23. Juni 2016
"Dein Kopf rollt sowieso!"
Interview geführt von Manuel BergerMit "Quid Pro Quo" veröffentlichen In Extremo dieser Tage ihr zwölftes Studioalbum. Anhänger früher Tage dürfen sich über das Comeback traditioneller Texte freuen, in so mancher Hinsicht öffnet die Platte allerdings auch völlig neue Türen. Schlagzeuger Specki T.D. und Sänger Michael Robert Rhein alias Das Letzte Einhorn gewähren einen Blick hinter die Kulissen.
Gerade mal zwei Stunden vor dem Interview präsentierten In Extremo in den Principal Studios bei Münster ihr neues Studioalbum zum ersten Mal einer kleinen Schar Außenstehender. Der erste musikalische Eindruck ist also noch ganz frisch, als Michael Rhein und Florian Speckardt dazu Rede und Antwort stehen.
Fangen wir einfach mal vorne an: Gab es im Vergleich zum Vorgänger einen anderen Ansatz bei der Arbeit an "Quid Pro Quo"?
Specki: Wenig. Die Band ist unverändert, hat aber natürlich durch das 20-jährige Jubiläum auf der Loreley einen ganz schönen Aufwind bekommen. Naja, "bekommen" darf man nicht sagen ... Vielleicht hat man auch wieder ein Stück weit eingenordet.
Micha: Hat auf jeden Fall beflügelt.
Specki: Ja, beflügelt. Es war eben einfach eine deutliche Ansage in die ganze Szene und für uns ein extrem wichtiges Event. Ein Ansporn, jetzt einfach die völlige Power aufzubringen und sehr schnell ein Album auf den Punkt zu bringen. Und zu Weihnachten kam ja ein Proberaumbrand dazwischen, der uns kurz aus der Bahn gehauen hat.
Micha: Kurz vor Heilig Abend sogar oder?
Specki: Am 21. Dezember sind wir in den neuen Proberaum eingezogen und am 22. hat es gebrannt. Erst hatten wir Angst, nicht mit allem fertig zu werden, haben uns dann aber noch mal auf den Hosenboden gesetzt, die Arschbacken zusammengekniffen und wirklich fleißig gearbeitet. Sehr konzentriert — mit dem Rückenwind der Loreley. Und ansonsten haben wir uns nicht viel vorgenommen. Wir haben ein paar Sachen geändert. Zum Beispiel Dinge, die die Band geprägt haben und auch dahin gebracht haben, wo sie steht, wieder etwas mehr in den Vordergrund gerückt, die alten Instrumente wieder ausgepackt.
Micha: So ein bisschen back to the roots. Alte traditionelle Mittelalterstücke, wie wir sie früher gemacht haben.
Specki: Mehrere Sprachen ...
Micha: Das beste Beispiel ist eigentlich das walisische Stück ("Dacw' Nghariad"; A.d.R.) und "Pikse Palve", das Donnergebet. Die fangen eigentlich so an, wie wir früher auf dem Markplatz gespielt haben. Trommel, Dudelsack, Schabernack und so weiter. Und plötzlich geht es los und es kommt zum Beispiel ein volles Gitarrenbrett. Im Grunde so wie auf den ersten zwei Alben - wirklich back to the roots.
War das denn direkt vom Jubiläum ausgehend? Dass ihr dadurch zurückgeblickt habt und ...
Micha: Nö, das hatten wir eigentlich schon vorher klar. Das Jubiläum würde ich ganz separat dazu stellen. Wir haben dann einfach angefangen. "Pikse Palve" zum Beispiel ist hier im Studio entstanden. Das Donnergebet hatte ich schon ewig mit mir herumgeschleppt - eigentlich schon abgehakt. Und plötzlich kamen irgendwie Jörg und Marco hier rein und meinten: "Ach Mensch, kriegste das Donnergebet noch hin?" Dann haben wir das ausprobiert. Der Walisische lag Boris schon ewig im Magen. Das Walisische war damals ja eine verbotene Sprache — die Engländer haben die Waliser quasi ihrer Sprache beraubt. So wie wie die Iren des Gälischen. "Dacw' Nghariad" ist heute noch ein Volkslied. Ein Text, den Jung und Alt kennt. Der Russische ("Черный ворон", A.d.R.) auch: der Text ist eigentlich ein altes Kosakenlied. Das kennt jedes Kleinkind. Wenn du in Russland auf der Straße nach "Черный ворон" fragst, sagen die sofort: „Ach, kennen wir.“
Specki: Der Schwarze Rabe ist in Russland die gleiche Figur, die bei uns der Sensenmann ist.
