14. Mai 2004

"Wenn sich Hip Hop nicht ändert, ist er am Arsch"

Interview geführt von

Im Freistaat Bayern ticken die Uhren anders. Die Tachometer dagegen nicht. Weil sein Tourbusfahrer zu schnell über die Münchener Autobahn bretterte, zeigte die örtliche Polizei Everlast erst einmal ihr Revier. So kam es, dass der Ex-House Of Painer leicht muffelig in die Elserhalle stürmte und auch beim Interview zunächst einen gelangweilten Eindruck machte.

Als sich jedoch der LAUT-Redakteur als Hip Hop-Head outete, blühte der gute Whitey Ford merklich auf und verhalf dem fotografierenden Elektro-Schuh zu seinem coolsten Handshake ever.

Dein neues Album "White Trash Beautiful" erschien am 24. Mai. Du bist jedoch bereits drei Wochen vorher durch Deutschland getourt. Wie ist die Reaktion auf die noch unveröffentlichen Songs?

Die Tour läuft gut, viele Leute kennen die neuen Lieder bereits. Anscheinend haben sie sich die aus dem Netz gezogen. Ich mache jetzt ein paar Warm-Up-Gigs, um meine neue Band in Form zu bringen. Ich bin lange nicht getourt.

Du sprachst die Downloads an. Wie stehst du dazu?

Es kommt ganz darauf an. Wenn du dir ein Album runterlädst und es danach kaufst, falls es dir gefällt, ist das in Ordnung. Ziehst du es jedoch aus dem Netz, nur um die Musik zu besitzen, bist du ein Dieb. Ich bin cool mit solchen Leuten, wenn sie mir dafür ihre Wagen- und Haustürschlüssel geben. So kann ich das Auto fahren oder ihren Kühlschrank leeren, wann immer ich will. Denn diese Leute ziehen mir ebenfalls das Geld aus der Tasche.

Da solche Aktionen ja nicht möglich sind, was wäre denn eine oder die Lösung des Problems?

Die Menschen müssen sich einfach ehrenvoller verhalten und mehr Respekt vor dem Künstler zeigen. Wenn du keine Ehre hast, besitzt du gar nichts mehr. Die Diebe wissen, das sie Diebe sind.

In Deutschland ist das Downloaden bzw. Peer-2-Peer-Sharing gerade bei den Kids hoch im Kurs.

Die Kids sollten aufpassen, dass es nicht so läuft wie in den USA, wo ihre Eltern dann Tausende von Dollar zahlen müssen. Und ich finde das vollkommen okay. Es interessiert mich nicht, ob mich das jetzt unpopulär macht: Es ist Diebstahl. Ich stecke eine Menge Geld in meine Musik, und die Leute denken, sie können sie mir einfach klauen? Fuck them!

Okay, nächstes Thema: Was hast du die letzten Jahre eigentlich getrieben?

Ich habe viel gechillt. Zudem wurde meine alte Plattenfirma Tommy Boy von Warner Brothers aufgekauft. Und da ich nicht zu Warner wollte, brauchten meine Anwälte ziemlich lange, um mich aus den Verträgen lösen zu können. Als das getan war, habe ich mit der neuen Platte begonnen. Dann brauchte ich auch noch ein neues Label. Normalerweise arbeite ich anderthalb Jahre an einem Album, dieses Mal waren es über drei Jahre.

Wie hat sich die Musikszene und speziell das Rapgame in diesen Jahren verändert?

Ich bin mit der Hip Hop-Szene nicht sonderlich zufrieden. Sie ist momentan wie eine Hure. Die Underground-Jungs sind okay, aber die meisten Mainstream-Artists würden alles für Geld tun. Dieses Denken ruiniert die Musik. Hip Hop hat seine Identität verloren. Als ich jung war, gab es so viele verschiedene Künstler. Public Enemy klang nicht wie Boogie Down Productions. Big Daddy Kane nicht wie EPMD. Heutzutage will jeder wie 50 Cent sein, weil er sieben Millionen Platten verkauft und Diamanten am Start hat. Lass 50 Cent, 50 Cent sein. Er ist gut.

Wird sich das in Zukunft ändern?

Es muss! Wenn sich Hip Hop nicht ändert, ist er am Arsch. Viele Leute wissen nicht, dass ich vom Hip Hop komme. Auch "White Trash Beautiful" ist für mich Hip Hop. Wer die Richtung ändern wird? Ich weiß es nicht, wahrscheinlich irgendein talentiertes Kid, das noch niemand kennt. Kanye West versucht es zum Beispiel gerade. Er ist nicht der größte Rapper, aber er reimt wenigstens über andere Themen als Money, Sex'n'Drugs.

Zwei deiner Stücke vom neuen Album erinnern mich wegen der gepitchten Soul-Samples an Kanye West.

Ich denke, das ist heute eben der heißeste Scheiß. Die beiden Beats stammen auch nicht von mir, aber ich fand sie tight, so dass ich sie aufs Album gepackt habe. Es mag sein, dass sie nach Kanyes Style klingen. Doch er war natürlich nicht der erste, der Soul-Samples benutzt hat.

Aber ich denke, er hat das Sampling auf eine neue Ebene gehoben.

Yeah, exactly. Er hat seinen eigenen Style kreiert. Er ist ein sehr guter Produzent und kein ganz schlechter Rapper.

Viele deiner Rap-Kollegen sind jetzt ebenfalls Mitte dreißig und verkaufen keine Alben mehr. Hast du jemals daran gedacht, dass deine Platte floppen könnte?

