13. November 2014

"Unser Business ist im Arsch!"

Interview geführt von

Fish spielt im Rahmen seiner "The Moveable Feast Tour" in Karlsruhe. Für uns die Chance, mit ihm über sein gelungenes letztes Album "A Feast Of Consequences", Krieg, Fußball und das Referendum zu Schottlands Unabhängigkeit zu sprechen.

Vorher müssen wir uns, da die Bahn streikt, jedoch von einem Stau zum nächsten quälen. Gerade noch rechtzeitig zum ausgemachten Termin erreichen wir das Substage und werden von einem brummeligen und deutlich gestressten Sänger empfangen. Seit dem frühen Morgen plagen ihn Halsschmerzen, was ihm zuerst deutlich auf die Laune schlägt.

Fish: Ich bin heute früh aufgestanden und mein Hals tat mir weh. Er ist richtig angeschwollen. Ach, scheiße. Aber das passiert. Besonders zu dieser Zeit des Jahres. Wir sind auf Tournee, drinnen ist es heiß, draußen kalt, es regnet und das ist der richtige Nährboden für Viren und all den Kram.

"A Feast Of Consequences" hat eine lange Geschichte. Du hast hart daran gearbeitet, ganz ohne Plattenfirma in deinem Rücken. Was für eine Erfahrung war es für dich, diesen Longplayer in eigener Verantwortung aufzunehmen?

Jedes Mal, wenn man mit der Arbeit zu einem neuen Album beginnt, ist dies mit einem hohen Aufwand verbunden. Ich wusste, dass dies kein leichte Platte wird und wollte auch keinen Mist veröffentlichen. Sie entstand in einer sehr düsteren Periode meines Lebens. Ich hatte große Probleme mit meiner Stimme, musste mich einer Operation unterziehen, und erst die Akustik-Tour gab mir eine Idee, wie ich mit der Situation umgehen kann.

Ich habe keine negativen Kritiken zu dem Album gelesen.

Ich auch nicht. Was schon einmal eine gute Sache ist, mit der ich sehr zufrieden bin. Ich bin 56, und das ist mir bisher nur selten passiert. Aber ich lese auch nicht alle Kritiken. Ich poste sie auf Facebook. Das ist Teil der Promotion. Je mehr positive Kritiken die Menschen lesen, um so wohlwollender nähern sie sich dem Werk.

"A Feast Of Consequences" beschäftigt sich unter anderem mit der globalen Erderwärmung, dem Vietnam-Krieg, aber das Hauptaugenmerk liegt mit der "The High Wood"-Suite auf dem ersten Weltkrieg

Nein, liegt er nicht. Der erste Weltkrieg ist ein Teil des Albums, aber nicht das Hauptthema. Es geht um vergangene Geschehnisse, heutige Taten und die daraus resultierenden Konsequenzen, mit denen wir leben müssen. Der erste Weltkrieg startete mit einer Kugel in Sarajevo und endete in einem industriellen Krieg mit der Erfindung neuer Technologie wie dem Maschinengewehr, dem Flugzeug usw. Aber die Bäume stehen immer noch am gleichen Ort, an dem sie bereits vorher standen.

Möchtest du auf diesem Weg bewirken, dass sich die Menschen ihrer Vergangenheit bewusster nähern?

Es ist wichtig, dass wir unsere Geschichte erfassen, versuchen zu verstehen und daraus zu lernen. Europa verlor in diesem Krieg seine Blüte. Ganz egal, für welche Armee sie kämpften, wurden junge, gebildete Menschen einfach getötet. Das hatte einen dramatischen Effekt auf unseren Kontinent. All dies geschah nur, weil verschiedene Staaten und Waffenhersteller daraus Profit ziehen wollten. Es ging um ihre Egos, während die Arbeiterklasse als Kanonenfutter verheizt wurde. Dieser Krieg hätte niemals stattfinden müssen und niemals stattfinden dürfen. Es hätte niemals so eskalieren dürfen, wie wir es letztendlich zugelassen haben.

Ein unheimlich sinnloser Krieg.

Es gab so viele sinnlose Kriege. Afghanistan war ein sehr dummer Krieg. Den Krieg in Irak hätte nicht geführt werden sollen. Wenn man sich "A Feast Of Consequences" betrachtet, und sieht, was momentan im Nahen Osten geschieht, ist dies die Konsequenz aus den Ereignissen des ersten Weltkriegs und der damaligen Aufteilung des Osmanischen Reichs. Das kommt nun alles auf uns zurück.

