17. November 2014

"Mehr Silben wären Onanie"

Interview geführt von

Liebs oder hass es. Nenn es Comeback des Jahres oder einen raffgierigen Business-Move. Fest steht: Michael Kurth hat noch immer einiges zu erzählen. Wir trafen den vielleicht angenehmsten Gesprächspartner der hiesigen Rap-Peripherie zum ausführlichen Interview.

Ende Oktober bin ich bei freundlichem Wetter in einem Kölner Biergarten mit Curse verabredet. Der Releasetag bringt natürlich Glücksgefühle, aber auch ein bisschen Chaos mit sich. Doch seine großzügige Verspätung kaschiert der Mindener auf die willkommene Art und Weise, mir ein Mittagessen auszugeben. Mediterranes Gemüse mit Ziegenkäse - und los gehts.

Ich zähle mich zu den Hörern, die du mit deiner Comeback-Platte "Uns" neu dazu gewonnen hast. Bin ich da einer von vielen - oder eher die Ausnahme?

Das wird sich zeigen. Wir hatten gestern ein Pre-Release-Konzert, und da waren die meisten Leute schon alte Fans. Aber es waren auch ein paar Leute dabei, die gesagt haben: Ich kannte dich vorher nicht. Ich habe nur "Wir Brauche Nur Uns" und "Tatooine" gehört, und das hat mich total begeistert. Ich glaub schon, dass es da einige neue Leute gibt. Aber wie das Verhältnis in Prozentzahlen ist, kann ich dir noch nicht sagen.

Du bringst die Platte selbst heraus, bist also erstmals nicht nur Künstler, sondern auch Geschäftsmann. Wie schaust du aus dem Blickwinkel auf den heutigen Releasetag? Bist du zufrieden, etwa mit den Vorverkaufszahlen?

Die Vorverkaufszahlen waren gut. Auch gut genug, dass das Album allein dadurch vernünftig chartet. Sie reichen jetzt nicht, wie bei anderen Kollegen, mit Ansage für die Eins oder die Top 3. Aber trotzdem: nice. Ich freu mich natürlich über einen hohen Chart-Einstieg. Ich hatte bisher nur ein Top 10-Album: "Von Innen Nach Außen". Und da darf gerne ein zweites dazu kommen. Das würde mich total freuen. [Zehn Tage später steigt Curse auf Platz fünf ein, d.Red.]

Aber das ist nicht das Einzige. Viele Alben steigen auf zwei ein, sind in der zweiten Woche auf 49 und dann auf 150 – und das wars. Meine Alben waren verhältnismäßig eher Dauerbrenner. Das ist auch cool. Es ist nicht nur ein 50 Meter-Sprint, sondern auch ein Marathon. Ich glaube, ich hab ein Album gemacht, das sich auch mit der Zeit bei den Leuten entwickelt und das man beispielsweise nach einem Monat seinem Kumpel empfiehlt. Deswegen ist für mich beides wichtig: sowohl die erste Chart-Woche, als auch der Marathonlauf.

Dass du auf die eigentlich so abstrakte Zahl des Chart-Einstiegs - als Trophäe oder was auch immer - Wert legst, gibst du ja erstaunlich offen zu.

Ich sag dir, warum. Es ist ja so, dass alle anderen Leute drauf gucken. Die Presse und so weiter. Wenn du dann auf neun gehst, sagen die Leute: Curse hats in die Top 10 geschafft. Und wenn du auf elf gehst, sagen die Leute: Es hat noch nicht mal für die Top 10 gereicht. Obwohl der Unterschied 200 Units sind. Manchmal auch 500, manchmal aber auch nur 30. Deswegen wünsch ich mir das natürlich schon. Aber wenn ich auf elf gehe, gibt mir das keinen Ego-Knick. Dafür ist es zu oft passiert. Ich kenn das doch. (lacht) Das ist für mich so wie nach Hause kommen: Ach, wieder auf elf. Ja, kenn ich.

