Eins vorweg: Die Musik ist auf "The Astonishing" grandios in Szene gesetzt und die Band brilliert auf einem gewohnt virtuosen Level. Die Vielfalt an Stilen fällt enzyklopädisch, fast schon gigantomanisch aus. Die Produktion rangiert im oberen Klassement des Genre-Standards. Orchester und Chor funktionieren …
Seit einem Jahrzehnt bin ich nachgeholter Dream Theater- Fan und trotzdem bin ich mit jedem weiteren Album nur immer enttäuschter. Wo ich dachte, dass beim Album "Dramatic Turn of Events" die überpathetische, aber überhaupt nicht tiefgründige Kitschigkeit der Texte einen Höhepunkt erreicht hatte, setzen DT bei ihrer neuen Rock-Oper vor allem neue Maßstäbe in Zahnschmelz vernichtender Schnulze. Und das sage ich als jemand, der bei zahlreichen Alben noch beide Augen zugedrückt hat über äußerst ausgelutschte Botschaften ala "Carpe Diem", "Liebe ist stärker als der Tod", "Sind die Freimaurer nicht echt cool und mysteriös?" und zu guter letzt "Kennt ihr schon die Geschichte, als ich Hannibal Lecter begegnet bin, der am Ende gar nicht Lecter war?" (Count of Tuscany)
Als ich dann heute das neue Album beim ersten Blick auf die Rückseite als Konzeptalbum identifizierte, rechnete ich also mit dem Schlimmsten. Und tatsächlich: Die Geschichte hat mich an so gut wie keiner Stelle irgendwie überzeugt und dennoch triefte sie vor schmachtenden Liebes- und Leidbekundungen. Die Charakterpsychologie, obwohl die in Opern ja immer recht übertrieben dargestellt wird, ist dabei ebenso lächerlich. Ein paar Beispiele:
1. Als man den Klischee-Imperator überzeugen will, die Unterschicht doch bitte nicht mehr zu versklaven und sich doch mal mit dem Rebellen-messias zu treffen, dient ein SciFi-Mp3-Player, den die Tochter im Palastgarten gefunden hat, als Überzeugungsmittel. Daddys alter Flashdrive, so stellt sich heraus, macht den Herrn nostalgisch, weshalb er alle politischen Prinzipien über den Haufen wirft. Noch nicht weit hergeholt genug?
2. Dem Bruder des Protagonisten wird ein Angebot gemacht: Verrate deinen Bruder und die Rebellion, die du leitest, und im Gegenzug darf dein Sohn sein restliches Leben im Palast Pralinen mampfen. Dass die Revolution der Beseitigung der zwei-Klassen-Gesellschaft dienen sollte, wird da schnell mal vergessen. Hauptsache der eigene Wonneproppen hat's gut, damit die durch den Krieg gestorbene (!) Mutter und Ehefrau wenigstens ihren Todeswunsch erfüllt bekommt, dass es Söhnchen gut ergehen wird. Also Kopf ab beim Bruderherz - oder doch nicht? Kurzfristig entscheidet sich der Rebellenführer wieder um und stirbt beim Versuch, es wieder glattzubügeln.
3. Sowohl der Bruder als auch die "Geliebte" (aber de facto Unbekannte) des Protagonisten liegen blutend am Boden - dem Bruder trauert man nicht lange nach, stattdessen gilt es, sich in plötzlich versammelter Dorfmannschaft der magischen Wunderheilung (!) der ausblutenden Geliebten durch Chorgesang zu widmen. Der Bruder kann schön weiterbluten.
4. Jetzt, da die neue Fickschnitte wieder lebt, verzeiht man ihrem Angreifer und dem nach-wie-vor-Mörder des Protagonisten-Bruders. Begründung: Er war halt verwirrt, und jetzt ist ja immerhin der Imperator durch sinnlose Gewalt zu Verstand gekommen. Dass der Angreifer mit der Schuld leben muss, sowohl seine eigene Schwester beinahe getötet, als auch den Bruder ihres neuen Freundes abgemurkst zu haben, wird nicht weiter erwähnt.
Und das sind nur die auffälligsten Schwachsinnigkeiten, bei denen ich beim grundlegenden Plot den Kopf schütteln muss.