Micha: Ja, "Черный ворон" heißt Schwarzer Rabe.
Und worum geht es im Walisischen?
Micha: Das ist eigentlich ein Liebeslied. Es geht um eine Frau, die in ihre Harfe verliebt ist. Ein sehr positiver Text. Ein Geben und Nehmen — eben "Quid Pro Quo". Die Harfe macht "di radl didl dal" und das Volk singt mit — ein Geben und Nehmen, alle sind sie im Einklang mit der Musik, mit der Frau, mit der Harfe, die hier quasi ihr Lied in die Welt tragen möchte. Das sind alte heidnische Sachen, die eigentlich sehr positiv sind. Auch "Pikse Palve": Donnergebet, heidnischer Glaube. Eben von Leuten, die 800 Jahre vor unserer Zeit den Donner angebetet haben. Ohne den Donner zu fürchten, denn der Donner brachte Regen ...
Specki: ... und damit Fruchtbarkeit.
Micha: Ja, Donner bringt Regen, Regen bewässert die Felder und das ist ihre Ernte, mit der sie im Winter dann leben können. Eigentlich etwas sehr Positives.
Du hast gerade den Bezug zu "Quid Pro Quo" hergestellt. Gab es da von Anfang an dieses Konzept oder hat sich das letztendlich einfach gut ergeben?
Micha: Nein, überhaupt nicht. In Extremo hat noch nie ein Konzeptalbum gemacht. Das wird bei den ganzen Songs erst nach und nach bewusst. Heute Abend war das wieder so. Egal ob es nun um das Donnergebt, den Walisen oder das Russische oder die anderen Songs geht — es ist ein Geben und Nehmen. Selbst "Flaschenteufel" — ein Geben und Nehmen. Das war kein roter Faden, das hat sich so ergeben.
Specki: Wie gesagt: wir haben noch nie ein Konzeptalbum gemacht, weil das Konzept bei uns nicht ausschlaggebend ist, wie das Album heißt. Sondern In Extremo ist das Konzept. Und das verfolgen wir seit 20 Jahren. Das ist eine Lebensaufgabe: zu sagen, man bleibt da dran, man bleibt sich treu und weiß einfach auch, um was es geht, was man zu tun hat und was man behandeln will, was man auch selbst da am Leben hält. Mit den alten Texten und so. Das ist auch eine Sache, die einfach wahnsinnig viel Spaß macht. In alten Schriften zu wühlen und zu sagen: "Hey, da hab ich was. Lass uns mal rausfinden, was das heißt." Und dann kommt raus, "Pikse Palve" ist ein Donner- oder Blitzgebet. Solche Sachen. Deshalb gibt's uns.
Micha: Ja und wie gesagt: Back to the roots. Auf "Kunstraub" wurde das ein bisschen vernachlässigt. Dafür haben wir es jetzt doppelt und dreifach wieder zurückgegeben.
Aber ihr seid schon noch zufrieden mit "Kunstraub"?
Specki: Na klar. Das ist ein super Album.
Micha: Natürlich.
Aber ich muss sagen, das neue legt da schon noch was drauf.
Specki: Ja. Man sagt das ja auch immer sehr gerne und sehr schnell: "Das neue ist das beste Album." Bei "Kunstraub" und "Sterneneisen", den beiden Alben, auf denen ich bisher dabei war, hab' ich mich das nicht getraut. Aber ich glaube bei "Quid Pro Quo" würde ich fast sagen, das ist das beste Album, das In Extremo jemals gemacht haben. Glaube ich. Weil so viele Wahrheiten drin stecken über diese Band und trotzdem so viel Update 20.16 dabei ist. Da sagt man einfach: "Hey, das ist diese Band." Was du bei "Quid Pro Quo" hast ist In Extremo.
Micha: So weit würde ich mich jetzt nicht aus dem Fenster lehnen. Ich würde sagen, jedes Album steht für sich und hat genau seine Berechtigung zur entsprechenden Zeit.
Specki: Das mit Sicherheit, ja. Aber ob die anderen Alben so gut sind?
Generell ist es doch so, dass das aktuelle Album immer das beste für diese Zeit sein sollte - für jetzt gerade.
