4. Juni 2024

"Ich führe keine romantische Beziehung mit einem Fisch"

Interview geführt von

Seit 1996 begeistern Mark Oliver Everett und seine Eels mit unnachahmlichen Rocksongs und Balladen, die sich aufgrund von Everetts markanter Stimme, Glockenspiel und oft schrulligen Texten vom Einerlei anderer Bands abheben. Am 7. Juni ist wieder "Eels Time!", dann erscheint das ebenso betitelte fünfzehnte Album der Indie-Heroen. Für mich war bereits Mitte Mai E-Time.

Wie nähert man sich einem Künstler, dessen Werk man verehrt und der einem gleichzeitig bisher – auch nach der Lektüre von dessen Autobiografie "Things The Grandchildren Should Know" – ein Rätsel geblieben ist, weil der Grat zwischen Privatperson und Kunstfigur bei Mark Oliver Everett ein schmaler zu sein scheint? Ich versuche, eine Fanboyperspektive zu vermeiden, und stelle Everett u. a. Fragen, die mir schon lange unter den Nägeln brennen.

Seine Kamera möchte E im Zoom-Gespräch leider nicht einschalten. Das handhabt er seit der COVID-Pandemie so, wie er mir erklärt. Dabei ist er doch wahrlich kein Dog Faced Boy.

Als ich den Titel des neuen Eels-Albums – "Eels Time!" – zum ersten Mal gelesen habe, habe ich ein prototypisches Eels-Album erwartet mit einer Mischung aus Uptempo-Songs und Balladen. Aber es ist ein ziemlich balladeskes Album geworden, Ihr balladeskestes Album seit "The Cautionary Tales of Mark Oliver Everett". Nehme ich den Albumtitel zu ernst oder wollten Sie durch ihn ausdrücken, dass Balladen das Herzstück der Eels sind? Also dass Eels-Zeit Balladenzeit ist?

Ich denke bei dem Albumtitel nur an die Songs an sich. Und ich halte das Album nicht für sonderlich balladesk, "Earth To Dora" könnte balladesker gewesen sein. Klar, es beginnt mit ruhigen, akustischen Songs, aber dann fahren wir etwas härtere Geschütze auf. "Goldy" ist keine Ballade.

Richtig! "Goldy" ist einer der drei Songs auf dem Album, die definitiv keine Balladen oder Halbballaden sind.

Welche sind die anderen beiden?

"Lay With The Lambs" und "If I'm Gonna Go Anywhere". Das sind zusammen mit "Goldy" die drei Uptempo-Songs, der Rest des Albums besteht in meinen Augen mehr oder weniger aus Balladen.

Kann durchaus sein, ich denke aber nicht wirklich in diesen Schubladen. Ich mag es, Dinge dynamisch zu machen, sodass sie interessant bleiben. "Ballade" oder "Nicht-Ballade", diese Einordnungen interessieren mich nicht.

Zum ersten Mal ein neues Eels-Album zu hören, fühlt sich manchmal so an, als würde man einen alten Freund wiedersehen. Dennoch gibt es manchmal Dinge, die einen überraschen. Diesmal haben Sie mich mit "Goldy" überrascht, dessen Gitarre ziemlich post-punkig klingt. War der Song als erster Post-Punk-Song der Eels geplant?

Ich habe diese Baritongitarre schon live gespielt und auch schon vorher im Studio verwandt, unter anderem, als ich den Song "End Times" aufgenommen habe. Der bestand praktisch nur aus mir und dieser Baritongitarre. Sie hat einen langen Hals und eignet sich für tiefe Töne.

Sie haben sich also nicht gedacht, "Goldy" muss anders klingen als jeder Eels-Song zuvor?

Na ja, "Goldy" ist einer der fünf Songs auf dem Album mit Tyson Ritter. Er ist großteils für den Klang des Albums verantwortlich.

Sie besingen Goldy, den Goldfisch, als das einzige Lebewesen auf der Welt, das Sie wirklich benötigen. Zunächst dachte ich, Goldy sei ein Symbol für eine perfekte Lebenspartnerin oder sexuelle Partnerin, weil es im Song zunächst eindeutig um die Suche nach einer Partnerin geht. Aber in einer späteren Strophe erfährt man, dass es sich bei Goldy um einen männlichen Goldfisch handelt. Und natürlich weiß ich, dass Sie eine heterosexuelle Person sind und dass eine Trennung zwischen einem lyrischen Ich und Ihnen zumeist unnötig ist, weil Ihre Lyrics sehr oft autobiografisch geprägt sind. Ist Goldy also stattdessen ein Symbol für einen perfekten, vielleicht ein bisschen langweiligen, aber treuen Kumpel?

