20. Oktober 2022
"Muss jetzt jeder Abitur haben?"
Interview geführt von Maximilian SchäfferNach einigen Jahren der Stille sind die Fehlfarben nun mit neuem Album zurück auf Tournee.
Nach sieben Jahren Veröffentlichungspause geben die Fehlfarben ihre neue Platte mit dem so enigmatischen wie eindeutig zeitgeistigen Titel "?0??" heraus. Das zwölfte Studioalbum seit der Bandgründung 1979. Eine begleitende Deutschlandtournee mit einzelnem Ausflug nach Österreich läuft seit Anfang Oktober. Wir treffen Sänger Peter Hein und Elektroniker Kurt Dahlke alias Pyrolator zum Gespräch im fensterlosen Hinterzimmer des Berliner Plattenladen "POP" in einer sehr verregneten Mittagspause.
Peter, du wohnst in Wien. Kurt, du wohnst in Berlin. Der Rest der Band ist auch deutschlandweit verstreut. Wie lief die Arbeit am aktuellen Album ab?
Peter: Zuerst mal haben alle Beteiligten viel über das Internet hin und her geschickt. Dann kann man in Berlin ja diese Proberäume mieten und wir hätten uns am Ende einfach da getroffen und das Album zusammen fertig gemacht. Allerdings kamen dann die zehn kleinen Corona-Jägermeister – jeden Tag einer mehr: "Ich habs auch! Ich habs auch!" Bis auf unseren Bassisten Micha und der Technik-Crew waren am Ende alle ausgefallen und konnten nicht reisen.
Ich hab dann einfach keinen Test gemacht, bin nach Berlin gefahren und hab an meinen Parts gearbeitet. War für mich auch mal angenehm, dass die alle außer Gefecht waren, weil sonst hätte ich in der Zeit wieder nur zugehört, wie Gitarren komplettiert und irgendwelche Spuren ergänzt werden und am Ende Keyboards drauf. So hatte ich ein bisschen mehr Zeit für den Gesang und die Texte, das war super.
Ihr hattet Ende 2019 eigentlich schon ein Album fertig, das dann in der Form wieder verworfen wurde. War das Material vor allem musikalisch unbefriedigend?
Kurt: Peter war nicht so unzufrieden ...
Peter: Mir hätte das alles gereicht. Ich bin leicht zufrieden zu stellen.
Kurt: Wir als Band waren aber schon ein bisschen unzufrieden. Da klang alles so nach Click-Track und konstruiert, nicht wirklich wie eine Band, die zusammenspielt. Jetzt klingt es doch wie aus einem Guss.
Peter: Hat sich also als richtig herausgestellt, nochmal aufzunehmen.
Auch angesichts der Ereignisse, oder? Eine Veröffentlichung Anfang 2020 – zumindest eine mit politischem Kommentar – war ja bereits im April mit Eintreten der Pandemie wieder obsolet.
Peter: Das ist immer das Problem, wenn man überhaupt zu explizit Namen oder Begebenheiten benennt. Alles sowas ist durch den nächsten Skandal unmittelbar überholt, oder diejenige Person findet gar nicht mehr in der Öffentlichkeit statt. Wenn man sich allerdings nur thematisch anstoßen lässt, altern Songs schon besser.
"Irgendjemand muss den Finger in die Wunde legen"
Wenige Leute scheinen sich aktuell zu trauen, konkrete Zusammenhänge zu kommentieren. Lieder wie "Kontrollorgan" drängen sich doch geradezu auf. Wieso äußert sich die jüngere Generation nicht?
Peter: Kann ich nicht beurteilen. Bin ich ja nicht dabei.
Kurt: Irgendjemand muss es ja sagen. Früher gab es noch den politischen Liedermacher, bzw. gibt es den heute auch noch, allerdings in einer Form, wo ihn niemand mehr anhört. Irgendjemand muss ja wenigstens den Finger in die Wunde legen, sonst macht's anscheinend niemand. Ich weiß auch nicht warum.
Aber ihr analysiert und kritisiert doch zum Beispiel in "Ich kann es kaum erwarten" die aktuelle Studentenschaft schon recht scharf.
Peter: Man kann ja jetzt Friseur studieren.
Kurt: Es gibt Gymnasien in Berlin, wo ich mitgekriegt habe, dass die niemanden mehr nehmen über einem Notendurchschnitt von 1,0. Schlimmer noch, da waren sogar so viele Schüler in der Bewerbung, dass die welche mit 1,0 abgelehnt haben. Und sowas finde ich pervers. Was soll das? Muss jetzt jeder Abitur haben?
Peter: In Wien gibt es Schulen, da ist es das wichtigste nach der Einschulung festzustellen, ob die Kinder gerade Mädchen oder Junge sein wollen und wie sie die Operation vorbereiten. Davon abgesehen gingen mir Studenten grundsätzlich schon immer auf den Sack. So einfach ist das zu sagen. Sie werden halt immer mehr und mehr.
In einem Kunstgeschichte-Seminar machte ich einmal den Fehler, die Performance einer Dragqueen als "dumm und belanglos" zu bezeichnen.