Specki: Ja, das stimmt. Das Gefühl hat man schnell mal. Aber wir arbeiten ja inzwischen schon über ein Jahr mit der Musik und den Texten, die man jetzt zu hören bekommen hat. Manchmal denkt man, man ist wahnsinnig gut gerade mit dem Flow im Studio, der Songwriting- und Textfindungsphase. Nur wenn dieser Faden eben nicht abreißt, man denkt: "Hey, wir machen gerade etwas richtig" und man dann diesen Tag wie heute hat, das Presse-Listening, wo die Leute kommen und es zum ersten Mal hören, ist das für uns natürlich sehr spannend. Wir können es ja, wenn man es mal überspitzt formuliert, schon fast nicht mehr hören - ohne, dass du das jetzt falsch verstehst. Aber wir arbeiten wie gesagt seit einem Jahr mit den Sachen, die ihr jetzt zum ersten Mal hört. Dabei wird man ab und zu auch ein bisschen betriebsblind oder verliert vielleicht auch mal den Halt, weil man nicht mehr weiß, ob es jetzt gut ist oder nicht. Man gewöhnt sich so daran. Deshalb ist ein Tag wie heute sehr wichtig. Man präsentiert, was man ein Jahr lang gemacht hat. Und es scheint ganz gut gelaufen zu sein. (lacht)
"Makabrer geht's nicht mehr."
Ich hab' vorhin kurz mit Marco (Flex Der Biegsame, A.d.R.) geredet. Der meinte, dass es für euch jetzt auch noch einmal etwas ganz anderes war, die Songs in diesem Kontext zu hören.
Specki: Lustig ist halt immer, wenn man die Leute, wie dich zum Beispiel, beobachtet. Nicht, dass wir euch da auschecken. Aber man kriegt mit, wie die Stimmung im Raum ist, wenn die Musik läuft. Entweder du denkst dir: "Yes, die fressen gerade, was wir versucht haben, auf den Punkt zu bringen." Oder es geht an ihnen vorbei. Und heute hatte ich wirklich das Gefühl, dass jeder irgendwie dachte: "Wow. Ja, ich glaube In Extremo sind da wo sie hingehören."
Micha: Ja, das ist immer so. Ich hab' vorhin auch mit anderen Journalisten gesprochen. Man denkt immer: "Was soll denn noch passieren bei denen?" Und dann sind sie doch immer überrascht.
Ja, ich muss gestehen, ich hatte im Voraus ein bisschen Angst, was da kommt ...
Specki: Jaja, klar — wir auch!
Dafür wurde ich sehr, sehr positiv überrascht. Und ich mochte "Kunstraub". Auf einen Song, der mir glaube ich am besten gefallen hat, möchte ich noch eingehen: "Lieb Vaterland, Magst Ruhig Sein".
Micha: Für mich auch eines der Highlights auf jeden Fall.
Er ist relativ untypisch, fand ich. Und eher progressiv, mit vielen verschiedenen Parts und tollem Aufbau.
Specki: Ja, weil es für die heutige Zeit eine relativ untypische Weise ist, einen Song zu staffeln. Es geht ja los mit einer Melodie, die ein bisschen was von Titanic-Filmscore hat. Und dann geht's direkt in eine ziemlich progressive Strophe, mit großem Refrain ...
... der dann wieder relativ simpel daherkommt.
Specki: Genau. Und der Schlusspart kommt dann wieder aus einer ganz anderen Ecke. Wenn ich daran denke, was ich als Jugendlicher für Musik gehört habe: Wo sich diese Bands bedient haben, was sie sich getraut haben und eben auch ganz verschiedene Parts in einen Song gepackt haben, die eigentlich nicht viel miteinander zu tun haben, aber sie es trotzdem geschafft haben das Ganze als ein Werk wirken zu lassen. Das war einfach meine Musik. Und das ist genau so ein Song. Wo eigentlich fünf, sechs verschiedene Part sind, der Song sich aber trotzdem wie ein Song anfühlt.
Micha: Für mich läuft der Song eigentlich monoton wie ein Mantra durch. Es gab mehrere Versionen für den Gesang. Mit Melodie drin. Das hätte den Song komplett kaputt gemacht. Er läuft eigentlich durch wie ein Cure-Stück. Wie ein Mantra. Absichtlich monoton gesungen. Das macht es aus, dass du dran bleibst. Dieser verschärfte Text noch dazu, in dem Fanatiker quasi als Kanonenfutter herhalten müssen. Heute auch wieder sehr zeitgemäß. Und dann die Kinderstimme und der Song hört quasi im Krieg auf mit diesem Metalpart. Das ist alles schlüssig.
