21. Juni 2018

"Die meisten halten nicht so lange durch"

Interview geführt von

Auf seinem fünften Album "Lost And Found" nimmt sich Andreas Kümmert die Verantwortung im Songwriting zurück, die er auf den beiden Post-Voice Of Germany-Alben vermisste und baut sein musikalisches Spektrum Richtung modernem Pop aus.

Ins Profil eines typischen Castingshow-Gewinners passt Andreas Kümmert nach wie vor nicht. Statt extrovertiert in die Öffentlichkeit zu drängen, hält sich der Unterfranke eher zurück, spricht lieber ein paar Worte zu wenig als zu viel. Doch im Gegensatz zu "typischen Castingshow-Gewinnern" verschwand Kümmert nicht nach einem Album wieder in der Versenkung, sondern ist auch fünf Jahre nach seinem Sieg bei Voice Of Germany noch in der deutschen Poplandschaft präsent – trotz seines ESC-Skandälchens 2015. Anlässlich seines neuen Albums "Lost And Found" telefonierten wir zu ihm nach Hause.

Du hast gerade eine Tour hinter dich gebracht – wie lief es denn? Habt ihr schon neue Songs gespielt?

Andreas Kümmert: Ja, zwei Songs des kommenden Albums haben es ins Set geschafft. Und es lief recht gut, würde ich sagen. Die Sold Out-Quote lag bei 90 Prozent, glaube ich.

Warum wolltest du eigentlich kurz vor Albumrelease noch eine Tour absolvieren? Spätere Termine sind ja ebenfalls bereits gebucht.

Ich spiele einfach sehr gerne live. Wenn ich nicht live spiele, habe ich immer das Gefühl, dass ein gewisser Leerlauf entsteht. Mir ist das sehr wichtig.

Wenn du dir deine Fanbase heute ansiehst, wie groß ist der Anteil derjenigen, die dich von Voice Of Germany kennen verglichen mit denen, die dich "auf dem Weg" kennengelernt haben?

Das ist schwer einzuschätzen. Aber es gibt natürlich schon einige, die mir das im Anschluss an ein Konzert sagen. Ich gebe immer noch Autogramme hinterher und da höre ich schon ab und zu: "Ich verfolge dich seit Voice Of Germany." Aber prozentual kann ich dir das nicht sagen.

Die Songs auf "Lost And Found" unterscheiden sich stilistisch teils erheblich von deinem bisherigen Schaffen. Welche Auswirkungen hat das auf die Liveshows?

Ich denke, die Stücke werden live wohl organischer gespielt werden. Auf dem Album habe ich versucht, in der heutigen Musikwelt zu bestehen. Ich wollte einen Spagat hinbekommen zwischen meinem Ursprung und dem, was man braucht, um in der heutigen Musiklandschaft zu überleben.

Heißt das, du hältst die Musik, die du vorher gemacht hast, für nicht mehr zeitgemäß?

Ich glaube schon, dass die Musik, die ich gemacht habe, eine ist, die Bestand hat. Aber sie existiert eben auch in einer Nische.

"Meine Songs waren damals wohl nicht gut genug"

Du nennst "Keep My Heart Beating" als den Knotenlöser, der dich letztlich auf den neuen Weg gebracht hat. Erzähl doch mal wie der Song enstanden ist.

Es gab eine Drucksituation in meinem Leben, in der ich mich entscheiden musste, ob ich weiterhin bei einem Major-Label bleiben oder einen anderen Weg einschlagen möchte. Ich selbst habe mich deswegen sehr unter Druck gesetzt. Deswegen fiel es mir plötzlich sogar recht leicht, die Nummer zu schreiben.

Also ist der Song nicht nebenher durch bloßes Rumprobieren entstanden, sondern eine bewusste Entscheidung ging dem Voraus?

Klar habe ich mich irgendwo ausprobiert, das schon. Es gibt doch beim Songschreiben keine Rezeptur oder Mathematikformeln. Ich versuchte, etwas mit Wiedererkennungswert zu schreiben. Es ist schwer das zu beschreiben und über seine eigene Musik im Nachhinein noch zu urteilen.

Gab es bestimmte Einflüsse dafür? Hast du begonnen, mehr moderne Musik zu hören? An sich bist du ja eher Fan der Musik der 60er, 70er etc, oder?

