt war, bespielt der eloquente MC immer noch die kleinen Locations und macht von Artwork, über Pressearbeit, Vertrieb und Booking auch nach vielen Jahren im Geschäft noch alles selbst. Wie das eigentlich damals alles anfing, warum er sowohl auf hörige Fans als auch auf ein Label gut verzichten kann und weshalb er - unerhörterweise - nicht bei jedem Auftritt besoffen von der Bühne fällt, erzählt uns der Langzeitstudent und Whiskeyrapper in einem entspannten Gespräch.
Wann hast du deinen allerersten Text verfasst? Kannst du dich daran noch erinnern?
Meinen ersten Text habe ich mit 13 Jahren geschrieben und a capella aufgenommen. Das war so ein Representer-Blabla.
Und du bist tatsächlich über "Hammerhart" von den Beginnern auf Rap gekommen?
Ja. Ich war in einer Klasse mit Immanuel Rau, dem Sohn von Johannes Rau. Immanuel Rau hat "Hammerhart" gehört und mir das gezeigt. Das war sozusagen meine erste ernsthafte Begegnung mit Rap. Das Bambule-Album hab ich damals viel gehört. So als Meilenstein finde ich das auch heute noch wichtig - auch weil es einen so eigenen Sound hat. Die Leute in Deutschland wussten damals ja noch nicht, wie nahe sie an die brennende Mülltonne herangehen können. Gelächter. Und da haben die Beginner ein Album gemacht, das einen sehr eigenen deutschen Sound hatte. Heute kann ich mir das allerdings nicht mehr anhören – das is mir zu lurchig. Ja und dann habe ich in meinem Kinderzimmer gerappt und irgendwann auch angefangen, Beats zu bauen. Das kam dann vor allem über Fella (Anmerk. der Red.: Fella Oner, Rapper aus Wuppertal), den ich so mit 16 kennengelernt habe. Fella hat mir damals Fruity Loops gezeigt. Davor aber habe ich noch über CoolEdit95 Beats gebaut. Die hatten ausschließlich 96 BPM, weil bei 96 BPM ein Loop von vier Takten genau zehn Sekunden lang ist. Wo was liegen muss, habe ich damals alles mit dem Taschenrechner ausgerechnet. Kannste ja: wenn du einen Zehn-Sekunden-Loop hast, liegt die erste Snare bei 625 Millisekunden, die zweite liegt bei 1250 Millisekunden, dann 1875 Millisekunden usw. Die Kick liegt natürlich immer auf der eins. So haste Bum-Tschak. Dann rechnest du wieder runter um die Hälfte auf 312 Millisekunden und ne halbe und da liegt dann die zweite Kick, wenn du Bum-Bum-Tschak machen willst. Lacht. So habe ich damals meine Beats gebaut. Da gab's auch nicht mehrere Spuren, sondern ich hab das alles mit Copy & Paste übereinander gezogen. Wenn du verkackt hast, musstest du immer auf "Rückgängig" drücken. Aber es gab nur 5x "Rückgängig" und dann war der Arbeitsspeicher leer. Dann musstest du wieder von vorne anfangen.
2005 ist für dich der Knackpunkt, an dem du deiner Meinung nach angefangen hast, gute Musik zu machen.
Ja. Ich hatte dieses EMP Cribz-Album gemacht, aber irgendwann im Internet entdeckt, dass so viele Leute Battlerap machen. Das fand ich doof. Wenn das alle machen, dann möchte ich das nicht mehr machen. Also habe ich mir überlegt, wie das anders gehen könnte. Das alte Zeug war so 'ne Representer-Richtung – viel arrogantes Gelaber, was dabei möglichst eloquent sein wollte. Auf dem EMP Cribz-Album gab's auch ein paar Storyteller. Es war ein Konzeptalbum, auf dem es nur um die Größe dieser EMP Cribz ging, wo aber alles dazu gehörte – so auch einige Stories, die passiert sind. Das war alles ganz nett, aber ich wollte irgendwie von diesem ganzen Battleding weg. Zu diesem Zeitpunkt kam ja diese peinliche Dipsetphase und alle haben diesen Quatschrap gemacht.
