18. November 2013

"Man hat HIM eine Liste mit 50 Bands vorgelegt"

Interview geführt von

Im Komplex 457 in Zürich machte der Tourtross von HIM Station. Doch nicht den Plüsch-Goths aus Finnland galt diesmal unsere Aufmerksamkeit, sondern der kleinen, aber feinen Band im Vorprogramm: Caspian. Die Instrumental-Rocker aus Massachusetts gastierten in Europa nur kurz nach dem völlig überraschenden Tod ihres Bassist Chris Friedrich im August: Über die Hintergründe wollte sich die Band freilich nicht äußern.

In einem winzigen Backstage-Kämmerchen traf man sich zum lockeren Plausch. Philip Jamieson, Joe Vickers und Erin Burke-Muran nahmen sich ein paar Minuten Zeit, um über die derzeitige Lage im Hause Caspian zu sprechen, ehe sie am Abend einige der HIM-Jünger und Jüngerinnen zu Caspian-Fans machten. Die ungleiche Paarung ging für die Amerikaner - wider Erwarten - durchaus auf.

Wie lief die Tour bislang?

Joe Vickers: Sehr gut.

Den Posts auf eurer Facebook-Seite nach zu urteilen, müssen die Shows mit HIM ja richtig gut gegangen sein.

Philip Jamieson: Ja. Wir hatten zu Beginn keine richtige Vorstellung davon, was uns erwartet. Wir wussten auch nicht, wie das ablaufen sollte, denn musikalisch unterscheiden wir uns doch sehr von HIM, und wir konnten nicht einschätzen, ob deren Fans uns mögen oder nicht, aber bislang sind die Reaktionen sehr positiv. Eine erfreuliche Überraschung bislang.

Das ist schon die Antwort auf eine Frage, die ich noch auf dem Zettel habe. Aber kannst du mir sagen, wie es zu diesem Package kam? Eigentlich könnten die Bands nicht unterschiedlicher sein.

Joe Vickers: Man hat ihnen anscheinend eine Liste mit 50 Bands vorgelegt, aus der sie dann letztendlich uns ausgewählt haben.

Philip: Sie wollten eine Band, die eine komplett andere Atmosphäre kreiert als das bei ihnen der Fall ist, etwas reflektierender und atmosphärischer. Das war für uns schon recht riskant, aber bis jetzt ging das wirklich gut.

Ich hätte eigentlich nie im Leben daran geglaubt ...

Da ging es dir wie uns, wir überlegten hin und her, aber wir dachten dann, dass unsere Musik für jeden etwas ist, der Musik mag, nicht nur für Postrock- oder Instrumentalmusik-Fans. Jeder, der mit Rockmusik etwas anfangen kann, müsste auch an uns Gefallen finden können.

Wie sahs denn mit eurem Puls aus, als ihr das erste Mal bei dieser Tour auf die Bühne seid?

Joe: Oh Mann! Das war heftig

Philip: Ich war schon lange nicht mehr so nervös.

Erin Burke-Moran: Da war der Soundcheck schon hektisch, das war heftig.

Wo war das?

Philip: Hamburg.

Ach, die Leute in Hamburg sind doch recht aufgeschlossen.

Philip: Ja, das schien uns auch so.

Ihr veröffentlicht demnächst eine neue EP, "Hymn For The Greatest Generation".

Joe: Ja, 'Greatest Generation' bezeichnet die Generation unserer Großeltern.

Philip: Der Schriftsteller und Journalist Tom Brokaw verwendete diesen Begriff zum ersten Mal. So nannte er ein Buch. Es dreht sich um das Leben der Leute, die um die Zeit des Zweiten Weltkriegs groß wurden. Wir haben den Song nicht speziell für unsere Großeltern geschrieben, aber so, wie er sich entwickelt hat, kamen uns Bilder in den Kopf, die mit ihren Erfahrungen zu tun hatten. Das hat uns geholfen, den Song zu Ende zu Bringen.

Joe: Philip zählt man zur Generation-X, ich bin Generation-Y, Erin auch. Warum zur Hölle braucht man solche Namensgebungen eigentlich?

