30. Januar 2013
"Sex & Drugs? Eher Disziplin & Ingwertee!"
Interview geführt von Ulf KubankeBei unserer ersten Begegnung in Berlin war das Projekt Haudegen noch ein Wagnis und die Zukunft ungewiss. Nur ein Jahr später krempelt die Marzahner Heilsarmee die heimische Rockszene um und stürmt die Charts.Doch weil Erfolg und Kritik wie Zwillinge sind, fragen viele nach der Authentizität ihrer Musik, der Unbedenklichkeit ihrer Ideologie und dem Auftreten in schwarzweißem Arbeiterstyle. Gern erklärt Leadsänger Hagen Stoll, warum Haudegen doch keine Heulsusen sind, warum man mit Xavier Naidoo nicht verglichen werden mag, und was es mit ihrem offensichtlichen Tattoofetisch auf sich hat.
Moin Hagen, hat sich ja einiges getan seit unserem letzten Gespräch. Das klappt ja ganz gut mit der zweiten Karriere.
Kann man so sagen. Vielen Dank. Ich werte das jetzt mal als Kompliment. Wir haben geerntet, was wir gesät haben.
Direkte, einschneidende Veränderungen?
Du, das ist so eine Sache. Es hat sich 'ne ganze Menge verändert. Gleichermaßen aber auch gar nichts. Wir sind natürlich überaus glücklich, mit unserer Musik so viele Menschen zu erreichen. Das ist in unserem Sinne. Dass man Menschen erreicht und als Sprachrohr fungiert. Auf der anderen Seite hat sich nichts verändert. Wir sind noch immer die gleichen, bodenständigen Menschen, die ihrer Leidenschaft nachgehen. Und von daher ist eigentlich alles beim alten geblieben. Natürlich wird das Leben auch mal stressig. Mit dem Herumfahren und den ganzen Autogrammstunden und so. Aber das gehört alles dazu. Klappern gehört zum Geschäft.
Und das Genießen der Früchte des Rock'n'Roll Lebens?
Ach, das ist doch schon lange nicht mehr Sex, Drugs & Rock'n'Roll, sondern Disziplin, Ingwertee & Rock'n'Roll.
Hab mir schon gedacht, dass du das sagen wirst, Hagen. Ist das neue Album aus deiner Sicht in Anbetracht dieser Formel eher eine Kontinuität oder echte Entwicklung?
Musikalisch - das muss ich wirklich sagen - haben wir in den letzten Monaten einfach unglaublich viel dazu gelernt. So viel live gespielt. Die Tour wurde fünfmal verlängert. Wir haben auch gemerkt, dass das Publikum es gern hat, wenn es mal etwas energetischer und härter zu geht. Da spiegelt sich schon eine ganze Menge auf "En Garde" wider. Natürlich haben wir aber auch auf der künstlerischen Seite einen Anspruch. Den Anspruch, lyrisch und poetisch zu sein. Das versuchen wir auch. Gleichzeitig muss aber immer genug Platz bleiben, für Interpretationen und Geschichten. Wir finden, das ist uns gut gelungen.
Ok, Songs wie "Hölle" zeigen in der Tat, dass ihr auch Richtung derber Stadion Metal gehen könnt. Eintagsfliege oder richtig Gasgeben?
Nach vorne geht es vor allem live so oder so. "Hölle" ist der härteste Song vom Album. Er spiegelt die Wut, die wir auch in uns tragen, wider. Diese Wut versuchen wir, musikalisch zu verarbeiten. Das ist uns gelungen. Aber ich sehe nicht, dass die nächsten Alben alle nach "Hölle" klingen. Ganz und gar nicht. Wir sind facettenreich und innovativ genug, unseren Hörern ein breites Spektrum zu liefern. Deshalb beschränken wir uns nicht auf die harten Sounds. Sondern wir sind Menschen wie du und ich. Wir tragen eine Menge Emotionen in uns. Unserer Meinung nach beinhaltet ein gutes Album deshalb auch eine Menge Emotionen. Ob es Wut ist, wie in "Hölle". Oder so emotional wie bei "So Eine Starke Frau", da beißt die Maus keinen Faden ab.
"Das Leben bringt uns unsere Songs."
"Wir rufen was ins Leben, was jeder von euch braucht." - Seit wann seid ihr Missionare?Missionare?