[Zögert] Na ja, es geht in dem Song nicht um mich, wie ich eine romantische Beziehung mit einem Fisch führe.

[Lacht]

So eine Beziehung führe ich nicht.

Das habe ich auch nicht erwartet. Ich habe Goldy schließlich als Symbol wahrgenommen, ich bin mir nur nicht sicher, für was das Symbol stehen soll: für eine Lebenspartnerin oder einen Freund im freundschaftlichen Sinne?

Eigentlich habe ich gar keinen Goldfisch im Moment. Als ich die Lyrics geschrieben habe, hatte ich meinen Hund vor Augen – wie ich mit ihm schmuse und zu ihm sage "Du bist, alles was ich brauche!". Hunde können manchmal so tröstlich sein.

Aber warum haben Sie dann nicht Ihren Hund in die Lyrics eingebaut, sondern einen Fisch?

Ich denke, die Wahl fiel auf den Goldfisch, weil das eine interessantere Art war, das zu sagen, was ich sagen wollte. Um ehrlich zu sein, war das Tysons Idee.

"'I Like Birds' ist nicht ironisch."

Schon wieder? Ein anderer Song auf dem neuen Album, der mich überraschte, war "Lay With The Lambs", vor allem wegen des Gastsängers, der einige Ihrer Lines wiederholt, etwa im Refrain. Das ist Tyson Ritter, richtig?

Korrekt, ja! Ich kannte Tyson nicht. Wir haben uns durch mein Management kennengelernt, als er an einem Song für einen Film ["Prisoner's Daughter"; Anmerkung der Redaktion] arbeitete, in dem er auch mitgespielt hat. Er wollte, dass ich mich an dem Song beteilige und hat ihn mir zugesandt. Und ich mochte den Song. Das führte dazu, dass ich selbst eine kleine Rolle in dem Film übernommen habe. Brian Cox aus "Succession" ist einer der Charaktere in dem Film. Für ihn haben wir einen Eels-Song als eine Art Leitmotiv geschrieben, "Man I Keep Trying".

Dann haben Tyson und ich angefangen, "Lay With The Lambs" zu schreiben, unsere zweite Zusammenarbeit. Wir dachten, der Song könnte ein passendes Leitmotiv für Tysons Filmcharakter werden, der – nun ja – nicht gerade ein netter Typ ist, sondern ein ziemlich zwielichtiger Charakter. Die Lyrics dieses Songs haben wir also diesem Charakter auf den Leib geschrieben. Zugegeben, ab und an kann ich mich in meinem Leben mit den Lyrics durchaus identifizieren, aber nicht an dem Punkt, an dem ich mich momentan befinde. Dieser ziemlich düstere Text ist nicht autobiografisch.

Verstehe!

Mitten in der Arbeit an dem Song habe ich gesagt: "Der ist zu gut, den möchte ich für das Eels-Album klauen!" Und dann haben wir noch vier weitere aufgenommen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir die Filmproduzenten "Lay With The Lambs" erst gar nicht hören lassen. Ich habe den Song einfach geklaut.

Ich weiß, dass einige Ihrer älteren Songs als misanthropisch bewertet wurden. Das konnte ich nie nachvollziehen, weil Songs wie "I Like Birds" ja eine deutlich ironische Komponente haben. Aber als ich "Lay With The Lambs" zum ersten Mal gehört habe, dachte ich mir, dieser Song könnte Wasser auf die Mühlen der Rezensenten sein, die schon immer dachten "Dieser Mark Oliver Everett hasst Menschen!".

Es passiert mir häufig, dass ich höre "Das war jetzt ironisch!", obwohl ich etwas kein bisschen ironisch gemeint habe. "I Like Birds" ist nicht ironisch. Ich meine das schon ernst, ich mag Vögel.

Na ja, aber letztlich geht es in dem Song ja nicht nur darum, dass man Vögel mag, sondern dass man Vögel mehr mag als Menschen.

Hmmm, ja, da haben Sie recht, so kann man es durchaus betrachten. Das ist ein Aspekt. Und das ist etwas, das ich durchaus manchmal fühle. Manchmal bin ich nicht in der Stimmung für Menschen. Aber je älter ich werde, desto stärker nehme ich wahr, wie sehr ich Menschen mag.