Hee - warum peinlich?
Diese Snaga-Pillath-Phase? Ich fand die voll peinlich. Es gibt ja auch keinen, der diese Phase überlebt hat.
Also ich lebe noch.
Aber die Rapper, die damals rausgekommen sind mit dem Zeug, nicht mehr. Damals fanden das alle geil! Jeder hat versucht so zu rappen, aber am Ende hat sich die Scheiße doch keiner wirklich angehört. Das war ein ziemlich paradoxer Trend. Du bist mit den Antilopen echt die Einzige, die ich kenne, die immer noch sagt: "Boah, das war voll geil!" Jeder andere Mensch kuckt sich kopfschüttelnd so ein 2004-Cover an mit Allover-Print, so 'ner fetten Fresse von JayZ, 'nem Jersey und 'ner Cap ... Imitiert Pillath: Tscheah, brrr, dis'n Boy, der durch die Hood läuft. Lacht. Nee, da war ich mit meinem Zeug zu nah dran und musste was anderes machen. Es hat sich so ergeben, dass ich abseits von Rap auch einfach neue Sachen kennengelernt habe, wie Bukowski oder auch Tom Waits, den ich dann viel gehört habe. Das waren verschiedene Einflüsse und Dinge, die ich mir gedacht und auch erlebt habe, die damals zusammen dazu geführt haben, dass ich 2005 mit meiner Umbenennung in Prezident einen Cut machen wollte.
Wie nah beieinander sind deine Rap-Persona und deine Viktor-Persona?
Da das eine Kunst ist und das andere ein echter Mensch, sind wir immer verschieden. "Signatur" und "Hörensagen" handeln ja z.B. genau davon. Sobald man etwas erzählt, sobald man anfängt, Ereignisse zu sortieren und zu deuten, wird schon wieder etwas anderes daraus. Deswegen ist eine Erzählung niemals richtig. Und es kann auch niemals eine Deckungsgleichheit zwischen deinem Leben und der Erzählung dieses Lebens geben. Zumal ich auch von meinem Charakter nicht von einer Ganzheitlichkeit oder einem Kern sprechen kann. Man zeigt sich ja auch seinen Eltern anders als Freunden – oder Feinden. Man ist ja immer ein bisschen ein anderer Mensch und in verschiedenen Texten sind auch immer andere Facetten drin von dem, was ich gerade sein oder darstellen will. Deshalb ist das schwer zu beantworten. Es kommt auch immer darauf an, von welcher Perspektive man das betrachtet. Wenn man von der These ausgeht, dass eine Künstler-Persona eine Figur ist, die man darstellt wie ein Schauspieler, dann würde ich sagen, ist es schon relativ nah dran. Wenn sich Leute wundern, dass ich beim Auftritt nicht wirklich jedes Mal besoffen von der Bühne falle, wie ich das irgendwo rappe – von der Warte aus ist dann schon ein Unterschied da.
"Ein Label müsste Dinge bringen, die ich selber nicht hinkriege, aber was soll das überhaupt sein?"
Hast du eigentlich nicht allmählich mal Bock auf ein professionelles Management? Nach "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" hast du doch sicher Angebote bekommen, oder?
Nicht wirklich, nein. Es ist tatsächlich so, dass ich im Laufe meiner Musikkarriere noch nie ein richtiges Labelangebot bekommen habe.
Auch nicht von kleineren?
Nee. Nach "Neueste Erkenntnisse vom absteigenden Ast" hat mich JAW gefragt, ob ich nicht das nächste Album über Weiße Scheiße rausbringen will. Damals hab ich gesagt: ja komm, das dauert ja jetzt eh noch drei Jahre – was ja auch so war. Nach zwei Jahren hab ich dann nochmal angeklopft, aber dann hatte er keine Lust mehr. Bei Jotta geht das immer hoch und runter, der ist ein bisschen launisch, was seinen Bock auf Rap angeht. Seit "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" hat sich nur ein Label so ein bisschen bemüht. Da kenne ich den Typen aus anderen Zusammenhängen und der hat mal gesagt, dass er das gerne machen würde. Aber ich weiß nicht, wie interessant das für mich ist.
