8. April 2025
"'Besties' ist keine Hommage an Isaac"
Interview geführt von Dennis Rieger(Noten)Hefte raus! Gruppenarbeit! Black Country, New Road ersetzen ihr ehemaliges emotionales Zentrum Isaac Wood intern durch die drei Sängerinnen Georgia Ellery, Tyler Hyde und May Kershaw – und beeindrucken mit ihrem dritten Album "Forever Howlong" einmal mehr. Grund genug für ein Interview via Zoom!
Über die Vergangenheit wollen Saxophonist und Flötist Lewis Evans sowie Drummer Charlie Wayne, das bemerke ich schnell, nicht sprechen. Da hilft auch mein Versuch, einen Dackelblick aufzusetzen, nicht. In Hinblick auf die ebenfalls äußerst hörenswerte Gegenwart sind sie umso gesprächiger – und freuen sich über meinen Vergleich ihrer neuen Musik mit der eines ewigen Geheimtipps aus der goldenen Zeit des Progressive Rock.
Lasst uns zunächst ein bisschen über die Vergangenheit sprechen: Isaac verließ eure Band im Januar 2022, wenige Tage bevor "Ants From Up There" erschien. Danach habt ihr eure Tour gestrichen. Hattet ihr damals in Erwägung gezogen, aufzuhören?
Charlie: Wir hatten in Erwägung gezogen, nicht mehr Black Country, New Road zu sein. Aber wir hatten niemals in Erwägung gezogen, mit dem Musikmachen aufzuhören. Das wäre ein bisschen drastisch gewesen.
Isaac wollte nicht mehr in der Band sein. Aber es ist nicht so, dass wir unsere Hände und Füße verloren hätten.
Das kann ich sehen, ja. Ein Namenswechsel wäre aber eine Option gewesen, wenn ich deine Formulierung richtig gedeutet habe.
Lewis: Darüber hatten wir nachgedacht. Aber wir haben uns dafür entschieden, den Namen beizubehalten.
Und die Musik hat sich gar nicht so sehr verändert, worüber ich – positiv – überrascht war. Der Opener des neuen Albums "Forever Howlong" beginnt mit dem Song "Besties". Bei dem Titel hatte ich zunächst geglaubt, der Song könnte eine Art Hommage an Isaac sein. In den Lyrics konnte ich dazu aber keine Hinweise finden. War das als Hommage gedacht?
Lewis: Nein.
[Schweigen, Dennis neigt den Kopf zur Seite]
Lewis: [lächelt] Nein. Komplizierter ist es nicht. Georgia schrieb die Lyrics des Songs, insofern sind Charlie und ich vielleicht die falschen Personen, um die Frage zu beantworten. Aber der Song ist definitiv keine Hommage an Isaac.
Bereits im Intro von "Besties" ist dieser Barockpop-Sound zu hören, der sich durch große Teile des Albums zieht. Habt ihr das Intro mit einem echten Cembalo eingespielt oder mit einem Keyboard und einem zugehörigen Sound, der nach Cembalo klingt?
Lewis: Das ist ein echtes Cembalo. Ziemlich coole Sache! May musste es andauernd stimmen.
[Charlie lacht]
Es ist ein sehr anfälliges Instrument, auf jeden Fall anfälliger als die meisten modernen Instrumente. Aber es klang wundervoll und sah auch wundervoll aus.
Werdet ihr es live spielen?
Lewis: Nein. Es ist leider zu teuer, Cembali zu leihen.
Das heißt, ihr werdet die entsprechenden Passagen live mit einem Keyboard einspielen?
Lewis: Exakt, ja!
"Lyrics anzupassen, ist viel schwieriger, als neue zu schreiben."
Verschiedene Bandmitgliedern haben die Lyrics verfasst. Die Lyrics von "Besties" wurden von Georgia geschrieben, die von "The Big Spin" von May, die von "Socks" von Tyler, die von "Salem Sisters" unter anderem von dir, Charlie. War diese Gruppenarbeit von vornherein beabsichtigt oder hat sie sich im Laufe der Zeit einfach ergeben?
Charlie: Das war Teil des Songwritings. Im Grunde war das eine sehr ähnliche Herangehensweise wie zuvor: Ein Songwriter bringt das Grundgerüst eines Songs und den Großteil der Lyrics mit. Dann steigt der Rest der Band ein und sorgt dafür, dass sich alles kohärent und nach einem Black Country, New Road-Song anfühlt. Im Falle dieses Albums waren es im Wesentlichen Georgia, Tyler und May, die das Grundgerüst der Songs brachten.
Georgia, Tyler und May übernehmen auch den Gesang des Albums. War es das Ziel, eine neue, weibliche Perspektive in der Band zu haben – nicht nur lyrisch? Oder sind eure beiden Stimmen einfach nicht genug für die Leadvocals? [schelmisch]
Lewis: Letzteres.