Ja, ich sage mal 60er bis 90er fand ich immer sehr cool. Das höre ich bewusst. Aber natürlich habe ich immer mal wieder Schnipsel aus dem Radio aufgesogen, wenn ich zum Beispiel bei jemandem im Auto mitgefahren bin oder bei meinen Eltern zuhause war. Meine Mutter hört quasi den ganzen Tag Radio. (lacht)

Mit Jules Kalmbacher und Jens Schneider hattest du zwei Produzenten an der Hand, die gut im Mainstream-Geschäft unterwegs sind und unter anderem schon mit Mark Forster, Max Giesinger und Tim Bendzko gearbeitet haben. Hast du die beiden ausgewählt oder wurden sie dir zur Seite gestellt?

Ich kannte die beiden vorher nicht. Aber "zur Seite gestellt" klingt immer ein wenig wie "aufgezwungen". So wars nicht. Es werden Leute vorgeschlagen und ich belehre mich dann ein bisschen über sie ... stöbere in ihren Wikipedia-Einträgen. (lacht) Dann entscheide ich, wen ich nehme.

Wie lief die Arbeit mit ihnen im Studio ab?

Sehr entspannt. Natürlich wird einem alles abverlangt, aber das muss eigentlich bei jedem Album so sein. Man hat mir alle Freiheiten gelassen, was mir sehr wichtig war. An der Produktion selbst habe ich mich aber eher wenig beteiligt – ich habe die paar Gitarren eingespielt, die es gibt und natürlich gesungen, aber die restliche Instrumentierung übernahmen andere.

Dafür lag das Songwriting diesmal wieder komplett in deiner Hand. Im Pressetext wirst du im Hinblick auf die Zeit davor wie folgt zitiert: "Ich habe in der letzten Zeit viele Songs geschrieben, die einfach nicht gut genug waren." Glaubst du, das lag zum Teil vielleicht auch daran, dass du bei den Alben vorher eben mit anderen Songwritern zusammengearbeitet hast und es deshalb bis zu gewissem Grad auch gar nicht nötig war, dass du gutes Zeug schreibst oder du frustriert warst, dass deine Ideen abgeschmettert wurden?

Diese Aussage bezieht sich eigentlich nur auf den Songwriting-Prozess zum aktuellen Album. Du schreibst ja insgesamt um die 30, 40 Songs, von denen dann 10, 12 auf dem Album landen. Aber beim Album, das direkt nach Voice Of Germany herauskam ("Here I Am"), hatten wir ein extrem enges Zeitfenster und, ja, meine Songs waren damals wohl tatsächlich nicht gut genug, um es auf ein Album zu schaffen bzw. hätte mir die Zeit gefehlt, sie noch besser auszuarbeiten. Vor Voice Of Germany gab es dagegen zwei Alben, die ich komplett allein geschrieben und produziert habe. Es war schon nicht leicht für mich, solche Verantwortung zwischenzeitlich abzugeben. Bei "Recovery Case", dem Vorgänger zu "Lost And Found", werkelte ich dann immerhin als Co-Writer zusammen mit Christian Neander (Selig). Damit ging es mir definitiv besser. Allein schon deshalb, weil ich wieder selbst mitbestimmen konnte, was ich – auch live – vortrage. Fremde Songs vorzutragen hat etwas von einer Prothese.

"Die Angststörung soll nicht mein Leben beeinträchtigen"

Bereust du deine Teilnahme bei Voice Of Germany manchmal, weil du dadurch einen Stempel mit dir herumträgst?

Eigentlich gar nicht. Natürlich bleibt die Konstante, dass Musikhörer sagen: "Okay, den kenne ich aus dieser Show." Aber man sieht ja auch, was danach passiert ist. Deswegen werde ich darauf auch nicht mehr reduziert. Viele, die im Kontext einer Castingshow bekannt werden, halten nicht so lange durch.

Du hattest dich immerhin auch vor der Show schon alleine als Musiker durchgeschlagen und dir einen gewissen Status erarbeitet.

Genau, ich habe auch vorher schon von der Musik gelebt. Das war auf jeden Fall eine große Hilfe.

Vor mittlerweile drei Jahren hast du trotz gewonnenen Vorentscheids auf die Teilnahme am Eurovision Song Contest verzichtet. Du hattest Gründe dafür, trotzdem folgte ein öffentlicher Aufschrei. Wie fielen eigentlich die Reaktionen innerhalb der Branche auf deine – wie ich finde mutige – Entscheidung aus?

Erstaunlich positiv, zumindest vonseiten meiner Plattenfirma und meines Teams. Sie haben zu mir gehalten, mich unterstützt und eben auch den Vertrag aufrecht erhalten. Der negativste Beigeschmack an dieser Sache ist für mich, dass viele mediale Kanäle, zum Beispiel Radiosender, sich verschließen und sagen: "Nee, darauf lassen wir uns nicht ein. Am Ende kommt er nicht." Das erschwert natürlich die Albumpromotion – auch jetzt noch, obwohl das ja inzwischen eine Weile zurückliegt.

