20. Dezember 2005

"Thomas D hatte zu große Angst"

Interview geführt von

Kai Wingenfelder, seines Zeichens Sänger von Fury In The Slaughterhouse, stellte mit Astrid North (Cultured Pearls), Henning Rümenapp (Guano Apes) und dem Vivid-Chanteur Thomas Hanreich das Hilfsprojekt "Home" auf die Beine.Die daraus hervor gegangene CD beeindruckt mit schönen Songs, die hervorragend mit der Intention harmonieren, nämlich Kindern in Thailand ein neues Zuhause zu geben, die durch die Tsunamikatastrophe von vor gut einem Jahr zu Waisen wurden. Zu diesem Zweck reisten die Musiker nach Asien, um vor Ort zusammen mit den betroffenen Kindern zu arbeiten, Spaß zu haben, zu weinen und "nebenher" noch emotional packende Musik aufzunehmen. Im Gespräch mit laut.de schildert Wingenfelder unter anderem die Tage in Thailand und eine überraschende Begegnung mit der thailändischen Kronprinzessin.

Herzlichen Glückwunsch zur schönen CD, die ihr fabriziert habt. Der Charakter des Projektes unterscheidet sich sehr von dem anderer Charity-Sachen, die eher mit reißerischen Bildern werben. Ihr verfolgt da einen anderen Ansatz. Auf den Bildern sieht man nur fröhliche Kinder, denen es gut zu gehen scheint. War das Absicht?

Ja, das war Absicht. Als ich zum ersten Mal dort runter gefahren bin, um mir das vor Ort anzusehen, ob das alles machbar ist, habe ich die Kinder getroffen und die waren alle gut gelaunt. Die hatten alle ein ziemlich hartes Schicksal hinter sich, haben ihre Eltern verloren, ihre Familien. Sie waren aber alle relativ fröhlich, und ich dachte mir, irgendetwas muss hier richtig gemacht worden sein. Das fanden wir alle sehr schön. Sie haben ein Zuhause gefunden, deshalb heißt die CD auch "Home". Wir waren der Meinung, dass wir genau das repräsentieren müssen. Wir wollten uns auch definitiv von dem ganzen Kram absetzen, weil wir der Meinung sind, dass jetzt zum Jahrestag dieser Tsunami-Katastrophe folgendes passieren wird: Menschen haben insgesamt über 500 Millionen Euro gespendet, und viele werden sich fragen, wo das Geld ist. Ich bekomme jeden Tag Hiobsbotschaften, dass Millionenbeträge irgendwohin gesickert sind. Wir zeigen den Leuten mit diesem konkreten Ding, dass es auch Projekte gibt, wo das Geld direkt hin fließt. Da wurden Dörfer gebaut, deshalb ist auch die Doku auf der zweiten Seite der Dualdisc. Da kann man sich das angucken: Die Dörfer sind da. Wir finden das ganz, ganz wichtig, und deshalb unterstützen wir das. Wer will große, traurige Kinderaugen haben, wer will tote Kinder sehen? Das haben wir medienmäßig eh um die Ohren geblasen bekommen. Jetzt wird es Zeit, ein positives Signal zu setzen, weil sonst ein Punkt kommt, an dem die Leute nicht mehr bereit sind, zu spenden, und das wäre sehr schade.

Du hast gesagt, dass die Kinder ein neues Zuhause gefunden haben. Da fällt mir spontan die Widmung ein, die du an den Schluss gesetzt hast: du würdest die Doku deiner Frau und deinen beiden Töchtern widmen. Geschah dies mit dem Gedanken im Kopf, dass man das, was man hat, mehr wertschätzen sollte?

Ich denke schon, dass es so ist. Ich befinde mich in einem Lebensabschnitt, in dem ich sehr, sehr glücklich bin, Vater zu sein. Ich habe eine große und eine kleine Tochter, die auch in Thailand dabei war. Ich möchte mich einfach um die Sache kümmern, weil ich denke, dass das eine ganz, ganz wichtige Geschichte ist. Ich glaube, wenn jeder ein wenig vor seiner eigenen Türe kehrt und dort hilft, wo er helfen kann, dann wird die Welt ein kleines Stück besser, auch wenn sich das vielleicht ein bisschen pathetisch anhört.

