20. Juni 2016

"Ich wurde noch nie von einem Kollegen angebaggert"

Interview geführt von

Lack, Leder, harte Gitarren: Mit dem Mammutpaket "Strong And Proud – 30 Years Of Rock And Metal" feiert Doro dieser Tage ihr dreißigjähriges Bühnenjubiläum.

Als sich Metal in den frühen Achtzigern aus dem Untergrund ins Rampenlicht katapultierte waren die Geschlechterrollen klar verteilt. Während die Männer auf und vor den Bühnen die Fäuste in den Himmel reckten, fristeten die meisten Metal-Damen ihr Dasein meist im Schatten des Spektakels. Nur selten wagte sich eine Frau mit Hang zu rauen Klängen auf die Bühne. Eine von ihnen: Doro Pesch. Die platinblonde Düsseldorferin entschlosss sich 1982, den Herren des Genres zu zeigen, dass man keine Eier in der Hose braucht, um amtlich zu rocken. Mehr als 30 Jahre später grüßt Doro immer noch vom oberen Ende der Hartwurst-Nahrungskette. Kurz vor der Veröffentlichung des Jubi-Pakets "Strong And Proud - 30 Years Of Rock And Metal" trafen wir die 'Queen of Metal' in Berlin zum Gespräch und plauderten über Lemmy, Gene Simmons und gebrochene Nasen.

Doro, vor zwei Jahren 50 Kerzen auf dem Geburtstagskuchen, ein Jahr zuvor auf der großen Wacken-Bühne das 30-jährige Bühnenjubiläum. Ergo: Du hast weit mehr als die Hälfte deines bisherigen Lebens umringt von Lack, Leder und Stromgitarren verbracht. Gut so?

Doro: Auf jeden Fall. (lacht) Ich wollte nie etwas anderes machen. Heavy Metal und Hardrock waren immer an meiner Seite. Mir schießen heute noch Tränen in die Augen wenn ich alte Sachen von Kiss, Pink Floyd oder Motörhead im Radio höre. Das waren die Anfänge. Mit dieser Musik bin ich groß geworden. Und irgendwann bin ich dann selbst reingerutscht. Das ist für mich immer noch alles wie ein Traum. Jede neue Platte, jeder Gig, jedes Fantreffen: Das fühlt sich alles immer wieder neu und spannend für mich an.

Du hast in den vergangenen 30 Jahren nicht nur mit unzähligen Branchenkollegen zusammengearbeitet, sondern auch mit vielen enge Freundschaften geschlossen. Lemmy, einer deiner engsten Begleiter, hat sich im vergangenen Jahr von dieser Welt verabschiedet. Was ist deine schönste Erinnerung an den Motörhead-Leader?

Da gibt es so viele. Ich weiß beispielsweise noch, wie ich ihn vor ein paar Jahren in Los Angeles besuchte. Damals wollte ich unbedingt, dass er gemeinsam mit mir den Song "It Still Hurts" einsingt. Keine Ahnung wie viel Whisky ich ihm einflößen musste, bis er endlich zusagte. Dann wollte ich ihn später stilecht mit 'ner Limo zum Studio kutschieren. Aber Lemmy war nicht zuhause. Wir waren aber eigentlich verabredet. Ich war schon am Boden zerstört, als plötzlich mein Handy klingelte und man mir sagte, dass Lemmy bereits seit Stunden im Studio warte. Der alte Gauner! Mit ihm war immer was los. Ich kann immer noch nicht glauben, dass er nicht mehr da ist. Wir haben viel miteinander telefoniert, oft miteinander gefeiert. Er war einer der liebenswürdigsten Menschen im Business. Immer ehrlich, immer geradeaus und immer gut drauf. Ich vermisse ihn sehr.

Dein Solodebüt wurde einst von Kiss-Schlabberzunge Gene Simmons produziert. Auch ein feiner Kerl?

Absolut. Gene war und ist auch heute noch ein Fachmann. Der weiß genau, auf was es ankommt. Für mich war das damals natürlich eine Riesensache. Ich meine, jeder weiß, dass ich großer Kiss-Fan bin. Und wenn man dann mit einem seiner Heroen auch noch zusammenarbeiten darf ... Das war schon ziemlich fett.