Ja, weil ihr singt: "Was jeder von euch braucht." Ihr wisst also, was die Menschheit braucht?
Ja, wir wissen, dass die Menschheit Hoffnung braucht. Deshalb heißt es ein paar Zeilen später auch: 'So was wie Hoffnung für die Welt!' Aber ohne dabei jetzt die Missionare dar zu stellen. Sondern als einfache Menschen, die was ins Leben rufen.
Genau darauf wollte ich hinaus. Es gibt doch mittlerweile genug Leute, die versuchen, euch in eine pseudo-ideologische oder politisch rechte Ecke zu stellen. Aber du sagst, es geht euch nur um Hoffnung und nicht darum, die Menschen in irgendeiner Weise zu manipulieren?
Ohjeh, neee. Also sowas ist ja nun ganz und gar nicht gemeint. Das Wort Hoffnung könnte jeder für sich austauschen. Beispielsweise durch "Glaube" oder "Wahrhaftigkeit", "Vernunft" oder "Toleranz". Alles solche Dinge, die - wie wir finden - ab und zu dieser Welt echt fehlen.
Und was hat es mit dem deinerseits erwähnten Sprachrohr-Ding auf sich? Ihr singt ja auch: 'Wir sind die Stürme aus dem Dunkeln. Von denen, die man nicht sieht. Wir sprechen aus, was euch auf dem Herzen liegt.' Wie meinst du das? Es birgt doch immer die Gefahr, dass man sich selbst zur Projektionsfläche für ungeteilte Verehrung und Heilsbringertum macht. Siehst du keine Gefahr? Einerseits Hoffnungsspender. Andererseits bekommt man eventuell eine Verantwortung von Fans aufgebürdet, die eurerseits gar nicht gewollt ist?
Ach nein. Wir betiteln uns ja ganz bewusst als die Stimme des kleinen Mannes. Und so lange wir so bodenständig bleiben und zeigen: Wir sind die, die wir sind! So lange ist es doch echt. Und dann noch gepaart mit der Leidenschaft, die wir da rein stecken. Das kann doch nicht verkehrt sein. Also echt jetzt. Schlimmer wäre es doch, wenn es so etwas nicht mehr gäbe. Da würde ich mir dann ernsthafte Gedanken machen. Aber wir machen doch einfach nur die Musik, die uns selber fehlt. Wenn ich mir andere Künstler in Deutschland angucke, dann gibt es Dinge, die ich vermisse. Ich vermisse das Gefühl, dass mir der sogenannte einfache Mann etwas zu sagen hat. Solche Geschichten sind nämlich viel interessanter, als wenn mir ein Reinhold Messner erzählt, wie er über Berg und Tal wandert. Ich weiß zwar ganz genau, was du meinst. Aber ganz ehrlich: Um die Zeilen machen wir uns keine Gedanken. Deshalb sagen wir ja: 'Wir sprechen aus, was euch auf dem Herzen liegt'. Weil wir - natürlich auch durch den Erfolg - einfach gemerkt haben, dass es draußen Menschen gibt, die sind wie Sven und ich. Genauso einfach gestrickt. Und denen sprechen wir aus der Seele, definitiv.
Verstehe ich zwar gut, wie du das erklärst. Aber was ist mit dem ersten Eindruck, wenn man auf der Platte von Song zu Song hüpft? 'Das Leben ein Kampf, sind wir die letzten unserer Art' ... 'Alles oder nichts, immer noch gegen den Wind.' ... 'Haudegen für immer. 2 Mann für alle Fälle. Wir kamen, sahen siegten. Gott hab Erbarmen.' Es gibt so viele deutsche Bands, die als letzte ihrer Art den aufrechten Lone Ranger geben. Wird es nicht langsam voll in der angeblich so einsamen Genre-Ecke?
Aber genau da liegt doch der Unterschied. Es gibt eine Menge Bands, die versuchen, so zu sein. Aber wir haben mittlerweile Band und eine Menge Künstler dort draußen kennen gelernt und gesehen, die es eben nicht so meinen. Da kann ich heute allen Ernstes doch behaupten, dass wir die letzten unserer Art sind. Alle, die uns ernst nehmen und unsere Worte richtig verstehen, die wissen, dass es ernst gemeint ist.
Du meinst, ihr beide seid authentisch, wahrhaftig und eben kleine Showbiz-Masche?
