laut.de-Biographie
Iggy Pop
Trotz seines Alters sind die Liveauftritte des am 21. April 1947 geborenen James Osterberg noch immer ihr Geld wert - auch nach der Jahrtausendwende. Jüngere Semester scheinen nach einer Iggy Pop-Show plötzlich zu begreifen, was an Punkrock ursprünglich mal so geil war. Schon 1962 startet James als Drummer, u.a. bei den Iguanas. Die Idee, eine provokant-aggressive Band wie die Stooges zu gründen, kommt dem jungen Detroiter, Sohn eines Lehrer-Ehepaars, nach einem New Yorker Doors-Konzert in den späten 60ern. Hin und weg registriert der Hänfling, wie ein trunkener Jim Morrison seinem Mainstream-Publikum anstatt der Hitsingle "Light My Fire" einen anstrengenden Performance-Mix aus Bariton- und Kopfstimme zumutet, der mit 'nervtötend' noch unzureichend beschrieben ist.
Der Doors-Auftritt endet vorzeitig, das Publikum buht die Band von der Bühne, nur Osterberg ist fasziniert. Anstatt den bekannten Konventionen zu folgen, lebt ihm Morrison an diesem Abend eine Anti-Haltung vor, die der bis dahin recht brave Detroiter zu Imitation und Weiterentwicklung anstachelt.
Fortan nennt sich Jim Osterberg Iggy Pop, seine Band sind The Stooges, die in der Zeit ihres Bestehens bis 1974 nur drei Alben aufnehmen. Sein Künstlernachname bezieht sich übrigens nicht auf die Musikrichtung Pop - bei einem der ersten Stooges-Auftritte rasiert sich Iggy die Augenbrauen ab, was seine Kumpels spontan an einen nervenkranken Ex-Mitschüler erinnert, der ohne Haare und Augenbrauen ausgestattet war. Sein Name: Jim Pop.
Zwar bejubeln Musikpresse und Konzertbesucher die aggressive Stimmung des rohen Stooges-Sounds, auf LP-Absatzzahlen hat der gute Ruf allerdings wenig Einfluss. Ähnlich den Kollegen von Velvet Underground entdeckt die breite Öffentlichkeit die Band erst viel später, im Stooges-Fall zur Punk-Bewegung in den späten 70ern, als Iggy bereits Soloerfolge feiert.
Und wie Sid Vicious bleibt Iggy Pop in jener Zeit mehr durch seine ständigen Drogenexzesse und Entziehungskuren in den Schlagzeilen, als mit neuen musikalischen Erzeugnissen. Dass ihn sein alter Kumpel David Bowie 1976 mit nach Berlin nimmt, rettet den strauchelnden Detroiter, zumal ihn Bowie beim Majorlabel RCA unterbringt. Die beiden 1977er Alben "The Idiot" und "Lust For Life", die das Duo gemeinsam komponiert, verkaufen sich weit besser als die alten Stooges-Alben. Besonders in England festigt sich Pops Ruf als Punk-Ikone.
Dennoch kann er gerade aus dem hitlastigen "Lust For Life"-Album keinen Profit schlagen, da kurz nach der Veröffentlichung Elvis Presley stirbt und RCA die Presswerke mit Wiederveröffentlichungen des Kings auslastet. Nachdem die erste Auflage von "Lust For Life" verkauft ist, gibt es lange keine Nachpressungen. Iggy reagiert entsprechend sauer. Als vertraglich vereinbartes drittes Album für RCA kleistert er mit "TV Eye Live 1977" schnell und lieblos ein Album mit acht Songs aus drei US-Städten zusammen. Der Legende nach erhält er von RCA hierfür einen 90.000 Dollar-Scheck. Iggy lässt das Album in Berlin für 5.000 Dollar mischen und steckt den Rest in die eigene Tasche.
"New Values" erscheint 1979 bei Arista und ist das vorerst letzte gute Album des Detroiters. Mit "Soldier" und "Party" verliert er sich in den ständigen Rufen der Labelbosse, sich dem Zeitgeist anzupassen und gefälligst einen Hit abzuliefern. 1982 erscheint seine Autobiografie "I Need More", ein schonungsloser Abriss über den puren Rock'n'Roll, den Iggy seit 1967 vorlebt. Das in Haiti aufgenommene Album "Zombie Birdhouse" floppt derart, dass Iggy danach eine vier Jahre lange Pause einschiebt. Mit "Blah Blah Blah" und dem Cover "Real Wild Child (Wild One)" feiert Iggy dann nach langer Zeit wieder einen Charterfolg. Einige Songs steuerte der alte Freund Bowie bei. Iggys Durchhaltevermögen scheint sich auszuzahlen. Sein Album "Brick By Brick" erntet 1990 Gold in den USA, maßgeblich dank des Single-Duetts "Candy" mit B-52's-Sängerin Kate Pierson. Kurze Zeit später verhilft ihm eine neue Welle an Rockbands - Nirvana, Mudhoney oder Soundgarden - zu neuer Popularität bei der nachwachsenden Generation. Vor allem aber sorgt "Lust For Life" als Titelsong des '96er Kultfilms "Trainspotting" dafür, dass Iggy endgültig wieder hip ist bei der Gitarrenjugend.