Wirkt sich deine zusätzliche Label-Arbeit arg auf den Stress aus, den eine solche Platte mit sich bringt? Wann war beispielsweise dein letzter freier Tag?

Ach, ich nehm mir schon manchmal freie Tage. Ich hab ja auch 'ne Family. Da ist es schon wichtig, auch mal zu chillen. Ich hab es vor allem zu der Zeit gemerkt, als wir das Album gerade produktionsmäßig fertig gestellt haben, gleichzeitig aber schon mit Promotion, Cover-Artwork, Booklet und so weiter angefangen haben. Da war ich quasi zwölf bis vierzehn Stunden im Studio und zwölf bis vierzehn Stunden Geschäftsmann und dann noch irgendwie Privatmensch. Das hat teilweise echt gestresst, war aber wirklich nur eine Phase. Während der Produktion war es nicht schlimm und jetzt geht es auch. Außerdem hab ich ja ein sehr gutes Team von Leuten. Ich mache nicht alles selber. Ich habe zwei super Produktmanager mit viel Erfahrung und den Vertrieb Groove Attack, der mir mit sehr viel Expertise zur Seite steht. So ganz alleine bin ich also nicht.

Beim 16bars-Interview warst du dann nach eigenen Angaben sehr aufgeregt.

Ja, voll.

Wie kams?

Es war das allererste Interview. Und ich war an dem Tag auch einfach irgendwie zerstreut. Kennst du das? Es gibt manchmal solche Tage. Ich hatte zudem fast nichts gegessen und mein Zuckerhaushalt war völlig unausgeglichen. Aber ich hab dann mal in das Interview reingeschaut. Es hat ja trotzdem halbwegs Sinn gemacht.

Auf dem Cover-Foto siehst du dagegen sehr glücklich und gelöst aus. War das von vornherein geplant?

Nee, ohne Witz. Wir haben einfach geshootet und verschiedene Sachen ausprobiert. Dann hatten wir eine weiße Wand - geil ausgeleuchtet - und ich stand halt davor. Mein Homie Robert hat einfach draufgehalten, um zu sehen, ob das Licht stimmt. Und wir so: Alter, vergiss diesen ganzen fancy Kram, von wegen wir stellen uns irgendwo hin und haben irgendein Konzept. Das Album ist ziemlich pur. Das reicht so.

Wir hatten aber noch ein anderes Fotos, das jetzt zum "Tatooine"-Cover geworden ist. Da stehe ich einfach nur da und gucke in die Kamera. Das hatten wir eigentlich wochenlang als Album-Cover geplant. Das wäre so John Wayne-/Lonesome Cowboy-mäßig gewesen. Aber dann gab es eben noch dieses andere. Es gab ganz viele Leute, die gesagt haben: Ey, das Fotos passt einfach total zu dir und zum Album. Das sagt so viel aus. Dann hab ich gesagt: Ja, ich wollte eigentlich schon immer mal ein Cover haben, auf dem ich lache.

Du hast erwähnt, dass du mit 30.000 verkauften Platten noch kein Geld verdienen würdest. Klingt nach einer recht teuren Produktion.

Das stimmt, ja. Wir haben tatsächlich sechsstellig ausgegeben. Das ist aber auch bei jedem Major-Label so. Ein Hafti-Album kostet auch nicht weniger als 100.000 Euro. Ich bezahle ja TV-Promoter, Presse-Promoter, Radio-Promoter, Produktmanager, Fotografen, Producer und so weiter. Das kostet alles Geld, auch wenn viele Leute wegen der Independent-Sache ganz gute Deals machen. Am Ende kommt man auf irgendeinen Betrag. Und den musst du ja irgendwie wieder reinkriegen. 30.000 sind nur eine Milchmädchen-Rechnung. Vielleicht sind es auch 28.000, 27.500 oder 31.200. Aber irgendwo da liegt die magische Grenze. It's a fact.

Aber es gibt sicher independent veröffentlichte Rap-Alben, die deutlich weniger kosten.