Genau, genau. Wir sind wie wir sind. Ist doch egal, ob jetzt Riesenplakate von uns geklebt werden. Wir verabreden uns gern mit der Plakatierfirma und machen das selbst.
Ach was, im Ernst?
Absolut. Das ist kein Witz. Am Rosa Luxemburg Platz in Berlin, haben sich alle gefreut. Die Plakatierer sagten, das habe seit vielen Jahren kein einziger Künstler gemacht. Das ist, glaube ich, der beste Beweis dafür, dass in uns etwas anderes schlummert. Darum sind wir auch die letzten unserer Art.
Und die Optik? Ihr habt ja dieses schwarzweiße Arbeiterklassending als Stilmittel. Das hast du doch zu Hip Hop-Zeiten noch nicht gemacht. Passt es besonders gut zu Rock oder was für eine Botschaft steckt dahinter?
Das hat mit Rock, Rap und überhaupt Musik gar nichts zu tun. Du vermischt da gerade Sachen miteinander, die nicht vermischt werden sollten. Der Ursprung ist, dass man sich als Mensch verändert hat. Reifer wird. Du wirst von dir doch sicherlich auch sagen, dass du vor fünf Jahren ein anderer warst als heute. Deine Erfahrungen haben den Charakter geformt. Und, und und. Das Outfit hat nichts mit der Musik zu tun, wir haben uns eben verändert. Natürlich liegt der Fokus auf uns als Band. Da wird das gern alles in einen Topf geschmissen. Nach dem Motto: 'Ja, klar guck mal ... jetzt ziehen se sich n paar Hemden an und gut, wa?' Aber wie gesagt: Damit hat es nichts zu tun. Wir haben uns privat verändert. Diese private Veränderung schlussfolgert sich in der künstlerischen Veränderung. So kommt eins zum anderen. Wir haben uns nicht irgendwelche Hüte und Hemden aufgesetzt, um das Bild eines Haudegens zu unterstreichen. Würden wir niemals tun.
Schön, dass du das so klar sagst. Ich frage auch bewusst so provokant. Denn es gibt wirklich viele Missverständnisse. Man wirft euch vor, beliebig auf den Onkelz/In Extremo- etc Zug aufzuspringen.
Weißte, die Leute sollten mal darüber nachdenken, warum. Es sieht so aus, weil zu viele Leute nach Kalkül ihre Musik machen. Da ist dann nichts Großartiges oder Wahrhaftiges bei.
Dann zurück zu eurem ganzheitlichen Ansatz. 'Der Fehlerlose Mann' - 'oft hattet ihr keine leise Ahnung (...) nur der Verdacht wurde laut ...' Das ist ja mal richtig geil als sprachliches Bild. Lyrisches Ich oder real biografischer Hintergrund?
Sowohl als auch. Die Titel, die wir schreiben, äußern sich ja aus unser beider Leben. Aus unser beider Erfahrung. Wir wollten einen Song schreiben, der ein Eingeständnis darstellt. Man hat Fehler gemacht und aus diesen gelernt. Und auch gleichzeitig ein Zugeständnis an Menschen, die uns vielleicht missverstehen könnten. Das Leben bringt uns unsere Songs. Das sagen wir immer wieder.
"Eine Heulsuse ist 'ne Heulsuse"
Das Streicherarrangement ("Haus Aus Glas") ist ein neuer Schritt für euch ...Wir haben über die gesamte Platte sehr viel auf Streicherarrangements geachtet. "Weck Mich auf" wurde z.B. mit dem Bratislava Filmorchester aufgenommen. Wir legen da selbst viel Wert drauf, weil wir die orchestralen Sounds auch sehr mögen. Streicher haben für uns eine gewisse Romantik. Sie können Emotionen widerspiegeln. Etwas, das manch anderes Instrument in dieser Form nicht kann. Ein gut gespieltes Cello kann richtige Tragik in sich tragen. Da legen wir Wert drauf. Wir denken an den Titel und wollen, dass er schön klingt.
Die Streicher schließen Lücken, die sich live auch für die älteren Tracks der ersten Platte schließen könnten.
Das mag sein. Wird sich auch immer wieder finden. Wir wollen ja eine gewisse Dramatik vermitteln in den Songs.
