21. Juli 2010

"Man braucht Eier für Experimente"

Interview geführt von

Es braucht keinen Thomas Anders, um am musikalischen Duo-Dasein die ein oder andere Schwierigkeit auszumachen. Antwan "Big Boi" Patton war den Großteil seiner Karriere in erster Linie Teil von etwas. Freilich nicht von irgendetwas - als Mitglied von Outkast ist er nicht nur der eine von den zwei "coolest motherfuckers on the planet", sondern auch Mitverantwortlicher bei einer wegweisenden Hip Hop-Gruppe .Ein Solo-Dasein gestaltet sich unter diesen Voraussetzungen nicht ganz einfach - interne und externe Erwartungshaltungen sind nicht die beste Voraussetzung für kreative Arbeit. Da wundert es nicht, dass Big Boi ganze 16 Jahre brauchte, um sein erstes richtiges Solo-Album an den Start zu bringen.

Erstes "richtiges" Solo-Album, weil "Speakerboxxx" trotz allem Doppel-Solo-Album-Geschwätz genauso eine Outkast-Platte war wie "Southernplayalisticadillacmuzik", "ATLiens", "Aquemini" und "Stankonia". Nach dreijährigem Ankündigungs-Marathon erblickt jetzt "Sir Lucious Left Foot: The Son of Chico Dusty" das Licht der Welt.

Def Jam, die neue Label-Heimat Big Bois, war so nett, zur Feier dieses Releases auch laut.de eine Telefon-Audienz bei der Südstaaten-Legende zu gewähren. Fünfzehn Minuten lang beantwortete Big Boi Fragen nach seiner Vergangenheit, seiner Musik und seinen Vorstellungen von Kunst.

Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit und Jugend in East Point?

Sehr gute. Ich bin bei meiner Tante aufgewachsen, mitten im Wald. Ich habe viel draußen gespielt und sehr viel Rasen gemäht. Und natürlich war ich viel mit Dre und den anderen Kumpels unterwegs und habe das gemacht, was alle Teenager tun: Spaß gehabt. Ich bin ganz normal aufgewachsen, wie jedes andere Kind auf dem Land.

Hattest du als Kind einen Traumberuf?

Ja, ich wollte Kinderpsychologe werden. Ich wollte Kindern bereits in ihren jungen Jahren etwas auf den Weg geben und sie ausreichend auf die Zukunft vorbereiten. Mein Lebensmotto ist: Each one, teach one! Auf diese Weise kann man einem Kind schon früh bestimmte Werte vermitteln und das nötige Wissen auf den Weg geben, damit sie nicht die gleichen Fehler machen müssen wie man selbst.

Gehst du so auch an deine Musik heran?

Ja, natürlich. Sogar in einem viel größeren Maßstab. Mittlerweile mehr denn je, weil meine Musik weltweit gehört wird und ich mit meinem Sound noch mehr Menschen erreichen kann.

Welche Rolle spielte Musik in deiner Kindheit und Jugend?

Für meine Großmutter gab es nichts anderes als Bob Marley. Sie hörte den ganzen Tag nur Bob Marley. Meine Tanten und Onkels standen eher auf Jeffrey Osborne, die Isley Brothers, Earth, Wind & Fire und so was. Das waren meine ersten bewussten musikalischen Einflüsse aus meiner Kindheit. Während meiner ersten Jahre auf der High School hat mich mein Onkel auf Kate Bush aufmerksam gemacht und meinen musikalischen Horizont ziemlich erweitert. Ich hab also schon immer ganz unterschiedliche Musik gehört, eben weil ich mit diesen ganzen verschiedenen Einflüssen aufgewachsen bin. Und genau diese breite musikalische Sozialisation kann man auch in meiner Musik hören.

Wie sah dann dein erster Kontakt mit Rap aus?