Habt ihr noch Kontakt?

Gelegentlich. Ich habe zwar seine Handynummer nicht. Aber man trifft sich ab und zu. Das letzte Mal hab ich ihn auf Lemmys Beerdigung gesehen. Das war natürlich kein so schöner Anlass.

"Ich mache keinem schöne Augen oder wackel mit dem Hintern"

Du hast auch schon mit vielen Kolleginnen gemeinsam auf der Bühne gestanden. Aber Fakt ist: Du hast vor allem mit Männern zusammengearbeitet. Und ich rede jetzt nicht von Beamten, Bankangestellten und Postboten, sondern von rustikalen Jägern und Sammlern. Mal Hand aufs Herz: Wie viele wollten irgendwann mehr als nur gemeinsam Musik machen?

(lacht) Du wirst es nicht glauben. Aber ich wurde in meiner ganzen Karriere noch von keinem einzigen Musikerkollegen angebaggert. Der eine oder andere Fan war da schon aufdringlicher. Das gehört einfach dazu. Es lag auch schon mal ein nackter Fremder in meinem Hotelbett. Aber Musiker? Da lief gar nichts.

Unglaublich.

... aber wahr. (lacht) Die Sache ist einfach die: Wenn ich mit Musikern zusammen bin, geht es nur um Musik. So einfach ist das. Egal ob auf der Bühne, im Proberaum oder im Studio: Es geht immer nur um Musik. Ich fühle mich dann auch gar nicht als Frau. Ich mache keinem schöne Augen oder wackel mit dem Hintern. Es geht dann nur um Riffs, Refrains und Melodien. Man ist dann einfach auf einer anderen Ebene. Auf solche Gedanken kommt man auch gar nicht erst. Wenn es passt und geile Songs entstehen, dann ist das so viel intimer, als mal eben auf die Schnelle miteinander in die Kiste zu steigen.

Gene Simmons, Lemmy, Dio, Biff Byford: Das sind schon Hardrock- und Metal-Legenden. Wann wurde dir eigentlich erstmals bewusst, dass du ganz oben mitspielst? Gabs da einen bestimmten Moment?

Nicht wirklich. Das war eher so eine Entwicklung. Natürlich gab es und gibt es auch immer noch Augenblicke, die alles andere in den Schatten stellen. Ich meine, als Düsseldorferin in Südamerika zu rocken, gemeinsam mit Gene Simmons ein Album aufzunehmen oder auf der großen Wacken-Bühne zu spielen sind schon krasse Highlights. Da schwebt man dann natürlich auf Wolken. Aber für mich ist jeder neue Tag ein Geschenk. Jeder Gig, egal, ob auf einem Festival oder in einem kleinen Club, ist eine neue Herausforderung. Und wenn ich dann etwas Schönes über ein Konzert oder eine neue Platte lese, dann freue ich mich natürlich auch darüber. Das sind dann die Augenblicke, in denen mir bewusst wird, dass ich alles richtig gemacht habe.

Wie siehts mit nicht ganz so netten Berichten aus? Für deine Fans ist jede neue Platte natürlich ein Muss. Aber der eine oder andere Rezensent sieht das bisweilen schon mal anders. Beschäftigst du dich auch mit Kritik?

Ungern. (lacht) Aber das gehört natürlich auch dazu. Bei euch werde ich ja auch nicht permanent abgefeiert. Aber das ist schon in Ordnung. (lacht) Im Ernst: Wer wird schon von allen geliebt? Wenn ich mal ne poppigere Nummer schreibe, dann kriegen die Metal-Heads 'ne Krise. Und wenn ich dann live einen alten Warlock-Hammer auspacke, halten sich die "Für Immer"-Fans die Ohren zu. Man kann es leider nicht allen recht machen. Damit kann ich aber gut umgehen.

"Plötzlich saß ich mit Gotthilf Fischer im Studio"

Bisweilen treibst du es aber auch gerne auf die Spitze. Stichwort: Promi-Boxen. Was war denn da los?

