16. November 2015

"Klassik gehörte nie zu unseren Feindbildern"

Interview geführt von

Anlässlich der Veröffentlichung des Hörspiel-App-Pakets "Peter Und Der Wolf In Hollywood" luden Universal, Giants Are Small und Erzähler Campino in Berlin zur Pressekonferenz. Wir waren dabei.

"Clärchens Ballhaus" in Berlin-Mitte ist ein Ort mit Geschichte. In der im September 1913 eröffneten Location vergnügte sich beispielsweise allabendlich ein gewisser Franz Biberkopf, der Held in Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" (1929) nur allzu gerne. Auch Heinrich Zille, Berlins "Pinselheinrich" zählte zu den Stammgästen des Tanzlokals, dessen ganzer Stolz, der sogenannte "Spiegelsaal" im ersten Stockwerk auch heute noch wissbegierige Menschen aus aller Welt in die Auguststraße 24 lockt.

Für die "Peter Und Der Wolf In Hollywood"-Pressekonferenz hätte man sich also keinen besseren Ort aussuchen können, als eben jene geschichtsträchtige Location im Herzen Berlins. Sergei Prokofjews Kinderklassiker hat schließlich auch schon knapp 80 Jahre auf dem Buckel, wenngleich die von Deutsche Grammophon und Universal gestemmte neue Fassung des Evergreen-Märchens oberflächlich betrachtet nicht mehr allzu viel mit dem Original zu tun hat. Sicher, der Kern der Geschichte um den kleinen Peter und seinem vierbeinigen Widersacher bleibt auch in der 2015er-Version erhalten. Die Quelle wird allerdings aufgepeppt mit kunterbunten, der Gegenwart angepassten neuen Rahmenbedingungen.

Der erste, der sich im "Spiegelsaal" von der Umsetzung des Ganzen restlos begeistert zeigt, ist RBB-Radiomoderator Marco Seiffert. Noch ehe alle geladenen Gäste auf ihren vier Buchstaben sitzen, jagt der 44-Jährige ein Superlativ nach dem anderen durch die Lautsprecherboxen. "Großartig", "fantastisch", "extrem liebenswert": Wüsste man es nicht besser, könnte man den Eindruck gewinnen, der Mann am Mikrofon hätte selbst an der Produktion mitgewirkt.

Auch Frank Briegmann, seines Zeichens deutscher Universal-Chef und als "größter Musik-Manager des Landes" angekündigt, kommt während der knapp zehnminütigen Eingangslaudatio aus dem Schwärmen nicht mehr raus. Vor allem die Tatsache, dass man mit dem Bundesjugendorchester unter der Leitung von Alexander Shelley, der erfolgreichen New Yorker Multimedia-Firma Giants Are Small und Toten Hosen-Frontmann Campino so unterschiedliche künstlerische Einflüsse gewinnen konnte, mache ihn fast schon ein bisschen stolz, so der Mann im feinen Zwirn.

"Uns gingen Schlagermusik und poppige Baukastenstrukturen gegen den Strich"

Es folgen Applaus und das Geräusch unzähliger klickender Kameras. Denn kurz nach dem Frank Briegmann wieder an Marco Seiffert übergibt, machen es sich die Macher von "Peter Und Der Wolf In Hollywood" auch schon auf einer gemütlichen Endloscouch gemütlich. Mit dabei: Dirigent Alexander Shelley, drei Verantwortliche der Firma Giants Are Small und natürlich auch Campino. Der Punkrock-Märchenonkel steht natürlich erwartungsgemäß im Fokus der Veranstaltung. So richtig wohl scheint er sich dabei aber nicht zu fühlen, was jedoch weniger an der etwas hüftsteifen Präsentation des Ganzen liegt, sondern eher an der hausbackenen Frage-Antwort-Vorstellung von Moderator Marco Seiffert.

Der plustert sich nämlich als vermeintlicher Campino-Kenner etwas zu sehr auf. Man kenne sich ja schon so ewig, habe schon unzählige Male stundenlange Vieraugengespräche geführt, und so weiter und sofort. Seifferts Dauergrinsen nervt bereits nach wenigen Minuten. Und seine Fragen beinahe genauso. "Welche Rolle hat klassische Musik bisher in deinem Leben als Punkrocker gespielt?", fragt der Moderator. Die Frage ist noch nicht komplett zu Ende gestellt, da ziehen sich Campinos Augenbrauen bereits zusammen: "Ich verstehe nicht, was diese Frage soll", zischt der breitbeinig auf dem Sofa sitzende Sänger ins Mikrofon. "Mein Gott, mit Klassik habe ich nun wirklich noch nie ein Problem gehabt. Wir hatten damals ganz andere Feindbilder. Uns gingen Schlagermusik und poppige Baukastenstrukturen gegen den Strich. Punkrock und Klassik waren nie Gegenpole."