Philip: Ich denke, das drückt einfach aus, wie das soziale Klima in diesen Zeiten ist.

Joe: Unsere Eltern waren die Baby Boomer.

Als Instrumentalband lässt man ja zwangsläufig viel von seinen Emotionen in die Musik einfließen. Wie fühlt sich es dann an, wenn euch Fans ihre Erfahrungen mitteilen, wie sie die Stücke wahrnehmen?

Philip: Was immer wieder hervor scheint ist, dass Leute, die sich mit dieser Art Musik auseinander setzen, eine große Vorstellungskraft besitzen und verschiedene Dinge aufgrund ihrer eigenen Kreativität wahrnehmen. Wenn man also nur eine begrenzte Vorstellungskraft besitzt, funktioniert diese Musik für dich nicht. Wenn man für alles eine Erklärung braucht und Dinge nur sehr strukturiert für einen funktionieren, dann wird es schwer, einen Zugang zu finden. Wenn du aber lebendige Bilder im Kopf hast, kann diese Musik diese Bilder zusätzlich mit Leben erfüllen.

Wenn wir uns dann mit Leuten über die Musik unterhalten, kommt ganz oft der Punkt, dass sie bestimmte Traumbilder im Kopf hatten oder sie sich zum Beispiel an etwas aus ihrer Kindheit erinnert fühlten oder eine Vision für die Zukunft hatten. Man hat einfach die Möglichkeit, in die Songs seine eigenen Interpretationen hineinzulegen, weil es ja keine Texte gibt, die dir vorgeben, worum sich der Song dreht. Es gibt zwar Songtitel, aber wir versuchen dabei immer so abstrakt wie möglich zu bleiben.

Ich habe das Album immer auf dem Weg zur Arbeit auf dem Kopfhörer gehört, beim Radfahren. Das hat mich vom Frühling über den Sommer bis zum Herbst begleitet und war für mich immer Ausdruck der sich wechselnden Landschaft.

Joe: Haha! "Weaking Season", das passt doch sehr gut.

Philip: Schön, das ist genau das, was wir uns erhoffen. Wir haben das Meiste des Album 2011 geschrieben, als der Frühling in den Sommer überging. Aber es passt eigentlich auch zu jeder anderen Jahreszeit.

"Wir würden zu dem Thema lieber nichts sagen"

Ich habe hier noch ein paar Fragen im Köcher, aber mir wurde gesagt, ich solle die lieber nicht stellen

Joe: Das ist ja interessant. Und warum hat man dir das gesagt?

Nun ja, es dreht sich um dieses eine Thema, das euch sicher noch zu nahe geht

Joe: Ah, er meint sicher Chris. Hm ... keine Ahnung ... wie geht es euch damit?

Erin: Ist das okay für dich, wenn wir zu dem Thema nichts sagen wollen?

Klar doch. "Hymn For The Greatest Generation" klingt vom Sound her sehr nach "Waking Season" und hört sich so an, als ob ihr das Album damit ausklingen lassen wollt.

Philip: Wir haben den Song während der "Waking Season"-Sessions geschrieben und aufgenommen. Es war der einzige Song, bei dem wir uns nicht sicher waren, ob er aufs Album passt. Bei den anderen Tracks war uns klar, wo der Platz auf der Platte sein sollte. Dieses Lied war so etwas wie eine Wild Card. Nach den Aufnahmen haben wir hin und her überlegt, sind aber zum Schluss gekommen, dass er im Kontext und im Fluss des Albums wenig Sinn ergibt. Wir wollten ihn separat ein halbes oder ganzes Jahr nach Erscheinen des Albums veröffentlichen, als eine Art Epilog oder abschließendes Wort. Aber du hast schon recht, da stecken ähnliche Gefühle drin, aber der Song unterscheidet sich auch gleichzeitig. Für mich fasst er die Stimmung des Albums in einem Song zusammen.

Ich weiß, dass es vielleicht noch zu früh ist, aber gibt es schon Pläne für ein weiteres Album?

Joe: Oh ja. Ich kanns kaum erwarten.