In Ihren Texten, vor allem in Ihren Balladen, geben Sie häufig Einblick in Ihre tiefsten Gefühle. Auf der anderen Seite verwandeln Sie sich auf der Bühne in einen Entertainer. Glauben Sie, dass die Zuhörer das von Ihnen erwarten? Oder versuchen Sie mit diesen Showeinlagen zu verhindern, dass Sie den Zuhörern einen zu großen Zugang zu Ihrem Innenleben gewähren?

Das ist einfach das, was ich machen möchte. Ich versetze mich in die Rolle des Publikums und stelle mir die Frage, was ich selbst sehen wollen würde. Schließlich will ich nicht die Lebenszeit des Publikums verschwenden.

Als ich aufgewachsen bin und auf Konzerte ging, habe ich es immer genossen, wenn sich jemand um eine große Show gekümmert hat. Ich möchte eine Show erleben, ich möchte unterhalten werden, ich möchte bewegt werden, ich möchte Spaß haben. Und ich möchte überrascht werden. Das waren die Dinge, die ich genossen habe, als ich als Heranwachsender Konzerte besucht habe. Und diese Reaktionen möchte auch ich sehen. Ich möchte eine Show abziehen, die ich selbst genießen könnte, wenn ich im Publikum wäre.

Das kann ich gut nachvollziehen. Können Sie einen Künstler nennen, bei dem Sie in jungen Jahren dachten "Der könnte in Sachen Entertainment ein Idol für mich sein!"?

Ein Beispiel ist Neil Young. Als ich vielleicht 13 oder 14 war, nahm mich meine Schwester, die zwei Jahre älter als ich war, auf ein Konzert von Neil Young und Crazy Horse mit. Und zu der Zeit war ich sehr vertraut mit Neil Young und Crazy Horse. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt war "Zuma" Neil Youngs neuestes Album. Also hatte ich erwartet, dass sie auf die Bühne kommen, Songs vom "Zuma"-Album spielen und ein bisschen jammen. Und dann wurde es ein "Rust Never Sleeps"-Konzert. Das Album war noch nicht erschienen, die zugehörige Doku auch nicht. Ich weiß nicht, ob Sie mit dem Album und der Doku vertraut sind, aber …

Bin ich, ja.

Es war ein großartiges Spektakel. Ich hatte bereits darüber gesprochen, eine Show abzuziehen. Das Konzert war so eine Show und zwar eine extrem gut strukturierte. Es war extrem theatralisch und einfach vom Anfang bis zum Ende fantastisch. Das Konzert hat mich umgehauen.

Ich hatte ein paar Erfahrungen dieser Art, die Eindruck hinterlassen haben. Und deshalb habe ich mir später gedacht: "Wenn du jetzt zögern solltest, eine Show abzuziehen, nachdem Leute Tickets gekauft haben, Babysitter haben kommen lassen, einen Parkplatz gefunden haben ..." Man möchte nicht die Zeit der Leute verschwenden, man möchte es gut machen.

"Ich glaube, dass meiner Stimme eine gewisse Traurigkeit innewohnt."

Letztes Jahr im April war ein Konzert in Berlin angekündigt, doch dann sind Sie nicht gekommen – weder nach Berlin noch nach Deutschland im Allgemeinen. Die Veranstaltungshallen waren sehr vage in ihren Begründungen für die Absagen und haben nur über "verschiedene ökonomische und logistische Gründe" gesprochen. Dürfen Sie mehr sagen als die Veranstalter geschrieben haben? Warum wurden diese Shows gestrichen?

Die Shows in Deutschland waren tatsächlich die einzigen, die nicht stattfinden konnten. Wir waren traurig, weil wir es lieben, in Deutschland zu spielen, und hatten uns auf die Konzerte gefreut.

Uns wurde vom Promoter erzählt, dass man wegen der Wirtschaftslage in Deutschland die Konzerte streichen musste. Ich glaube, sie haben Putin die Schuld gegeben, weil er die Gaslieferung nach Deutschland ausgesetzt hat. Man hat uns gesagt, dass die Leute ihren Gürtel enger schnallen müssen und dass der Kauf von Benzin eine höhere Priorität hat als der Kauf von Konzerttickets. Das passiert sehr selten, dass wir Konzerte absagen. Aber es war nicht unsere Entscheidung.