[Lewis und Dennis lachen]
Es war kein Ziel, ein Album aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen. Aber es ist ein Album aus einer weiblichen Perspektive, weil Frauen auf ihm singen. Und es war nicht von vornherein beabsichtigt, dass ausschließlich Frauen singen werden. Ich habe noch auf Teilen von "Live At Bush Hall" gesungen – und ich schreibe natürlich aus einer männlichen Perspektive. Danach habe ich mich dafür entschieden, dass ich nicht mehr singen werde. Ich habe das nicht genossen.
Letztlich habe ich gefragt: "Geht es in Ordnung, dass ich nicht mehr singe?" Und jeder sagte: "Ja, das geht klar." So hat es sich ergeben, dass Tyler, Georgia und May singen.
Du klangst aber ziemlich gut auf dem Live-Album.
Lewis: Dankeschön! [klingt eher skeptisch]
Für mich ist "Salem Sisters" das Albumhighlight. Charlie hat an den Lyrics mitgeschrieben. So toll ich den Song und den Text auch finde: Letztlich habe ich keine Ahnung, worum es da geht. Das lyrische Ich scheint – korrigiert mich, falls ich falsch liege – seine Situation mit der Situation von Menschen in Neuengland am Ende des 17. Jahrhunderts zu vergleichen, die hingerichtet wurden, weil man sie für Hexen hielt. Gibt es da eine autobiografische Verbindung?
Charlie: Ehrlich gesagt scheinst du die Lyrics sehr gut verstanden zu haben.
Das ist ein sehr interessantes Thema, der Entstehungsprozess des Songs war sehr spannend. Lewis übernahm den Großteil des Songwritings, auch wenn Tyler letztlich sang. Für mich ist es Lewis' Song.
Die Lyrics hast du definitiv verstanden. Wir hatten davor einen anderen Text, der hat sich verändert, Tyler hat ihn großteils angepasst. Der Grundsatz ist aber derselbe geblieben.
Es gibt in den Lyrics Referenzen zu den Hexenprozessen. Es gab ja auch in Europa zahlreiche Hexenprozesse, nicht nur im 17. Jahrhundert – auch in der Region East of England, aus der wir kommen. Letztlich sind diese Referenzen aber eher eine Fußnote als ein wichtiger Teil der Lyrics. Es geht in dem Song darum, wie es ist, sich ein bisschen ... unter Beobachtung zu fühlen, so als würden einem Menschen böse Blicke zuwerfen.
Warum haben gleich drei Leute an den Lyrics geschrieben?
Charlie: Ich, Tyler und Rachid [Fakhre] sind drei oder vier Wochen unterwegs gewesen, hatten einen tollen Urlaub. Währenddessen kam es dazu, dass wir den Text schrieben. Tyler las gerade ein Buch über die Hexenprozesse.
Lewis: Lyrics anzupassen ist viel schwieriger, als neue zu schreiben. Vor zwei oder drei Jahren habe ich den Song mitgebracht mit meinen eigenen Lyrics. Und ich habe ihn auch gesungen. Als ich mit dem Singen aufhörte, sagte ich zu Tyler, dass sie den Song singen soll. Für sie hätte es sich aber nicht richtig angefühlt, einfach einen Song zu singen, dessen Text ich geschrieben habe. Sie wollte neue Lyrics.
Gerade, weil Lyrics immer an den Moment gebunden sind, in dem man sie schreibt, ist es so viel schwieriger, bereits bestehende umzuschreiben, als komplett neue zu verfassen.
Es ist jedenfalls ein wundervolles Kunstwerk geworden, in dem die Lyrics wunderbar zum weiteren Arrangement passen.
Lewis: Vielen Dank!
Der Longtrack "Socks" erinnert mich an Van Der Graaf Generator. Ich bin mir sicher, dass ihr die Band kennt.
Lewis: Ja. Das ist sehr schmeichelhaft, danke!
Van Der Graaf Generator wurden in den 1970ern als Prog Rock-Band eingeordnet. Ich war erfreut, zu sehen, dass euer Label Ninja Tune im Promotext euer neues Album als Mix aus Genres bezeichnet hat und dabei – treffenderweise, wie ich finde – auch Prog Rock nannte.
Der Progressive Rock in den 1970ern war ja ein sehr vielfältiges Genre. Heute haben die meisten Leute Pink-Floyd-Klischees im Kopf, wenn sie das Stichwort "Prog Rock" hören, und kennen Bands wie Van Der Graaf Generator gar nicht. Seht ihr euch selbst in Teilen als progressive Rockband?
Lewis: Ja, das würde ich schon sagen.
Wenn man "Prog" sagt, ist so eine gewisse Konnotation einfach da. Die Leute erwarten dann Rick Wakeman. Aber ich glaube, die Tatsache, dass wir, insoweit das möglich ist, das herkömmliche Songwriting erweitern und herumtüfteln, um Interesse zu generieren, kann man schon als "progressiv" betrachten. Ich glaube aber auch, dass man Teile dessen, was wir tun, als "prätentiös" bezeichnen könnte.