"Ich habe mir vorher schon in die Hose gemacht"

Ihr hattet zehn Tage Zeit, das Album aufzunehmen. War das im Nachhinein betrachtet nicht absoluter Wahnwitz?

Das war im Vorhinein schon ein Wahnwitz. Ich habe mir vorher schon in die Hose gemacht. Das hing damit zusammen, dass wir nicht einmal richtig Zeit hatten, das ganze Projekt zusammen zu kriegen. Das muss man sich so vorstellen, dass wir in dem Dorf im Dschungel von Thailand ein Studio bauen mussten. Vorher mussten wir uns von Firmen die Gelder zusammen kratzen, die uns verschiedene Sachen zur Verfügung gestellt haben wie Mikrofone, Kabel, Computer. Als dann auch die Band da war, hatten wir einen Tag Zeit, das alles aufzubauen. Als wir dann loslegen wollten, hat sich einen Tag später die Kronprinzessin von Thailand angesagt. Da ging nichts mehr, so dass wir wirklich nur zehn Tage hatten. Aber irgendwie hat das mit der Band ganz gut funktioniert. Wir haben uns Musiker ausgesucht, die auch alle ganz gute Songwriter und auf ihren Instrumenten versiert sind, damit wir in der Lage sind, schnell zu arbeiten. Das hat dann so gut harmoniert, dass wir trotz der kurzen Zeit ein schönes und homogenes Album zustande gebracht haben.

Das ist euch in der Tat gelungen. Wie lief eigentlich die Zusammenarbeit? Ihr kommt ja aus verschiedenen Ecken der Rock- oder Popmusik.

Das war sehr spannend, aber auch unheimlich entspannend. Die Situation, vor Ort mit den Kindern zu arbeiten, bedingt ja auch, dass sich alle darauf einlassen. Ich wusste, was auf mich zukommt, da ich mit Jens zusammen schon vorgeflogen bin. Als die Musiker dann kamen, wurden sie alle so aufgenommen wie wir. Das heißt, die Kinder waren sehr anhänglich aber auch sehr liebevoll. Das thailändische Volk ist ohnehin sehr freundlich und offen. Die waren alle schwer berührt. Auf das Arbeiten mit den Kindern, die ja alle im Studio rumgelaufen und auf dem Schoß gesessen sind oder dem Stefan beim Bassspielen an der Nase herum gezogen haben, muss man sich erst einmal einstellen. Auf der anderen Seite war das so, dass das alles sehr berührt hat, was man der Arbeit auch anhört. Das hat alles eine gewisse Leichtigkeit. Persönliche Eitelkeiten fallen komplett von einem ab, die im Geschäft so vorhanden sind, wenn man in Deutschland ein Album aufnimmt. Das gab es da alles nicht. Wir hatten alle ein Ziel, sehr viel Spaß dabei, wollten auf diesem Weg aber so effektiv wie möglich voran schreiten. Die Kinder haben uns im Endeffekt sogar dabei unterstützt.

Stichwort 'schwer berührt'. Als ich mir die Doku angeschaut habe, war ich auch berührt und fragte mich, wie oft ihr eigentlich weinen musstet.

Das gab es. Jens hat definitiv einmal furchtbar geheult, als er mit den kleinen Kindern das Summen für das Schlaflied mit Astrid geprobt hat. Da hat er sich richtig die Tränen raus gequetscht. Dann gab es noch die Verabschiedungszeremonie, als die Kleinen alle einzeln ankamen und uns gedrückt haben. Da musste ich auch heulen. Ansonsten hielt sich das Gott sei Dank im Rahmen und war eher von einer leichten und schönen Atmosphäre geprägt.

Wie war das dann eigentlich, als ihr wieder nach Deutschland zurück gekommen seid. Ich kann mir vorstellen, dass ihr nach eurer Rückkehr aus so einer Extremsituation mit den Aufnahmen, den Kindern und dem ganzen Drumherum erst einmal in ein Loch gefallen seid ...