Absolut. Ich kenne auch einige Kollegen, die zu den Producern sagen: Ist doch gut für dich, ist doch 'ne Chance. Ich zahl dir nichts für den Beat. Du kriegst GEMA. Ist doch geil, steht doch dein Name drauf. So packen die sich 15 Beats aufs Album, für die sie keinen Cent bezahlt haben. Natürlich holen die dann auch keine Musiker und machen ein Booklet mit vier Seiten und zwei Fotos drin, die der Homie mit dem iPhone gemacht hat.

Das soll jetzt gar nicht despektierlich sein. Denn am Ende des Tages ... nur weil ich viel Geld investiert habe, nur weil mein Booklet auf Offset-Papier gedruckt wurde und weil es 28 Seiten hat, verkauft sich mein Album ja nicht besser. Aber es ist immer eine Frage des Anspruchs an seine Kunst. Für mich war es schon immer und diesmal noch viel mehr als vorher so, dass ich diesen Gesamtanspruch habe. Deshalb habe ich auch Tourneen gefahren, bei denen ich wusste, dass ich am Ende mit 1.500 Euro nach Hause gehe. Dafür hatte ich aber eine Band, gutes Licht und guten Sound dabei. Und jeder Zuschauer sagt: Das war ein geiles Erlebnis. Und das ist mir wichtiger. Aus einer BWLer-Sicht ist das total bescheuert. Aber es ist mir wirklich wichtig.

Ich finde auch, dass durch diese Kultur des Beat-Pickens vieles an potenzieller Qualität und Homogenität verloren geht. War dir dagegen von Anfang an klar, dass du mit einem Team arbeitest?

Ja. Das war schon letztes Mal bei "Freiheit" mein Wunsch. Da hat es nicht so ganz geklappt. Diesmal hat es sich aber auch einfach ergeben. Ich habe sehr viel mit den Beatgees gearbeitet und festgestellt, dass vor allem Philipp, Hannes und ich einen fast identischen Musikgeschmack haben. Wir haben uns halt die ganze Zeit gegenseitig neue Sachen vorgespielt. Zudem hatte uns Claud, mit dem ich seit "Sinnflut" zusammenarbeite, mal ein paar Skizzen für Lary geschickt. Das war so unfassbar krasses Zeug, dass wir nur da saßen und meinten: Das gibts doch gar nicht. Dann meinten die Jungs, sie wollen unbedingt mal Claud kennen lernen. Also hab ich Claud Sachen von den Beatgees gezeigt und er meinte: Ich will die unbedingt mal kennen lernen. (lacht) So ging es los. Und dann haben wir zu viert dieses Album produziert.

Wie weit geht da dein Level? Spielst du beispielsweise mal ein Klavier ein? Würdest du dich gar als vollwertigen Produzenten bezeichnen?

Nein, nicht im Sinne von Maschinen bedienen. Aber ich bin ein vollwertiger Produzent in dem Sinne, dass ich von Melodien und Akkorden bis zu programmierten Drums einiges beisteure. Ich hatte bei diesem Album eine sehr klare Sound-Vorstellung und war fast schon so was wie ein Executive Producer.

Pop-Produzenten im klassischen Sinne bedienen ja auch gar keine Maschinen oder Instrumente, sondern reden hauptsächlich mit.

Richtig. Und was das angeht, war ich zu hundert Prozent am Start.

Mir ist dieser gewisse Ethno-Touch in der Musik aufgefallen. Woher kommt der?

Das ist eigentlich echt unabsichtlich passiert. Ich höre den allerdings nur auf "Millionen Mal Schon". Das kam daher, dass wir erst die Chords aus dem Chorus hatten. Dann habe ich gesagt: Jetzt muss das total massiv und Tribal-mäßig runterbrechen. So hat das dieses Feeling bekommen und wir hatten plötzlich diese Assoziationen zu Steppe und Wüste. Aus dieser Emotion heraus sind dann auch die ersten Zeilen entstanden. Das ist ganz typisch für den Prozess vieler Songs.

"Mein Album klingt so krass NICHT nach Max Herre."