Was muss ein Label erfüllen, dass du dafür deine Unabhängigkeit opfern würdest?
Jetzt hab ich das ja schon alles selber gemacht. Und so ist das ja auch ganz okay. Vinyl Digital wollen sich ja labelmäßig ein bisschen aufstellen. Es ist vielleicht interessant zu kucken, was die noch erreichen können. Aber im Prinzip würde es darauf hinauslaufen, dass ich mein nächstes Album wieder selber heraus bringen und Vinyl Digital dann kucken würde, wie die das supporten können. Ein Label müsste halt Dinge bringen, die ich selber nicht hinkriege. Hmm – was soll das überhaupt sein? Klar: das Budget, aber das ist ja auch nur geliehenes Geld. Das kann ich auch irgendwie klar machen. Das andere wäre der Name, der erstaunlicherweise irgendwie total wichtig ist für die Leute. Manchmal ist der ja schon wichtiger als die Musik.
Naja, wenn ein mittelgroßes Label dich finanziell unterstützen würde, würde unterm Strich eventuell vielleicht schon ein wenig mehr für dich rausspringen, oder?
Glaub ich nicht. Kuck mal: ich hab jetzt 2000 CDs verkauft, bekomme für jede CD 12 Euro und muss das nicht mit jemandem teilen. Das ist in jedem Fall "okayes" Geld. Über ein Label wird das natürlich weniger. Was ich eigentlich bräuchte, wäre ein Booker. Das fände ich viel interessanter.
Auftritte bringen Fans, aber du willst doch gar keine Fans haben.
Kommt darauf an. Wenn ich "Fan" sage, ist das im engeren, etwas unterwürfigen Sinn gemeint. Ein Fan, der das, was ich sage, wirklich für bare Münze nimmt bzw. unhinterfragt übernimmt und auch eine Anhänglichkeit zeigt, die mir zu viel wäre. Seit man meint, Fankontakt haben zu müssen aufgrund der medialen Entwicklungen der letzten drei Jahre, hat man Leute, die sagen: "Hey, hey! Wir zusammen haben geschafft, dass das Album auf die eins geht!" Da wird dieses Wir-Gefühl erzeugt und das finde ich ekelhaft. Ich habe aber natürlich nichts dagegen, dass Leute meine Musik gut finden. Ich bin ja auch selbst Fan von mir. Wenn ich meine Musik rausbringe, gehe ich schon davon aus, dass es noch andere Menschen gibt, die das geil finden.
"Die Antilopen haben sich nicht groß verstellt."
Wenn du im Mainstream ankommen würdest, würdest du sagen: ich hab was falsch gemacht?
Kommt darauf an, wo man da ankommt. Es gibt Leute, die machen das auch ganz cool.
Gutes Beispiel ist hier ja die Antilopen Gang.
Ja. Du musst einfach selber verantworten, wie du dich in der Öffentlichkeit präsentierst – dann ist das cool. Man muss selber wissen, ob man sich da z.B. zu Stefan Raab auf die Couch lümmeln muss, obwohl man weiß, dass der Typ sich die ganze Zeit auf eine behinderte Art über einen lustig macht. Ist es mir das wert, um noch mehr gesehen zu werden? Das muss man mit sich selbst vereinbaren und auch ein bisschen Stilgefühl haben, wie man irgendwo auftritt. Die Antilopen machen manchmal Sachen, die ich selber nicht machen würde, aber das haben sie schon immer gemacht. Die haben sich aber z.B. nicht groß verstellt, indem sie angefangen haben, einen Tourblog zu machen. Die haben vorher schon 'ne Kamera aufgestellt, da irgendne Scheiße reingelabert und diesen Personal-Quatsch-Einblick in ihr Leben gegeben. Das habe ich nie gemacht und würde ich auch nie machen – egal, wo ich stattfinden würde. Aber es ist auch so, dass man immer meint, dass nur Mainstream-Künstler sich "verkaufen". Aber auch im Untergrund gibt es so viele Künstler, die in dieser 20.000 Facebook-Likes-Welt richtig nach Geld und Fame geiern. Ill Bill, Necro und all so krasse Typen. Von denen kannst du dir Apps runterladen und sobald Ill Bill irgendwo einen Post verfasst, kriegst du den zugeschickt und zahlst dafür einen Euro. Andersrum gibt es Mainstream Künstler, die das geschmeidiger angehen. Wenn du eh schon reich bist, musst du natürlich weniger Scheiße für Geld machen. Dann hast du dir die Freiheit erkauft, nicht mehr so bitchig unterwegs zu sein – eigentlich.
