15. November 2013

"Der Deutschrap-Hype tangiert uns wenig"

Interview geführt von

In Niedersachsen geboren, in Berlin gegründet und von einer stetig wachsenden Fanbase begleitet: Benny und Kraatz verzücken seit mittlerweile sechs Jahren nicht nur Deutschrap-Hörer mit musikalischer Detailverliebtheit und lyrischer Verkopftheit.

Ihr jüngstes Machwerk "Freiflug" erschien Anfang August, auf der gleichnamigen Tour machen Herr von Grau einige Wochen später Halt in Düsseldorf, im winzigen Rockschuppen The Tube mitten in der Altstadt. Während der angeschlagene Benny sich verständlicherweise auskuriert, nimmt sich Kraatz zwischen Soundcheck und Essen eine halbe Stunde Zeit für ein Interview im Backstage-Keller. Wir sprechen über die neue Platte, seine Rolle im Hintergrund, deutschen Rap und das gemischte Herr von Grau-Publikum.

Ihr habt ja bereits vor zwölf Monaten hier gespielt, Düsseldorf scheint für euch ein gutes Pflaster zu sein. Denn ansonsten könnte man, wie so viele Acts, auch auf Köln oder den Ruhrpott ausweichen.

Na ja, in Köln waren wir gestern auch. Die Fans sind halt faul geworden, die fahren nicht mehr so weit. Die sind dann entweder in Köln oder in Düsseldorf, aber die Kölner kommen nicht nach Düsseldorf und die Düsseldorfer nicht nach Köln. Deswegen spielen wir halt immer überall. Das liegt ja auch auf einer schönen Route, da kann man dann auch mal ausschlafen.

Sind die Gigs im Vergleich zum letzten Mal denn gewachsen?

Es sind viele gleiche Clubs. Aber unser Team ist gewachsen, unser Bühnenaufbau ist gewachsen, alles ist größer geworden.

Und der Name Herr von Grau gewissermaßen auch.

Eigentlich schon, ja.

Deutschrap erlebt gerade eine sehr gute Zeit. Findest du, dass ihr davon profitiert?

Wir fühlen uns da nicht immer so richtig zugehörig. Dieses ganze Hype-Ding tangiert uns relativ wenig, weil wir halt eine ganz andere Fanbase haben. Es kann natürlich sein, dass noch mehr Leute als sonst kämen, wenn Rap auf dem Flyer stünde, also Zufallsleute. So was ist natürlich toll und ich gönn das auch allen, dass Rapmusik im Moment wieder so groß wird und dass so viele Platten verkauft werden. Das ist gut, aber so richtig profitieren tun wir davon nicht.

Ihr habt also auch viele Non-Hip-Hop-Fans?

Ja. Wenn du heute Abend kommst, wirst du das auch sehen. Erst mal sind die Altersklassen total durchmischt. Da stehen sowohl Mittvierziger, als auch Mittzwanziger, aber auch ein paar Teenies. Und es ist auch echt genreübergreifend, wir haben da auch oft Rocker stehen.

Musstet ihr euch für die Tour Urlaub nehmen? Du bist hauptberuflicher Tonmeister, stimmts?

Ich hatte meinen Job Mitte des Jahres eh verloren. Da kam dann das Album, das war im Nachhinein relativ günstig. Dadurch dass ich da ein paar Monate freiberuflich unterwegs war, hatte ich halt mehr Zeit, das mit dem Label zu machen. Jetzt habe ich eine neue Festanstellung, allerdings nur für drei Tage die Woche. Das ist also relativ entspannt, weil die halt auch gesagt haben, ich solle meine Mucke weitermachen können. Das ist natürlich perfekt. Dementsprechend habe ich mir nicht wirklich Urlaub genommen, sondern arbeite danach erst mal fünf Tage die Woche. Und bei Benny ist eh alles relaxt, der macht hier und da mal so kleinere Jobs.

Ihr betreibt euer eigenes Label Grautöne Records. Gabs vor der Gründung noch Kontakte mit anderen Indie-Labels oder war dieser Weg von Anfang an klar?