Mir gefällt das Ergebnis mit ein paar Ausnahmen sehr gut. Etwas anders sieht das etwa ALL GOOD-Autor Justus Hütter: "Was uns Curse als seinen neuen Sound verkaufen will, ist nichts anderes als ein Mix aus den zurzeit angesagten Folk- und Elektrorutschen, die von Mumford & Sons über Chvrches bis hin zu Casper seit ein paar Jahren durch die Charts pflügen." Erstmal stellt sich natürlich die Frage: Willst du "Uns" überhaupt als deinen neuen, eigenen Sound verkaufen?

So explizit natürlich nicht. Ich habe aber natürlich gesagt, dass wir das Album mit einem gewissen Sound angegangen sind. Chvrches und Mumford & Sons höre ich zum Beispiel gar nicht privat. Meine Referenzen sind eher Miike Snow, Woodkid, How To Dress Well oder andere abgefahrene Sachen wie Wulyf. Manche Drums sind schon daran angelehnt. Aber da kann ja jeder hören, was er will. Das Ding ist: Ich mache die Musik, die mir gefällt. Und wenn das, was mir gefällt, in den letzten Jahren durch die Top 10 gewandert ist, dann schein ich einen sehr mainstreamigen Geschmack zu haben. Und damit bin ich auch völlig d'accord. Ist doch scheißegal.

Du bist also keiner der Künstler, der sich von zeitgeistigen Einflüssen abzuschirmen versucht.

Nee, bei mir war das eher andersrum. Ich habe ja eine Radiosendung auf 1Live. Ich spiele da seit Jahren die verschiedensten Sachen, auch total obskuren Sound. Ich bin echt ein Nerd und ein Digger, der sich durch viele Sachen durcharbeitet. Die musikalische Inspiration für das Album ist daraus entstanden, dass ich mal meine Lieblingssongs der letzten Jahre destilliert und herausgefunden habe, was die gemeinsam haben.

Dabei ist einfach rausgekommen, dass es einen bestimmten Sound gibt, der in mir Emotionen auslöst. Und den haben wir eben für dieses Album aufgegriffen. Es war mir eigentlich total scheißegal, ob das aus den Top 10 ist. Ich glaube auch, dass die Leute sich manchmal gerne einen drauf wichsen, Sachen schon zu kennen. Ach, ich bin sowieso besser und cooler, weil ich mich mega auskenne und alles durchschaut habe. Das finde ich so krass. Da denke ich mir jedes Mal: Okay ...

Man verbaut sich halt manchmal selber den Zugang zu guten Songs. Als ich "Wir Brauchen Nur Uns" zum ersten Mal gehört habe, war meine Reaktion zum Beispiel ganz ähnlich: Kenn ich ja alles schon - auf den Zug springt er jetzt also auf. Beim zweiten, unbefangeneren Höreindruck hat es mich dann aber total umgehauen.

Außerdem gibt es wirklich andere Musiker, denen man vorwerfen kann, dass sie für die Charts kalkulierte Musik machen. Ich glaube wirklich, dass ich da nicht dazu gehöre. Ich les dann so einen Artikel und denk mir: Okay, du hast es nicht verstanden und hast ein Medium, um dein Ich-habs-nicht-verstanden als Ich-habs-verstanden zu verkaufen. Gut. Okay. So ist es halt. Man macht was und es gibt positive und negative Kritik. Das ist halt the game. Kein Problem.

Ich hab das eben gelesen und kurz den Kopf geschüttelt. Vor allem darüber: Mein Album klingt so krass nicht wie Max Herre. Und dann dreimal mit Max Herre verglichen zu werden ... Electro, Folk, Mumford & Sons und so weiter: na ja, okay. Aber wenn du denkst, das Album klingt wie Max Herre, dann hast dus wirklich nicht verstanden.

Das stimmt. Aber ich glaube, das war weniger ein musikalischer Vergleich, als ein Vorwurf, dass du dich irgendwo anbiederst.

