29. November 2006

"Ich bin froh um alles, was ich nicht weiß!"

Interview geführt von

Der Inszenierungskünstler wandelt sich ständig, zur eigenen Person verrät er jedoch nie viel – das Mysterium um PeterLicht und den Mann dahinter soll scheinbar nicht gelüftet werden. Versteckspiel und Namens-Wirrwarr haben ihm den Titel des "großen Unbekannten der deutschen Musikszene" eingebracht. Nun gibt sich Verwandlungskünstler Licht erstmals ungewöhnlich offen, geht auf Konzert- sowie Lesetour und gewährt neuerdings sogar konservative Interviews, von Angesicht zu Angesicht.Dass PeterLicht öffentliche Präsenz und Medien scheut, ist längst bekannt! Drei Alben hat er bereits auf den Markt gebracht, dennoch existieren nur wenige Fotos von ihm, die zudem unscharf belichtet, schlecht beleuchtet und nur ausschnitthaft arrangiert sind. Auch die biografischen Details zur Person PeterLicht sind spärlich gesät. Interviews gab der Elektro-Pop-Musiker bisher nur selten, vermied sie zunächst ganz – anstelle selbst beim Interviewtermin zu erscheinen, verschickte Herr Licht lieber "Kartoffelmännchen", mit denen sich die verdutzten Redakteure unterhalten sollten. Nach jahrelanger TV-Abstinenz gastierte er im Mai 2006 erstmals bei Harald Schmidt, enthüllte aber auch hier nicht das Geheimnis um sein Aussehen und ließ sich nur vom Hals abwärts filmen. PeterLicht ein Phantom?

Als ich den rätselhaften Herren zum Interview im Konstanzer Kulturladen treffe, bin ich überrascht von seiner ruhigen, gelassenen Art. Zurückhaltend erscheint er, fast schon introvertiert. Während unseres Gesprächs schaut er meist auf den Boden und wirkt ebenso angespannt und aufgeregt wie ich. PeterLicht ist kein cooler, kalkulierender Musiker, der sein Künstlerimage eiskalt einstudiert und seine Rolle als reservierter Musiker im Sinne eines cleveren Marketingkonzeptes souverän vorspielt, er ist tatsächlich dieser zurückgezogene, nach innen gewandte Typ (auch wenn er sich auf der Bühne in einen scherzenden Entertainer verwandelt). Fragen zu seiner Person umgeht er. "Es soll bitteschön einfach um meine Musik gehen und um meine Texte", so der Künstler entschieden. Der Mensch hinter PeterLicht steht nicht zur Debatte entgegnet er und sagt: "Ich bin total uninteressant". Dabei wirkt er ruhig und selbstsicher. PeterLicht will keinen Medienrummel um seine Person – warum auch immer mit den gängigen Verfahren konform gehen?

Warum wurde Meinrad Jungblut zu Jungblutpeterlicht bzw. zu PeterLicht?

PeterLicht: Namen, Namen, Namen. Immer was Neues. Ich fand PeterLicht ist der richtige Name.

Was hatte es mit den vorherigen Namen auf sich? Hattest du einfach Lust auf einen neuen Namen oder ging mit dem Namenswechsel auch ein Imagewechsel einher?

PeterLicht: Es geht um eine Definitionsgeschichte. Was das überhaupt soll? Was mach ich da? Und in sofern ist PeterLicht, ja, PeterLicht ist die Wahrheit.

Meinrad Jungblut und Jungblutpeterlicht waren nicht wahr?

PeterLicht: Ja doch, aber die Wahrheiten ändern sich ja immer. Und dann ist die Wahrheit mal so, mal so und man weiß nicht, was noch kommt.

Beim Künstlername PeterLicht muss es also nicht bleiben?

PeterLicht: Man weiß nie, aber derzeit bin ich zufrieden. PeterLicht ist eine gute Arbeitsplattform.

Dass du die Öffentlichkeit und Medien scheust, ist nicht neu!

PeterLicht unterbricht. Energisch entgegnet er, dass dies gar nicht stimme – er scheue die Medien nicht! Vielleicht ist "scheut" einfach das falsche Wort. Wir einigen uns auf "meiden".