Um zum Verständnis beizutragen, blickt Campino noch etwas weiter zurück: "Ich bin ja auch mit klassischer Musik aufgewachsen. Meine Mutter war eine begeisterte Chorsängerin. Ich hatte als Knirps vier Jahre lang Trompetenunterricht. Das elterliche Talent konnte zwar nicht vererbt werden. Aber klassische Musik hat in meinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt. Auch bei meinen Geschwistern. Meine Schwester leitet heute eine Ballettschule."

"Peter und der Wolf hatte für mich immer Rock'n'Roll-Charakter"

Seifferts Kenner- und Kumpelkurs geht also erst einmal nach hinten los. Doch die Lage beruhigt sich schnell wieder. Angesprochen auf die "Erzähler"-Herausforderung schaltet Campino schnell um in den Gute-Laune-Modus: "Sicher, anfangs war ich schon skeptisch. Aber ich kam auch schnell wieder runter. Das Hörspiel hören ja Menschen, die mit meiner Person als Rockmusiker nichts, oder nur wenig anfangen können. Das hat mir viel Druck genommen." Und weiter: "Ich hab anfangs auch versucht, viel auszuprobieren. Dem Vogel habe ich beispielsweise zu Beginn einen Sprachfehler verpasst. Aber das ging natürlich gar nicht. Das haben wir dann lieber weggelassen."

"Peter Und Der Wolf In Hollywood" gibt es auch in einer englischen Version. In dieser fungiert Alice Cooper als Erzähler. Campino zeigt sich dahingehend nicht sonderlich überrascht: "Im Gegensatz zu den ganzen Grimm-Märchen hatte "Peter und der Wolf" für mich immer Rock'n'Roll-Charakter."

Die Adaption ins Hier und Jetzt, aufgepeppt mit Hollywood-Flair und interaktiver App, werde Kindern klassische Musik näherbringen, so der Sänger. "Das ist doch eine großartige Sache", ruft er in die Runde. Alle nicken.

Und während zwischendurch auf einer Leinwand immer wieder Zwischensequenzen der App laufen und sowohl Alexander Shelley als auch die Verantwortlichen von Giants Are Small sich noch einmal lobend zum Gesamtprodukt äußern, lässt Campino gegen Ende der Pressekonferenz auch noch eine paar persönliche Töne vom Stapel.

Sein Sohn sei zwar inzwischen schon 11. Aber mit Hilfe der App glaubt er, auch ihn für das neu arrangierte Märchenabenteuer begeistern zu können. Kennt sich Campino überhaupt mit Apps und Co aus? "Da ist mein Sohn schon weiter. Wie das alles geht, begreife ich immer noch nicht so richtig, aber das kann er mir ja dann erklären. Dann redet er wenigstens mal wieder mit mir", verrät der Frontmann. Campino Jr. simse den ganzen Tag nur mit seinen Klassenkameraden und höre dabei Hip Hop der Marke N.W.A. und Public Enemy. Armer Papa! Aber zum Glück gibt es ja jetzt das Hörspiel-App-Paket "Peter Und Der Wolf In Hollywood". Ein kleines Licht am Ende des Vater-Sohn-Tunnels.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Die Toten Hosen

Anfang der 80er trafen sich, der Legende nach, fünf junge Männer irgendwo in Düsseldorf, gründeten eine Band, gaben Konzerte, brachten Platten raus …

1 Kommentar

  • Vor 9 Jahren

    "Wir hatten damals ganz andere Feindbilder. Uns gingen Schlagermusik und poppige Baukastenstrukturen gegen den Strich." Seitdem ich im Tocotronic-Interview lesen musste, dass sie schon immer was gegen Schlaffis und Schluffis hatten, hat mich keine Interviewaussage mehr irritiert als diese. Campinos Selbstsicht ist verzerrter als es Hosen-Gitarren je waren.