Bei mir hat das sehr früh angefangen, dass ich alles selber mache. Weil ich früher in einer Hardcore-Band gespielt und dort schon alles sehr DIY-mäßig aufgezogen hab, auch das Booking und so. Bei Herr von Grau war es genau dasselbe, am Anfang habe ich auch alles mit Benny gemacht. Dann hatten wir zwischenzeitlich mal einen Bandübernahmevertrag: Rappers.in hat damals "Heldenplätze" rausgebracht. Die sind aber ja kein wirkliches Label, das haben sie uns auch klar gesagt.

2010 haben wir aber wieder entschieden, alles alleine zu machen und das Label zu gründen. Darüber haben wir jetzt vier Tonträger und eine DVD rausgebracht, das läuft eigentlich sehr gut. Jetzt haben wir allerdings einiges geändert und für "Freiflug" viele Partner dazugeholt: Promo, Vertrieb, Verlag, Booking. Die großen Dinger haben wir abgegeben, aber unser Labelding mit Druck, Terminlichkeiten etc. machen wir selber. Und das soll so definitiv erst mal bleiben.

"Ich stehe gerne im Hintergrund"

Den Namen Herr von Grau verbinden viele immer noch mit einer Einzelperson. Nervt dich das nicht? Habt ihr mal überlegt, das zu ändern?

Den Namen können wir jetzt nicht mehr ablegen, der ist ja schon zu einer kleinen Marke geworden. Andererseits bringt das auch genau diesen unbestimmten, verwirrenden Effekt mit sich. Aber natürlich merke ich das auch, ich stehe ja nicht vorne und rappe den Leuten was vor - auch auf den Platten nur in Ausnahmen. Ich komme damit aber voll klar, weil ich weiß, was ich da alles mache. Auch wenn die Leute das nicht sehen, das ist mir relativ wurscht.

Natürlich ist es manchmal ein wenig befremdend, wenn nach dem Konzert fünfzig Leue am Merchstand stehen und dann traut sich irgendwann mal einer zu fragen: Ey, krass, krieg ich ein Autogramm? Und dann fangen die anderen erst an zu raffen: Okay, der ist ja auch Herr von Grau. Dann kommt Benny und alle sind total aufgeregt. Und ich denk mir nur so: Pff, ihr Pfeifen, ihr habts nicht gepeilt. (lacht) Aber das ist überhaupt nicht schlimm, ich brauche diese Aufmerksamkeit nicht. Ich stehe gerne im Hintergrund.

Das Beatbasteln teilt ich euch ja, oder?

Nicht mehr so richtig. Das haben wir ein bisschen getrennt. Weil ich einfach zu viel mit dem Label zu tun hab, ist die Musik bei mir irgendwann in den Hintergrund geraten. Das heißt, Benny baut im Moment wirklich die kompletten Beats. Auf den letzten Alben habe ich noch ein paar eingestreut, die er dann weiter verfremdet hat. Ich bin aber eher für den Sound zuständig, ich nehme alles auf, spiele die Drums drüber ein, ich mische alles, arrangier hier und da mal noch was.

Und, was man halt nicht vergessen darf, ich bin immer noch diese Instanz, die Bennys Loops schon im Rohstadium hört. Und dann sage ich zum Beispiel: Ey, diese Snare würde ich so nicht setzten. Oder: Mach mal da noch 'nen Synthie rein. Ich gebe ihm halt immer ein bisschen Feedback. Aber insgesamt kümmere ich mich eher darum, dass es ein fertiger Track wird.

Was ja auch ein bedeutender Beitrag ist.

Auf jeden Fall. Im Endeffekt würde es sonst ja gar nicht rauskommen.

Wie groß ist denn auf "Freiflug" der Anteil an echten Drumsounds?

Zirka 70 Prozent sind mit Drums eingespielt. Allerdings würden das wohl die wenigsten Leute raushören, weil darüber immer noch programmierte Drums erklingen. Oder weil die eingespielten Drums aus Samples bestehen. Es gibt also keinen Track, bei dem man nur echte Drums hört. Das war bei den alten Platten mal so, bei "Ruf Die Bullen" zum Beispiel.