Aufgefüllt wird der inhaltlich wertlose Stuss zwischen Hunger Games und Game of Thrones mit viel innerem Monolog und jeder Menge altbekannter Floskeln: Liebe > Tod, Musik siegt über Gewalt und natürlich das Mantra des Durchschnitsamerikaners: Freiheit ist wichtiger als das eigene Leben! Der übliche DT-Schund, über den ich bei einer schlüssigen Geschichte vielleicht hinweggesehen hätte.
Musikalisch ist vor allem der erste Akt 'underwhelming'. Es gibt viele Experimente, aber kaum eingängige Melodien oder interessante progressive Elemente. Wenigstens hat man sich inzwischen von Rudess' billigem Synthieorchester verabschiedet und verwendet jetzt ein echtes. Für mich, der gerne Klassik hört, ist das meiste aber wertloses Gedudel - vielleicht Geschmackssache.
Petrucci baut kaum Solos ein, die dann für ihn nichts besonderes sind und zudem an den falschen Stellen einsetzen, an denen die Stimmung eigentlich kein Solo braucht. Zumindest im zweiten Akt gibt es einige eingängige Refrains und ein paar interessante neue Instrumente. Enttäuschend ist aber, das Rudess nicht nur die schlechten Midi-Orchester, sondern seinen Synthesizer fast komplett aus dem Spiel lässt, wenn er nicht gerade ein Unisono mit Petruccis Gitarrensolo spielt. Stattdessen gibt es 4 einminütige "Krach-Songs", die eher klingen, als hätte Rudess ein neues Effektgerät im Musikladen ausprobiert.
Zum Schluss noch etwas Gutes: Es gibt tatsächlich ein paar Gänsehautmomente, die man sich durch viel Mitlesen im Booklet und viel Mitdenken im irrsinnigen Plot gleichsam erarbeiten muss. Einige Passagen klingen wirklich wunderschön oder haben sehr spannende Beats und Rhythmen, werden dann aber wieder von Gedudel abgelöst. Der Plot kann bei halb zugekniffenden Augen tatsächlich hin und wieder bewegen, aber diese Momente konnte ich an einer Hand abzählen. Für mich wirklich eines der schlechtesten Alben von DT, obwohl ich die Idee des Konzeptalbums der Rock-Oper sehr begrüße und das Setting vielversprechend wirkte. 5/10
Eins vorweg: Die Musik ist auf "The Astonishing" grandios in Szene gesetzt und die Band brilliert auf einem gewohnt virtuosen Level. Die Vielfalt an Stilen fällt enzyklopädisch, fast schon gigantomanisch aus. Die Produktion rangiert im oberen Klassement des Genre-Standards. Orchester und Chor funktionieren …
Seit einem Jahrzehnt bin ich nachgeholter Dream Theater- Fan und trotzdem bin ich mit jedem weiteren Album nur immer enttäuschter. Wo ich dachte, dass beim Album "Dramatic Turn of Events" die überpathetische, aber überhaupt nicht tiefgründige Kitschigkeit der Texte einen Höhepunkt erreicht hatte, setzen DT bei ihrer neuen Rock-Oper vor allem neue Maßstäbe in Zahnschmelz vernichtender Schnulze. Und das sage ich als jemand, der bei zahlreichen Alben noch beide Augen zugedrückt hat über äußerst ausgelutschte Botschaften ala "Carpe Diem", "Liebe ist stärker als der Tod", "Sind die Freimaurer nicht echt cool und mysteriös?" und zu guter letzt "Kennt ihr schon die Geschichte, als ich Hannibal Lecter begegnet bin, der am Ende gar nicht Lecter war?" (Count of Tuscany)
Als ich dann heute das neue Album beim ersten Blick auf die Rückseite als Konzeptalbum identifizierte, rechnete ich also mit dem Schlimmsten. Und tatsächlich: Die Geschichte hat mich an so gut wie keiner Stelle irgendwie überzeugt und dennoch triefte sie vor schmachtenden Liebes- und Leidbekundungen. Die Charakterpsychologie, obwohl die in Opern ja immer recht übertrieben dargestellt wird, ist dabei ebenso lächerlich. Ein paar Beispiele:
1. Als man den Klischee-Imperator überzeugen will, die Unterschicht doch bitte nicht mehr zu versklaven und sich doch mal mit dem Rebellen-messias zu treffen, dient ein SciFi-Mp3-Player, den die Tochter im Palastgarten gefunden hat, als Überzeugungsmittel. Daddys alter Flashdrive, so stellt sich heraus, macht den Herrn nostalgisch, weshalb er alle politischen Prinzipien über den Haufen wirft. Noch nicht weit hergeholt genug?