Das hatten wir auch einigermaßen. Es ist ja so, dass wir alle in eigenen Projekten stecken. Wir sind dann in alle Himmelsrichtungen auseinander gegangen. Jens hat das Album in Hannover gemischt. Dort schauten dann auch Astrid, Tom und Henning vorbei. Ich bin nach Berlin und hatte zehn Tage Zeit, die Doku zu schneiden. Danach haben wir uns in Bremen mit den Initiatoren und Hauptsponsoren getroffen. Später gab es in Hamburg die Pressekonferenz, wo wir uns morgens um neun getroffen haben und dann als Band um elf live gespielt haben. Das war ganz amüsant, hat aber dann doch wundervoll geklappt. Jetzt sind wir gerade auf Senderreise und überlegen uns, ob wir das Ganze mal live auf die Bühne bringen. Das hängt ein bisschen davon ab, ob die Platte funktioniert oder nicht. Die Idee wird aber schön aufgenommen, und vielleicht klappt das ja.

Von jeder CD gehen fünf Euro an das Projekt. Als Otto Normalverbraucher fragt man sich vielleicht "wieso nur fünf Euro?". Kannst du uns das vielleicht einmal aufschlüsseln, was mit dem Rest passiert, damit sich auch keiner verarscht fühlen muss?

Fünf Euro ist, glaube ich, der höchste Spendensatz, der je in Deutschland abgeführt wurde. Normalerweise gibt es immer nur einen Euro. Im Endeffekt ist es so, dass die CD für sehr viel weniger an den Handel rausgeht. Am meisten verdient der Handel, der ist selten bereit, etwas abzugeben. Der Vertrieb macht das leider Gottes auch nicht umsonst, und natürlich gibt es ein paar Kosten, die wieder rein müssen. Das Plattenlabel bekommt am Ende genau 25 Cent. Normalerweise erhält das Label so um die acht Euro, deshalb können wir so viel abgeben. Wenn die Unkosten drin sind, werden wir sogar noch mehr, so um die acht Euro abgeben. Ich kenne aber kein anderes Charity-Projekt - und das können wir ja gerne mal nachprüfen - das so viel Geld abgibt.

Och nö, ich glaube dir da schon, es ging mir jetzt eher darum, das den Leuten transparent zu machen.

Das meiste Geld bleibt leider bei den Leuten, die mit dem Projekt gar nichts zu tun haben, namentlich dem Handel. Logisch, dass wir da auch nicht komplett umsonst rüber geflogen sind, und auch die Sachen, die im Nachhinein im Studio bearbeitet wurden, kosten nicht nur drei Mark fünfzig, die Leute müssen auch was essen. Das müssen wir dann eben kompensieren, aber ich denke, dass wir mit fünf Euro wunderbar im Rennen sind.

"Wer was gegen das Königshaus sagt, geht in den Bau"

In der Dokumentation auf dem DVD-Part der Dualdisc sieht man, wie du der thailändischen Prinzessin vorgesungen hast. Wie war das? Deiner Körpersprache nach zu urteilen, hat dir das nicht ganz so behagt.

Ich bin ja eh nicht so der Tanzbär. Es hat mir schon sehr behagt, haha. Es war mir nicht unangenehm, es war außergewöhnlich. Ich singe ja nicht jeden Tag mit meiner Tochter auf dem Arm für Prinzessinnen Lieder. Wir sind vorher darauf getrimmt worden, bestimmte Verhaltensregeln einzuhalten, weil die Thailänder ein sehr spezielles Verhältnis zu ihrer royalen Familie haben. Die sind dort die Nummer eins, und wer irgend etwas gegen das Königshaus sagt, geht erst einmal in den Bau. Die Prinzessin war sehr offen. Sie hat auch ein spezielles Verhältnis zum deutschen Volk. Sie war einige Male hier und ist auch mit dem Ex-Bundespräsidenten Johannes Rau eng befreundet. Sie hat uns dann Geschichten erzählt. Von ihrem Vater, der Saxophon spielt und jetzt nicht mehr so richtig kann, weil alle seine Compadres taub sind oder ihre Glieder nicht mehr bewegen können. Jetzt sitzt er öfters alleine rum. Sie hat den Rat ihres Vaters nicht befolgt, Trompete zu lernen, also kann sie auch nicht mit ihm spielen. Das war eigentlich eine ganz entspannte, persönliche Atmosphäre. Sie hat mich dann auf dem falschen Fuß erwischt, als sie mich gefragt hat, was ich bei dem ganzen Projekt überhaupt mache, außer, dass ich das zusammen gebastelt habe. Ich sagte, ich würde singen, und sie meinte "na dann sing doch mal". Da stand ich dann und musste irgendwas singen. Und dann ist mir nichts anderes eingefallen, als noch mal U2 anzustimmen, was ich meiner Tochter immer als Schlaflied vorgesungen habe, die ich da ja auch auf dem Arm hatte. Da habe ich dann eben mal schnell eine Zeile geträllert und bin so auch sauber aus der Nummer raus gekommen.