Heute habt ihr aber, wenn ich das richtig gesehen habe, einen Livedrummer dabei.

Genau, wir haben den Trommel-Tobi dabei. Der spielt auch für Amewu und Yarah Bravo. Den kennt man auf jeden Fall. Den haben wir eingepackt für die ganze Tour und wahrscheinlich auch für weitere Shows. Ausgespannt sozusagen. (lacht) Und wir spielen das komplette Konzert mit Drums, er spielt quasi über die Beats noch mal drüber. Das bekommt halt einen ganz anderen musikalischen Anreiz. Als Special haben wir noch einen Song mit Gitarre, Drums und Vocals.

Können wir trotz Bennys Abwesenheit ein bisschen über die Lyrics sprechen?

Ich versuche deine Fragen so gut wie möglich zu beantworten. (lacht)

"Er Läuft" zeichnet ein ziemlich düsteres Bild von Berlin. Fühlt ihr als Zugezogene euch denn dort zuhause?

Dieses Zuhausefühlen ist ja immer so eine Sache. Aber wir sind ja jetzt schon echt lange da. Ich hab da quasi mein Leben begonnen, nach dem Abi gehts ja irgendwie erst los. Man ist auf jeden Fall angekommen, ich hab mein eigenes Studio, einen Job, meine Freunde und meine Leute. Das ist auf jeden Fall die Stadt, in der ich gerne bin, egal wie düster das in diesem Track geschildert wird. Aber das mit dem Wurstverkäufer und so, das ist halt schon alles eins zu eins. Das kann man so schon unterschreiben.

Es gibt auch noch den Track "Menschenhass" vom "Revue"-Album. Da wird noch mal ein bisschen deutlicher, wie es in Berlin-Mitte zugeht. Und bei "Er Läuft" hat Benny noch mal die Tatsache behandelt, dass es einfach so kranke und so viele verschiedene Menschen gibt. Wir haben ihn leider aus dem Liveset gestrichen, weil der einfach zu sehr runterzieht. Der ist halt auch so lang.

Wie stark sind Songs wie "Dankbar" oder "Pommes" autobiografisch geprägt?

Also Benny würde jetzt sagen, dass er nie komplett offenlegen will, was eher Teil einer Kunstfigur oder gemauschelt ist. Bei "Dankbar" ist es aber eins zu eins sein Ding. Musik hat ihm seine Lebenskraft auf jeden Fall zurückgegeben. Der Song berührt auch die meisten Leute, so wie ich das jetzt mitbekommen hab. Bei "Pommes" ist eigentlich auch alles eins zu eins. Er hat damals halt eine Sektenerziehung durchlebt und ist da dann irgendwann rausgekommen. Deswegen ist das in dem Fall auch nix Ausgedachtes. Daher auch der Abstand zu dieser ganzen Glaubenssache. Wenn man so geprägt wurde, kann man das irgendwie auch verstehen.

"Nach der Tour sehen wir uns erst mal zwei, drei Wochen nicht"

Das amüsantere "Ziehn Digger" handelt dagegen vom breit zusammen Abhängen. Wie oft kommen solche Abende heutzutage noch vor?

Der Track, muss ich gestehen, ist tatsächlich schon drei bis vier Jahre alt. Der schlummerte echt ewig auf meiner Festplatte, hatte damals sogar noch einen anderen Beat. Ich weiß gar nicht, warum wir den nie rausgebracht haben. Ich glaube, der war nicht fertig geschrieben. Das war noch in meiner ersten Wohnung damals in Berlin - da kam so was durchaus oft vor. Da haben wir uns auch noch öfters privat getroffen und sind einfach nur gehockt, haben Filme geguckt, hier und da einen Beat gebaut und gechillt.

