4. Juli 2001

"Wir wollten so sein wie Bon Jovi oder Guns N' Roses"

Interview geführt von

Jetzt steht Tim wahrhaftig vor mir. Sieht so gut aus wie auf den Fotos. Naja, ein bisschen blass und viel kleiner, als man ihn sich vorstellt, aber sooo freundlich.

Ihr seid mit dem neuen Album "Free All Angels" zum Pop zurück gekehrt, dem ihr auf eurem letzten Album den Rücken gekehrt hattet. Wie kam das?

Tim: "Nu-Clear Sounds" war eine sehr dunkle Zeit für uns. Wir haben damals alle Dämonen loswerden wollen, die in uns saßen. Wir haben einfach angefangen Songs zu schreiben und das war, was dabei rauskam!

Mark: Wir dachten damals, dass die Presse uns schlachten würde, wenn wir wieder ein Popalbum wie "1977" machen würden, also haben wir versucht, etwas anderes zu machen.

Habt ihr nach "Nu-Clear Sounds" Druck von der Plattenfirma bekommen, weil das Album nicht so getoppt ist wie "1977"?

Tim: Nein, die waren nach "Nu-Clear Sounds" einfach nicht mehr so an uns interessiert! Wir hatten sehr viel Zeit danach, denn niemand wartete auf einen Nachfolger. Ich glaube unsere Plattenfirma hat nicht erwartet, dass wir mit einer solch starken Platte zurückkommen würden. Also kam aller Druck einzig und allein von uns selbst.

Habt ihr das neue Album darauf hin geplant oder sind die Songs nebenbei entstanden?

Tim: Nee, wir haben das nicht geplant. Wir haben 30 Songs geschrieben, die alle ziemlich verschieden waren. Wir hatten keine generelle Idee. Wir haben dann einfach die rausgesucht, die den besten Beat hatten, die einfach diese Feel Good-Stimmung verbreiten. Denn die meisten Gitarrenbands die im Moment aus den UK kommen machen ziemlich depressives Zeug.

Mark: Ich glaube wenn wir schon wieder ein Album wie "Nu-Clear Sounds" gemacht hätten, hätte uns die Plattenfirma sowieso rausgeschmissen.

Tim: Sie hätten das Album vielleicht nicht mal veröffentlicht.

Im Zusammenhang mit Nu-Clear Sounds habt ihr oft von einem Burn Out-Syndrom gesprochen. Wie seid ihr das wieder losgeworden?

Tim: Ich glaube, da hat die Australien-Tour viel geholfen. Die hat irgendwie alles wieder ins Lot gebracht: die Sonne, gutes Bier, die Strände ... und die bitches. (lachen) Nee, war'n Witz!

Warum seid ihr nach "1977" so ausgerastet?

Tim: Wir sind ziemlich lange auf Tour gewesen und haben nie richtig Pause gemacht. Schon bevor "1977" raus kam waren wir auf Tour. Ungefähr vier Jahre lang ...

Mark: ... hatten wir keine Pause.

Tim: Wir waren immer auf Tour und wurden einfach müde. Wir hatten die ganze Zeit Party gemacht, uns betrunken, hatten einen Kater nach dem anderen und haben dabei noch ziemlich hart gearbeitet ... Dann die vielen Interviews und Gigs und dann das Herumreisen (klingt nicht so, als ob er sich darüber beschwert). Wir waren damals einfach sehr jung und es wurde alles ziemlich massiv.

Was ist aus all dem Drogenkonsum und den Exzessen geworden - immer noch an der Tagesordnung?

Tim: Ja, wir machen immer noch sehr viel Party, aber wir wissen jetzt besser wie man damit umgeht.

Mark: Wir halten die Dinge jetzt nicht mehr für selbstverständlich.

Tim: Nachdem "1977" so riesig wurde dachten wir, dass alles, was wir machen, positiv aufgenommen würde. Als "Nu-Clear Sounds" dann nicht so gut lief, war das wie
ein Schock für uns.

Fühlt ihr euch manchmal immer noch müde, wird euch das Ganze ab und an zu viel?

