"Dancing Machine"
"He's The Greatest Dancer"
"Let's Dance Across the Floor"
"Everybody Dance"
"Dance, Dance, Dance"
Selbst dem verstocktesten aller Zuhörer dürfte das Hauptthema einer Musikrichtung, die mit der Bezeichnung "Dance Music" weit treffender etikettiert wäre, schwer verborgen bleiben. Disco war immer schon Tanzmusik - in erster und einziger Linie.
Wie jeder Konzertveranstalter weiß, birgt Live-Musik diverse Nachteile. Musiker wollen bezahlt, verköstigt, untergebracht werden, Instrumente, Technik und entsprechend Platz für Equipment und Personal sind vonnöten. Weit weniger aufwändig scheint es da, auf Musik aus der Konserve zurückzugreifen. In den 60er Jahren werden, zunächst in den USA, Diskotheken populär.
Bei der Musikauswahl steht die Tanzbarkeit aus naheliegenden Gründen im Vordergrund. Jazz-, Pop- und Rock-Songs mit gerade durchgehaltenen Rhythmen werden gespielt, ein wenig Salsa, hauptsächlich jedoch Soul und Funk. Insbesondere die (wie der Name verrät) in Philadelphia entstandene Soul-Variante des Phillysound, wie ihn die Intruders, Harold Melvin & The Blue Notes, die O'Jays oder MFSB servieren, eignet sich ausgezeichnet.
In den in amerikanischen Großstädten aus dem Boden schießenden Clubs entwickelt sich, anfänglich in vorwiegend von Schwarzen und Schwulen frequentierten Läden, das musikalische Phänomen, das später als die die 70er Jahre beherrschende Strömung im Gedächtnis bleiben soll. Bassbetonter 4/4-Takt, Drums, die später gerne auch elektronischen Ursprungs sein dürfen und ohrwurmartige Refrains zwingen das tanzwütige Volk auf den Dancefloor und ebnen dem Sound aus dem Club den Weg ins Mainstream-Radio. Orchestrale Klänge, Streicher und Bläser, finden über das Hintertürchen Disco Eingang in die Popmusik.
Anfangs noch um 90 bis 110 bpm, zieht das Tempo bald merklich an. Die durchschnittliche Disco-Nummer bewegt sich in der Regel zwischen 120 und 130 bpm. Der Ursprung der Bezeichnung "Disco" liegt auf der Hand. Erste Diskussionen in den Medien, darunter das Billboard Magazine oder Vince Alettis Artikel im Rolling Stone ("Discotheque Rock '72 Paaaaaaarty!") helfen ab 1973 bei der Verbreitung des Terminus.
Wie so oft gehen die Meinungen darüber, wo nun die Geburtsstunde des Genres genau zu verorten ist, drastisch auseinander. Einige sehen in Manu Dibangos "Soul Mekossa" die erste Disco-Nummer. Die Ansicht, dass Künstler wie Sly & The Family Stone, die Incredible Bongo Band, Isaac Hayes, die Average White Band sowie der auf ewig unvergessene James Brown und Künstler aus den Reihen von Motown entscheidende Vorarbeit leisten, gilt jedoch weithin als konsensfähig.
Ebenso unzweifelhaft trägt Tom Moulton Entscheidendes bei. Das Ziel: Die Menge soll am Tanzen, das entstehende Gefühl aufrecht erhalten werden. Das Problem: Auf die Seite einer 7"-Single, das gängige Werkzeug jedes DJs, passen in tragbarer Soundqualität maximal vier bis fünf Minuten. Tom Moulton tut zweierlei: Zum Einen mischt er auf Gloria Gaynors Album "Never Can Say Goodbye" drei Songs so ineinander, dass ein einziges, eine komplette LP-Seite einnehmendes Musikstück entsteht und erfindet damit den Disco-Mix. Zum Anderen presst er längere Titel zunächst auf 10"- dann auf 12"-Vinyl, das zu Promo-Zwecken unter die DJ-Gemeinde gebracht wird: Disco beschert der Welt die ersten Maxi-Singles. Deren Vater zum Thema: "Ich habe keine Tanzplatte gemacht. Ich habe eine Platte gemacht, zu der man tanzen kann."