PeterLicht: (lacht) Ich meide eben bestimmte Verfahrensgänge, die so üblich sind. Aber ich gebe jetzt schon seit Monaten Konzerte, Interviews auch. Und in den Zeiten, in denen ich meine Telefoninterviews gemacht habe, habe ich viel kommuniziert. Das ist einfach eine eigene Form von Kommunikation. Auch die Sache, dass PeterLicht ein Kartoffelmännchen ist, ist schon ein Statement zum Thema Künstler. Was ist ein Künstler? Ein Künstler besteht aus Zuschreibungen und Dingen, die angeheftet werden, aber eigentlich gar nicht zutreffen. Und das ist irgendwie so eine seltsame Blase. Darum geht es.

"Es gibt keine perfektere PR-Geschichte als die von James Blunt!"

Jahrelang gab es keine Fotos von dir, nur wenig biografische Details und kaum Interviews. Was hat dich dazu bewogen, von diesem Konzept nun stückweise abzurücken?

PeterLicht: Weil das ganze Projekt ständig im Fluss ist und sich verändert. Und weil z.B. auch die Musik sich sehr verändert. Für mich hat auch die aktuelle Platte etwas sehr Konkretes, etwas sehr Direktes, eine direkte Ansprache. Es zielt auf konkrete Themen, wie z.B. Gesellschaft, Kapitalismus, Al-Qaida etc., diese ganzen Dinge. Und da war es für mich folgerichtig, dass ich auch da ganz direkt stehe. Also die Platte ist direkt und wie ich jetzt damit umgehe und sie präsentiere, ist auch ganz direkt - das live Spielen ist sehr direkt.

Dann hat sich deine Haltung bzgl. der Medien im Laufe der verschiedenen Alben gewandelt?

PeterLicht: (überlegt und antwortet bestimmt) Ich mache andere Sachen, aber meine Haltung bzgl. der Medien hat sich überhaupt nicht gewandelt. Ich verfolge den gleichen Ansatz, für mich ist das alles ein Fluss, ein Ding.

Weshalb öffnest du dich den Medien nur teilweise? Einerseits gibst du Live-Interviews und gehst auch erstmals auf Tour, andererseits lehnst du es weiterhin ab, fotografiert zu werden. Warum?

PeterLicht: Es gibt so viele Bilder und es ist einfach üblich, dass man sofort ein Bild macht, dass man Sachverhalte herunterbricht auf Bilder. Und ich finde, es gibt einfach so viele Bilder, es gibt zu viele Bilder. Es muss nicht von mir noch so viele Bilder geben. Genau da geht es um Grenzen von Verfügbarkeit. Leute stellen sich einfach vor einen hin, hauen einem das Handy vors Gesicht und schießen Handyfotos. Das sehe ich gar nicht ein. Da bin ich nicht verfügbar. Auch wenn ich mich auf die Bühne stelle, singe, lese und Musik mache, dann bin ich trotzdem nicht freigegeben. Und außerdem finde ich, dass Musik und Sprache aus so einem undefinierten Bereich kommt, der auch vielleicht nur bestimmte Bilder verträgt. Da möchte ich meine eigene Sprache sprechen und mich nicht ausleuchten lassen, von irgendwem, der da herkommt.

Befürchtest du also, dass die Medien ein "falsches Licht" auf dich werfen? Verstehe ich das richtig, dass du Angst hast, die Leute könnten sich ein falsches Bild von dir machen?

PeterLicht: Angst würde ich das nicht nennen. Ich möchte meinen eigenen Weg gehen. Ich verfolge auch in den Texten und in der Art, wie ich etwas mache, mein Ding.

PeterLicht will sich von den Medien nicht entmündigen lassen, das äußert er während des Interviews mehrfach. Ein Musiker soll seiner Musik wegen Beachtung finden, nicht aufgrund seiner Biografie. Presse und Medien dichten Geschichten, verdrehen Tatsachen, so PeterLicht. Beispiele hierfür gibt es reichlich. Über bizarre Angebote sowie dubiose PR-Storys berichtet er ausführlich:

PeterLicht: Es kommen Leute zu dir, die sagen: "Wir machen da eine Fotostrecke. Wir haben im Heft gerade das und das Thema und jetzt dachte ich mir, ich leg dich auf einen Obduktionstisch. Alles in Stahl. Und du legst dich hin und wir legen Skalpelle daneben." Und dann denkst du dir, das ist völlig absurd! Damit habe ich nichts zu tun, mit solchen Fantasien und Vorstellungen und auch Zuschreibungen. Das bin ich nicht und das mache ich dann auch nicht. Ich habe in solchen Fällen auch keine Angst, dass ein falsches Bild von mir gezeichnet wird. Ich möchte einfach nicht auf einer Obduktionstischstahlplatte liegen und jemand macht sich ein Bild davon.

