Die Geschichte, die wir dem in Berlin lebenden Autor Arthur Schenk verdanken, beginnt so: "Cool-Jazz ... das ist am Anfang die Quersumme aus all den Gläsern irgendwann getrunkenen Rotweines und den Bergen von Zigarettenkippen in den Aschenbechern … ".
Und sie endet in einem Rausch der Sinne: "Uuuh yeah, Cool-Jazz ... Der Klangteppich verwandelt sich in ein Fangnetz, fängt Begehren und Raserei ein, unsere Körper zappeln gefangen wie Fische. Mein Mund wandert vom Hals ab an dir hinunter, streift deine Brustwarzen, die zum Erforschen einladen wie Korallenriffe, streift deinen Bauch, streift hin und her ... und findet am Meeresgrund der Liebeslagune schließlich eine Muschel ... ich halte sie ans Ohr, spüre mit meinen Lippen genüsslich den Linien nach ... und schmecke wieder den süßliche Geschmack der Kokosnuss. Und jetzt auch noch die rauchige Stimme der Sängerin! Ihre Hüften, die sich wie deine zu einem Text wiegen, den man hört, spürt und fühlt; ihre Zunge, die sich dem Mikrofon lockend entgegen schlängelt, ihre Lippen die zärtlich das Schutzgitter streifen! Und meine Zunge, die über deine Brustwarzen die Lautsprecher in dir zum Vibrieren bringt ... verdammt, dass ist zu viel ... Ich komme zu dir und du nimmst mich auf.
Yeah yeah Baby, Cool-Jazz...
Alle Töne verschmelzen zu einem einzigen Ton, zu einem einzigen Klangteppich, einer einzige Bewegung, einer einzigen süße Melodie; zu einem Refrain aus Kokosnüssen, Herzkirschen, Küssen, Lippen, warmer Haut, weichen Brüsten, sich heiß umschließenden Geschlechtsteilen. Die Sängerin streicht verträumt mit ihrer Hand über den verchromten Mikrofonständer, der Gitarrist geht förmlich auf in seinen Griffolgen, der Schlagzeuger bearbeitet virtuos das Drum-Kit, der Saxophonist arbeitet sich die Tonleiter hinauf und hinunter und selbst der Bassist lässt sich nun mitreißen ... sein Spiel klingt jetzt wie ein Stöhnen, dass sich los-gelöst aus der Kehle nach oben arbeitet. Die Lautstärke, ein ohrenbetäubendes Finale ... danach ... letzten Tonkaskaden, die wie bunte Feuerwerkskörper am Himmel zerplatzen ... Tänzer, die aus einem Traum erwachen und sich ansehen, sich erschöpft lächelnd Schweißperlen von der Stirn wischen ... und: Ich küsse dich als Applaus für die Band und ihrem Cool-Jazz ... ".
Eigentlich bedarf es keiner weiteren Erklärung, oder?
Wollen wir uns dennoch ein paar Fakten nähern. Cool Jazz entsteht Ende der 40er aus dem Bebop. Der Hektik des Bebop setzt der Cool Jazz eine entspannte Klangästhetik gegenüber, womit sich die Namensgebung weitestgehend erklärt. Alle weiteren Gerüchte, um eine unterkühlte Spielweise etwa, oder eine distanzierte Schönheitslehre, erweisen sich spätestens beim Hören als nicht haltbar.
Eher das Gegenteil ist der Fall. Cool Jazz zeichnet sich durch eine lineare und transparente Art des Musizierens aus. Vorreiter ist vor allem Arrangeur und Pianist Gil Evans, der in Gerry Mulligan (Saxophon) und John Lewis (Piano) zwei Partner findet, die seinen Visionen mühelos folgen. Ein filigranes Spiel mit Klangfarben und eine annähernd vibrato-freie Tongebung der Bläser sind zwei wesentliche Merkmale ihrer Musik, die sich in der Folge als stilbildend erweisen.
Schnell lässt sich auch Miles Davis vom Cool-Virus infizieren. Er kündigt beim Charlie Parker Quintet seine Mitgliedschaft und wird eine der Gallionsfiguren des im entstehen begriffenen neuen Genres. Sein Miles Davis Capitol Orchestra nimmt schon 1948 eine zentrale Rolle ein. Das ein Jahr später erscheinende Album "Birth Of The Cool" darf als offizielles Geburtsdatum des Cool Jazz begriffen werden.
Eine zweite Schule entwickelt sich um den Pianisten Lennie Tristano, in der sich u.a. Lee Konitz (Saxophon) tummelt. Seinem Harmonieverständnis, das von Arnold Schönbergs Zwölftontechnik beeinflusst ist, können jedoch nur wenige folgen und so etabliert sich Miles Davis auf dem ewigen Thron des Cool Jazz.
Eine gewichtige Rolle spielt, neben dem Übervater des Jazz, das 1952 von John Lewis gegründete Modern Jazz Quartet, das sich ebenfalls zu einem repräsentativen Vertreter des Genres entwickelt. Nicht unerwähnt sollen auch Stan Getz, Chet Baker, Dave Brubeck, Paul Desmond, Dizzie Gillespie und Lee Konitz bleiben.
Die Hochphase des Cool Jazz dauert jedoch nicht sehr lange. Während der 60er verflacht er durch "die kommerzielle Umsetzung, die diese Spielweise u.a. in der Barmusik findet. Ein Prozess, der in der Folge den Hard Bop als radikale Gegenreaktion provoziert", wie das Handbuch der populären Musik (Wicke/Ziegenrücker) berichtet.