Worauf viele Stooges-Anhänger über die Jahre vergeblich warten, ist aber eine Reunion der Detroit-Legende. 2002 lässt sich Pop erweichen und komponiert vier Songs gemeinsam mit den Asheton-Brüdern, die allesamt auf seinem Soloalbum "Skull Ring" erscheinen. Eine Stooges-Reunion folgt schließlich im Jahr 2003 zunächst auf amerikanischem Boden (Coachella!), später auch in Europa.
Die alten Kumpels verstehen sich prächtig, was 2007 tatsächlich in ein Comebackalbum namens "The Weirdness" mündet. Während Iggy und Kollegen endlich die Meriten eintreiben, die das Trio schon Anfang der 70er verdient gehabt hätte, feiert Mr. Osterberg am 21. April 2007 seinen 60. Geburtstag.
Ruhiger angehen lässt er es deshalb noch lange nicht. Die folgende Tour mit den Stooges - u.a. als Headliner des renommierten Glastonbury Festivals - versprüht eine nahezu unfassbar rohe Energie. Auch kleine Rückschläge wie ein gestohlener Tourbus, hält die alten Recken nicht davon ab, nahezu überall in Europa und den Staaten triumphale Shows abzuliefern. Wie sich herausstellen sollte, kam die Reunion gerade noch rechtzeitig. Am 6. Januar 2009 stirbt Stooges-Gitarrist Ron Asheton im Alter von 60 Jahren überraschend an Herzversagen. Mit dem Album "Preliminaires" kehrt Iggy wenige Monate nach dem Tod seines Freundes als Solokünstler zurück und begibt sich in die Welt der Chansons - ein Ausflug, den er 2012 auf "Après" wiederholt. Im März 2010 erfolgt für den Elder Statesman des Punk dann der überfällige Ruf in die Rock and Roll Hall of Fame. Für den Sehnigen kein Grund, die Füße hochzulegen, sowohl als Solokünstler als auch mit seinen Stooges ("Ready To Die") bleibt Iggy aktiv und unberechenbar.
Letzteres manifestiert sich 2016 in voller Blüte: Ohne dass es Außenstehende erfahren, werkelte er im Geheimen mit Queens Of The Stone Age-Chef Josh Homme an einem Album, das unter dem Titel "Post Pop Depression" am 18. März als regulär 17. Soloalbum seiner Diskographie erscheint. "Viele Typen in meinem Alter wollen nicht aus ihrer Komfortzone, denn wenn du mal eine Legende bist, willst du diesen Ruf nicht verlieren", erzählt der 68-Jährige. Mit Homme habe er daher bewusst einen jüngeren Partner für eine Kooperation angefragt, um sich selbst herauszufordern. Das Album wird zu Iggys kommerziell erfolgreichster Studioarbeit samt ausverkaufter Tournee, von der ein formidabler Mitschnitt aus der Londoner Royal Albert Hall kündigt. Den Aufnahmeprozess des Albums mit Arctic Monkeys-Drummer Matt Helders und QOTSA-Gitarrist Dean Fertita in der kalifornischen Wüste hält der Film "American Valhalla" fest.
Während der "Post Pop Depression"-Tour bitten ihn Underworld in ein Hotel, um über den geplanten "T2 Trainspotting"-Soundtrack zu sprechen. Doch plötzlich findet sich Pop überraschend in einem Mini-Studio wieder, in dem bereits ein Mikro für ihn aufgebaut wurde. Überrumpelt, aber auch interessiert, willigt Iggy ein, ein paar Vocals beizusteuern. Das Ergebnis erscheint 2018 und hört auf den Namen "Teatime Dub Encounters".
2019 schlägt er wieder einen Haken und veröffentlicht mit "Free" ein ruhiges, jazzig angehauchtes Album, das seinen Spoken Word-Vortrag in den Mittelpunkt stellt. 2020 waren wieder Auftritte in Europa geplant, die aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden. Zwischendurch erscheint mit der 7-CD-Box "The Bowie Years" eine Hommage an seine Zeit mit Bowie in Berlin.
Auf einen leisen Abschied von der Rock'n'Roll-Bildfläche hatte The Ig dann aber auch keine Lust. Vier Jahre nach seinem Ambient-Jazz-Album erscheint im Januar 2023 "Every Loser", ein brandneues Studioalbum, das er gemeinsam mit Produzent Andrew Watt komponierte. Schon der Vorabsong "Frenzy" ledert ordentlich los und birgt einige seiner hochkarätigen Gäste. Mit dabei sind Duff McKagan (Guns N' Roses), Josh Klinghoffer und Stone Gossard (Pearl Jam), Chad Smith (Red Hot Chili Peppers), Dave Navarro, Chris Chaney und Eric Avery (Jane's Addiction), Travis Barker (Blink 182) und sogar der im März 2022 verstorbene Foo Fighters-Drummer Taylor Hawkins.
Ein Leben abseits der Bühne kann sich der Mann trotzdem noch nicht vorstellen. 2023 lässt er sich wieder von seinen europäischen Fans feiern, standesgemäß auf großen Festivals. Im Londoner Crystal Palace Park zusammen mit Blondie und den Buzzcocks, in Mannheim und Wien mit den Red Hot Chili Peppers. Die Setlist des mittlerweile 76-Jährigen ist ein How-to-rock-big-crowds-Manual: Die-Hard-Fans erfreuen sich an Stooges-Hits und dem raren Albumtrack "Five Foot One", die Masse zelebriert "Lust For Life" und "The Passenger", zwischendurch serviert Iggy behutsam zwei Songs vom neuen Album "Every Loser": Der Alte kann's eben.
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