Details

Mit:
Datum: 10. Februar 2004
Location: Gebäude 9
Deutz-Mülheimer-Straße 127-129
51063 Köln
Website: Offizielle Homepage des Veranstaltungsorts
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Liebliches aus der gruftigen Ecke der Melancholie.

Review von Jasmin Lütz

Der Februar geht schon grausam mit uns um. Die Farbe Grau bestimmt unseren Alltag, mal nass-schwül, dann wieder nass-kalt. Überall laufen merkwürdige Gestalten in bunten Klamotten herum. Die nennen sich dann auch noch Jecken und manchmal muss man sich fast schämen, aus der Stadt am Rhein zu kommen. Am liebsten bleibt man einfach zu Hause, trinkt Tee und liest ein gutes Buch. Oder man geht auf ein Konzert. Das kann sehr oft die Hormone aktivieren und einen Glückszustand hervorrufen. Das düstere Etwas bleibt einfach draußen. In der Regel hilft meistens ein krachiges, polterndes, einfach geiles lautes Rock'n'Roll-Konzert!

Manchmal sind aber auch die ruhigen Töne nicht schlecht. Azure Ray ist die neue, blutjunge, Indie Pop-Hoffnung aus Omaha/Nebraska, für einige auch DIE aktuelle Alternative Szene für New York, Detroit oder Seattle. Da fallen Namen wie Moby, die Labelkollegen Bright Eyes und der Produzent der legendären Gruppe Wilco. Orenda Fink und Maria Taylor, die Köpfe der jungen Hoffnung, sind für meine Verhältnisse an diesem Abend im Gebäude 9 dennoch ein wenig zu lieblich und driften zu sehr in die gruftigere Ecke der Melancholie. In die Welt der harmonischen Seifenblase treiben sie mich nicht wirklich. Eher in das düstere Etwas. Sympathisch und fast ein wenig schüchtern, aber dennoch schlagfertig begegnen sie dem Kölner Publikum im noch nicht mal halb gefüllten Gebäude. Die Keyboarderin hat Probleme mit ihrem Instrument. Es fehlt der Saft und alle stehen fix und fertig auf der Bühne, aber können nicht anfangen (wobei sie das erste Stück auch ohne Keyboard hätten spielen können). Etwas peinlich berührt, aber witzig kommentieren die drei Damen das Geschehen. Im Hintergrund der einzige Mann in der Band, der so unglaublich jung und unschuldig aussieht, dass man ihn am liebsten an die Hand nehmen möchte und der natürlich für Schlagzeug und Bass zuständig ist.

Den ruhigen Singer/Songwriter-Stil haben Azure Ray mit Sicherheit nicht neu erfunden, versuchen allerdings durch glasklare Stimmen, ja fast schon Sirenen und Pianobegleitung dem Ganzen einen Hauch von Frische zu geben. Gelingt hier und da mal, aber der Trance-Zustand bleibt verborgen. Damals waren mal Savoy Grand im Gebäude 9. Und das war das ruhigste und angenehmste Konzert, das ich jemals erlebt habe. Ein Zustand zwischen Schwindelgefühl, Hypnose und eine strenge Probe, für mehrere Minuten, ruhig auf der Stelle zu stehen. Wenn so etwas funktionieren soll, muss die Band überzeugen. "Quiet is the new loud". Oder man muss einen Partner dabei haben, wobei ich diese züngelnden, armumschlingenden und Magensäfte austauschenden Paare vor der Linse bei jedem Konzert eher verabscheue. Die Damen und Herren von Azure Ray treiben einige junge Pärchen an diesem Abend auch fast dazu, auf der Toilette zu verschwinden und einen romantischen Quickie hinzulegen. Bei mir lösen die hohen Töne der Sängerinnen allerdings noch nicht mal eine Gänsehaut aus. Azure Ray machen die Art Musik, die man sich lieber zu Hause im Hintergrund anhört, von mir aus auch in der horizontalen Lage.

Vielleicht schwappt bei mir aber auch nicht die Hormonwelle über, weil ich zuvor noch den Support mitbekommen habe. Die Paul Dimmer Band aus Frankfurt. Auf dem Label Tapete Records zu Hause, dämmert mir schon bei den ersten Songs so einiges. "Anti-Stimmungskanonen-Band", die Bezeichnung vom "Schallplattenmann" kommt mir als erstes in den Sinn. Treffender hätte ich es nicht sagen können. Auf die meist hochgelobten Texte kann ich kaum achten, da ich aufpassen muss, nicht einzudämmern. Drei "süße" Jungs, von denen noch nicht mal einer Paul Dimmer heißt, zupfen und hauchen deutschsprachige Melancholie in den Raum. Ihre ruhige Harmonie-Schmelze bekommen andere besser hin. Der Gipfel der Genüsse, eine Coverversion von "In Bloom" der von mir sehr geschätzten Band Nirvana. Aber ich frage euch, wer muss heute noch derartige Stücke interpretieren? Das ist doch so ausgelutscht. Ungefähr genauso, als würden Klitpop Tocotronic-Stücke covern. Da hilft es auch nicht, wenn der Schlagzeuger des Hauptacts die Begleitung trommelt.

Irgendwie ein seltsamer Abend, der das Grau draußen noch schmutziger macht. Seltsam auch das Publikum diesmal. Viele junge Männer mit langen, siffigen Bärten und Fräuleins mit verfilzten, strähnigen Haaren. Das ist also die neue Alternative-Szene? Die habe ich mir anders vorgestellt. Zum Glück gab es am nächsten Tag wieder ein sehr beeindruckendes Konzert im Gebäude 9. Mit dem alten/neuen Superstar aus New York, Adam Green, der dem klassischen Singer/Songwritertum eine ordentliche Ladung wahren Rock'n'Roll verpasst und mit unkontrollierten Tanzeinlagen die Zuschauer in die Ekstase treibt. Bei so einer gelungenen Konzertreise werde ich später auch gerne wieder nass und vergesse den heißen Tee zu Hause.

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Artistinfo

LAUT.DE-PORTRÄT Azure Ray

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