laut.de-Biographie
Hildegard Knef
Vor allem als Schauspielerin kennt man "Die Knef", die im Nachkriegsdeutschland das Erbe von Marlene Dietrich antritt. Neben ihrer grandiosen Kinokarriere, treibt die gebürtige Ulmerin ab den 60er Jahren auch eine Laufbahn als Chansonsängerin voran. Ihr musikalisches Schaffen ist dabei von ebenso eigenwilliger Schönheit wie das ihrer Freundin Marlene. Die wohl berühmteste Umschreibung dieses Sachverhalts liefert Ella Fitzgerald: "Sie ist die größte Sängerin ohne Stimme".
Musik sei etwas ganz Wesentliches in ihrem Leben, beteuert Hilde im Laufe ihrer Karriere immer wieder. Die Texte zu ihren eigensinnigen Stücken schreibt sie ab Mitte der 60er Jahre selbst, über mehr als eine Handvoll Gesangsstunden kommt sie aber nicht hinaus. Zu ihrem eindeutigen Erkennungsmerkmal wird daher nicht ihre technische Brillanz, sondern die rauchig-verruchte Stimme. "Ich hatte nie den Ehrgeiz, gut zu singen".
In kantig-schönen Zeilen wie "Das Glück kennt nur Minuten, der Rest ist Warterei" fasst sie die kollektive Volksseele der Wirtschaftswunderzeit in Worte, die auch heute noch Gültigkeit besitzen. Ihr großes Plus: Man glaubt ihr, was sie singt. Wie keine andere schafft es Hildegard Knef, den Menschen aus den Herzen zu sprechen und dabei nahe und antastbar zu bleiben. "Ich kenne die heutige Zeit nicht sehr gut. Genauso wenig, wie ich damals meine Zeit kannte. Ich kenne nur mich und meine Reaktionen auf das, was um mich herum geschieht", sagt sie in den 90er Jahren.
Den Grundstein für ihre Laufbahn als Sängerin legen die Dreharbeiten zu "Schnee am Kilimandjaro" (1952). Darin muss sie eine Cole Porter-Nummer singen, von der Porter so angetan ist, dass er ihr die Hauptrolle in seinem Broadway-Musical "Silk Stockings" ("Seidenstrümpfe") nahe legt. Erst zehn Jahre später begegnet Knef ihrem musikalischen Ausdruckswillen mit dem nötigen Ernst und veröffentlicht 1962 ihr Debütalbum "So oder so ist das Leben". Zehn weitere Soloalben und eine unüberschaubare Vielzahl an Samplern, Compilations und Best-Ofs legen bis heute ein beeindruckendes Zeugnis ihrer musikalischen Zeitlosigkeit ab.
1965 nimmt sie ihr zweites Album "Hildegard Knef spricht und singt Kurt Tucholsky" auf. Bereits wenige Monate später etabliert sie sich mit "Ich seh die Welt durch deine Augen" endgültig als intelligente Chansongöre. 1966 geht sie mit Günter Noris und seiner Big Band auf Tournee. 1968 wird sie als beste deutschsprachige Sängerin ausgezeichnet und erhält mehrere Goldene Schallplatten für über drei Millionen verkaufte Exemplare.
All das war nicht vorgezeichnet: Hildegard Frieda Albertine Knef kommt am 28. Dezember 1925 in Ulm zur Welt. Nach einer entbehrungsreichen Jugend, in der sie eine Kinderlähmung übersteht, absolviert sie in München Anfang der 40er eine Ausbildung als Trickfilmzeichnerin. Parallel dazu studiert sie Schauspiel an der Babelsberger Filmhochschule.
Nach Kriegsende und den traumatischen Erfahrungen in einem russischen Gefangenenlager erhält sie ihre erste kleine Filmrolle in "Unter Den Brücken" und zieht nach Berlin, wo sie Engagements am Theater wahrnimmt. Den Durchbruch schafft sie bereits ein Jahr darauf mit "Die Mörder Sind Unter Uns", in dem sie eine ehemalige KZ-Inhaftierte verkörpert. 1948 wird sie bei den Filmfestspielen in Locarno mit der besten weiblichen Hauptrolle für "Film Ohne Titel" ausgezeichnet, der einer ihrer Lieblingsfilme wird.
Sozialkritische Inhalte und vor allem eine Nacktszene der Knef in der harmlosen Schmonzette "Die Sünderin" (1951) bringen ihr im prüden Nachkriegsdeutschland vernichtende Kritiken und einen handfesten Kino-Boykott ein, was in Amerika wiederum wohlwollend zur Kenntnis genommen wird. "Die Sünderin" läuft im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit großem Erfolg und setzt Hildes internationale Karriere richtig in Gang.