(lacht) Ach, hör auf. Das kommt halt dabei raus, wenn man sich nicht richtig informiert. Ich habe mir damals gar keine Platte gemacht. Man sagte mir nur, dass unsere Songs im Fernsehen laufen würden, und dass das Ganze nur eine große Show wäre, bei der sich keiner verletzen solle. Und ich dachte mir dann: Cool, unsere Songs laufen im Fernsehen. Hammer! Da mache ich mit. Ich bin ja auch nur eingesprungen. Aber egal. Letztlich war es dann so, dass Kämpfer der ersten beiden Kämpfe bereits mit gebrochenen Nasen ins Krankenhaus mussten. Da hab ich dann schon geschluckt. Ich meine, ich war gerade auf Tour. Eine gebrochene Nase hätte ich mir da nicht leisten können. Naja, zum Glück ging ja alles glatt. Und danach drehten plötzlich alle am Rad. Die komplette Tour war auf einmal ausverkauft. Das war schon der Hammer. Insofern war das schon 'ne gute Sache. Aber noch mal machen würde ich es natürlich nicht.

Wie siehts mit anderen werbewirksamen TV-Formaten aus? Dschungelcamp? Big Brother? Wäre das was für dich?

Um Gottes willen! Niemals. Das ist doch alles großer Quatsch. Mit Fernsehen bin ich jetzt auch durch, glaube ich. Ich kann mich noch erinnern, da sollte ich als großer Box-Fan mit dem Dariusz Michalczewski und noch einem anderen Box-Gast in einer Talkrunde auftreten. Da hatte ich auch total Lust drauf. Am Ende hatten die aber alle abgesagt, und ich saß dann irgendwie mit Gotthilf Fischer und irgendeinem Playmate im Studio. Das ging irgendwie gar nicht. Ganz gruselig.

Aber der Gotthilf Fischer soll ja ein ganz lustiger Kerl sein.

Der war auch lustig. Der war auch total nett. Aber wenn man sich auf nen Box-Weltmeister einstellt und dann auf Gotthilf Fischer trifft, dann haut es einen erstmal aus den Socken. (lacht)

Weißt du, was mich mal aus den Socken hauen würde?

Nein. Aber ich bin gespannt.

Ich würde ja gerne mal wissen, wie es klingt, wenn du etwas völlig anderes machen würdest. Darüber schon mal nachgedacht?

Schon des Öfteren. Ich steh beispielsweise total auf Filmmusik. Da habe ich ja auch schon für den Film "Anuk" mal reingeschnuppert. Das hat viel Spaß gemacht. Und ich könnte mir auch vorstellen mehr in Richtung Death- und Thrash Metal zu machen. Da bekomme ich auch immer eine Gänsehaut. Ich war ja schon mal mit den Jungs von Amon Amarth im Studio. Das war der Hammer. Ich stehe auch total auf den Sound von Children Of Bodom. Je wilder, desto besser. (lacht)

Apropos wild: Dieser Tage erscheint das Doro-Jubi-Paket "Strong And Proud – 30 Years Of Rock And Metal". Die Speerspitze deines bisherigen Schaffens?

In Sachen Retrospektive auf jeden Fall. Wir haben echt unendlich viel Zeit, Energie und Liebe in diese Produktion gesteckt. Neben vielen Live-Highlights gibt es auch noch eine "Behind The Curtain"-Dokumentation oben drauf. Da gibts tolle Impressionen und nie gesehene Bilder und Interviews von und über unser Leben hinter der Bühne. Ich bin wahnsinnig stolz auf das Paket.

Nach 30 Jahren im Business wäre es normal, mal darüber nachzudenken, das Mikrofon an den Nagel zu hängen. Beschäftigst du dich manchmal mit derartigen Gedanken?

Nein. Sicher, es gibt immer mal Momente, in denen man am Boden ist. Aber ich bin ein Stehaufmännchen. Ich bin Sängerin durch und durch. Das ist mein Leben. Und ich hoffe, dass ich meinen Fans noch ganz lange erhalten bleibe. (lacht) Das Business ist nämlich kein Zuckerschlecken. Das ist ganz schön hart. Aber ich beiße mich durch. Das habe ich schon immer.

Strong and proud ...

Genau. Strong and proud! (lacht)

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