Sollte sich eine zweite ESC-Gelegenheit für dich bieten – würdest du sie nutzen?

Nein, das ist abgehakt.

Als Grund für den Rücktritt gabst du eine Angststörung an. Im Booklet zu "Lost And Found" führst du in der Danksagung ein Antidepressivum auf...

Hahaha, ja, stimmt.

Bist du noch in Behandlung?

Ja, ich bin immer noch in Behandlung und stehe auch unter Medikation. Aber die Erwähnung in der Danksagung ist eher etwas süffisant und schwarzhumorig gemeint.

Dachte ich mir, vor allem da direkt daneben noch "Glücksbärchis" steht.

Hehehe.

Hilft dir dieser offene, humorvolle Umgang mit der Krankheit?

Ja, ich bin bereit darüber zu reden und kann es nun mal nicht verbergen. In einer NDR-Talkshow habe ich zum Beispiel schon recht ausführlich darüber gesprochen.

Du wolltest damals weg von den großen Bühnen, hast dich zurückgezogen. Fühlst du dich inzwischen wieder in der Lage, auch vor größeren Mengen aufzutreten?

Ich bin mittlerweile stabil. Und wenn wir im Sommer bei Festivals auftreten, spielen wir teilweise vor 3.000 Leuten. Letztlich möchte ich dort ja wieder hin – das ist mein Ziel. Die Angststörung soll nicht mein Leben und meine Entscheidungen als Musiker beeinträchtigen.

Vordergründig geht es in deinen Texten oft um Liebe, in Untertönen beschäftigst du dich darin aber auch mit der Depression, sehe ich das richtig?

Klar, das fließt immer ein bisschen mit ein. Man kann das ja nicht richtig steuern. Natürlich kann ich die Texte noch durchlesen und etwa rausnehmen. Aber wenn es eben mit einfließt, sollte es auch drinbleiben. Alles was einen beeinflusst, spiegelt sich irgendwie in den Texten wider – ob man jetzt Schriftsteller oder Songschreiber ist.

Apropos Schriftsteller: Vor zwei Jahren hast du deinen ersten Gedichtband veröffentlicht. Er hieß "Lyrik I". Klingt, als würde irgendwann "Lyrik II" folgen.

Geplant ist nichts. Das war die Verwirklichung eines kleinen Wunsches. Das Buch erschien ja nur in sehr limitierter Auflage, ich habe das alles selbst organisiert, drucken und binden lassen.

Ist das Schreiben von Gedichten und Lyrics bei dir ein Prozess oder läuft das getrennt? Nutzt du manchmal auch Gedichtpassagen für einen Song?

Das läuft eher getrennt. Wenn ich zuhause für mich etwas aufschreibe, gehe ich erstmal nicht davon aus, dass das irgendwann mal jemand liest – außer eben im Rahmen dieses kleinen Gedichtbandes. Deshalb fließen hier natürlich wirrere und rohere Gedanken mit ein. Beim Songschreiben muss es natürlich einem Massenpublikum genügen. Okay, vielleicht keinem "Massen"-Publikum, aber doch mehr Leuten als zum Beispiel nur meiner Familie...

Hilft dir beim Herausbilden deines wie du meinst etwas massenkompatibleren Songlyric-Stils, dass du dieses andere, private, rohere Outlet hast?

Auf jeden Fall! Das funktioniert wie ein Katalysator. Und es hilft mir im Alltag. Es vergeht eigentlich kein Tag, an dem ich nicht irgendwelche Sätze aufschreibe. Ich möchte es nicht Tagebuch nennen und die Dinge, die ich aufschreibe, hängen oft auch gar nicht zusammen. Aber bei all den Sätzen, die ich so sammle, kann es natürlich auch mal passieren, dass sich aus einem ein Song entwickelt, wenn man etwas daran schleift.

Mit Blick auf die Zukunft: Möchtest du den jetzt mit "Lost And Found" eingeschlagenen musikalischen Weg weitergehen oder könntest du dir vorstellen, beim nächsten Album wieder zum alten Sound zurückzukehren?

Ich habe mich noch nicht festgelegt. Es kommt was kommt. Ob die nächste Platte wieder anders oder noch futuristischer klingen soll, kann ich so noch nicht sagen.

Aber grundsätzlich hegst du momentan keine Aversion dagegen, noch energischer die Pop-Richtung einzuschlagen?

Mmh, es soll schon noch organisch klingen. Dieser typische Radiopop wäre dann einfach nicht mehr ich.

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