Es ist geil. Guck dir meine Karriere und meine Songs an. Wenn du das Gefühl hast, Curse ist ein Künstler, der sich anbiedert, wenn du nach meiner Vita das Gefühl hast, ich bin so ein Anbiederungstyp ... es ist halt nicht so! Das ist einfach ein Fakt. Aber es bringt ja nichts, darüber zu diskutieren. Jemand hat seine Meinung und feiert seine Meinung und dann ist das auch gut. Dann kann ich dem trotzdem begegnen und sagen: Hallo, wie gehts? Und fertig. (lacht)

Und von einem gewissen Entertainment-Faktor lebt der Musikjournalismus schließlich auch.

Ich weiß. Natürlich. Es ist ja auch halb so wild. Guck mal, wir reden jetzt schon so lange darüber. Was man bei solchen Sachen so oft unterschlägt ist etwa, dass gestern 200 Leute vier Stunden in einer Reihe vor dem Plattenladen standen und das Ding gekauft haben. Weils ihnen wichtig ist. Wenn ich als Künstler so was sage, heißt es: Ach, der feiert sich selbst. Das ist total schade.

Ich finde es krass, dass man so viel über negative Dinge sprechen muss. Da bekommt man ja das Gefühl, es gäbe viel mehr Negatives als Positives. Aber es ist ja eigentlich andersrum. Ich freu mich über jeden positiven Artikel. Aber ich freu mich am meisten darüber, dass ein Mensch mir gegenüber steht oder sitzt, wie du jetzt zum Beispiel, unabhängig vom Journalismus, und sagt: Ey, als ich mich drauf eingelassen habe, hats mich voll umgehauen. Punkt. That's what it is. Darum gehts.

Kannst du dir denn erklären, warum du so sehr polarisierst? Das habe ich noch nicht wirklich durchschaut. Es gibt ja auch erfolgreiche Rapper - wer die nicht feiert, ...

... hält sein Maul. (lacht)

Du wirst ja jetzt nicht ständig gezielt gedisst. Aber ich habe das Gefühl, wenn man irgendeinen alten Rapper noch kurz beiläufig in einer Line verspotten will, ist das entweder Torch oder Curse. Warum?

Erstens: weil ich nicht 30 Leute habe, die dir sofort aufs Maul hauen. Das haben nämlich einige andere Leute. Die werden nicht gedisst. Das ist bei mir anders. Das ist schon mal eine ganz handfeste Formel. (lacht) Ansonsten: Ich steh halt für was ganz Bestimmtes, vor allem dafür, sehr aufzumachen. Und dafür, Schutz und harte Fassade fallen zu lassen. Dadurch dass ich manche Sachen mit einer gewissen Schonungslosigkeit ausspreche, kann das für manche Leute, glaube ich, unangenehm sein. Manche Leute fühlen da vielleicht irgendeinen Punkt in sich berührt, der ihnen extrem unangenehm ist. Die sagen dann: Argh, was labert denn der? Der ist scheiße. Ich glaube, um meine Musik zu hören, braucht man schon eine gewisse Offenheit, an solche Punkte ranzugehen. Das wäre vielleicht eine psychologische Erklärung. Aber am Ende des Tages weiß ich es nicht. Und es ist mir auch nicht so wichtig.

Platzt dir eigentlich nicht der Kragen, wenn dich gefühlt jeder Journalist nach dem viel zitierten Shindy-Vorwurf [Curse kehrt zurück, weil es mit Rap wieder läuft, d. Verf.] fragt – obwohl das wirklich eine dumme Unterstellung ist?

Es ist eine dumme Unterstellung. Genau. Punkt. Viele Fragen mich danach. Und ich sage dann immer das Gleiche: Es ist eine Unterstellung, stimmt nicht. Fertig, aus. Aber man muss das mal bewusst beobachten, das finde ich auch echt interessant. Nach dem Prinzip funktioniert ja ganz viel Informationsfluss auf der Welt: Eine negative Nachricht bekommt viel mehr Aufmerksamkeit als eine positive. Das ist auch für das menschliche Gehirn so. Wir suchen ständig nach Pleasure, aber wie bei Pawlows Hund springen bei jeder Bestrafung die Synapsen an.