Apropos Antilopen. Auf der B-Seite deiner Handfeste-EP ist auch der Track "Special Effects" mit NMZS, den du erst Ende letzten Jahres veröffentlicht hast. Einen anderen Track von euch (Anmerk. d. Red.: "Gibs mir richtig") kennt man bereits. Gibt's noch mehr unveröffentlichtes Material von euch?
Nein, das waren jetzt die beiden Tracks.
Wie war denn eure Beziehung? Habt ihr oft miteinander Musik gemacht?
Ich war ja mit den Antilopen zusammen auf dieser kleinen Tour. Danach hatte ich noch ein paar Auftritte mit NMZS. Ich hab mich immer sehr gut mit ihm verstanden. Eigentlich mit allen Antilopen, aber mit Jakob am besten, weil er halt auch geografisch einfach am nächsten war. So haben wir uns ein paar Mal getroffen und dann sind diese beiden Tracks entstanden.
Auf der "Handfeste EP" sind für deine Verhältnisse auffallend viele Features.
Ich wollte eigentlich noch mehr Features. Meine EPs sind ja normalerweise immer Reste. Bei der EP hat sich rausgestellt, dass ich so krasse Bretterdinger habe, die ich nicht fürs Album verwenden möchte. Dadurch, dass alles so bretterhaft war, passte gut, die ganze EP battle-/ representerlastig zu halten. Und dann kann man ja auch gut Features draufballern. Bei den eher thematischen Prezident-Tracks, die meinen eigenen Stil präsentieren, wird das einfach immer ein bisschen schwieriger. Dass ist ja generell so im Rap: wenn Leute was zusammen machen möchten und sich nicht einigen können, wird immer ein Battle- oder Representertrack daraus und jeder rappt einfach irgendwas.
Da du sehr offensiv mit deinem Suffkopf-Image spielst und deine Musik daher auch folgerichtig unter "Whiskeyrap" firmiert. Was ist dein Lieblingswhiskey?
Ich habe neben meinem Studium ja sechs Jahre als Koch gearbeitet. Als ich dort aufgehört hab, habe ich einen Whiskey geschenkt bekommen. Der hieß Woodford Reserve. Den habe ich als sehr lecker in Erinnerung. Ansonsten hat mir der KB (Anmerk. d. Red.: DJ KB von den Drunkn Masters) einen Hennessy zum Geburtstag geschenkt. Das ist zwar kein Whiskey, aber der schmeckt tatsächlich vorzüglich. Tendenziell denkt man ja: Wenn das so viele Rapper trinken, muss das ja scheiße schmecken. Weil: was wissen die schon? Lacht. Aber der ist tatsächlich köstlich.
1 Kommentar
"(...) Wenn man von der These ausgeht, dass eine Künstler-Persona eine Figur ist, die man darstellt wie ein Schauspieler, dann würde ich sagen, ist es schon relativ nah dran. (...)"
Und für diese Figur ein Stück von sich selbst, seiner Persönlichkeit zu opfern (ohne sich an andere zu verkaufen), das sollte einen guten Künstler ausmachen.
Auch schön, das er relativ unabhängig arbeitet und seine Musik und die Plattengestaltung DIY sind.
Interessanter Typ. Freu mich auf weitere Alben und EP's von ihm.