Ich finde es eher lustig, wenn ich diese abstrusen Mediengeschichten höre. Da gibt es z.B. in England diesen Musiker, der Offizier gewesen ist und im Kosovokrieg oder sonst wo unterwegs war und den Krieg erlebt hat. Er hatte immer seine Gitarre im Panzer dabei, hat dann Lieder geschrieben, ist irgendwann zurückgefahren, als der geläuterte Soldat und hat ein Album aufgenommen. Wie heißt der denn? Ach ja, James Blunt. Und du liest dir das durch und denkst dir, es gibt keine perfektere PR-Geschichte als diese hier! Runtergebrochen: Das ist der Offizier, der Gutaussehende, der Musik macht. Das finde ich total albern. Ich sterbe, wenn ich das höre. Das ist eine PR-Strategie, und vielleicht stimmt sie ja auch so halb, aber ich finde das absurd. Und das sind die Geschichten, die erzählt werden. Es gibt einige, wenige Geschichten zum Thema Popmusiker: 1.) Der Aufstieg und Fall des Musikers 2.) Der überraschende Aufstieg und 3.) Der gnadenlose Abstieg und das Comeback. Es gibt also diese Geschichten, die durcherzählt werden. Bei mir es die Geschichte vom "One-Hit-Wonder". Es ist natürlich toll, wenn ein Song wie "Sonnendeck" zum Hit wird, aber das passiert einfach, und ich mache meine Sache trotzdem weiter. Bei mir ist es die Geschichte vom "One-Hit-Wonder" und bei James Blunt die vom stolzen Offizier, der seine Gitarre mit im Panzer hat und Kinder sterben sieht, davon ergriffen ist und Musik macht. Ich finde das albern. Es soll bitteschön einfach um meine Musik gehen und um meine Texte, und das ist auch das einzige, was interessant ist und warum Leute sich eine CD holen. Ich bin total uninteressant, und ich finde da auch nicht statt. Es geht auch nicht um meine Biografie, die ist vollkommen uninteressant.

Mitunter dienen Medien aber auch zur Richtigstellung verdrehter Tatsachen. Man kann doch auch die Meinungsbildung bewusst lenken und ist nicht immer der hilflose, Künstler, der den Medien schutzlos ausgeliefert ist?

PeterLicht: Meinungsbildung betreibe ich auch ganz bewusst. Es gibt ja auch eine Menge Bilder, die wir zur Platte herausgegeben haben. Und das sind auch alles Bilder, die ich selbst entwickelt habe, auf denen man einerseits nichts Richtiges sieht, andererseits aber auch eine Menge darauf erkennt. Das mache ich ganz bewusst.

Auf deiner Homepage heißt es: "Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formaten ist PeterLicht wichtig." Das Fernsehformat scheint nicht dazuzugehören?! TV-Auftritte waren bis vor kurzem vollkommen tabu, bis du plötzlich in der Harald Schmidt Show auftauchtest. Hast du für den großen Schmidt eine "Ausnahme von der Regel" gemacht oder wird man dich ab sofort regelmäßiger im TV sehen?

PeterLicht: Ich war auch noch im österreichischen Fernsehen, bei "gotv".

Hast du dich bei "gotv" auch nur Hals abwärts filmen lassen?

PeterLicht: Ja, genau.

Wie hat Harald Schmitt darauf reagiert, dass dein Gesicht nicht gefilmt werden sollte?

PeterLicht : Das war gar nicht meine Idee, sondern die von Manuel Andrack. Als Harald Schmidt angerufen hat und fragte, ob ich bei iIhm in der Show auftrete und spiele, habe ich gesagt, dass ich das gerne mache. Ich habe aber auch gefragt, wie sie sich den Auftritt vorstellen. Was sie für Ideen haben.