Ich hatte bei meiner Albumankündigung innerhalb von Minuten tausende Facebook-Likes und Kommentare. Die Leute haben sich megakrass gefreut. Das sind tausende von Menschen, die genauso morgens aufstehen und wieder ins Bett gehen, Familie und Freunde haben – wie Shindy. Tausende von Menschen haben sich gefreut. Und eine Person hat gesagt, das sei Kacke. Und alle reden mit mir über diese eine Person. Ich finde es interessant, wie wir funktionieren. Und da wundern wir uns noch, wieso wir so oft unglücklich sind. Guck doch mal, wo unsere Aufmerksamkeit hingeht.

Wenn dir jetzt irgendjemand Props gegeben hätte, ...

... würde niemand drüber reden. In den nächsten Wochen posten wir von Credibil, Afrob oder Megaloh Shoutouts und Statements. Da wird man mich wahrscheinlich nicht in jedem Interview drauf ansprechen. Was sagst du dazu, dass Credibil wegen dir solche Texte schreibt? Nee, das nehmen die Leute einfach hin. Ist ja klar. Fans halt. (lacht) Es ist echt absurd. Das Ding bei Shindy ist: Ich finde es sogar teilweise cool, was er macht. Und ich glaube, er hat es nachher sogar noch mal relativiert.

Das war einfach irgendein Tweet und wird jetzt als das große Statement von Shindy gegen Curse verkauft.

Ich weiß, eigentlich sollte es fünf Minuten später keine Sau mehr interessieren. Aber guck mal, das Schöne ist ja auch, dass es Menschen gibt wie dich und mich, die das dann irgendwie wahrnehmen, aber auch in Relation setzen. Fuck it.

"Bei Thees Uhlmann hab ich tatsächlich geklaut"

Bei der etwas sachlicheren Rezeption deines Comebacks sorgt vor allem die Tatsache für Gesprächsstoff und Diskussionen, dass die Platte nicht gerade Rap-lastig geworden ist. Ganz unabhängig von deiner Vortragsweise kommt noch hinzu, dass Musik und Text auch rein zeitlich betrachtet fast gleichberechtigt sind.

Ja, es war von Anfang an klar, dass wir nicht mit dem Rap die Musik erschlagen wollen, wie ich das früher gerne gemacht habe: super viele Silben, einfach drauf, gib ihm. Es geht um den Song. Der Song muss funktionieren. Da ist nichts wertvoller als das andere. Claud und ich haben sogar darum gefightet, wie viel Text drauf kommt. Die Jungs wollten immer mehr Text und meinten: Da kannst du ruhig noch mal acht Takte dran hängen. Ich habe dann immer gefragt: Ist mit der Strophe der Punkt klar? Ja. Ist das was gesagt werden muss gesagt? Ja. Dann brauchen wir keine weiteren acht Zeilen. Die wären nur Onanie. Brauchen wir nicht. Das war echt immer ein Kuhhandel.

Auf die Art und Weise ist dann auch er Doubletime-Part weggefallen, den du in der Juice angesprochen hast. Welcher Song war das eigentlich?

Genau. Der war auf "Ende" mit Fibi. Da gab es am Ende meiner zweiten Strophe eigentlich noch einen Doubletime-Part, den wir aber gekillt haben. (lacht)

Als ich letztens mal wieder "Und Was Ist Jetzt" angehört habe, ist mir auch ein Slang aufgefallen, der auf "Uns" komplett verschwunden ist. Wie kam das? Auch durch die Tätigkeit als Moderator?

Weiß ich nicht. Aber auch das war wieder die Entscheidung für so viel Klarheit und so viel Direktheit wie möglich. Deswegen die vielen Pausen und die klare Aussprache. Ich war immer ein Rapper, von dem die Leute gesagt haben: Da muss man erst fünf mal zuhören, bevor man etwas versteht. Ich wollte dieses Mal, dass jeder beim ersten Mal jedes Wort verstehen. Das war mir unglaublich wichtig.