Philip: Wir haben unsere Probleme damit, auf Tour etwas zu schreiben, weil wir im Bus nur unsere Akustikgitarren haben und zwischen Soundcheck und Gig findet sich kaum Zeit. Wenn wir dann nach der Tour nach Hause kommen, wie im Dezember, dann brauchen wir auch mal Zeit, um Luft zu holen. Aber wenn die Touren im Februar zu Ende sind, werden wir uns hoffentlich im Frühling dran machen können, neues Material zu schreiben.

Jeder Musiker möchte die perfekte Platte machen. Wir sind sehr stolz auf "Waking Season", haben aber auch das Gefühl, dass wir noch viel mehr zu sagen haben. Wir wollen immer weiter pushen und sind auch schon gespannt darauf, wohin die Reise geht.

"Wenn wir mal auf dem Boden pennen müssen, okay"

Der normale Hörer, der nicht so den Einblick ins Geschäft hat, wird sich gewundert haben, dass ihr vor der Tour über Facebook bei euren Fans angefragt habt, ob sie euch einen Schlafplatz für die Nacht bieten können.

Joe: Ja, stimmt. Unterkunft war halt nicht Teil des Deals bei dieser Tour. Zwei Monate bevor es losgehen sollte, haben wir angefangen, unsere Fans in Deutschland anzuhauen, ob wir bei ihnen pennen könnten.

Hat das funktioniert?

Philip: Oh ja, bis jetzt hat das hervorragend geklappt.

Joe: Ein paar Mal mussten wir für Hotels bezahlen, aber ansonsten lief das ganz gut.

Philip: Das ist eben das Opfer, das wir bringen. Aber es lohnt sich ja auch. Nimm nur mal die erste Show dieser Tour in Hamburg. Da haben wir vor mehr Leuten gespielt als bei unserer kompletten letzten Tour zusammen.

Erin: An so etwas sind wir aus den Staaten eigentlich gewöhnt.

Das kann ich mir schon vorstellen, nur manchmal haben Leute diese romantische Vorstellung im Kopf, dass man als Band in einem hübschen Büschen von einer schönen Stadt in die nächste fährt und freie Kost und Logis genießen kann.

Philip: Das haben wir so ähnlich 2008 und 2009 gemacht, aber nur vor 40 oder 50 Leuten gespielt. Aber so, wie es jetzt ist, erinnert uns das immer daran, wo wir herkommen. Das erdet uns. Wir sind eine Band, die gute Musik machen möchte. Und wenn das bedeutet, dass wir auch mal auf dem Boden pennen müssen, ist das okay.

Ihr haltet über Facebook engen Kontakt zu euren Fans.

Joe: Ja, Phil macht das ganze Facebook-Zeug. Aber wenn ich das machen würde, hätten wir wohl mit niemandem Kontakt. Ich benutze ja nicht mal mehr meinen eigenen Account. Ich bin jetzt verheiratet, da sitze ich lieber mit meiner Frau Zuhause auf dem Sofa. Bin da nicht so der soziale Typ. Wenn ich online bin, dann überlege ich mir eine halbe Stunde, was ich denn Kluges schreiben könnte, und bevor ich dann tatsächlich etwas schreibe, lass ich es dann doch wieder sein.

Philip: Diese Einstellung ist aber nicht wirklich gut. Unsere Fans sind uns wirklich wichtig. Wenn wir das nicht beachten, entfernen wir uns von dem, was eigentlich zählt. Wenn du zu sehr auf dich selbst fokussiert bist, entfernst du dich ja von den Leuten, deren Leben du mit deiner Kunst bereichern möchtest. Es ist wirklich wichtig, dass du mit den Leuten in Kontakt bleibst, die dich unterstützen. Ohne die Leute, die unsere Platten kaufen, wären wir nicht in der Lage, in Europa zu spielen. Wir wollen das ja alles nicht exklusiv nur für uns selbst machen. Wenn wir das behaupten würden, wäre das schlichtweg falsch. Wir haben ja mitbekommen, dass unsere Musik andere Leute berührt.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Caspian

Ganz ohne Gesang, dafür mit bildgewaltigen Gitarrenwänden erscheinen Caspian aus Beverly in Massachusetts Mitte der Nullerjahre auf der Bühne des instrumentalen …

Noch keine Kommentare