Sonst hättest du dich auch komplett abfilmen lassen?

PeterLicht: Nein, hätte ich nicht. Ich habe es zur Bedingung gemacht, dass der Auftritt meinen Vorstellungen entspricht.

Wie waren die ersten Fernsehauftritte? Welche Erfahrungen hast du gesammelt?

PeterLicht: Wenn ich das Fernsehen anschalte, dann bestätigt es mich, meinen eigenen Weg zu gehen. Wenn ich so durchzappe, dann finde ich, dass man es dem Fernsehen nicht überlassen kann, wie man in diesem Medium stattfindet. Du bist dann Teil dieser ganzen Gerölllawine im Fernsehen. Und wir sind dann eben "Die Band ohne Kopf". Wir spielen auch demnächst bei der Bavarian Open, einem Festival in München, das auch aufgezeichnet wird, und auch da sind wir dann "Die Band ohne Kopf"!

Deine Fans können dich seit geraumer Zeit, im Zuge der Tour, auch live erleben und einen persönlichen Eindruck vom Künstler PeterLicht gewinnen. Inwiefern ist dir der persönliche Kontakt zu den Fans wichtig?

PeterLicht: Ja, der ist sehr wichtig. Jeder Abend ist anders, und auch das Publikum, und auch wir reagieren auf jedes Publikum anders. Wir haben auch bestimmte "Mitmach-Aktionen" (lacht) im Programm. Und da hängt es natürlich sehr von dem jeweiligen Publikum ab, wie es drauf ist und was passiert. Da geht es natürlich vollkommen um konkreten Kontakt. Ich habe festgestellt, dass es überall immer anders ist. Und das finde ich auch gut so!

Warum hast du den persönlichen Kontakt zu deinen Fans nicht auch bei den vorherigen Alben gesucht? Warum bist du nicht schon vorher auf Tour gegangen?

PeterLicht: Für mich war "Stratosphärenlieder" ein Album, das auch mehr in der Stratosphäre unterwegs war und geflogen ist. Das hatte diese Konkretheit nicht. Wir haben zu diesem Album ein "Hörseminar" gemacht – hatten also auch ein Live-Projekt. Da gab es 200 Funkkopfhörer und einen Moderator bzw. einen Spielleiter, und dann wurde an verschiedenen Plätzen, die auch alle sehr erhöht waren – ein Fernsehturm oder eine über den Dächern der Berlins gelegene Wohnung am Frankfurter Tor – ein Hörseminar veranstaltet. Das Publikum wurde auch einbezogen und hat agiert.

Versteckspiel hin, Namens-Wirrwarr her – handelt es sich hierbei um ein vorab feststehendes, geplantes Marketing-Konzept?

PeterLicht: Klar kann man das als Konzept bezeichnen. Aber im Prinzip ist das ganze Leben ein Konzept. Und dann kann man mein Verhalten auch als Marketing-Konzept sehen. Du kannst ja alles als Marketing-Konzept sehen. Du kannst beispielsweise Jesus Christus als ein Brand nehmen – die Marke Jesus und das Kreuz als Icon.

Sicher, aber meine Frage zielt darauf ab, ob du selbst PeterLicht bist oder ob PeterLicht bloß eine mediale Maske ein Konzept ist?

PeterLicht: Ich bin hier auf Arbeit und ich bin PeterLicht.

PeterLicht ist also deine Künstlerpersönlichkeit?

PeterLicht: (mit breitem Grinsen) Ich bin PeterLicht. Sonst nichts. Es geht mir nicht darum, mein Gesicht zu vertun oder meine Biografie zu vertun, das ist irrelevant. Was ich persönliche erlebe, darum geht es nicht. Es geht darum, Lieder zu schreiben und diese nach außen zu tragen, aber das handelt nicht von mir und es gibt keine Privatperson. Ich finde dieses Herunterbrechen auf eine persönliche Biografie überflüssig. Wenn James Blunt das macht, finde ich das super und gucke es mir auch an, aber ich bin froh um alles, was ich nicht weiß. Man wird zugeschüttet mit Informationen und Inhalten, und dann finde ich es gut, wenn sich leere Räume ergeben und Unklarheiten bilden. Ich bin mir ja selber unklar, wie es jetzt weitergeht, was ich hier mache. Es ist mir vor jedem Abend unklar, wie der Abend wird, was die Leute machen und ob ich mich nun 20 Mal versinge oder kein Mal und wie ich mich danach fühle, das ist mir alles unklar.