Außerdem wollte ich alles weglassen, was in irgendeiner Weise aufgesetzt ist. Auf anderen Alben habe ich immer noch mehr gestylt. Das wirkt sich dann darauf aus, wie man die Stimme einsetzt und Sachen betont oder so. Diesmal habe ich gesagt: Ich will nicht stylen. Ich will nichts hinzufügen, sondern alles wegstreichen, was nicht wirklich klar oder ehrlich ist.

Das Wort Flow spielt da wahrscheinlich auch keine Rolle mehr, oder?

Es ist nicht mehr so schnell, aber es hat schon einen gewissen Flow. Es gab ja auch Rapper wie zum Beispiel Sauce Money oder Ed O.G. Das sind Typen, die flowen ganz langsam, ganz akzentuiert und machen Pausen an den richtigen Stellen. Das ist mega, weil jedes Wort Wucht und Gewicht hat. Das ist auch eine Form von Flow. Es ist halt nicht Doubletime.

Ein weiteres Thema ist die nicht mehr so stark ausgeprägte Ich-Bezogenheit. Glaubst du, das ist eine Frage des Alters? Das entwickelt sich ja bei vielen Künstlern so, man denke nur an Tomte und Thees Uhlmanns Soloalben.

Ich liebe Thees Uhlmann. Warum die Leute nicht sagen, ich hätte bei Thees Uhlmann geklaut, ist mir unerklärlich. Bei dem hab ich tatsächlich geklaut. (lacht) Bei "Herz Zurück" haben wir zum Beispiel die ganze Zeit gesagt: Das muss mehr wie Thees Uhlmann klingen. Unterstellt mir doch mal die richtigen Sachen! Ja, Thees, ich habe deine Album gehört und es hat mir richtig gut gefallen.

Zu deiner Frage: Ich habe da noch keine Studie erhoben und das international untersucht. Aber ich persönlich habe früher einfach mit viel mehr Sachen gestruggelt und im Clinch gelegen. Ich habe viel mehr Sachen ausbaldowert. Jetzt bin ich, etwa bei den Kommentaren, eher auf dem Level angelangt: Ach, in einem halben Jahr interessierts keine Sau mehr.

Noch ein paar Detailfragen: Bei "Wir Brauchen Nur Uns" hat es mich gewundert, dass du für die Single-Version die letzte Hook mit der alternativen Hi-Hat gestrichen hast.

Das war nur eine Frage der Länge. Das Video war ja ziemlich simpel aufgebaut. Es gab halt diese Hommage an "Und Was Ist Jetzt": Ich sitz an diesem Tisch, dieses Mal ist sie halt da, ich laufe raus und nicht rückwärts, sondern vorwärts. Das war ja eher eine Positivierung mit Augenzwinkern. Wir mussten das sehr schnell schießen und haben es dann kurz und knackig gehalten. Auch da haben die Jungs gesagt: Komm, die letzte Hook ist wichtig. Aber auch da war ich für Reduktion. So ist es eine Minute kürzer und funktioniert trotzdem. Ansonsten hätte der Clip noch irgendeine Wendung nehmen müssen. Die haben wir dann nicht gefunden.

Bei "Du Träumst Wie Ich" habe ich mich gewundert, dass für die weibliche Stimme im Refrain kein Feature angegeben wurde.

Das ist Laila Samuels. Eine Skandinavierin, die eigentlich ein super krass akzentiges Deutsch spricht, was man auf dem Song krasserweise gar nicht hört. Eigentlich ist sie Songwriterin. Das war der allerletzte Song, den wir gemacht haben. Chima hat versucht, drauf zu singen, zuerst habe sogar ich es versucht. Das war 'ne komplette Katastrophe. Das sollte aber gar kein Vocal-Feature werden, sondern einfach eine Hook, die als musikalisches Element funktioniert.