Tim: Nein, das wird alles immer leichter. Das war nur sehr anstrengend, als wir es zum ersten Mal gemacht haben. Wir wussten nicht, was uns erwarten würde.

Mark: Die Leute wissen jetzt auch einiges über uns. Wir müssen denen unsere Geschichte nicht immer wieder erzählen.

Tim: Jetzt stellen sie uns auch viel interessantere Fragen. Wir haben jetzt einfach mehr worüber wir sprechen können, als nur über unsere Eltern.

Wo habt ihr die Energie für euer neues Album hergenommen? Auch aus Australien?

Tim: Ja, von den beaches und den bitches. (lacht) Naja, das neue Album ist viel positiver. Wir haben eine Pause gemacht, nachdem wir mit dem Touren fertig waren. Wir sind erst zurück nach Nordirland gegangen und sind dann ein bisschen durch die Welt gereist. Wir haben Abstand vom Ganzen bekommen. Dabei haben wir festgestellt, wie gerne wir das eigentlich machen und dass wir weitermachen wollen. Das hat uns unsere Energie wieder gegeben.

Hat diese Pause auch die Inspiration für die neuen Songs mit sich gebracht?

Tim: Ja, es war schon gut, dem Ganzen mal zu entkommen. Wenn du mit der Band unterwegs bist, fühlst du dich wie in einer Luftblase. Du fährst zu deinem Auftrittsort und musst da bleiben, du siehst einfach nicht viel von der Welt um dich rum.

Verliert man da den Boden unter den Füßen?

Mark: Wenn man konstant auf Tour ist und quasi im Bus lebt wird man fast schon verrückt, so wie die Segler, die früher unheimlich lange auf einem Schiff zusammengepfercht waren.

Wird so etwas wie der Bonustrack von "1977" (auf dem man Ash bei einer kleinen Kotzorgie zuhören kann) jemals wieder auf einem eurer Alben zu hören sein?

Tim: Naja, wir haben jetzt DVDs, die in Deutschland allerdings nicht rausgekommen sind. Auf denen sind Filme von unseren Tourneen zu sehen, mit Parties und allem, was so Merkwürdiges passiert ist. Da sind ein paar ziemlich verrückte Filme dabei.

Tim nimmt sich meine Bierflasche vom Tisch und guckt sie sich genauer an.

Tim: Das ist also Kölsch Bier ... ist das das lokale Kölner Bier?

Ja, viele mögen es nicht und sagen es schmecke wie Wasser oder wie spanisches Bier.

Tim: Sag' mir mal 'ne spanische Biermarke.

Mark: San Miguel.

Tim: Das ist aber doch lecker!

Bier sollte man trinken und nicht darüber reden, also weiter mit den Fragen.

Im Song "World Domination" singt ihr "we're the new sensation". Ist das eine Parodie auf eure Situation?

Tim: Nein! Wir haben jetzt das neue Album gemacht und fühlen uns wie eine neue Band, eine frische Band. Und wir wollen damit wieder den Durchbruch in der Szene schaffen. Das war dieses Mal genau so aufregend wie beim ersten Album.

Mark: Nächstes Jahr, wenn die Tour in Europa und dem Rest der Welt vorbei ist, werden wir auch wieder nach Amerika gehen. Das wird wahrscheinlich Ende Januar sein. Da drüben sind wir ziemlich unbekannt.

Ihr wollt also Amerika erobern?

Tim: Da wären wir dann die new sensation!

Und danach folgt die Eroberung des Mars und des Mondes ...

Tim: Exakt! Und außerdem wollen wir in Europa größer werden als wir es bislang sind. Wir würden gerne etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen.

Mich würde ja sehr interessieren, wer die "Cherry Bomb" ist.

Tim: Hast du "The Virgin Suicides" gesehen?

Ja!

Tim: Naja, die Cherry Bomb ist Lux Lisbon. Der Song ist über sie.

Der Film ist ja ziemlich verwirrend ...

Tim: Ich habe das Buch vorher gelesen. Da gibt es viel mehr Passagen mit einem Erzähler, da wird auch alles klarer. Der Film ist eher ein "visual trip".

Carlotte und Rick kommen hinzu.