Peter: Wenn man sowas in der falschen Form, in den falschen Kreisen sagt, ist man sofort ein Nazi, zumindest in Wien. Das Problem ist, dass sich die echten Nazi-Arschlöcher aber genau dasselbe argumentativ aneignen. Die setzen sich natürlich dankbar auf solche Themenfelder drauf. Ich meine, alles was man irgendwie lächerlich findet an aktuellen Zusammenhängen wird prompt von der FPÖ vereinnahmt und benutzt. Zum Beispiel diese Winnetou-Film-Debatte zuletzt. Alles lächerlich – aber wer schwingt sich auf zum Wortführer? Die Nazi-Arschlöcher. Das Falsche-Freunde-Problem hatten wir als Band aber schon immer. Schon seit "Es geht voran".
"Ich wollte überwiegend Krach beisteuern"
Viele Themen wollen Linke doch gar nicht mehr anfassen. Oder hängen sich an den, wie es auf dem Album heißt, "unten braunen und oben grünen" Konsens.
Peter: Ja klar, und dann beginnt diese Splitterei. Das gab's aber auch schon bei uns im Gymnasium, das war so ähnlich wie beim Punkrock: 3 Punks, 7 Bands – 3 Linke, 15 Parteien. K-Gruppe, KK-Gruppe, KKK-Gruppe. Die Aufsplittung der Aufsplittung. Das wars dann halt.
Ich höre viel weniger Synthesizer als auf dem letzten Album.
Kurt: Ist das so!?
Peter: Das liegt aber auch teilweise am Produzenten oder am Mix. Es sind ja viele Spuren geschickt worden, aber nicht alle verwendet.
Kurt: Ich wollte auch klanglich etwas mehr back-to-the roots. Ich bin diesmal nicht mit Keyboards, sondern mit meinem Modular-Synthesizer-Kram angerückt und hatte mir vorgenommen, dass ich überwiegend Krach beisteuern möchte. Das Stück "Drei Kapitäne" ist zum Beispiel auf meinem Mist gewachsen und das ist doch sehr Synthie-lastig. Und eben "Innenstadtfront", das ist ja ein sehr alter Song von Mittagspause aus dem Jahr 1977. Wir haben so einen Pseudo-Ableger der Fehlfarben, namens Janie-J.-Jones-Terzett, oder auch Janie-J.-Jones-Trio genannt. Wo wir zwei Gigs gemacht haben als die ganzen Fehlfarben da nicht extra anreisen konnten. Nur Bass, Synthesizer und Gesang – Coverversionen und alte Stücke. Da haben wir "Innenstadtfront" gespielt und das hat uns so gut gefallen, dass wir es aufs Album genommen haben.
Peter: Ganz pragmatisch: Kurt hatte das schon eingespeichert und Micha konnte den Bass. Solche Glücksfälle muss man nutzen.
Das Album hat ja einen chiffrierten Jahrestitel. Wie ist denn der Ausblick aufs Jahr 2023?
Peter: Das sag ich schon seit ungefähr 6000 Jahren: Es ist noch nie besser geworden!
3 Kommentare mit 6 Antworten
Wow, alte weiße Männer Talk vom Feinsten!
Aber altgedienten Punks lässt man sowas ja gerne durchgehen.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
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War eines der schlechtesten Konzert-Ereignisse meines Lebens. Peter mutet wegen seiner 1 bis 2-Satz-Antworten so an, als hätte er nicht unbedingt Bock auf das Interview gehabt oder wolle sich einfach nur ein wenig auskotzen.
Peter hatte noch nie Bock auf Interviews. Ein Grantler war er schon immer. Trotzdem stimmen die Texte von 'Monarchie und Alltag' damals wie heute. Finde das neue Album auch seit 'Knietief im Dispo' am besten.
Wenn alte weiße Männer, dann auch junge schwatte Frauen, hm? gleichi gleichi
Schalten sie das nächste Mal ein wenn es wieder heißt: "Maximilian Schäffer gegen die Jugend von heute."
Also das Phänomen hier zum Beispiel, beschreibt er treffend, finde ich, und es lässt sich auf Deutschland und AFD (oder noch weiter rechts) übertragen: "... Das Problem ist, dass sich die echten Nazi-Arschlöcher aber genau dasselbe argumentativ aneignen...").
Und es wird gerne schnell gelabelt und direkt dem einen der beiden Pole zugeschrieben... so wie die Zuschreibung weiter oben "alte weiße Männer" uns so.
In der Ecke für alte, weiße Männer soll dann also Peter Hein mit z.B. Donald Trump sitzen oder was?
Rechts war und ist nie meins, von links komm ich, aber da wird es mir zunehmend zu "irgendwie-anders-faschistisch" und viel zu undifferenziert. Die von rechts saugen mit voller Kraft alles an, was links von ihnen oder nirgends so richtig ist, und die von links strafen und schieben konstant Leute zu den Rechten, von denen dann die einen zukünftig lieber die Schnauze halten und konform bleiben, um links noch bleiben und mitspielen zu dürfen, die anderen da gar kein Bock drauf haben und beiden Seiten den Finger zeigen und wieder andere (und leider viele) dann tatsächlich hart rechts landen und bleiben.
Das beschreibt Peter Hein und liegt da schon richtig.