Musstest also nicht in den Bau einfahren.

Nein, Gott sei Dank.

Ohne eurem Status als Künstler zu nahe treten zu wollen, aber ich dachte mir, warum ihr euch nicht einen ganz großen Namen mit ins Boot holt, der die Massen anzieht. Euer Ziel muss es ja sein, so viele Platten wie möglich zu verkaufen.

Das haben wir in unserem Bekanntenkreis probiert. Xavier machte da gerade seine eigene Platte. Der hatte überhaupt keine Zeit, rüber zu fliegen. Sasha konnte auch nicht. Thomas D. wollte unheimlich gerne mit, hatte nur ein Problem, und zwar, dass er am 26.12.2004 mit seiner Familie in Thailand war und fast wären alle gestorben. Er war schon unter Wasser, sein Kind ist ihm entrissen worden und später hat er seine Frau auf einem Baum wieder gefunden. Zwei Wochen davor hat er dann mit seiner Frau hin und her geredet. Er würde gerne, aber er wird in seinem Leben nie wieder nach Thailand gehen. Er hat einfach Muffe, diesem Gefühl will er sich nicht mehr aussetzen, und seine Frau will auch nicht, dass er fährt. Rea war gerade in Amerika, eine neue Platte aufzunehmen. So viele andere Leute, von denen wir dachten, dass sie da jetzt reinpassen, sind uns dann auch nicht mehr eingefallen. Das Wichtigste war ja, dass wir ein homogenes Team zusammen bekommen, damit man in zehn Tagen ein Album schreiben und aufnehmen kann.

Ich weiß ja nicht, wie viel von dem, was jetzt mit den Songs und der Doku auf der Habenseite steht, geplant war. Es erweckt auf jeden Fall den Eindruck, dass das Projekt eine schöne Eigendynamik entwickelt hat. Zum Beispiel die Geschichte mit dem Trickfilm

Das hat sich ergeben. Die Planungsphase dauerte so eineinhalb Monate, dann mussten wir auch schon loslegen. Der Trickfilm war ein Zufallsprodukt. Die Filmerin ist die Freundin von Henning Rümenapp, und die kannte wiederum den Hauptsponsor. Die hat das dann vorgestellt und gefragt, ob das nicht was wäre, die Kinder ihren eigenen Film zu dem Song machen zu lassen, den sie eingesungen haben. Der fand das total spannend. Sie ist dann eine Woche später gekommen und hat mit den Kindern den Film gedreht, was für die ganz großartig war. Der Clip rotiert jetzt schon auf dem Kinderkanal, und meine Tochter tanzt auch immer, wenn sie die Musik hört, also das passt.

Gratulation noch zum süßesten Hidden Track, der jemals auf einer CD zu hören war.

Danke, das finden wir übrigens auch, haha.

Wie habt ihr den hinbekommen?

Ach du, die Kinder waren ja immer im Studio. Und dann stand der kleine Teufelsbraten - ihr Name ist Khun - mit den Kopfhörern auf den Ohren da und haute aufs Mikrofon. Irgendwann fing sie dann an, "Eternal Flame" von den Bangles zu singen. In einer Version, bei der man sofort weiß, dass das weder Thai, noch Englisch oder sonst was ist. So stellt die Kleine sich das ungefähr vor und hat das dann auch so gesungen. Wir haben uns dann gedacht, das kann nicht wahr sein und waren alle der Meinung, das muss aufs Album. So haben wir das eben als Hidden Track verwendet, es ist eigentlich auch unser aller Lieblingsnummer.

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