Bei "November" mit Tua würde mich interessieren, ob und wie viel er mitproduziert hat.

Gar nicht. Ich feier Tua auch als Producer wahnsinnig ab. Aber der Song war so weit fertig. Seine Stimme war tatsächlich das Allerletzte, was wir fürs Album aufgenommen haben. Produziert hat er da nix.

Es ist wahrscheinlich gar nicht so einfach, Tua mit einem fertig produzieren Song so sehr zu überzeugen, dass er einfach darauf singt, ohne sonst noch was ändern zu wollen.

Ja, vor allem war es so, dass ich ihn angerufen und gesagt habe: Alder, ich hab hier 'nen Song und würde wahnsinnig gerne - aber das muss quasi gestern fertig sein. Und er so: Okay, schick rüber. Dann hab ich ihm dazu noch "Kristallklarer Februar" geschickt, weil die Songs nacheinander auf dem Album stehen sollen. Am Ende von "Kristallklarer Februar" hört man übrigens auch ganz leicht Tuas Stimme. Er hat dann direkt geschrieben, dass er das auf jeden Fall macht. Und dass er bei "Kristallklarer Februar" gerade kaputt gegangen ist. Er hat sich sofort Zeit genommen und das gemacht. Darüber bin total froh. Ich finde Tua als Gesamtkünstler einfach richtig großartig.

Zum deinem verstorbenen Freund Patrick gewidmeten Song "Kristallklarer Februar" hatte ich eigentlich die Frage, ob es nicht außerordentlich viel schwerer fiel, ihn zu schreiben. Allerdings hast du dann mehrfach erwähnt, dass das die ersten Zeilen für die neue Platte waren. Fiel es also im Endeffekt sogar verhältnismäßig leicht?

Nee. Ich hab mir schon hart einen abgebrochen bei dem Ding. Ich habe daran schon einige Tage intensiv gearbeitet. Emotional war ich natürlich sofort zu hundert Prozent da, weil das da halt auch noch nicht so lange her war. Aber der Prozess war nicht so einfach. Vor allem, weil es halt der erste Song war. Ich musste ja nicht nur vernünftig über dieses Thema schreiben und um Himmels Willen irgendwas Kitschiges vermeiden, sondern auch zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder einen kompletten Rap-Song schreiben. Eigentlich war es doppelt schwer.

Ganz andere, abschließende Frage: Seit wann bist du eigentlich Buddhist?

Kann ich dir gar nicht sagen, im Buddhismus wird man ja nicht getauft oder so.

Wie bist du dazu gekommen?

Als ich aufgehört habe, Musik zu machen, habe ich mein ganzes Leben irgendwie umgekrempelt. Der Weg, den ich die letzten zehn Jahre gegangen war, hatte mich ja anscheinend nicht glücklich gemacht. Obwohl ich in Interviews immer gesagt habe, das sei mein größtes Ziel im Leben: Glücklichsein. Dann habe ich mir gedacht: Okay. Ich habe mir ja schon immer viele Gedanken gemacht – und andere Leute haben behauptet, ich hätte philosophische Texte.

Aber ich wollte mal raus aus diesen Gedanken und rein ins Handeln. Ich wollte nicht zehn Bücher über Zen lesen, sondern einfach mal ins Zentrum gehen und mich da hinsetzen. Ich habe dann eine sehr intensive meditative Erfahrung gemacht. Das war der Auslöser zu sagen: Okay, krass. Da gehts lang. Da habe ich noch in Köln gewohnt und bin in die ganzen buddhistischen Zentren gegangen.

Ich habe dann ganze viele Sachen gemacht und erlebt und herzlichst über mich selber gelacht. Und was ich da gelernt habe, hat sich eben im Selbstversuch als richtig rausgestellt. Das hat mir irgendwann die Zuversicht gegeben. Wenn ich bei zehn Sachen im Selbstversuch herausfinde, dass sie stimmen, habe ich Vertrauen darin, dass die nächsten zehn Sachen auch stimmen werden. Seitdem ist das so.

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