Ab 1952 folgen etliche Hollywood-Produktionen, zu deren bekanntesten "Schnee Am Kilimandjaro" (1952), "Die Dreigroschenoper" (1963) und "Wartezimmer Zum Jenseits" (1964) zählen. 1954 feiert sie als Kommissarin Ninotschka in erwähntem Cole Porter-Musical ihre Broadway-Premiere und spielt sich mit über 670 Vorstellungen in die Herzen der New Yorker. Selbst ihr Vorbild Marlene Dietrich, die seinerzeit in New York wohnt, besucht Vorstellungen und ist vom Knef'schen Darstellungstalent schwer begeistert.
1970 wird ein einschneidendes Jahr für die Berlinerin. Zunächst erscheint ihr ambitioniertes Album "Knef", für das sie mit ihrem Langzeit-Arrangeur Hans Hammerschmid neue Wege geht und sich aus dem Chanson-Korsett löst. Das Publikum geht auf Abstand, das Album floppt. Doch Knef hat gar keine Zeit, darüber zu trauern, denn kurz darauf wird ihre Autobiografie "Der geschenkte Gaul" zu einem Sensationserfolg. Statt Konzerte absolviert sie daher zahlreiche Lesungen, bevor sie ihr Schaffen aufgrund einer Krebsdiagnose für mehrere Jahre unterbrechen muss.
Ihre diesbezüglichen Erfahrungen verarbeitet sie in dem zweiten Buch "Das Urteil". Es folgen schwere Jahre: Knef leidet unter der schweren Abhängigkeit der Morphium-Ersatzdroge Methadon und der Scheidung des zweiten Ehemanns David Cameron, der auch ihre Alben produzierte. Einen bitteren Kampf um das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter Christina gewinnt die Musikerin.
Bereits 1977 erhält Hildegard Knef den Deutschen Lebenswerk-Filmpreis, 2000 zusammen mit dem Echo Standing Ovations der anwesenden deutschen Musikindustrie. 2001 folgt der Bambi für ihr Lebenswerk, das insgesamt 39 Filme, 11 Langspielplatten, drei Bücher und zahllose Gemälde umfasst. Von 1982 bis 1989 lebt Knef in Los Angeles, anschließend zurückgezogen in Berlin. Mit Extrabreit covert sie Anfang der 90er ihren Hit "Für Mich Soll's Rote Rosen Regnen", tritt bei VIVA auf und ist gern gesehener Talkshowgast. 1999 betritt sie wieder ein Aufnahmestudio und feiert mithilfe von Trompeter Till Brönner ein Albumcomeback ("17 Millimeter").
Hildegard Knef stirbt am 1. Februar 2002 an den Folgen einer Lungenentzündung. Mit "A Woman And A Half" erscheint noch kurz zuvor eine Kino-Dokumentation, die das Multitalent noch einmal an verschiedene Stätten der eigenen Vergangenheit führt und eine würdige Hommage an einen der größten deutschen Stars darstellt. Die Regisseure Clarissa Ruge und Matthias Zuber trafen die Knef bereits zu Gesprächen, die zum Fundament des gleichnamigen Buches führten.
2005 und 2015 erscheinen zu ihren runden Geburtstagen zahlreiche Werke der Sängerin, Schauspielerin und Buchautorin noch einmal in neuer Form: Die Compilation "Schöne Zeiten - Ihre Unvergessenen Singles", die alle A- und B-Seiten der Knef zwischen 1962 und 1979 für ihre damaligen Plattenfirmen Teldec und Philips versammelt, die lange vergriffenen Studioalben "Knef" und "Worum Geht's Hier Eigentlich" (Knef und die Les Humphries Singers, 1971) oder die 4-CD-Box "Ich Bin Den Weiten Weg Gegangen" mit unglaublichen 95 Knef-Songs.
Auch Tributes an die Grand Dame finden den Weg in den Handel: 2005 die Platte "Ihre Lieder Sind Anders" mit u.a. Paula, Stereo Total, Richard v. d. Schulenburg (Die Sterne), Die Moulinettes und Justus Köhncke. Zehn Jahre später folgt "Für Hilde" mit Neuinterpretationen von Selig, Die Fantastischen Vier, Johannes Oerding und Mark Forster. Erstmals erscheinen auch drei bislang unveröffentlichte Texte aus Knefs Feder, derer sich Bela B & Bonaparte, Jupiter Jones und Nisse annahmen. Ihre filmische Ehre erhielt Hildegard Knef bereits 2009 mit dem Kinofilm "Hilde", in der sie von Heike Makatsch überzeugend dargestellt wurde.
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