laut.de-Biographie
Aphex Twin
Zweifellos ist er eine der wichtigsten Figuren der internationalen Elektro-Szene. In den 80er und 90er Jahren hat Richard Dick James wohl so ziemlich jeden, der in den Genuss einiger Töne seines umfangreichen Schaffens kam, verängstigt oder zumindest verstört. Supergenial, die Musik für das nächste Jahrtausend, jubeln die einen. Aus jener Ecke dürfte auch der Titel "Mozart der Moderne" für den Soundtüftler entstanden sein. Absoluter Müll und nur für Hirnkranke zu ertragen, fluchen jedoch die anderen.
Und genau diese Ambivalenz in seinen Stücken hebt James alias Aphex Twin von dem Allerlei des Popgeschäfts wohltuend ab. Während die Londoner Szene den Acid-House entdeckte, schraubte James an einigen Synthies herum und nahm seine später veröffentlichten "Selected Ambient Works" auf, lange bevor die Begriffe Trance und Ambient mit Musik in Verbindung gebracht wurden. Unter zahlreichen Pseudonymen hat er bereits Platten an den Mann gebracht: Hinter AFX, Polygon Window, Caustic Window oder The Dice Man verbirgt sich niemand Anderes als Richard D. James.
Einen Stil zu propagieren, den er selbst mitkreierte, ist aber ganz und gar nicht Sache des Richard D. James, und so überraschte er seine Fans nach den ersten atmosphärischen Alben mit teilweise intensivem Hardcore-Breakbeat, der selbst Freaks eine Menge an Toleranz abverlangt. Dabei zählt der Mann zu den Workaholics ersten Ranges und schläft nach eigenen Angaben nur zwei Stunden täglich, um genug Zeit für das Komponieren und Betreiben seines Rephlex-Labels zu haben.
Wie kaum ein anderer Künstler hat James sein Werk immer schon weit über die Musik hinausgehend definiert und so verwundert es auch nicht, dass seine innovativen und preisgekrönten Videos für Aufsehen sorgten und aufgrund ihrer offenen Lesart meist zu einem Schattendasein in den Musikkanälen verdonnert wurden. Obwohl "Windowlicker" 1999 in Werbespots von MTV und Eurosport verwurstet wurde, reichte es nicht für den kommerziellen Erfolg. Den Meister selbst stört das wenig. Für ihn ist der Prozess des Musikmachens das Wichtigste. Steht die Platte erst im Laden, bastelt er schon längst an neuen Verrücktheiten für das Kuriositätenkabinett.
Über die Jahre entwickelte Aphex Twin gegenüber seinem Stammlabel Warp ungeahnte Aversionen, da er den einstigen Spirit der Londoner Elektro-Kultschmiede als abhanden gekommen betrachtet. Umso mehr konzentriert er sich daher auf die Vertragserfüllung mit Warp, was sicher auch die 2003er Veröffentlichung des Remixwerks "26 Mixes For Cash" erklärt.
Neben diesen Aktivitäten kümmert er sich vor allem um die Belange seines Labels Rephlex, das in der Zwischenzeit auf über hundert Releases zurück blickt. Hier veröffentlicht neben DMX Krew, Bogdan Raczynski, Luke Vibert alias Kerrier District auch der Meister selbst, zum Beispiel unter dem Namen AFX das Album "Chosen Lords".
Als Aphex Twin verstummt James dann wieder. Erst 2014 kommt er dann urplötzlich mit "Syro" um die Ecke, das vom Warp-Label mit einem über London schwebenden Luftballon in Zeppelinform beworben wird. Und als die Fanmeute sich noch nicht richtig von der Schnapppatmung erholt hat, schiebt der Maestro die EP "Computer Controlled Acoustic – Pt 2" nach. Fast zeitgleich tauchen auf Soundcloud insgesamt 173 Stücke auf, die jemand mit dem kryptischen Usernamen user487363530, user4873635301 und user48736353001 hochgeladen hat. Ein Statement seitens James, ob es sich hier um Archiv-Aufnahmen aus seinem Fundus handelt, erhält man natürlich nicht. Es gilt jedoch als sicher, dass diese Tracks Outtakes aus dem Aphex Twin-Fundus sind. Der Exzentriker weiß eben, wie man sich darstellt, ohne viel zu sagen.
2016 erscheint die EP "Cheetah" inspiriert von dem gleichnamigen Synthesizer, ein sehr rares und teures Unikat, das sich einer komplexen Technologie bedient. Aphex Twin verschickte im Vorfeld der EP Flyer an verschiedene Plattenläden im 70er-Jahre-Stil und lässt das Video zu "CIRKLON3 [Kolkhoznaya Mix]", sein erstes seit dem epochalen Chris-Cunningham-Clip zu "Windowlicker", von einem Zwölfjährigen drehen.
Zwei Jahre später, im August 2018, tauchen in Turin, Los Angeles, London und New York Plakate mit dem Logo des englischen Klangkünstlers auf. Kurze Zeit später wird über Warp die "Collapse EP" für September angekündigt. Das Video zum Track "T69" soll zuerst auf dem Sender "Adult Swim" veröffentlicht werden, aber wird wegen Epilepsie-Warnung nicht mehr ins Programm aufgenommen.
4 Kommentare
"...lange bevor der Begriff Ambient mit Musik in Verbindung gebracht wurde..."
Schon 1978 hat Eno "Ambient 1: Music For Airports" aufgenommen (hat er hier schon einen Meilenstein?)
Ihr habt aber schon mitbekommen, daß ein aktuelles Album (Syro) existiert, welches komischerweise noch keine Review aufweist?! Ich habe es gekauft, es ist sehr gut. Deshalb auch schade, daß es nicht besprochen wurde.
Kommt sicher noch. Wahrscheinlich Warten aufs Promoexemplar.
https://mobile.twitter.com/WarpRecords/sta…