10. November 2008

"Es liegt ein schwieriger Winter vor uns"

Interview geführt von

Enya, "Poetin der Stille", ist seit zwei Dekaden mit sphärisch-träumerischen Songs enorm erfolgreich. Seit langem warten Fans sehnsüchtig darauf, dass die New-Age-Künstlerin endlich einmal auf Tour geht. Gerade hat sie ihr siebtes Album mit dem Staatsballett Berlin im Schloss Charlottenburg vorgestellt. Und wieder gab es statt Live-Performance lediglich Musik aus den Boxen. "And Winter Came ..." ist gerade erschienen.laut.de-Autor Matthias von Viereck trifft Enya in einem der elegantesten Hotels Berlins unweit des Gendarmenmarkts. Der Prunk ist keine Überraschung, schließlich ist "die Stimme Irlands", wie die Sängerin auch genannt wird, stolze Besitzerin eines Schlosses. Sie ist trotz Interview-Marathon sehr entspannt, während andernorts zur gleichen Zeit fleißig Stimmen gezählt werden: Es ist Election Day in den USA. Enya und Politik? Das will nicht recht zusammen passen. Oder vielleicht doch?

Es ist genau 20 Jahre her, dass Sie mit "Orinoco Flow" Ihren ersten großen Hit hatten. Seitdem haben Sie mehr als 70 Millionen Platten verkauft. Sie müssen ein glücklicher Mensch sein?

In den letzten Monaten, die sehr intensiv waren, hatte ich nicht wirklich Zeit darüber nachzudenken. Wir mussten ja die Platte fertig stellen. Ich habe mich immer wieder gefragt: Werde ich je damit fertig? Denn ich bin eine sehr langsame Komponistin. Und dann kommt er doch, der Punkt, an dem Nicky, Roma (mit Nicky und Roma Ryan produziert und schreibt Enya ihre Songs, Anmerk. d. Red.) und ich das Gefühl haben, dass es nun okay ist und wir dem Boss unserer Plattenfirma die Songs vorspielen können. Aber es fühlt sich immer so an, als hätte es gar keinen Erfolg davor geben, der die Aufnahme einer neuen Platte einfacher machen würde. Auch wenn man erfolgreich ist, ist es nicht einfach, den nächsten Song zu schreiben. Es ist immer noch eine Herausforderung.

Die neue Platte ist als Winteralbum konzipiert. Passend dazu war zu lesen, dass viele Enya-Fans Ihre Musik besonders gern im Winter hören.

Ja, das habe ich auch gehört. Ich glaube, das liegt daran, dass der Winter eine sehr nachdenkliche Zeit ist. Ich genieße diese Zeit, aber es kann auch sehr hart sein. Es ist das Ende des Jahres und man fragt sich, ob man all das geschafft hat, was man sich vorgenommen hatte. Ich habe erst jetzt während der Arbeit an der neuen Platte gemerkt, dass ich die meisten Songs im Winter schreibe, während ich im Frühling und Sommer eher an den Arrangements arbeite.

Der Winter in Deutschland kann sehr grau und deprimierend sein, wie ist das in dem Teil von Irland, in dem Sie leben?

Ich bin auf dem Land im Nordwesten Irlands groß geworden, direkt an der Atlantikküste. Die See dort ist rau und wild, sehr dramatisch. Stürmisches Wetter. Ich mag zwar auch Urlaub in der Sonne, aber das Wetter in Irland ist inspirierender. Es reinigt den Kopf. Im Moment lebe ich zwar nicht am Atlantik, schaue aber direkt auf die Irish Sea. Gerade ist es sehr hübsch dort, da die Blätter ihre Farben wechseln. Ich mag Herbst und Winter und leide nicht unter Winter-Blues.

"Weihnachten ist mir sehr wichtig!"

Sind Herbst und Winter vielleicht auch die ehrlicheren Jahreszeiten?

Ja, das stimmt. Im Sommer lachen zwar alle und sind fröhlich, im Winter muss man sich jedoch ernster mit dem eigenen Leben auseinandersetzen und ehrlicher zu sich selbst sein.

Ursprünglich sollte das neue Werk eine reine Weihnachtsplatte werden.

