laut.de-Biographie
Dub Incorporation
Alle acht Bandmitglieder stammen aus den 'Banlieues', den überwiegend von Einwandererkindern bewohnten Vororten französischer Großstädte. Jenen Vororten, in denen im Herbst 2005 die Straßen brennen, weil sich die Ungerechtigkeit ein Ventil aus Feuer und Rauch sucht.
Den randständigen und diskriminierten Mitgliedern der französischen Gesellschaft geben Dub Incorporation eine Stimme, indem sie von ihren persönlich erlebten Alltagserfahrungen berichten.
In den Texten und im energiegeladenen Vortrag erkennt sich die perspektivlose Jugend wieder. Die Formulierungen schneiden wie scharfe Messer: Die kritischen Chronisten Dub Incorporation berichten von Gewalt, Armut, Bildungsnotstand, Arbeitslosigkeit, Korruption und zahlreichen anderen sozialen Missständen. Ihr Sound flowt dazu fett aus den Boxen.
Dub Incorporation, kurz Dub Inc., ernten in Szenekreisen hohen Respekt für ihren live wie im Studio bahnbrechenden Schlagzeuger Grégory Mavridorakis. Dub Inc. zählen zu den wenigen Bands der Welt, die ihren Toningenieur, Benjamin Jouve, als Gruppenmitglied betrachten und dies nach außen auch so kommunizieren. Einen entsprechend hohen Status nimmt die Klangqualität ihrer Musik ein.
Angereichert mit Anleihen aus arabischer Rhythmik und Elementen aus dem Hip Hop, kickt die Band die Massen. Auch in Deutschland, trotz der Sprachbarriere. Dafür sorgt hierzulande zunächst ihre Rolle als Support-Act für Culcha Candela (Frühjahr 2006), auf der die Crowd sie ordentlich abfeiert. Kein Wunder, "alles groovt wie die Seuche", wie der Internet-Reggae-Knoten 'Reggaenode' über Dub Incorporation urteilt.
Im Herbst desselben Jahres gehen sie auf eigene Konzertreise und begeistern mit ihrem Sound die tanzwütige Jugend ebenso wie qualitätsversessene Adulte, wie die DVD "Dub Inc Live" beweist. Aber der Weg dorthin ist steinig, wie der zu jener Zeit auch gerade aufkommende Schweizer Reggae-Kollege Phenomden es formulieren würde: "Ich weiss, din Wäg isch steinig. Und genau darum musch du ihm entlang gah."
Dub Inc. profitieren spät, erst im zehnten Jahr ihres Bestehens, davon, dass auch bei den Eidgenossen, in Deutschland und generell in Frankreich die Zahl der Reggae-Acts mit Qualität und Massentauglichkeit wächst. Seeed, Patrice und Gentleman treten die Lawine los.
Die Geschichte des Oktetts Dub Inc. startet ursprünglich 1997 als Trio. Bis zum Jahr 2000 wächst die Band auf ihre spätere Besetzungsstärke heran. Mit den Maxis "Dub Incorporation 1.1" und "Version 1.2" etabliert sie sich in der französischen Musiklandschaft. Ihr Debüt erntet den Nachwuchsförderpreis FAIR seitens des "Fond d'Action à l'Initiative Rock". In Deutschland erscheint es mit zwei Jahren Verzögerung.
Zu diesem Zeitpunkt heißt das gruppeneigene Indie-Label so wie das Album: "Diversité". Der Bassist erhält zudem eine EU-Förderung für ein Video seiner anderen Band Headcornerstone: "Total Control". In diesem Song geht es um die Überwachung der Menschen durch den Staat.
Das zweite Album der Franzosen, "Dans Le Décor", gerät 2006 zu ihrem stilistisch reinsten Reggae-Album. Auf dem daraus gerne live gespielten Song "Monnaie" gastiert der Ghanaer Lyricson.
Das folgende "Afrikya" bestätigt 2008 ihren guten Ruf als Spitzenperformer vollumfänglich. Das liegt neben den erstklassigen Backing-Sounds vor allem auch an den Stimmakrobaten, die an der Front agieren. Hauptsänger Aurélien "Komlan" Zohous raue Reime und Hakim "Bouchkour" Meridjas melodiöse Art ergänzen sich perfekt. Letztgenannter beherrscht neben Französisch und Englisch auch die kabylische Sprache. Diese, vor allem im Norden Algeriens gesprochene Berbersprache verleiht der Dub Incorporation eine unverwechselbare Identität.
Dank der hart erarbeiteten Fanbase kann die "Dub-Firma", die weitaus mehr als Dub herstellt, sich anno 2010 schon aussuchen, wem sie Interviews gibt und wie sie sich vermarkten will. Das Independent-Rezept ist aufgegangen.
Mit großer Ausdauer tourt das Oktett immer wieder durch Europa und entwickelt sich zum Garant für spannende Indoor- wie auch Open Air-Konzerte. Für ihre 90 Minuten-plus-mehr-Shows schreiben sie fleißig neue Songs. Einige aus dem 2010er-Album "Hors Controle" begleiten die Gruppe lange: "Tout Ce Qu'ils Veulent", "Dos À Dos" und "Get Mad" bilden auch am Ende des Jahrzehnts noch die Basis-Bausteine ihrer Live-Sets.
In dem interessant betitelten Song "Ego.com" verweben Dub Inc algerischen Rai-Gesangsstil und äolische Harmoniefolgen aus der Maghreb-Zone, Scratch-Effekte und einen Hauch Funkyness. Auch "El Djazzair" und "Funambule" machen schon wegen der sprachspielerischen Betitelung neugierig.