Das muss wohl Run DMCs "Rock Box" gewesen sein. Damals ist mein Vater gerade aus Beirut zurückgekommen. Er war beim Militär und dort stationiert. Er kam zurück und kaufte sich erstmal einen Chevy Camaro Cabrio, fuhr damit rum und hörte dabei nichts anderes als "Rock Box". Ich bin dann immer mit ihm auf dem Schoss mitgefahren. Das ist eine meiner ersten und besten Erinnerungen an meinen Vater und auch an Rap Musik.

Hip Hop blieb aber immer nur ein Teil deiner musikalischen Interessen?

Genau. Es wurde so viel verschiedene Musik um mich herum gespielt, dass es gar nicht anders ging. Das habe ich unheimlich genossen. Natürlich hatte meine Oma einen Plattenspieler, auf dem ich gescratcht habe, bis die Nadel komplett am Arsch war. Natürlich wollte ich auch ein DJ sein. Die alten Plattennadeln haben auch bei uns ziemlich gelitten, weil ich mit den Platten spielen wollte.

"Wir lebten unseren eigenen kleinen Rock'n'Roll-Traum"

Irgendwann bist du auf die Kunstschule gegangen. Hast du diese Entscheidung damals bereits wegen deines musikalischen Interesses getroffen?

Nein, es war reiner Zufall, dass die Tri-Cities High School eine Schule für darstellende Kunst war. Aber wie es der Zufall so wollte, traf ich dort auf Andre 3000. Es war eine verdammt gute Schule. Kurz zuvor hatte man drei oder vier Schulen zusammengelegt, deswegen trafen dort Jugendliche aus ganz unterschiedlichen Teilen Atlantas aufeinander. So kam ich mit verschiedenen Leuten in Kontakt.

Konntest du auf der Schule Dinge lernen, die heute für deine Karriere noch hilfreich sind?

Ja, ganz generell was Musik und Produktion angeht. Wir mussten damals für ein Theater produzieren und haben selbst sehr viel Theater gespielt. Dabei habe ich gelernt, dass Musik der Soundtrack des Lebens ist. Musik hat starken Einfluss auf deine Stimmung und bringt dich in bestimmte Stimmungslagen. Musik kann Gefühlslagen immens verstärken. Das habe ich dort gelernt und deswegen mag ich es, Musik zu machen, die die Menschen fühlen können.

Wie definierst du, als Absolvent einer Kunstschule, denn Kunst?

Es ist eine Ausdrucksform – egal ob es Musik oder Film ist. Es ist deine ganz eigene Interpretation des Gefühls, das du in diesem Moment nur ganz alleine spürst. Kunst muss auf jeden Fall immer eigenständig sein. Und es sollte immer von Herzen kommen.

Deine Musik siehst du also offensichtlich auch als Kunst. Hattest du jemals Probleme, Hip Hop als eine Form von Kunst zu erklären?

Nein, nein, nein. Ich habe mich immer daran gehalten, dass ich niemandem etwas erklären muss. Meine Kunst gehört mir allein. Wenn die Leute das verstehen, ist es gut. Wenn nicht, dann verstehen sie dich vielleicht beim nächsten Mal. Kunst ist eine Ausdrucksform und absolut niemand kann dir vorschreiben, wie du dich selbst auszudrücken hast.

Ich würde gerne ein bisschen über Atlanta und die dortige Musikszene sprechen, besonders weil ich Outkast als eine maßgeblichen Teil der Szene dort bezeichnen würde. Wo siehst du dich in der Musikszene Atlantas?

Erst mal natürlich als Teil der Dungeon Family, die auf jeden Fall musikalische Pionierarbeit geleistet haben. Mittlerweile sehe ich mich als Soldat der Musik. Es geht mir einzig und allein um Musik. Um gute Musik. Egal woher sie kommt. Egal ob aus Alaska oder vom Südpol. It don't matter, as long as it jams.

Wofür kämpfst du als Soldat der Musik genau?