Ich habe gelesen, dass ihr riesige Nirvanafans seid. Inwieweit hat diese Band euch beeinflusst?

Tim: Wir waren damals 15 und es war so eine frische und neue Musik - wenn man das mal mit Iron Maiden vergleicht, davor haben wir nämlich Metal gehört ... Wir haben dann Nirvana in Belfast gesehen und ein Autogramm von Kurt Cobain bekommen.

Wie fühlt ihr euch, wenn Fans ankommen und Autogramme haben wollen?

Tim: Oh, das ist doch cool. Ich kann das verstehen. Wir haben uns früher auch Autogramme von Bands geholt. Das hat uns sogar Spaß gemacht, nach den Konzerten auf die Band zu warten.

Mark: In England machen wir viele "selling sessions". Da setzen wir uns dann in die Shops und unterschreiben dort alle Alben und anderes Zeug, das die Leute mitbringen.

Habt ihr bestimmte Musik, die ihr im Tourbus hört oder streitet ihr euch da jedes Mal drüber?

Mark: Daft Punk.

Tim: Dr. Dre und das neue Weezer-Album. Sehr beliebt sind auch Ween und Primal Scream. Und manchmal auch Frank Sinatra.

Wie sieht denn der typische Ash-Tag aus, wenn ihr auf Tour seid?

Tim: Irgendwann mittags aufstehen, ein bisschen rumhängen, duschen, Interviews geben, Soundcheck machen, mehr Interviews geben, rumhängen, was essen, den Gig spielen ... und dann trinken ... und Spaß haben.

Das hat er jetzt schnell mal nebenbei aufgezählt, als wäre es das Normalste der Welt für jeden Erdenbürger ... hey, das ist was Besonderes!

Und wie würde der ideale Tag aussehen?

Tim: Aufstehen, surfen gehen, nach Hause kommen, frühstücken, wieder an den Strand gehen, in der Sonne baden.

Was waren eure extremsten Erlebnisse auf Tour?

Mark: Wir haben in einer riesigen Arena in London gespielt und sollten eigentlich Nine Inch Nails supporten. Leider ist deren Drummer krank geworden und sie konnten nicht auftreten. Also hat man schnell entschieden, dass wir Headliner werden sollten. Die ganzen Goths im Publikum waren natürlich total angepisst.

Wie haben sie denn reagiert?

Tim: So schlimm war's nicht. Sie haben uns halt den Stinkefinger gezeigt. Falscher Ort, falsche Band!

Marc: Falscher Ort, richtige Band!!!

Tim: Es war einfach eine unbeschreiblich schlechte Atmosphäre. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch gute Erfahrungen. 1998 haben wir
ein Konzert in Belfast mit U2 gespielt. An diesem Abend kamen auf der Bühne die Politiker der beiden rivalisierenden politischen Parteien zusammen.

Marc: Das ganze Konzert war sozusagen "Werbung" für ein Peace-Referendum.

Tim: Das war ein sehr historisches Ereignis. Sehr beeindruckend.

Was ist euer Lieblingslied wenn ihr live spielt?

Marc: Ich denke das ist "Cherry Bomb".

Tim: "Only In Dreams". Wir haben immer diesen Weezer-Song im Set.

Macht ihr euch Gedanken über den Effekt, den ihr auf das Publikum habt oder über euer Aussehen, wenn ihr auf der Bühne seid? Wie fühlt ihr euch da oben?

Tim: Wir sind keine Band, die einfach nur auf der Bühne steht und spielt.

Marc: Wenn die Menge nicht reagiert, pisst uns das ganz schön an. Ziemlich cool ist es, wenn das Publikum am Anfang kalt ist, nur rumsteht und du sie im Laufe des Konzerts dazu bringst, zu tanzen und mit den Songs mitzugehen.

Habt ihr viele Groupies?

Tim: Ich weiß nicht.

Rick: Also zumindest nicht so aufgedonnerte Schnepfen!

Tim: Wenn wir wollten, könnten wir vielleicht Groupies haben, aber uns fallen immer eher die Leute auf, die uns einfach nur so treffen wollen. Wir ziehen da keine großen Vorteile aus unserem Job.