Über die "Lieder Vom Ende Des Kapitalismus"

Ob PeterLicht nur eine mediale Maske ist oder ob der Mann dahinter wirklich unter "Sozialphobie" leidet, das will der Musiker nicht lüften. Vielleicht ist das auch gar nicht von Interesse. Also wende ich mich dem aktuellen Album zu – "Lieder Vom Ende Des Kapitalismus" bietet ja auch genügend Gesprächsstoff.

Im Song "Das Absolute Glück" heißt es: "Das absolute Glück als das allerletzte Männchen durch die Städte zu gehen, die leer und offen sind."
Verstehst du Alleinsein als Heil?

PeterLicht: Ja, manchmal ist es das, ein Heil, das stimmt. Bei dem Song geht es aber auch nicht um meine persönliche Ansicht, sondern es geht um dieses Gefühl. Das Gefühl absoluter Einsamkeit, Verlorenheit, Verlorensein in Verbindung mit dem absolutem Glück. Was ja eigentlich ein Widerspruch ist. Absolutes Glück als der Allerletzte ist eigentlich das maximal trostlose Bild, das man sich vorstellen kann. Und trotzdem gibt es das, dass man damit Glück assoziiert und davon handelt der Song. Und auch hier wieder: Was das alles soll, das weiß ich nicht, ich stelle einfach nur fest. Das Alleinsein macht glücklich und auch das Gemeinsamsein macht glücklich. Und davon handelt der Song, dass man eben die eine Behauptung aufstellt und die dann aber so hinten runterfällt, dass es schon wieder gar nicht wahr sein kann. Und wo jetzt die Wahrheit liegt, das ist völlig unklar. Es gibt gar keine allgemeingültige Wahrheit zum Thema Alleinsein.

Es geht dir also darum, in deinen Songs möglichst viel Interpretationsspielraum zu liefern? Oder ist es dir wichtig, dass deine Fans selbst deuten können?

PeterLicht: Ja, das ist mir wichtig, dass jeder die Interpretation aufgreift, die ihm passt.

Arbeitgeberverbandspräsident Dieter Hundt fordert Benimm-Unterricht an deutschen Schulen, so auch der Text eines deiner Songs. Wer hat deiner Meinung nach noch dringenden Nachholbedarf in punkto Anstand und Moral? Und warum?

PeterLicht: Herr Hundt hätte genau den Unterricht nötig, den er fordert. (lacht) Dieser Text zu dem Lied stammt ja gar nicht von mir, das ist eine Pressemeldung von der dpa. Das ist eine originale Pressemitteilung von Dieter Hundt. Man liest sie erst mal und denkt, das ist ja das Übliche, wenn man dann noch mal darüber nachdenkt und sich die Pressemitteilung auf der Zunge zergehen lässt, dann versteht man, was für eine gigantische Zumutung solch ein Ansatz ist. Dass sich jemand hinstellt und sagt, die Arbeitergeber sind diejenigen, die die jungen Menschen, in vielerlei Fällen, zum ersten Mal im Leben mit Regeln und Anstand, Benimm, Moral und Werten in Verbindung bringen. Ich empfinde das als wahnsinnige Zumutung, so etwas zu sagen und zu denken. Gerade, wenn man für eine Vereinigung steht, die gerade mit ihren Werten und Moralvorstellungen an vielen Stellen ganz ins Leere läuft.

Haben auch bestimmte Politiker Nachhilfe in Sachen "Gutes Benehmen", Ehrlichkeit bzw. Political Correctness nötig?

PeterLicht: Das hast du jetzt gesagt. Ich habe nur etwas zu Herrn Hundt gesagt, den Rest kann man sich denken.

Warum ist der Kapitalismus deiner Meinung nach am Ende? Und wenn er tot ist, was kommt danach?