Nah, ich mache viele verschiedene Dinge und entwickele mich weiter. Chuck D zum Beispiel ist nicht mehr erfolgreich, weil er immer noch Chuck D ist. Seit zehn Jahren. Ich bin mir sicher, wenn sich Chuck mit einer Band wie den Bad Brains zusammengetan hätte, würde er jetzt voll durchstarten. Du musst deinen Horizont erweitern, um deine Musik wieder interessant zu machen.

Du bist nachweislich ein Geschichtenerzähler. Siehst du dich mehr als ein Johnny Cash oder als Lyricist im Stile von Nas?

Ich sehe mich irgendwo zwischen Johnny Cash und Slick Rick. Ich bin beides.

Was können Rapper von Folk-Songwritern lernen und umgekehrt?

Rap-Acts können von Sängern oder Songwritern viel über Musik und Melodien lernen. Die meisten Rapper haben davon keine Ahnung. Irgendwer gibt ihnen einen Beat und sie rappen drüber. Man sollte sich selbst an einem Instrument versuchen, egal wie schlecht man ist. Es gibt einem das Gefühl für Musik. Songwriter sollten dagegen mal die Lyrics der Rapper genauer unter die Lupe nehmen. Die sind der Mittelpunkt von Hip Hop.

Ich denke, dass sich Rapper auch die emotionale Tiefe von Folk-Artists zum Vorbild nehmen sollten. Kennst du ein Emcee, der alle Seiten seiner Seele offenlegt?

Ghostface Killah. Definitiv. Er hat keine Angst vor irgendeinem Thema. Er ist auf jeden Fall einer meiner Lieblingskünstler. Er weint, er schreit und ist immer mit dem Herzen dabei. Das kannst du fühlen. Jay-Z hatte auf seinem "The Black Album" auch Ansätze von Emotionalität. Ansonsten fallen mir nicht so viele Artists ein. Den meisten geht es um ein hartes Image. Chuck D sagte vor langer Zeit schon, es ist nicht hart, hart zu tun. Es ist hart, sein Herz auszuschütten.

Was sagst du als weißer Hip Hopper zum Eminem-Beef mit Benzino, der den Detroiter ja als Kulturendieb wie Elvis beleidigt hat?

Em und ich hatten in der Vergangenheit so unsere Schwierigkeiten miteinander. Im Endeffekt sind wir aber weder Feinde noch Freunde. Unser Rap-Beef ist vorbei. Was Benzino angeht: Der Typ ist zur Hälfte weiß. Seine Mutter ist weiß. Es ist ridicolous. Der Typ ist ein Hater. Er hasst Em, weil Em die meisten Platten verkauft.

Und Benzino ist selbst nur ein mittelmäßiger Emcee.

Mittelmäßig? Mittelmaß ist noch ein Kompliment für ihn. Er ist nicht mal das, Alter. Wenn du so wie Benzino anfängst, über "White Devil" und ähnliches zu sprechen, wenn du es auf eine rassistische Ebene trägst, dann sag ich dir: Ich bin ein weißer Mann. Whitey Ford, Eat At Whiteys, White Trash Beautiful. Ich mache es sehr deutlich, dass ich ein weißer Mann bin, und ich bin stolz darauf. Ich gebe einen Scheiß auf andere. Klar, Hip Hop ist eine schwarze Kultur, Rap ist Black Music, und ich liebe sie. Ich liebe jede schwarze Musik. Blues. Jede schwarze Musik hat mich beeinflusst. Das verbietet mir aber nicht, selbst solche Musik zu kreieren. Ein Beispiel: Wenn ich ein Maler wäre, und mein Lehrer wäre ein Schwarzer gewesen, dann darf ich nicht mehr malen? Kein anderer sieht die Sache so wie Benzino. All die Superstars wie Jay-Z oder Nas hassen Em nicht, weil er weiß ist. Benzino hat mit diesem Beef zudem seine eigene Karriere zerstört. Er ist im Arsch. Und sein The Source-Magazin ist es ebenfalls. Er hat einfach keine Credibility mehr.

Für uns ist der Streit deshalb so interessant, da hier ein Journalist gegen einen Rapper antritt.

Der Künstler, den sich Benzino ausgesucht hat, ist extrem mächtig momentan. Er darf öffentlich "Motherfucker" sagen. Niemand hat sich besonders dafür interessiert, dass Eminem auf dem alten Tape über schwarze Frauen herzieht.

Mit deinem Crossover-Sound bist du zum Trendsetter avanciert. Lustigerweise klingt der einzige Hit auf dem letzten Limp Bizkit-Album arg nach ...

... Everlast. Sag es, Mann. Fred Durst ist ein Fake-Everlast. Er war schon immer ein Fake-Everlast. Er kopiert meinen ganzen Style. Limp Bizkit ist eine House Of Pain-Kopie. Versteh mich nicht falsch, DJ Lethal ist immer noch mein Kumpel, aber Fred Durst ist ein Fake-Me seit seinen Anfangstagen. Er sollte mit der Musik aufhören, genug Geld hat er ja. Und ich habe keine Angst, dies zu sagen: Fuck him!

Genau. Danke für das Gespräch.

Beim anschließenden Konzert rockte Everlast dann, kongenial unterstützt von seiner professionell tighten Band, die 600 Fans nach Belieben. Live klingen selbst seine Songwriter-Tracks einfach eine Spur härter, wie Neil Young meets Neptunes oder so. Aight!

Das Interview führte Stefan Johannesberg.

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LAUT.DE-PORTRÄT Everlast

Seine ersten Erfahrungen sammelt Erik Schrody alias Everlast in Ice Ts Rhyme Syndicate. Schon 1990 veröffentlicht er sein erstes Soloalbum "Everlasting".

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