Das fünfte Album "Paradise" formt die Grundlage für eine spätere Live-Ausgabe, die fast alles sprengt, was es in der Formatgeschichte des Offbeat-Konzert-Albums je gegeben hat und die unheimliche Bühnenpräsenz dieser Band phänomenal gut einfängt. Doch die Live-Performance wäre nicht, was sie ist, ohne die stürmischen Songs: "Better Run" und "They Want" entwickelt die Band zu Musikbetten weiter, auf denen andere Musiker Platz nehmen, auch einige deutsche Gäste.
Die Kompositionen gehen auf den Bassisten Moritz von Korff zurück, der sich in München als Autor für solche Riddims etabliert. Ob das traurige "Enfants Des Ghettos", das elegische "Chaque Nouvelle Page" oder das raue "Foudagh": Stets wohnt den ausdrucksstarken Songs ein druckvoller Energieüberschuss inne, der unbedingt nach außen strömt.
Im Pariser Olympiastadion entsteht Mitte 2015 die Doppel-Live-CD "Paradise Tour: Live À L'Olympia", die phasenweise an Rap-Performances erinnert. Während die Band viele der Songs auf epische Längen dehnt, führt gerade das kurze "My Freestyle" vor, dass die Gruppe mit der Kraft des Wortes genauso punktet wie mit den sonst oft langen Instrumental-Soli.
In "My Freestyle", "Sounds Good" und "Better Run" tauchen ab und an englische Wörter auf, so dass die Formation auch eine Kritik aufgreift, die ihr zu potenziellen Fans außerhalb Frankreichs den Zugang verwehrt: So mancher Reggae-Hörer fühlt sich wegen der zuvor strikt französischen Texte ausgeschlossen.
Auf dem "Better Run Riddim" aus dem Hause Dub Inc. performen Morgan Heritage, Ky-Mani Marley und Richie Spice, zugleich stellen die Franzosen unbekannte Acts aus Italien, Kanada, Jamaika und den USA vor, in denen viel Potenzial schlummert, um die Reggae- und Dub-Welt wieder zu einer spannenderen mit Publicity zu machen.
Der Dub Inc-"Summer Mix 2016", als Promo-CD gratis auf großen Festivals verteilt, spiegelt die Verjüngung der Reggae-Landschaft. Mit Dre Island, dem Italiener Forelock, dem Franzosen Taïro, J Boog und Gentlemans Background-Lady Treesha erklingen hier viele starke Talente zum Schnäppchenpreis von 0,00 Euro, die selbst in Roots-Expertenkreisen bis dato nur wenige auf dem Schirm haben.
Das Album "So What" spiegelt im Titel "Triste Époque" die sich abzeichnende Wahl Trumps genauso wie den in Europa heraufziehenden Polit-Populismus und liefert vor allem einen knallharten Kommentar zur französischen Innenpolitik, deren Wahlkampf Macron vs. Le Pen fast zeitgleich mit dem Album-Release beginnt.
Dub Inc gehen dazu über, immer mehr Musik zum Free Download anzubieten. Diese Strategie finanziert sich darüber, dass es sich zu Festivalveranstaltern von Polen über Deutschland bis Schweden herumspricht: Die große Gruppe für ein einziges Konzert einzufliegen und auf den Haupt-Slot am späten Abend zu setzen, lohnt sich und rechtfertigt eine hohe Gage.
In Deutschland erkennt das Kölner Summerjam das Potenzial früh. 2008beginnen sie dort, Dub Inc zu buchen, bringen sie 2014 und 2016 wieder zurück. Auf Reggae-Locations alleine sind die französischen Reggae-Rapper nicht mehr angewiesen. In Frankreich und der frankophonen Schweiz sorgen sie immer wieder für ausverkaufte Konzerte. Zwar treten sie auch bei Reggae-Festivals weiter auf, etwa beim Chiemsee Summer 2013 und als Schluss-Highlight beim Ruhr Reggae Dortmund 2015. Doch im selben Jahr lädt sie auch das Montreux Jazz-Festival ein. Indoor schaffen sie es in Deutschland nur selten zu einem Gig, wobei das 2014 in München (Ampère) und Berlin (Lido) gelingt.
Das Sunrise Reggae + Ska Festival in Schwaben zieht nach und erlebt 2017 eine Bruchlandung: Dub Inc sagen aus gesundheitlichen Gründen am Tag des Auftritts ab. Doch die Veranstalter bleiben dran, fliegen die Band im Jahr darauf extra ein, und die Band bestätigt ihren guten Ruf als spannender Live-Act. 2019 spielen sie erneut beim Summerjam sowie bei "Reggae in Wulf" u.a. einen Song über Asylsuchende, die im Mittelmeer ertrinken: "À Travers Les Vagues". Vom Benefiz-Titel spenden die Franzosen ihre Erlöse an S.O.S. Méditeranée. Noch im selben Jahr erscheint "Millions".
Den Lockdown überbrückt die hochkarätige Live-Truppe mit einem Best Of aus zahlreichen Unplugged-Songs, die auf verschiedenen Kontinenten entstanden sind. Die stimmungsvollen und schlichten Stücke auf "Dub Inc Acoustic" (2020) beherbergen pralle Emotion und zeigen eine bis dato nicht so bekannte oder zumindest nicht im Vordergrund stehende Seite der Incorporation. Hier gilt das Motto Quiet is the new loud! Im Herbst 2022 richten die Franzosen ihren Blick auf die Zukunft der in Pandemie, Energie- und Klimakrise versunkenen Welt: "Futur" erscheint Ende September.
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