PeterLicht: Wenn ich das wüsste, dann (lacht) wüsste ich das. Natürlich ist der Kapitalismus nicht am Ende, sondern er fängt gerade erst an. Und auf der anderen Seite, kann man spüren, dass irgendetwas zu Ende geht und das auch der Kapitalismus irgendwie zu Ende geht. Man kann nicht einordnen, wo man gerade steht. Auf der einen Seite finde ich wirklich, dass man spürt, es geht etwas zu Ende und es geht eben auch der Kapitalismus zu Ende, in seiner jetzigen Form vielleicht, und dann stellt man fest, es geht etwas anderes weiter, etwas vielleicht noch viel kapitalistischeres. Mir ging es mit diesem Songtitel eher darum, sich damit zu beschäftigen, dass der Kapitalismus zu Ende ist. Das einfach zu behaupten, schlicht einfach die Behauptung – ich finde das reicht schon, für die drei Minuten zwanzig, die der Song lang ist, einfach diese Behauptung aufzustellen und zu sagen: "Es ist vorbei".

Also doch keine Kapitalismuskritik?

PeterLicht: Es ist eine ganz offene Kapitalismuskritik. Aber ein Wort wie Kapitalismus oder den Kapitalismus zu kritisieren, ist, finde ich, wie das Lied gegen die Schwerkraft. Man kann sagen: "Ich finde, die Schwerkraft ist überbewertet." Doch das geht nicht. Wo sollst du da ansetzten? Wo soll der archimedische Punkt da sein? Das gibt es nicht. Das ist einfach ein System. Jeder ist drin. Ich finde es schwierig, zu sagen: "Ich finde den Kapitalismus scheiße". Natürlich finde ich den Kapitalismus scheiße, wenn ich aber auf Tour gehe, dann mache ich einen Verkaufsstand auf und in dem Moment bin ich ein Kapitalist.

Hast du konkrete Forderungen im Sinn? Worauf willst du mit dem Songtext hinaus? Reform des Kapitalismus oder dessen Abschaffung? Oder verstehst du den Song als Zustandsdiagnose?

PeterLicht: Ich finde es schwierig, eine Rangordnung aufzustellen. Auf der einen Seite steht eine Kapitalismuskritik, bei der man auch noch produktiv ein Gegenmodell entwirft. Das ist so wie bei der Kriegsdienstverweigerung, wo man dich fragt: "Wenn du nicht bereit bist mit der Waffe andere Leute zu töten, dann entwirf mir doch mal ein Weltmodell, in dem es keine Gewalt gibt, in dem Gewalt nicht funktioniert?!" Und wenn du das machst, dann kannst du dich hinstellen und sagen, ich nehme keine Waffe in die Hand, ich bin gewaltfrei. Das ist natürlich ein unmögliches Unterfangen, eine unmögliche Sache. Du kannst dir keine Welt ohne Gewalt vorstellen.

Man kann doch aber auch direkt Stellung beziehen, indem man bestimmte Reformvorschläge äußert.

PeterLicht: Ich beziehe total Stellung damit. Klar, der Song ist eine Kritik. Er handelt aber auch davon, dass du auch dem überlassen bist. Einen Reformvorschlag zum Thema Kapitalismus zu machen, ist eigentlich mehr ein Gesellschaftsspiel. Eigentlich eine Logelei. So, wie du abends zusammen sitzt und ein Spiel spielst, so kannst du auch sagen, ich mach Kapitalismuskritik und überlege mir ein paar Reformen. Da sind ja Tausende, Heerscharen dabei, alle Lager, alle politischen Parteien, alle sind dabei, sich zu überlegen, was könnte man für Reformvorschläge zum Thema Kapitalismus machen. Das ist aber alles systemimmanent. Das ist eigentlich nur ein intellektuelles Spiel. Letztendlich funktioniert es sowieso nicht bzw. es läuft alles weiter. Es ist ein Gedankenspiel und Gedankenspiele sind Sandkastenspiele. Du kannst dich natürlich hinstellen und das Sandkastenspiel mitspielen, doch am Ende ist nichts klar. Und der Dampfer fährt weiter.

Das hört sich nach Ohnmacht an.