Getanzt wird dann auch. Ausgiebig. "Love's Theme", "Machine Gun", "Shame, Shame, Shame" oder "Lady Marmelade" bilden die Vorboten eines Booms, der 1975 in einer wahren Hit-Flut explodiert. Es gibt kein Entrinnen vor Van McCoy ("The Hustle"), Gloria Gaynor oder Donna Summer. Mit "Love To Love You", "Hot Stuff" und "Need A Man Blues" lässt insbesondere letztgenannte Dame keinen Zweifel daran, was neben dem Tanz außerdem noch interessiert. Zur Erinnerung: Wir befinden uns in den 70ern. AIDS ist noch lange nicht Thema.
Endgültig zum Massenphänomen wird Disco 1977 über den Film "Saturday Night Fever" mit John Travolta. Wie auch "Thank God It's Friday" aus dem Jahr darauf, befasst sich "Saturday Night Fever" mit dem Lebensgefühl, das Disco darstellt, mit Tanzen, der Clubszene und mit Sex. Der Streifen liefert beste Unterhaltung, setzt Modetrends und beschert den Bee Gees ein triumphales Comeback.
Disco Inferno so weit das Auge reicht: Disco bedient sich bei gängigen Rock- und Popklassikern, hinterlässt aber auch Spuren in zahlreichen anderen Genres. Waschechte Rocker wie die Rolling Stones präsentieren plötzlich Songs im Disco-Gewand. Queen entleihen sich für "Another One Bites The Dust" gar die komplette Basslinie aus Chics "Good Times", die sich auch in "Rapper's Delight", der ersten kommerziell erfolgreichen Rap-Platte wiederfindet. Frank Zappa karikiert Disco mit "Dancing Fool", und selbst der entschiedenen Anti-Strömung Punk drückt Disco einen Stempel auf, indem es die Vorgaben dafür stellt, was gar nicht geht.
Die Bewegung beschränkt sich schon lange nicht mehr auf die USA. 1975 landet Dalida in Frankreich einen Disco-Hit. Frank Farian beschert Deutschland mit Boney M. Sternstunden des Kalibers "Daddy Cool", "Ma Baker" und "Brown Girl In The Ring". Produzent Dieter Bohlen schleppt den Disco-Sound noch bis tief ins nächste Jahrzehnt. Japan bekommt in den späten 70ern mit dem Duo Pink Lady seine Disco-Stars. Everybody does "Kung-Fu Fighting", nicht nur Carl Douglas.
Mit den aufkommenden 80er Jahren wandelt sich das Strickmuster ein wenig. Anfangs oft aufwändige Orchestrierung weicht programmierten Klängen aus den Synthie-Keyboards von One-Man-Bands. Einst bombastische Klangwände lösen sich auf und geben Raum für reduzierte, transparentere Strukturen. Aus Disco wird Electronic Dance Music, das Genre verschwindet weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein und kehrt zu seinen Wurzeln, in die Clubs zurück. In legendären Läden wie Larry Levans Paradise Garage oder in Frankie Knuckles Warehouse entstehen neue Strömungen. Garage, House, Hi-NRG, Euro- und Italo-Disco: Die Wurzeln sind identisch. Das Etikett "Disco" haftet auch weiterhin hartnäckig allem Tanzbaren an.
Die Goldene Ära mag verstrichen sein. Verschwunden oder gar tot ist Disco deswegen noch lange nicht. Anfang der 90er landen Black Box mit "Ride On Time" einen verdächtig Disco-lastigen Hit. Die Pet Shop Boys orientieren sich für "New York City Boy" offen an den Village People. Um 2000 erlebt Disco ein Revival: Alcazar weinen in der Diskothek, Sophie Ellis-Bextor diagnostiziert "Murder On The Dancefloor". Selbst die Queen of Pop, Madonna, bedient sich 2005 für "Hung Up" eines Disco-Samples. ABBA liefern die Vorlage. Die Spiegelkugeln mögen etwas angestaubt sein, doch sie glitzern nach wie vor.