Wessen Idee war es eigentlich, das Kind mitreinzunehmen?
Specki: Die Idee ist irgendwann mal abends am Tisch entstanden. Relativ früh schon, glaube ich. Wir dachten uns einfach, das wäre noch ein zusätzlicher Gänsehaut-Faktor, der einen noch näher an den Text ranbringt und begreifen lässt, was es eigentlich für eine Angst auslösen muss, wenn man denkt: "Scheiße, mir wächst noch kein einziges Barthaar, aber die schicken mich gerade an die Front."
Micha: Manche wollen das ja auch. Es gibt ja so Fanatiker, die sich denken: "Ach, ich hab' grad keinen Job, also geh' ich zur Armee." Letztendlich tut man das für irgendwelche Schwachköppe. Dein Kopf rollt sowieso. Soldaten sterben für irgendwelche Politik, Wirtschaftsbosse und so weiter. Für nichts anderes. Es geht nicht ums Vaterland. Deswegen auch der zweite Teil des Refrains: "Ich bin klein, mein Herz ist rein." Das stammt aus einem alten katholischen Kindergebet: "Ich bin so klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein." Das musste ich mir als Kind von meiner Oma dreimal am Tag anhören. Und als Kay mir den Text gezeigt hat, dachte ich mir: "Alter, wie geil ist das denn? Die Stelle muss da mit rein." Das kam mir sofort in den Sinn. Und wenn mir das noch ein Kind singt! "Ich bin klein, mein Herz ist rein, es darf niemand drin wohnen als der Tod allein" von einem Kind gesungen — makabrer geht's ja gar nicht mehr! Oder was heißt makaber — ehrlich. Also haben wir Jörgs (Jörg Umbreit, Produzent; A.d.R.) Tochter gefragt. Die wohnt hier, die kennen wir schon seit sie geboren ist. Und sie hat's durchgezogen. Mit ihrer Cousine, die sehr gut singt.
Mich hat die Stelle sehr an Rammsteins "Spieluhr" erinnert. Nicht vom Song an sich, aber textlich, die Wortwahl… Wir hatten ja den Text vor uns liegen und bevor der Song überhaupt losging, dachte ich schon: "Ah, Rammstein." Und dann kommt noch das Kind dazu.
Micha: Da hab' ich gar nicht drüber nachgedacht.
Also kam kein direkter Einfluss daher.
Micha: Überhaupt nicht.
Den Gegenpart zum Kindergesang gibt's kurz darauf in "Flaschenteufel", wo plötzlich Heaven Shall Burn um die Ecke schauen.
Micha: Ja, wir hatten uns überlegt, welche Gastsänger wir holen könnten. Hansi Kürsch haben wir gefragt und mit Heaven Shall Burn hatten wir uns vor einem halben Jahr schonmal drüber unterhalten. Die Band ist uns echt ans Herz gewachsen. Obwohl ich persönlich musikalisch nicht viel damit anfangen kann. Ich würde mir von keiner Platte mehr als drei Lieder anhören. Aber das ist Geschmackssache. Es sind fantastisch herzliche Typen und wir haben uns echt angefreundet. Ali, den Gitarrist, schätze ich sehr, mit ihm bin ich besonders gut. Erst hab' ich ihn angerufen. Er meinte dann, ich soll einfach mal bei Molle durchklingeln. Der wiederum sagt dann zu mir: "Micha, ich krieg' so viele Anfragen…" — eigentlich macht er das nicht — "Aber für euch mach' ich das sofort!" Ali meinte dann, sie sind eh in Weimar im Studio, er nimmt das sofort mit Molle auf. Zwei Tage später schickt er mir schon was. Und normalerweise singt man bei einem Feature mal einen Refrain zusammen oder eine Strophe. Aber sie haben auf diesem Staubsauger-Part — so nenn' ich das immer; der Heavy-Part — ihr eigenes Ding gemacht. Das zeichnet sie aus. Dieser Staubsauger-Part könnte auch ein normaler Heaven Shall Burn-Part sein. Das find' ich total klasse.
Es kam auch ziemlich überraschend.
Specki: So soll's sein.
Gab es von eurer Seite aus eine Vorgabe oder habt ihr einfach den Song losgeschickt und gesagt: "Macht was draus."