Mit der Konsequenz, dass nun Flüchtlinge nach Europa streben um hier zu (über-)leben. Hier in Deutschland stoßen sie aber auf Hass auf Grund ihrer anderen Ethik und Religion.

Dieses große Problem haben wir ja überall in Europa. Das wird auch immer passieren, wenn man auf der einen Seite Menschen hat, die viel Besitz anhäufen, während andere nichts haben. Früher oder später müssen wir lernen, Dinge zu teilen.

0,0004 Pence pro gespielten Song

Dein Album erschien zuerst nur im Eigenvertrieb per Mailorder über deine eigene Webseite. Insgesamt hast du dich mittlerweile aus dem typischen Vermarktungswahnsinn der Plattenfirmen ausgeklinkt. Das gibt dir sicherlich mehr Einfluss auf das eigene Werk, zeitgleich gehen dir damit Promo-Möglichkeiten verloren.

Wie kann ich Promo-Möglichkeiten verlieren? Hör zu. Keine Plattenfirma wird mehr Geld in die Promotion eines Albums stecken, als sie hofft mit dem Verkauf zu verdienen. Sie geben das Nötigste aus und schauen dann, wohin die Reise geht. Alles was du heute noch von einer Plattenfirma erwarten kannst ist, dass sie dein Album mit 50 anderen auf die Seite eines Magazins packen. Da muss man sich nichts vormachen. Sie verteilen die an kleine Platten-Läden und Musikmagazine, von denen es immer weniger gibt. Mit dem Resultat, dass diese die CDs dann bei Amazon verkaufen. Warum sollte ich meine Alben zur Konkurrenz weitergeben? Warum sollte ich das tun? "A Feast Of Consequences" gibt es bei iTunes, bei Amazon, wir verschicken es per Mailorder. Warum sollte ich mein Werk von jemandem anderen verkaufen lassen? Das ist dumm. Außerdem sitzen wir doch gerade in einem Interview. Warum führen wir ein Interview? Weil ich ein Promotion-Team habe.

Aber wir bekamen die Platte erst drei Monate nach Veröffentlichung. Normalerweise hätten wir es gar nicht mehr besprochen. An dieser Stelle hakt die Promotion doch. Wie sollen Zuhörer ein Album kaufen, von dem sie nichts wissen? Wir haben es dann eine Ausnahme gemacht und es nur besprochen, weil es uns so gut gefallen hat.

Danke. Wir arbeiten die ganze Zeit. Wir sind auf unserer zweiten Tournee durch Deutschland und das Album verkauft sich immer noch. Hierzulande haben wir in den letzten drei Monaten über Amazon 1.000 Alben verkauft. Das ist für jemand unabhängigen sehr viel. Was will man aber sonst machen? Man muss heute andere Wege finden. Aber das kümmert mich einen Scheiß. Dieses Business ist im Arsch. Absolut im Arsch. In zwei Jahren bin ich raus und werde mich zurückziehen. Dann werde ich Bücher schreiben und schauspielern. Das möchte ich tun. Wenn ich doch noch mal Lust bekomme, mache ich eine ein- bis zweiwöchige akustische Tour mit meinen Fishheads. Einfach ein wenig Spaß haben. Aber das hier mache ich nicht noch mal mit. Das ist verrückt. Wir spielen 60 Shows. Heute Abend bestreiten wir das 29. Konzert. Ich bin zu alt dafür. Es ist schwer, seine Zeit im Bus zu verbringen. Meine Knie schmerzen, die Betten in den Hotels sind für mich zu kurz. Die Hotels, die Flüge, die Steuer, alles wird teurer. Am Ende kauft dann niemand deine Tickets und trotzdem wollen immer mehr Leute ein Stück vom Kuchen abhaben. Ich bin wirklich dankbar für das, was ich habe, und ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, aber ich möchte keine Parodie meiner selbst werden. Ich habe einige der alten Künstler da draußen gesehen und mich gefragt: Warum machen die das?

"A Feast Of Consequences" wäre auf jeden Fall ein ziemlich gelungener Abschluss deiner Karriere. Aber ein Album folgt noch?