Ich kämpfe für den Erhalt von Kreativität und Spannung. Es geht mir darum, zeitlose Stücke zu machen, die die Gegenwart überdauern, mit denen ich mich auch Jahre später noch identifizieren kann. Das ist meine Ausdrucksform und der Grund, wieso ich auf dieser Erde bin. Ich wurde in die Welt gesetzt, um Musik zu machen. Es genieße es, Musik zu machen und so lange die Leute das hören wollen, werde ich weiter machen.

Du sprachst gerade von der Dungeon Family. Das Produzententeam Organized Noize, ein Teil dieser Dungeon Family, wurde gerade bei den VH1 Awards ausgezeichnet. Wie haben sie Hip Hop nach vorne gebracht?

Wir waren eine der ersten Crews, die sich einen Namen machen konnten, weil wir tatsächlich aufgrund unserer Lyrics respektiert wurden. Organized Noize als unsere Produzenten brachten uns schließlich ganz nach oben. Sie sind die besten Produzenten des Planeten, wenn du mich fragst. Deswegen sind sie auch auf meinem neuen Album vertreten. Von ihnen wird man weiterhin einiges hören.

Ein deutscher Journalist bezeichnete den Keller von Rico Wades (ein Teil von Organized Noize, Anm. der Red.) Mutter gerade als einen der Orte, der Hip Hop-Geschichte geschrieben hat.

Da hat er Recht. Dort wurde unser Sound geboren. Das war eine, wenn nicht die Geburtsstätte von Hip Hop aus dem Süden. Outkast, Goodie Mob ... dort hat alles angefangen. Wir hingen da alle gemeinsam ab und feilten an unserem Sound. Dort hat alles angefangen, dort haben wir uns auf unsere Übernahme der Welt vorbereitet.

Erzähl ein wenig aus der Zeit, in der ihr in einem Keller im Haus von Ricos Eltern einen Sound geschaffen habt, der bis jetzt wegweisend ist.

Wir waren wie eine Bruderschaft. Jeder von uns war völlig überzeugt von dieser Musik. Wir lebten dort unseren eigenen kleinen Rock'n'Roll-Traum. Es war unglaublich, dass Frau Wade ihre Tür für zwölf junge Herren immer offen hatte. Wegen ihr konnte diese Musik, unser Traum, erst entstehen. Dort wurde die ganze Dungeon Family geboren. Es hat einfach damals verdammt viel Spaß gemacht, den ganzen Tag nur Musik zu machen.

Welches Ziel habt ihr denn damals mit eurer Musik verfolgt?

Wir haben einfach nur einen Kanal gesucht, um unserer Energie und Kreativität freien Lauf zu lassen. Und wir wollten den Leuten zeigen, dass auch der Süden etwas zu sagen hat und wir hier nicht nur irgendwelche ungebildeten Landeier wohnen, so wie man sich das immer vorgestellt hat. Wir sind gebildete Jungs, die Musik über alles lieben und dabei mit die beste Musik des Universums machen.

Ein Teil der Familie waren auch Earthtone III – das Produzenten-Trio, das aus dir, Andre und Mr. DJ bestand.

Ja, mittlerweile haben wir alle unsere eigenen Produktions-Teams: Ich arbeite jetzt unter dem Namen Boom Boom Room beziehungsweise Royal Flush und habe ein nettes Team um mich herum aufgebaut. Es hat mir immer geholfen, andere Produzenten um mich zu haben, um sich gegenseitig musikalisch zu befruchten. Wir produzieren nach wie vor. Das haben viele gar nicht auf dem Schirm, dass wir bereits auf "ATLiens" selbst produziert haben. Wir waren immer eher als MCs und nicht als Produzenten bekannt. Dabei sind wir für einige unserer größten Hits verantwortlich – von "Ms. Jackson" über "B.O.B." bis "Elevators".

"Manchmal sprudelt es, manchmal tropft es nur"

Mr. DJ ist jetzt auch auf deinem neuen Album vertreten.

Ja, er hat den Song "Daddy Fat Sax" produziert. Es hat unheimlich Spaß gemacht. Er ist einer meiner wirklich guten Freunde. Wir gehen bald wieder gemeinsam ins Studio und arbeiten an neuen Projekten.