Die Bundesregierungen vor der jetzigen, mit der ich relativ zufrieden bin, haben viele dumme Entscheidungen getroffen. Und selbstverständlich ist es ein Problem, wenn man sich durch Gaslieferungen jahrelang von einer Diktatur wie Russland unter Putin abhängig macht. Dann passierte das, was kommen musste – ein europäischer Staat wurde von Russland angegriffen – und plötzlich fiel man aus allen Wolken.

Ich merke schon, Sie mögen nicht, dass sich all das auf die Eels auswirkt. [lacht]

Ich hasse diesen Krieg.

Um die Kurve zu positiveren Dingen zu bekommen: Wann können wir die Live-Rückkehr der Eels erwarten?

Ich weiß es nicht. Das ist jetzt leider ein schreckliches Timing, weil wir vor nicht einmal einem Jahr tourten nach drei Jahren Pandemie. Wie Sie wissen, wollen wir eine gute Show abliefern, vor der wir viel proben müssen. Daher können wir nicht eine Handvoll Konzerte nachholen, sondern müssen auf die nächste Gelegenheit für eine größere Tour warten.

Ich bemerke immer wieder, dass melancholische oder sogar depressive Musik im Allgemeinen besser bewertet wird als fröhliche Musik. Die Eels sind weder die Swans noch Britney Spears, Ihre Diskografie ist voller trauriger und fröhlicher Songs. Ihre optimistischen Songs und Alben – ich denke hier vor allem an "Tomorrow Morning", eines meiner Lieblingsalben der Eels – sind insofern eine Ausnahme, als sie nicht schlechter bewertet werden als Ihre traurigen Songs oder Alben. Was macht Ihre fröhlichen Songs besser als die fröhlichen Songs anderer Musiker?

Ich glaube, es ist schwieriger, einen effektiven fröhlichen Song zu schreiben als einen traurigen. Wenn man einen traurigen Song schreibt, befindet man sich notwendigerweise in der passenden Lebenssituation.

Es ist nicht so einfach, einen fröhlichen Song zu schreiben, der nicht käsig ist. Vielleicht funktionieren manche von meinen, weil ein gewisses Gewicht auf ihnen liegt, wenn man weiß, um was es in den anderen geht und über die Erfahrungen Bescheid weiß, die ich gemacht habe.

Die fröhlichen strahlen also umso mehr, weil die traurigen so traurig sind?

Ja, meine fröhlichen Songs beinhalten eine schwierige Fröhlichkeit, die sich echter anfühlt.

Richtig! Ich denke an einen Song wie "Spectacular Girl", ein Lovesong mit einem einfachen Text, Drummachine und Synthies. Der beinhaltet vieles von dem, was ich bei so vielen anderen Musikern als käsig empfinde. Aber ich liebe den Song. Er wirkt so ehrlich und diese Ehrlichkeit ist mir ganz wichtig. Wie bekommen Sie das so gut hin?

Es freut mich, das zu hören. Natürlich hat ein Song wie dieser das Potential, kitschig zu sein. Darüber war ich mir bewusst, als ich an ihm gearbeitet habe. Ich weiß auch nicht, vielleicht habe ich in der Hinsicht einfach Glück. Gleichzeitig glaube ich aber, dass meiner Stimme eine gewisse Traurigkeit innewohnt, die die fröhlichen Songs anders funktionieren lässt.

Die Theorie mit Ihrer Stimme gefällt mir. Sie ist sehr markant und ziemlich tief. Und ja, sie hat so etwas Magisches an sich.

Danke!

Mr. Everett, vielen, vielen Dank für das Gespräch!

Gerne! Ich habe es genossen.

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Ich auch! Meine Befürchtungen, Mark Oliver Everett würde mir die ein oder andere Frage übelnehmen, lösten sich zum Glück schnell in Luft auf. Die Antworten auf meine beiden geplanten Misanthropie-Fragen lieferte der gute E dankenswerterweise bereits, als ich sie noch gar nicht gestellt hatte.

Mit Everetts ständigem Changieren zwischen Ernst und Sarkasmus muss man klarkommen, was sicher auch die Einordnung Everetts durch andere Interviewer als schwierigen Gesprächspartner erklärt. Ich für meinen Teil komme sehr gut damit klar und liebe Everetts schwarzen Humor. Überhaupt finde ich es bemerkenswert, wie charmant er jede noch so sarkastische Antwort klingen lassen kann. Und ich bilde mir tatsächlich ein, in unserem Gespräch einiges Neues über einen meiner Lieblingsmusiker gelernt zu haben. Rock on, E!

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