Micha: Absolut. Vorgaben würden wir niemals machen. Bei Hansi wars genauso. Wir haben ihm den Song geschickt und gesagt: "Du kannst machen was du willst."
Specki: Wir haben ja eine lange Gästeliste. Mit Leuten, die aus ganz anderen Genres kommen. Pop, wie Rea Garvey, Folk, wie die Kelly Family, Hip Hop mit Thomas D., kommerzieller Grufti-Bereich mit dem Grafen von Unheilig. Und wir wollten jetzt Leute aus unserem Bereich. Blind Guardian und Heaven Shall Burn laufen wir ja ständig auf irgendwelchen Festivals über den Weg. Wir wissen wo wir herkommen, wir wissen, wo wir hinwollen. Und das sind die Buddys mit denen wir diese Gästelistenplätze bestreiten sollten. Und ich finde, das hat bei beiden Songs extrem gut funktioniert. Und wenn eine Sache nie von uns kommen würde, wär's eine Vorgabe wie "Hier sing mal den Ton mit dem Wort."
Micha: Wird bei uns nicht passieren.
Der Text stammt auch von ihnen?
Specki: Nee, nee, der Text ist von uns. Aber dabei wie sie sich einbringen, lassen wir ihnen relativ freie Hand. Das macht einen guten Gast aus, finde ich. Ein Gast soll sich wohlfühlen, ein Gast soll auch hofiert werden und nicht geknechtet und geknebelt irgendeinen Soll erfüllen.
Wie lief das im Vergleich mit dem Kosakenchor, der auf dem Album vertreten ist?
Micha: Da lief's ein bisschen anders. Der Moskauer Kosakenchor wurde angefragt. Komischerweise gab's da auch wieder so einen Zufall: Die waren gerade auf Tour, sind gerade wiedergekommen und unser Gesuch lag auf dem Tisch. Die fanden das sehr interessant und kannten uns natürlich auch - denn der Sohn des Chorchefs ist totaler In Extremo-Fan. Der ist uns in Moskau mal besuchen gekommen. Die haben dann sofort nach der Tour angefangen und uns drei Tage später den ganzen Kram geschickt. Wir brauchten das nur noch zusammenzumixen. Professionell, klasse. Ich denke, wenn wir im September in Russland sind, werden wir das ein oder andere Mal auch vorbeikommen.
"Ich beömmel mich immer noch."
Ich würde noch allgemein gerne auf die Texte eingehen. Ist schließlich eine ansehnliche Bandbreite: Störtebeker, Erster Weltkrieg, Trinklieder, Tradition… Es kam wieder Input von mehreren Bandmitglieder oder?
Micha: Ja klar, natürlich! Py hat viel gemacht, Kay hat viel gemacht, ich hab' rumgesessen und musste das wieder irgendwie zusammenbringen. Viel ist im Papierkorb gelandet, viel ist auf Halde geschoben worden — wir hatten noch viel viel mehr. Eigentlich so wie immer.
Specki: So geht's den Textern genauso wie den Leuten, die sich mehr ums musikalische Gewand kümmern. Bei uns werden erstmal nach dem Motto "Masse mit Klasse" Songs geschrieben, würd' ich sagen. Dann wird ausgewählt, was überhaupt infrage kommt, mit ins Studio genommen zu werden. Das ist meistens ein Ideenpool von 35 Songs. Hier kristallisiert sich dann heraus, was ernsthaft angepackt wird und was beiseite kommt. Wir werfen das deswegen nicht weg — vielleicht landet es mal auf einer anderen Platte. Aber aus diesen 35 Ideen kristallisieren sich dann 22 raus und am Ende sind diesmal 16 Songs übrig geblieben.
Micha: Eigentlich 15.
Specki: Ungefähr die Hälfte liegt ad acta und die anderen Sachen packt man an und zieht's durch. Dieses Mal gab's auch nicht allzu viel Zeit zum Experimentieren, weil wir wie gesagt den Proberaumbrand hatten, der uns auch daran gehindert hat, Sachen auszufeilen, sodass man schon hier sehr, sehr gut vorbereitet ankommt.
Micha: Ja, der hat uns gut einen Monat zurückgeworfen.