Lass uns über das neue Album sprechen: Was ist Sir Lucious Left Foots Geschichte?

Er ist die bereits erwachsene Version von mir - der erwachsene Big Boi. Er trägt diesen Namen schon seit einigen Jahren. Der Name ist ein Hirngespinst von mir und Andre, als wir mal wieder nur Scheiße geredet haben. Ein kleiner Scherz wie Sir Benjamin Andre. Wir haben uns sogar schon mal selbst zu Rittern geschlagen – die Knights of Rhyming Armor. Sie kämpfen um den Titel des besten MCs. Genau wie Sir Lucious Left Foot – ein MC, der dir den Kopf abhacken kann.

Wie ging es dir dabei, ein Solo-Album aufzunehmen?

Es hat großen Spaß gemacht. Ich bin die Sache angegangen, als ob ich ein Outkast-Album aufnehmen würde. Ich musste lediglich mehr selbst schreiben, weil ich keinen Partner hatte, der mit mir geschrieben hat. Der große Unterschied ist: Alle Songs stammen aus meiner Feder. Aber ich genieße es natürlich zu schreiben, deswegen hatte ich so viel Spaß dabei.

Fällt dir das Schreiben denn leicht?

Leicht würde ich nicht sagen. Manchmal ist es eine große Herausforderung: Manchmal sprudelt es so aus mir heraus und manchmal tropft es eben nur.

Hast du manchmal mit Schreibblockaden zu kämpfen?

Ja, manchmal passiert das. Aber wenn ich eine Schreibblockade habe, konzentriere ich mich einfach mehr auf die Produktionen. Dann spiele ich einfach ein wenig mit der Musik.

Wie hast du denn deine Beats für das neue Album gepickt?

Ich habe sehr früh damit angefangen, mehr als ein Jahr, bevor ich mit den Aufnahmen für das Album begann. Ich höre mir meine Beats immer erst fast ein Jahr lang an. Die Beats, die mich nach dieser Zeit immer noch nicht langweilen, benutze ich dann für meine Songs. Ich lasse meine Beats immer sehr lange köcheln.

Interessant. Besonders weil die neuen Beats sehr zeitgemäß klingen. Sie passen perfekt in das musikalische Hier und Jetzt. Du hast einige Jahre an dem Album gearbeitet, das heißt einige dieser Beats sind relativ alt.

Das mag schon sein, aber wenn ein Beat gut ist, dann bleibt er das. Das Instrumental von "Shutterbug" ist fast drei Jahre alt. Aber ich suche mir eben Beats aus, die die Jahre überdauern. Und genau deswegen kann ich sie auch so lange hören. Man sollte sich nur die besten Beats herauspicken. Klar streut man hie und da ein paar Keys ein oder fügt eine Gitarre, Synthesizers oder Bläser hinzu, um den Beat noch mal auf ein anderes Level zu bringen. Man braucht einfach die Eier für Experimente.

Du bist also jemand, der sich seine eigene Musik anhört?

Absolut. Besonders wenn ich mitten in der Produktion eines Albums stehe. Dann höre ich eigentlich nichts anderes.

Hast du beabsichtigt, ein so klassisches Hip Hop-Album zu machen?

Natürlich. Das bin ich mir als MC schuldig. Ich bin ein Rapper, der Wert auf Lyrics legt. Deswegen brauche ich diese Mischung aus Aggressivität und Spaß.

Eine letzte Frage: Was wird die Zukunft für Big Boi bringen?

Erst einmal werde ich Andre 3000 dabei helfen, endlich sein Solo-Album fertig zu stellen. Dann werden wir uns sofort einschließen und mit der Arbeit für das neue Outkast-Album beginnen. Man wird mich außerdem in Zukunft auch öfters auf kleinen und großen Leinwänden sehen. Ich bin schwer beschäftigt. Ich setze weiterhin alles daran, am Ball zu bleiben.

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