Ein letztes, ja. Nächstes Jahr möchte ich es schreiben und aufnehmen. Danach möchte ich im Sommer noch einmal mit "Misplaced Childhood" ein paar Open Air-Konzerte geben. Das wird das letzte mal sein, dass ich ein Album spiele. Im Musikbusiness verändert sich so viel. Auf youtube hat jemand meinen Song "Perfume River" hochgeladen. Nicht etwa live, sondern in der Studio-Version. 150.000 Klicks. Wenn ich so viele Alben verkaufen könnte, würde ich wie verrückt lachen. Wenn ich für die Veröffentlichung und Aufführung bezahlt würde, wäre das möglich. Aber ich bekomme dafür nichts. Das ist Piraterie. Streaming hilft uns Künstlern dabei auch nicht weiter. Die Leute sitzen im Bus und tippen sich bei Spotify und anderen Anbietern durch ganze Alben. Musik hat ihren Wert verloren. Bei der heutigen Wegwerf-Mentalität zählt nur noch der Konsum. Dabei habe ich keine großen Ansprüche. Ich fahre einen zehn Jahre alten Volvo. Ich habe keinen Maserati oder Porsche. Aber an der Nummer stimmt doch etwas nicht. Auf einer Abrechnung dieser Dienste bekam ich pro gespielten Song 0,0004 Pence. 2016 gehe ich ein letztes Mal ins Studio und dann ziehe ich hier nach Karlsruhe.

Beim KSC gibt es die bessere Wurst!

Du bist ja auch ein Fan des KSC. Hast du ein Herz für Underdogs? Deine schottische Mannschaft Hibernian Edinburgh spielt ebenso wie die Karlsruher in der zweiten Liga und versucht, aufzusteigen.

Und sie spielen dieses Jahr scheiße. Absolutes Gerümpel. Aber vielleicht ist an der Sache mit den Underdogs etwas dran. Auf der anderen Seite waren wir in den Siebzigern wirklich groß. Wir spielten im UEFA Cup gegen Leeds und Liverpool. Wir haben Sporting Lissabon mit 6:1 geschlagen. In dieses Umfeld bin ich hinein gewachsen. Das war ein großartiges Team, doch danach ging es steil bergab. Aber ich stehe zu ihnen. Das ist mein Club.

Aber beide Vereine haben die gleichen Probleme. Sie verkaufen die guten Spieler, leiden an schlechter Organisation und Missmanagement. Aber das erste Spiel, das ich vom KSC gesehen habe, hatte eine großartige Atmosphäre. Die Fankurve spielte verrückt. Ich habe mir dann auch das alte Match gegen Valencia angeschaut. Was für ein Spiel! Ich habe die Mannschaft auch nie verlieren sehen, da ich hauptsächlich in der Saison im Stadion war, in der sie aufgestiegen sind. Diese Saison war ich noch gar nicht da und schon verlieren sie ständig. Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder hingehen.

Deutscher Fußball ist so viel besser als der schottische. Die Mannschaften haben eine ganz andere Einstellung. Die Fitness, das Passspiel, die Fähigkeiten sind einfach viel besser. Dazu kann man hier während des Spiels Bier trinken und es gibt die bessere Stadionwurst. Aber ich ziehe aus Familiengründen und nicht wegen des Fußballs hierher. Meine Freundin, mit der ich vier Jahre zusammen bin, kommt aus Karlsruhe. Sie hat junge Kinder und ich möchte nicht einen sensiblen und intelligenten deutschen Jungen nach Schottland umsiedeln, wo er zehn Minuten von der nächsten Stadt entfernt auf einer Farm wohnen muss und niemanden in seinem Alter hat. Warum sollte ich das tun? Ich mag die Stimmung hier, die Atmosphäre. Wir sind genau im Zentrum Europas. Ich kann schnell in Berlin sein, in Paris, in Frankfurt. Hier ist es wie in England vor 30 Jahren. Man hat nicht diese Aggression, nicht diese Trunkenheit. Heute gehe ich die Straßen meiner Heimat nervös entlang. Denn die Kinder dort sind sehr aggressiv. Drogen, Alkohol, Gewalt. Das ist wirklich beängstigend. Das liegt an den mangelhaften Möglichkeiten. Sie finden keine Beschäftigung, haben kein Geld und daraus entsteht Frustration. Da warten wir jetzt lieber, bis wir ein schönes großes Haus finden. Da kümmere ich mich dann um den Garten und lehne mich danach zurück und trinke ein Bier. Vielleicht fange ich auch an zu fischen.

Obwohl du nach Deutschland umziehst, hast du dich sehr deutlich zum Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands geäußert und hattest dir ein Ja zur Unabhängigkeit erhofft.

Ich bin sehr enttäuscht über den Ausgang. Ich dachte, wir schaffen das. Dadurch fällt es mir nun auch leichter zu gehen. Hätte das Ergebnis anders ausgesehen, hätte ich vielleicht noch einmal darüber nachgedacht, Verantwortung für das Land zu übernehmen. Am Ende hat aber die Angst gesiegt. Alte Menschen und ironischerweise die Jüngsten haben sich dagegen entschieden. Alle anderen in meinem Alter und die Gruppe zwischen 25 und 55 waren dafür. Es war eine große Chance für Schottland und wir sind auf die gleichen alten Versprechungen herein gefallen.