Specki: Wenn du eine Platte machst, ist ein Monat viel wert und viel Zeit. Es gibt Bands, die in einem Monat Aufnahmen, Mix und Master machen. So hart ist es bei uns nicht, wir haben ein bisschen mehr Zeit. Aber wir hatten jetzt auch keine Spielräume, wo wir uns hätten austoben und ausspinnen können. Dadurch wurde es auch eine sehr interessante Produktion, weil der Zeitdruck halt doch immer im Nacken saß. Was der Sache aber auch gut tut. Wenn alle konzentriert sind und sagen: "Hey, wir müssen weitermachen ..."
Micha: Da funktionieren wir am allerbesten. Und zu den Stücken sei noch gesagt: Basti hat da natürlich viel auf dem Schirm und legt ganz, ganz viel vor. Gitarrenriffs ... Manchmal legt er auch noch einen Drumcomputer drunter, damit man sich's besser vorstellen kann. "Glück Auf Erden" zum Beispiel stand eigentlich von Anfang an fast unverändert bis zum Schluss. "Moonshiner" auch. War doch so oder?
Specki: Ja schon. Das ist bei mir auch immer so eine Sache: Im Studio muss der Schlagzeuger ja immer vorlegen. Also überlegt man sich, womit man anfängt. Das wird auf jeden Fall nicht die Single sein. Das wird auf jeden Fall nicht der schwierigste Song sein, der dich technisch total fickt. Sondern zum Reinkommen spiele ich immer die geradlinigeren, einfacheren Sachen weg. "Moonshiner" war der zweite Song, den ich aufgenommen habe. Was ein Indiz dafür ist, dass dieser Song in sich einfach sehr gut funktioniert. Da war klar, wie er anfängt, wie er passiert und wie er aufhört. Ich sag immer: Wenn ein Song im Proberaum oder in der Vorproduktion schnell und leichtgängig geschrieben ist, dann ist es meistens ein qualitativ hochwertiger Song. Weil er dir vom Songkonstrukt her keine Steine in den Weg legt. Bei anderen Dingern muss man echt tüfteln und überlegen, wann der richtige Tag ist, um sie anzupacken.
Was sind denn eure persönlichen Favoriten auf dem Album?
Specki: Meiner ehrlich gesagt der Waliser. Ich find's einfach geil, dass wir sowas mal wieder machen. Einen alten Text anpacken und ein richtig derbes Rock'n'Roll-Ding drunterzimmern. Das ist so mein heimlicher Favorit. Genauso aber auch Songs wie "Sternhagelvoll", über den ich mich immer noch beömmeln kann, der mich total freut, dass wir immer noch sowas mit Humor anpacken können. (Micha lacht in sich hinein) Das macht mich sehr glücklich. Nicht als Schlagzeuger, aber als Typ, der die Band liebt.
Und was macht dich als Schlagzeuger glücklich?
Specki: Naja, zum Beispiel der Waliser. Das ist eine Kampfansage. Da kann ich mich austoben.
Micha: Ich überlege schon seit zwei Wochen, welchen Song… Wir haben auf Tour bisher immer vier, maximal fünf Songs einer neuen Platte gespielt. Auf dieser gibt es zwei Songs, die ich nicht spielen würde. Aber ich überlege schon die ganze Zeit, wie ich meinen Kollegen beibringen kann, dass wir von diesen elf Stücken elf auf Tour spielen. Weil sie es alle wert sind. Das meine ich echt ernst. Es wäre ein Fehler, wenn wir die nicht machen würden. Nur welche lässt man dann von den alten weg, wo die Fans auch drauf stehen? Das wird glaub' ich immer schwieriger.
Längere Konzerte spielen.
Specki: Haha, ja. Vierstundenkonzerte spielen.
1 Kommentar
Och, vor zwei Jahren war ich auf einem vierstündigen And One Konzert Das ist für die Jungs allerdings auch körperlich nicht ganz so anstrengend, wie vier Stunden Gitarre oder gar Schlagzeug zu spielen. Ich dachte mir beim neuen Album aber auch "Holla, die will ich (fast) alle live hören... Kommt sogar hin mit den 11 Stücken. Waliser darf nicht fehlen, der Russe, Störtebeker und Quid pro quo natürlich, Pikse Palve ist ein Muss, das könnte das neue Ai vis lo lop werden, Flaschenteufel würde die Bude mega rocken, Glück auf Erden ist einer meiner Favoriten auf dem Album und mit Sternhagelvoll und anschließend dem Palästinalied 2 würde so ein Abend wunderbar abgerundet werden.