2. Dem Bruder des Protagonisten wird ein Angebot gemacht: Verrate deinen Bruder und die Rebellion, die du leitest, und im Gegenzug darf dein Sohn sein restliches Leben im Palast Pralinen mampfen. Dass die Revolution der Beseitigung der zwei-Klassen-Gesellschaft dienen sollte, wird da schnell mal vergessen. Hauptsache der eigene Wonneproppen hat's gut, damit die durch den Krieg gestorbene (!) Mutter und Ehefrau wenigstens ihren Todeswunsch erfüllt bekommt, dass es Söhnchen gut ergehen wird. Also Kopf ab beim Bruderherz - oder doch nicht? Kurzfristig entscheidet sich der Rebellenführer wieder um und stirbt beim Versuch, es wieder glattzubügeln.
3. Sowohl der Bruder als auch die "Geliebte" (aber de facto Unbekannte) des Protagonisten liegen blutend am Boden - dem Bruder trauert man nicht lange nach, stattdessen gilt es, sich in plötzlich versammelter Dorfmannschaft der magischen Wunderheilung (!) der ausblutenden Geliebten durch Chorgesang zu widmen. Der Bruder kann schön weiterbluten.
4. Jetzt, da die neue Fickschnitte wieder lebt, verzeiht man ihrem Angreifer und dem nach-wie-vor-Mörder des Protagonisten-Bruders. Begründung: Er war halt verwirrt, und jetzt ist ja immerhin der Imperator durch sinnlose Gewalt zu Verstand gekommen. Dass der Angreifer mit der Schuld leben muss, sowohl seine eigene Schwester beinahe getötet, als auch den Bruder ihres neuen Freundes abgemurkst zu haben, wird nicht weiter erwähnt.
Und das sind nur die auffälligsten Schwachsinnigkeiten, bei denen ich beim grundlegenden Plot den Kopf schütteln muss.
Aufgefüllt wird der inhaltlich wertlose Stuss zwischen Hunger Games und Game of Thrones mit viel innerem Monolog und jeder Menge altbekannter Floskeln: Liebe > Tod, Musik siegt über Gewalt und natürlich das Mantra des Durchschnitsamerikaners: Freiheit ist wichtiger als das eigene Leben! Der übliche DT-Schund, über den ich bei einer schlüssigen Geschichte vielleicht hinweggesehen hätte.
Musikalisch ist vor allem der erste Akt 'underwhelming'. Es gibt viele Experimente, aber kaum eingängige Melodien oder interessante progressive Elemente. Wenigstens hat man sich inzwischen von Rudess' billigem Synthieorchester verabschiedet und verwendet jetzt ein echtes. Für mich, der gerne Klassik hört, ist das meiste aber wertloses Gedudel - vielleicht Geschmackssache.
Petrucci baut kaum Solos ein, die dann für ihn nichts besonderes sind und zudem an den falschen Stellen einsetzen, an denen die Stimmung eigentlich kein Solo braucht. Zumindest im zweiten Akt gibt es einige eingängige Refrains und ein paar interessante neue Instrumente. Enttäuschend ist aber, das Rudess nicht nur die schlechten Midi-Orchester, sondern seinen Synthesizer fast komplett aus dem Spiel lässt, wenn er nicht gerade ein Unisono mit Petruccis Gitarrensolo spielt. Stattdessen gibt es 4 einminütige "Krach-Songs", die eher klingen, als hätte Rudess ein neues Effektgerät im Musikladen ausprobiert.
Zum Schluss noch etwas Gutes: Es gibt tatsächlich ein paar Gänsehautmomente, die man sich durch viel Mitlesen im Booklet und viel Mitdenken im irrsinnigen Plot gleichsam erarbeiten muss. Einige Passagen klingen wirklich wunderschön oder haben sehr spannende Beats und Rhythmen, werden dann aber wieder von Gedudel abgelöst. Der Plot kann bei halb zugekniffenden Augen tatsächlich hin und wieder bewegen, aber diese Momente konnte ich an einer Hand abzählen. Für mich wirklich eines der schlechtesten Alben von DT, obwohl ich die Idee des Konzeptalbums der Rock-Oper sehr begrüße und das Setting vielversprechend wirkte. 5/10
Tja wie heißt es so schön: Dream Theaters größten Fans, sind ihre krassesten Hater.
Ach ja, das Album und die Live Darbietung sind ja wohl nur geil.
Keine Sorge, das wächst sich aus.