Wir haben auf der Platte zwei Versionen von alten Weihnachtsliedern: "Stille Nacht", welches ich schon vor 20 Jahren einmal gesungen habe, und "O Come, O Come, Emmanuel", ein Adventslied aus dem Frankreich des 15. Jahrhunderts. Wir wollten herausfinden, wie ein Weihnachtslied im 21. Jahrhundert klingen muss. Dann habe ich die Songs "And Winter Came" und "Trains And Winter Rains" (erste Single vom neuen Album, Anmerk. der. Red.) geschrieben und festgestellt, dass sie nichts mit Weihnachten zu tun haben, sondern den Winter behandeln. So haben wir beschlossen, Weihnachten und Winter zu verbinden.

Wie feiert Enya Weihnachten?

Weihnachten ist mir sehr wichtig! Mein Schloss wird mit lauter Weihnachtsbäumen dekoriert und sieht sehr schön aus. Es ist mir auch wichtig, mich mit der Familie und Freunden zu treffen. Ob man Weihnachten mag, hängt allerdings immer davon ab, wo man sich gerade im Leben befindet.

Haben Sie auf der neuen Platte wieder alle Gesangsspuren selbst eingesungen, oder ist an einigen Stellen ein Chor zu hören?

Nein, ich habe alles selbst gesungen.

Nach dem Abend mit dem Staatsballett Berlin habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, Enya einmal mit einem Orchester und einem Chor auf der Bühne zu sehen.

Nicky hat sich in der Tat einige Chöre angesehen. Ich weiß aber gar nicht, ob wir mit einem Chor und einem Orchester die Interpretation meiner Musik hinbekommen, nach der wir suchen. Es geht ja dabei nicht so sehr um mich, sondern die Performance meiner Musik. Es gibt aber schon Chöre, die meine Stücke gesungen haben. Erst vor kurzem hat ein französischer Chor "On Your Shore" vom ersten Album interpretiert. Das klang auch sehr nach Weihnachten.

Musik als Alltagsflucht

Es gibt also immer noch keine Pläne für eine erste Tour?

Nein. Was wir aber hoffentlich an Weihnachten machen werden, ist ein Live-Auftritt in einer Kirche mit einem Chor und Musikern. Wir wollen sehen, ob das funktioniert.

Wenn man aus der Musik schließt, müssen Sie eine sehr romantische, ja melancholische Person sein. Täuscht dieser Eindruck?

Nein, das stimmt. Das Melancholische gehört einfach zur irischen Kultur. Man findet das auch in der irischen Literatur. Die Leute verwechseln aber Traurigkeit mit Melancholie. Bei der Melancholie geht es ja auch um Leidenschaft und Tiefe. Ja, ich bin auch romantisch. Ich lebe schließlich in einem höchst romantischen Schloss aus dem 19. Jahrhundert mit großen Fenstern und Lüstern. Das Schloss heißt Manderley, benannt nach dem Roman Rebecca von Daphne du Maurier.

In Deutschland war vor allem Ihr Song "Only Time" nach dem 11. September 2001 ein großer Erfolg. Bedauern Sie, dass das Lied in diesem Kontext benutzt wurde? Die Fernsehsender, die den Song spielten, haben ja wahrscheinlich nicht um Erlaubnis gefragt?

Ich habe das nicht bereut. Und CNN hat mich auch vorher gefragt, ob sie es benutzen dürfen und mir das Bildmaterial gezeigt, zu dem sie den Song gespielt haben. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich den New Yorkern damit etwas Hoffnung gebe. Wir haben das Lied dann auch in den USA als Single herausgebracht. Die Erlöse gingen an das Fire Department New York. Der Song hat geholfen, Schmerzen zu lindern.

Heute ist Wahltag in den USA. Sind Sie ein politischer Mensch?

Ich habe das schon verfolgt, möchte aber nicht sagen, für wen ich bin. Aber ich glaube, dass können Sie sich denken (lacht). Es liegt auf jeden Fall ein schwieriger Winter vor uns, politisch als auch finanziell. Da brauchen die Leute Fluchtmöglichkeiten. Ob das nun das Theater ist, Bücher oder Musik.

Sie malen auch. Könnten Sie sich ein Leben ganz ohne Musik vorstellen?

Nein, das könnte ich nicht. Ich war das erste Mal mit drei Jahren auf einer Bühne, und ich empfinde immer noch eine große Liebe für die Musik. Und Malerei ist ganz anders. Ich fühle mich dabei viel entblößter als bei meiner Musik.

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