Das hat natürlich nachgelassen, weil wir einfach beruflich so viel zu tun hatten und auf Tour waren. Da geht man sich eh irgendwann auf den Sack. Nach der Tour sehen wir uns erst mal zwei, drei Wochen nicht und telefonieren nicht mehr, weil man echt die Schnauze voll hat. Aber "Ziehn Digger", joa. Das kommt immer noch gelegentlich vor, nur dass ich dann nicht mehr koche. Sondern dass wir halt kurz vor die Tür gehen oder ich lass irgendwen kochen. (lacht) Aber ich koch auf keinen Fall selber.

Seid ihr Nostalgiker, wie "Brot Obst Klopapier" vermuten lässt?

Das ist auf jeden Fall auch ein bisschen überspitzt.

(Benny tritt ein)

B: Moin!

K: Hallo, Benjamin.

B: Hallo, Stefan.

K: "Brot Obst Klopapier" - sind wir Nostalgiker?

B: Äh, nö. Ist eher 'n bisschen witzig gemeint.

K: Jo, das hätt ich jetzt auch gesagt.

Der Albumtitel "Freiflug" steht für das Eintauchen in all erdenklichen Themenfelder und Stilrichtungen. Habt ihr euch nie Sorgen gemacht, dass dabei der rote Faden verloren geht?

B: Braucht man 'n roten Faden?

Als Musiker vielleicht nicht, aber ...

K: Als Hörer vielleicht.

B: Echt?

K: Es wandelt sich halt, es ist sehr facettenreich. Ich find das immer ganz gut, so viel anzubieten. Das ist wie ein Theaterstück mit vielen Chaptern.

Aber ein bisschen sperrig ist es schon geworden.

B: Du musst dir mal "Revue" anhören, das ist sperrig. (lacht) Dagegen ist das leichte Kost.

K: Ja, das stimmt. Wir können das halt aus unserer Sicht schwer sagen. Ich kann nur sagen, dass es besser geworden ist, weils neuer ist. (lacht) Und weil man sich weiterentwickelt hat.

Als Teil des aktuellen Deutschrap-Hypes sehr ihr euch also nicht. Gibt es trotzdem andere Acts, die ihr feiert?

K: Klar. Es gibt auf jeden Fall viele.

B: Dilemma feier ich schon ewig.

K: Megaloh ist gerade auch sehr cool. Den haben wir jetzt endlich mal live gesehen.

B: Alter! Krasser Live-MC.

K: Ja, es gibt da echt viele. Aber insgesamt hör ich gar nicht so viel Rap. Ich geb mir schon alles mal, bin aber insgesamt eher anders gestreut, in Richtung Beatkram: Lorn, Bonobo, die Ninja Tunes-Sachen. Und eben Rock-Scheiben ohne Ende. Bei Rap hör ich eher mal rein, um zu sehen, was der und der so gemacht hat.

Wie kam es eigentlich dazu, dass all eure Releases auf Platte erscheinen? Das ist in eurer Größenordnung ja trotz des Vinyl-Hypes nicht unbedingt üblich. Ging das von euch aus oder kam das auf Nachfrage der Fans?

K: Das wollten wir schon immer. Ich kaufe auch sehr viel Vinyl. Seit dem ersten richtigen Album haben wir das immer gemacht, das ist einfach voll geil. Bei "Freiflug" ist das sogar special-special-special mit doppelweiß, einem Inlay mit allen Texten, Downloadcode, DVD, einfach voll die Box. Ich mag das immer, was in der Hand zu haben.

Und wie siehst du die Entwicklung der CD?

K: Ich merke nicht so richtig, dass die weniger gekauft werden. Nils unser Mercher sitzt hier gerade. Es läuft eigentlich ganz gut, oder? Vinyl geht gut, CD geht gut. Gerade weil wir uns immer so viel Mühe geben und nicht einfach ein Plastik-Jewelcase hinlegen.

B: Pappe ist wichtig!

K: Das Jewelcase ist eher so ein Wegwerfding.

Es besteht also kein Grund zur Klage.

K: Nee, uns geht's gut. "Freiflug" läuft gut.

Vielen Dank fürs Interview.

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