Denkst du, es wird ein weiteres Referendum folgen?

Ja. Vielleicht bereits in fünf Jahren. Eine Umfrage letzte Woche hat gezeigt, dass weiterhin 51 Prozent ein unabhängiges Schottland wünschen. Ich meine, es war so nahe beieinander, beinahe unentschieden. Vor dem Referendum war eine Mehrzahl der Schotten für den Austritt. Man machte uns aber Versprechungen, die später nicht gehalten wurden, deswegen änderten viele ihre Meinung. Unsere Gegner sagten, dass wir mit einem YES aus der EU fliegen. Denkst du wirklich, die EU hätte sich umgedreht und gesagt: 'Sorry, Schottland, du darfst nicht beitreten.' Wir wären der größte Ölproduzent in Europa. Und was passiert jetzt? David Cameron lässt 2017 eine Volksabstimmung über den Verbleib in der EU durchführen. Aber das ist Demokratie. Ich akzeptiere die Entscheidung und ziehe nach Deutschland.

Nun müssen wir aber aufhören. Meine Stimme.

Deine Stimme ist wichtiger als dieses Interview.

Entschuldigung, es tut mir leid. Ich hasse es, wenn ich krank bin.

Fish verabschiedet sich freundlich und weitaus besser gelaunt als noch zu Beginn des Interviews. Mit seiner angeschlagenen Stimme und allen ihm zur Verfügung stehenden Tricks kämpft er sich später durch seinen Auftritt. Die nächsten Tage zollt die Erkältung jedoch ihren Tribut und die folgende Konzerte werden kurzfristig abgesagt. Für uns geht es zurück in den nächsten Stau. Im Gepäck haben wir ein aufrichtiges Gespräch mit einem ehrlichen Schotten und ein paar fiese Viren, die uns zwei Tage später üble Halsschmerzen bescheren.

(Von Sven Kabelitz und Alexander Cordas)

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7 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Hab Karten für das Konzert am 03.12. und freu mich riesig drauf. Das letzte Album ist einfach richtig genial!
    Darüber hinaus schönes Interview. Nur zum KSC will ich jetzt mal nichts sagen...

  • Vor 10 Jahren

    "Normalerweise hätten wir es gar nicht mehr besprochen. (...) Wir haben es dann eine Ausnahme gemacht und es nur besprochen, weil es uns so gut gefallen hat." Mensch, Sven, soll er dir jetzt im Interview vor Dankbarkeit einen lutschen oder was?

  • Vor 10 Jahren

    Eventuell das Künstlerprofil hier mal leicht anpassen:

    "Die folgenden Jahre verbringt der Schotte viel Zeit auf Tour. Auf nahezu allen Kontinenten spielt er primär reduzierte Akustik-Sets, ehe er sich Ende 2012 wieder auf eine Bandarbeit einlässt. Mit dem Album "A Feast Of Consequences" kehrt Fish im Herbst 2013 wieder zum folkig angehauchten Prog-Rock zurück: "Es ist ein sehr komplexes Album geworden", so der Sänger, der keinen Gedanken daran verschwendet, sich mittelfristig irgendwann einmal zur Ruhe zu setzen. "Die Leute werden noch lange von mir hören. Ich habe noch viele Reserven und große Pläne.""

  • Vor 10 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 10 Jahren

    "Mir ist es ein Rätsel, warum mich die Leute andauernd mit Peter Gabriel vergleichen" Hat er das wirklich gesagt?? Ich hatte das Vergnügen im Jahr 1984 einen Abend mit dem gut gelaunten Genesis fan zu verbringen und er war sowas von stolz über diese Vergleiche..... Marillion hat bewusst die Fans der Prog Ära Genesis angelockt und die Ähnlichkeit ist noch heute an der Stimme zu hören.

  • Vor 9 Jahren

    So - Konzert vom 03.12. wurde heute in Ramstein nachgeholt. War ein schönes Erlebnis. Ein gut gelaunter Onkel Fish hat gut gerockt und gab ein breit gefächertes Repertoire seiner Schaffenskunst zum Besten. Im Vordergrund stand natürlich das aktuelle Album, aber auch einige ältere Solostücke und ein paar Marillion-Songs (Slainte Mhath, Heart of Lothian, Incubus) durften nicht fehlen. Nur für den breiigen Sound gibts Minuspunkte. Toller Abend - vielen Dank!