Marc: Wir ficken alle nur Rick.

Tim: Ja genau, Rick ist unser Bandgroupie!

Das reicht! Schnell das Thema wechseln.

Welche Erwartungen hattet ihr, als ihr angefangen habt Musik zu machen?

Tim: Wir hatten keine Ahnung. Am Anfang bestand die Band ja nur aus mir und Marc. Unsere erste Band war ein kindisches Image einer Rockband. Wir wollten so sein wie Bon Jovi oder Guns N' Roses!

Marc: Und auch in riesigen Stadien spielen.

Was bedeutet euch Erfolg?

Tim: Es ist hart, wenn man keinen Erfolg hat wie es bei uns mit "Nu-Clear Sounds" der Fall war. Es ist ziemlich deprimierend, wenn du in halbleeren Hallen spielst. Erfolg hilft deinem Selbstbewusstsein.

Fühlt ihr euch nicht ein bisschen von der Plattenfirma ausgenutzt? Ash als Image der erfolgreichen jugendlichen Rockstars, die Inkarnation eines Traumes

Tim: Nicht in England, aber im Rest von Europa hat man versucht, uns als Boygroup zu vermarkten. Manchmal haben die Leute sogar gedacht wir wären eine zusammengecastete Band.

Tim und Charlotte, ihr habt für eine Kampagne von Calvin Klein gemodelt. Warum?

Charlotte: For a laugh ... Das war einfach mal eine andere Erfahrung. Wir sind nach New York gefahren und haben Anziehsachen umsonst bekommen und so.

Tim: Das war einfach ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte.

Was haltet ihr davon, wenn Leute euch in einem Atemzug mit JJ72 oder Coldplay nennen, nur weil alle drei Bands aus Großbritannien kommen?

Tim: Ich finde Coldplay haben einige gute Songs.

Rick: Die sind ziemlich langweilig.

Nein, sind sie nicht.

Rick: Doch, sind sie! Gut, das können wir jetzt den ganzen Abend weiter spielen ...
Bitte nicht!

Was für Vorteile habt ihr dadurch, dass ihr in einer ziemlich bekannten Band spielt? Trefft ihr aufregende Leute?

Tim: Man macht schon die merkwürdigsten Erfahrungen, wie z.B. mit U2 zu spielen, was ziemlich cool war.

Marc: Oder man spielt plötzlich auf der Geburtstagsparty von George Lucas.

Wie reagieren die Leute auf Euch? Erkennen sie euch auf der Straße?

Tim: Manchmal schon. Rick wird meistens erkannt wegen seiner Haare.(Er hat einen Iro! - Anm. d. Red.).

Rick: Wenn ich 'nen Hut auf habe erkennt mich keiner, erst wenn ich ihn absetze.

Trauen sich die Leute auch euch anzusprechen?

Rick: Manchmal versuchen die Leute so zu tun als würden sie uns nicht erkennen, aber das ist dann so offensichtlich. Die gehen dann an einem vorbei, versuchen möglichst heimlich auf mich zu zeigen und sagen dann "das ist der Typ von Ash", naja, sie denken sie flüstern, aber sie sagen das wirklich laut.

Tim: Und dann gibt es Leute, die im Auto an uns vorbei fahren und schreien "Ash are shit".

Rick: In Pubs oder so gibt es auch Leute die an uns vorbei rennen, "Ash are shit" schreien und dann schnell aus der Tür raus und weg sind.

Wie reagiert ihr darauf?

Rick: Ich finde das ziemlich lustig! Die denken dann sie wären cool und rennen am nächsten Tag zu ihren Freunden, um denen zu erzählen, dass sie dem Drummer von Ash ins Gesicht gesagt haben, wie scheiße seine Band ist. Wie cool.

Marc: Ich glaube das war ich, Rick!

Was sind eure Zukunftsträume?

Tim: In Amerika berühmt werden, in Hollywood leben, im totalen Lala-Land ...

Fühlt ihr euch denn berühmt?

Tim: Nicht wirklich, wir machen uns da nicht so viele Gedanken drum.

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