Mir gefällt aber die Vorstellung, dass wir jetzt ein bisschen zugänglicher geworden sein könnten. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass man immer noch sagen könnte, dass wir prätentiöse Musik machen.
"Wir stellten sicher, dass das Kauzige bleibt."
Sobald die meisten anderen Bands – etwa Arcade Fire, die am Anfang ihrer Karriere gar nicht so anders als ihr klangen – mehr Budget zur Verfügung haben, klingen sie komplett anders, etwa, weil sie anfangen, Synthies zu verwenden. Ihr habt nun mit James Ford zusammengearbeitet, einem Produzenten, der in der Vergangenheit etwa Alben von Depeche Mode und Kylie Minogue produzierte. Ihr klingt dennoch weiterhin nur nach euch selbst, was mich wirklich beeindruckt hat. Habt ihr James Ford gesagt, dass ihr euren Indie-Sound beibehalten wollt?
Tyler: Ich glaube, der beste und für uns attraktivste Aspekt der Zusammenarbeit mit James ist der, dass er nicht den einen Sound hat, der ihn definiert. Er hat an Mega-Pop-Alben mit HiFi-Produktion gearbeitet, gleichzeitig aber auch an Debütalben, die von Indie-Labels veröffentlicht wurden, und an Alben von Do-it-yourself-Musikern, die vielleicht keine LoFi-Alben bevorzugen, aber definitiv keine HiFi-Alben.
Mit jemandem zusammenzuarbeiten, der in einem so breiten Spektrum an Musik "existieren" kann, war extrem aufregend. Seine vorherigen Arbeiten waren auf jeden Fall ein Beleg für seine Geschmeidigkeit als Produzent, was für uns brillant ist. Wir bewegen uns als Band immer weiter und benötigten jemanden, der das fördert, anstatt uns seinen Stempel aufzudrücken.
Und ja, wir haben darüber gesprochen, wie das Album klingen soll. Und die Meinungen darüber innerhalb der Band waren unterschiedlich. Aber auf eine Sache konnten wir uns alle einigen: Es sollte bis zu einem gewissen Grad eine HiFi-Aufnahme sein. Aber gleichzeitig stellten wir sicher, dass das Kauzige bleibt. Wir wollten keinen sterilen Klang, wollten etwa, dass man die Hammermechanik des Klaviers hört.
Innerhalb der Songs wollten wir uns zwischen klanglichen Räumen hin- und herbewegen. Im Song "For The Cold Country" kann man hören, wie sich das Stereofeld erweitert: von einem akustischen, organischen Raum zu einem sauberen HiFi-Raum. Und James war extrem gut darin, all diese kreativen Entscheidungen in die Tat umzusetzen. Er verstand, dass das Album sowohl ein akustisches, organisches, also gewissermaßen ein Indie-Album sein sollte, als auch ein HiFi-Album.
Eine letzte Frage: Nachdem Isaac die Band verließ, sagtet ihr, dass ihr die Musik, deren Lyrics er schrieb, nicht mehr spielen werdet. Bis jetzt habt ihr euer Wort gehalten. War das damals seine Entscheidung oder eure?
Lewis: Das war unsere Entscheidung. Ich kann mich sogar daran erinnern, wie er sagte, dass wir sie einfach spielen sollen. Aber ehrlich gesagt hätte sich das für uns komisch angefühlt.
Wenn Tyler jetzt gehen würde, würden wir "Socks" wohl auch mit niemand anderem performen. Das würde sich einfach ein bisschen komisch anfühlen. Ich bin zufrieden mit der Entscheidung, die alten Songs nicht mehr zu spielen, weil sie diese Musik an einem sehr besonderen Ort belässt.
Ich finde, das ist – beabsichtigt oder nicht – eine schöne Geste von euch.
Charlie: Ich sehe es wie Lewis: Die alten Songs werden auf diese Weise immer in einer Art von komischem Mausoleum weiterexistieren. Und: Indem wir die Songs nicht mehr spielen, besteht auch nicht die Gefahr, dass sie uns irgendwann mal langweilen. Auf diese Weise fühlen wir weder Druck, alte Songs zu spielen, noch, sie zu verändern und aktuelle Ideen einzubringen hinsichtlich der Frage, wie sie sein sollten und wie nicht. Sie sind einfach Teil unserer musikalischen Vergangenheit, sie sind einfach da. Und es ist cool, dass sie da sind.
Ich liebe es, Livealben von Bob Dylan zu hören und dabei darauf zu achten, wie er seine Songs verändert. Das ist ein interessanter Bestandteil davon, Musiker zu sein: Songs umzumodeln und sie lebendig zu halten. So werden wir das mit unseren aktuellen Songs auch handhaben. Ein Albumversion bleibt auf diese Weise eine Albumversion.
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