PeterLicht: Nein, ich finde das überhaupt nicht ohnmächtig. Ich stelle mich ja hin und singe darüber, dass der Kapitalismus zu Ende ist und wenigstens für diesen Moment löst sich die Ohnmacht auf. Was ist Macht, was ist Ohnmacht? Ich fühle mich nicht ohnmächtig!

Deine Songs vermitteln teilweise aber auch eine gewisse Endzeitstimmung – so zumindest eine mögliche Interpretationsvariante. Nicht nur der Kapitalismus, auch der Wohlfahrtsstaat stirbt aus. Gibt es bei so viel Endzeitstimmung dennoch Grund zur Hoffnung?

PeterLicht: Für mich macht es Hoffnung, mich über diese Begriffe hinwegzusetzen. Gerade "Hallo Hallo (Dies Ist der Tag)" ist ein pathetisches Lied. Ich habe mich gefragt, wie kannst du mit so einem Pathos vom Ende des Wohlfahrtsstaates singen? Für mich liegt da die Euphorie der Erkenntnis. Ich kann auch mit Euphorie singen, dass der Wohlfahrtsstaat zur Holle fährt. Und ich stelle das fest, und dennoch geht es weiter.

Direkt und offen euphorisch ist auch der Song "Wir Werden Siegen". Wer sind "Wir"? Und wen gilt es zu besiegen?

PeterLicht: (lacht) Da kann ich eigentlich nur auf das verweisen, was ich eben schon gesagt habe. In diesem Song geht es vorrangig um das Gefühl. Ein Kollektiv wird siegen. Eine schöne Vorstellung. Ich weiß auch nicht womit und wer und wohin, aber wenn es gar nicht mehr anders geht, dann werden wir eben siegen. Und das Gute soll natürlich siegen! Da bestehe ich drauf!

Es geht dir also nicht darum konkrete Aussagen zu treffen, sondern vorrangig darum, Emotionen zu vermitteln?

PeterLicht: Ja, da kann ich mich mit anfreunden, Emotionen zu vermitteln. Ich finde das ist eine elementare Aufgabe der Musik.

Zur aktuellen CD ist auch ein Buch erschienen. Inwiefern ergänzen sich CD und Buch?

PeterLicht: Für mich kommen beide aus der gleichen Quelle. Sie beziehen sich sehr auf einander. Da sind die Lieder und die Platte einerseits und die Geschichten, die Zeichnungen, des Buchs andererseits. Zwischen CD und Buch gibt es ganz enge Zusammenhänge.

Warum schreibst du neuerdings auch?

PeterLicht: Meine Musik ist von der ersten Minute an sehr textlastig und ich habe auch schon immer geschrieben. Für mich hat sich nichts geändert. Ich habe die Texte in eine neue Form gebracht und veröffentlicht.

Ich komme nicht umhin, abschließend doch noch einmal nach einem Foto zu fragen. Dass der Kulturladen mit BITTE NICHT FOTOGRAFIEREN-Schildern plakatiert ist, schreckt mich nicht ab. Um einen Kompromiss zu schließen, kann ich dich ja auch von hinten fotografieren oder Hals abwärts, so mein Angebot. PeterLicht zieht sich galant aus der Affäre: "Die Band ist gerade nicht hier, sonst hätten wir ein Foto von der "Band ohne Kopf" schießen können." Außerdem müsse er ja auch bald auf die Bühne und habe jetzt keine Zeit mehr, heißt es. Im Hintergrund wird schon mächtig gewirbelt, deswegen nehme ich ihm die Abfuhr auch nicht übel. Außerdem habe ich insgeheim ja auch damit gerechnet.

Und dann verschwindet der "große Unbekannte der deutschen Musikindustrie" eilig, um sich auf den folgenden Auftritt vorzubereiten – nach einem Gespräch, bei dem er sich einerseits ins Schweigen gehüllt und nur wenige Details zu seiner Person gelüftet hat, andererseits doch auch tiefe Einblicke gewährte, wenn auch nicht offensichtlich.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Peter Licht

PeterLicht ist und bleibt für das Gros der Indiepop-Connaisseure dieses Landes auf dem Sonnendeck. Die entspannte elektroakustische Sommerflirrerei seiner …

Noch keine Kommentare