Textlich betrachtet ist "So Eine Starke Frau" sicherlich der Höhepunkt. Aber muss man nicht aufpassen, dass der Text nicht zwischen leicht übertriebener Grobkehligkeit (zB bei 'was hat hier Wert, alles um uns rum den Zweifel nährt?') und Naidoo-haft betroffenem Jammerbardentum versinkt? Das kann doch beides nicht gewollt sein.
Nö, würde ich nicht sagen. Du hast zwar eine These aufgestellt. Aber mit dem direkten Vergleich kann ich keine Gemeinsamkeiten erkennen. Ich kann der These nicht zustimmen.
Hätte mich auch enttäuscht.
Allein die Frage: 'Was hat hier Wert?' sollten sich alle doch einmal stellen. Gerade in Verbindung mit Wirtschaftskrise, Bankenkrise, Schulden und all dem, was uns derzeit umgibt. Dann sagen wir ganz ehrlich: Die zwischenmenschliche Beziehung stellt einen weitaus höheren Wert dar, als die Werte, über die wir uns jeden Tag im Fernsehen Gedanken machen. So ist es auch gemeint. Zwischenmenschlichkeit soll als Wert an erster Stelle stehen. Es ist natürlich sehr tragisch gesungen. aber es ist ja auch 'ne tragische Geschichte. Dabei können wir doch nicht frohlockend klingen.
Klar, mir ging es nur darum, in der Phrasierung nicht in dieses Betroffenheitstralllalla zu verfallen. Mit solch einer melodramatischen Assoziation könnte man den guten Text recht schnell zerstören.
Nee, ich will ja auch vermeiden, dass wir bei Gelegenheit von laut.de wieder als Heulsusen dargestellt werden.
Der Text, auf den du anspielst, war nicht von mir. Unterschiedliche Autoren haben natürlich auch unterschiedliche Sichtweisen.
Ok, das auch vollkommen ok. Aber mich hat das schon getroffen. Eine Heulsuse ist 'ne Heulsuse. Das kann ich nicht auf mich beziehen. Ich bin eher jemand, der versucht, Gefühle in Worte zu packen. Und dann als Heulsuse dazustehen ... Das möchte ich wirklich mal anmerken.
Klar, muss ja raus, wenn man sich getroffen fühlt. Wird ja alles nur mit Kommunikation besser. Euer Verdienst ist möglicherweise der, nicht stets das Trennende in der Gesellschaft und zwischen den Menschen auf zu zeigen, sondern auf das Vereinende hinzuweisen? Damit seid ihr nicht destruktiv, sondern konstruktiv.
Genau so ist es auch gemeint. Und genau so fühlen wir es auch. Das Sehen wir auch in unserer Verantwortung als Künstler. Von daher, vielen Dank an dich für diese tollen Worte.
Macht ihr euer Facebook selbst oder ist das ein Label-Heini?
Wir sind komplett selber da. Bedanken uns für jeden Kommentar selbst. Das ist uns ein Anliegen. Viele Leute schreiben uns ja auch direkt mit ihren Bedürfnissen an. Wir nutzen die neuen Medien hier sehr gern. In der heutigen Zeit sind wir im großen und ganzen sehr dankbar dafür, dass man damit so eine nahe Bindung zu den Menschen hat, die diese Rockmusik so lieben, wie wir es tun. Wir haben private Accounts und die Haudegenseite, wo sehr, sehr viel passiert. Wenn wir unterwegs sind, zeigen wir den Leuten gern, wo wir sind und so. Das ist schon schön.
Eure Tattoos sind medial zuletzt mehr in den öffentlichen Blickpunkt gerückt. Ihr macht selbst viel Körperkunst. Zeigt auch Fans, die teils mit euren Motiven unterwegs sind und das ganze Convention-Ding. Das hat schon eine echte Fetischkomponente bei euch? Ihr steht da richtig drauf, oder?
Fetisch? Es ist unsere verbindlichste Leidenschaft. Man kann das natürlich Fetisch nennen, würde ich aber so nicht sagen. Es ist eher ein Zeugnis, das jeder von uns beiden ablegt. Darüber, was man mit dem Leben verbindet. Da sind wir immer noch affin und lieben Tätowierungen. Aber 'ne Tätowierung ist vom Sinn her im Endeffekt doch wie ein guter Song. Es geht um das Leben. Und da ist es doch egal, ob Tattoo oder Track. der Sinn bleibt der gleiche. Eine Tätowierung ohne symbolischen Hintergrund wäre für mich nicht denkbar, nein.
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