22. Mai 2012

"Ich bin ein Popschwein!"

Interview geführt von

"Hamburg brennt!" verkündet uns Jan Delay mit seiner taufrischen, von Null auf Platz zwei gecharteten Konzert-DVD. Wie immer wird der streitbare Entertainer damit ebenso erfolgreich sein wie polarisieren.Einen Tag vor dem Release treffe ich am frühen Abend telefonisch auf einen sehr gestressten, gereizten Musiker, der schon den gesamten Tag gesprochen hat und eigentlich kein einziges, verdammtes Interview mehr geben mag. Wenn der Fragensteller dazu keine Sekunde der DVD kennt, weil er spontan für einen Kollegen einspringt, wird das Ganze nicht gerade einfacher.

Doch mit Bremer Gelassenheit und Hamburger Selbstdisziplin ergibt sich trotzdem ein teebeuteliger Plausch. Delay mit einem Liebesbrief an die Beasties, einem Brandbrief an Piraten sowie der ultimativen Erklärung seiner Musik.

Jan, zum Tode von Adam 'MCA' Yauch. Du hattest ja mit der Band durchaus etwas zu tun; warst auch mal ihr Supporter auf der "Hello Nasty"-Tour. Hattest du dabei die Gelegenheit, die Menschen hinter der Band Beastie Boys kennen zu lernen?

Nee, die Gelegenheit hatte ich nur aufgrund ihres Werkes, ihres überirdischen Seins und ihrer tollen Art. Und natürlich ihrer Mucke. Aber so richtig persönlich war das nicht. Wir haben einmal einen Handshake gemacht. Nach dem Motto: Hier, das ist eure Vorband. Hi, nice to meet you. Blahblah. Aber kennen gelernt habe ich die nicht.

Eigentlich schade, nicht wahr?

Ja. Allerdings glaube ich, sie sehr gut zu kennen. Einfach aufgrund dessen, was sie mir vermittelt haben, weißte? Über die ganzen 25 Jahre.

Du hast sie deshalb auf Facebook als aus deiner Sicht wichtigste Band aller Zeiten gelobt?

Absolut, weil sich das so gehört.

Haben sie dich zum Hip Hop gebracht?

Nein, zum Hip Hop gebracht haben sie mich nicht. Ich habe schon immer alle möglichen Arten von Musik gehört. Und dann kam halt Hip Hop. Bei mir mit Run DMC, Public Enemy und LL Cool J. Das war für mich das Größte. Die Beasties waren damals zwar schon da. Ich hab die auch gecheckt. Aber das war für mich kein richtiger Hip Hop. Aber was sie mir beigebracht haben, als ich ein bisschen älter und reflektierter wurde, vor allem mit "Check Your Head": Wer als Hip Hopper nur Hip Hop macht, mag und hört, betreibt Inzest. Aber man kann auch alles andere hören und darf es mögen. Man kann es auch in die eigene Kunst mit einbringen. Denn bei Hip Hop ist alles erlaubt. So hat uns das Africa Bambaata beigebracht.

Deshalb waren die Beasties quasi noch wichtiger, als wenn sie mir nur Hip Hop gezeigt hätten. Sie haben mir gezeigt, dass Hip Hop alles ist, dass es cool ist und nicht uncool, auch andere Sachen zu hören. Mit anderen Stilen rumzustylen. Das war - wie gesagt - noch ein bisschen wichtiger.

Im Grunde waren sie damals doch auch die ersten, die mit dem Schubladendenken aufgeräumt haben, oder?

Genau, genau! Dass so was heute normal ist, haben wir Bands wie den Beastie Boys zu verdanken. Das haben die miterfunden ... das schreckliche Wort 'Crossover'

Und mit Hafti dann das Kontrastprogramm?

Das habe ich vorhin auch schon mal in einem Interview erklärt. Genau das haben die Beasties mir doch beigebracht. Nicht nur, dass ich mich nie für Musik schämen würde, die ich toll finde. Dass ich dazu stehen kann. Und dass man auch als Hip Hopper zB Rage Against The Machine hören kann. Dass man als Hip Hopper aus der weißen Mittelschicht auch richtigen Straßenrap feiern kann. Die sind auch tolle Menschen, mit denen man sich verstehen kann. So war es doch bei den Beasties auch. Es gibt doch viele Leute, die wie sie oder ich aus solch einem Umfeld kommen und sich dann vom Straßenrap abwenden, weil der einfach zu hart ist. Aber meine Welt ist so ein Verhalten nicht. Ich komme vom Hip Hop, bin mit NWA und Public Enemy sozialisiert worden. Deshalb ist es für mich ganz normal, so etwas auch gut zu finden und zu feiern. Auch wenn ich das selber nicht bin. Also mache ich auch gern bei Hafti mit. Man kann von den Texten halten, was man will. Aber es gibt niemanden in Deutschland, der so rappt, wie er.

Klare Ansage! Kommen wir zur DVD direkt. Ich kenne sie leider nicht, da ich spontan für einen Kollegen einspringe, der die Scheibe kennt und die Review gemacht hat.

(Irritiert) Ok ...

Aber ich bin mit deiner Mucke vertraut und kenne Livekonzerte. Also kein Problem.

(Leicht skeptisch) Ja ...

Auf der einen Seite hast du die perfekte Nummer am Start, was dein Styling und die Personalisation angeht. Wenn man solch einen Typen sieht, würde man doch aber erwarten, dass die Mucke dann auch etwas unberechenbarer und kompromissloser klänge. Da meine ich weder deine Texte noch die Kompositionen als solche, sondern vor allem die Produktionen der angezogenen Handbremse. So ein Typ wie du müsste doch abgehen wie zB Funkadelic und nicht nur so brave Formatradiosachen machen, mit denen man auch beim Bundesvision Contest nicht aneckt, oder?

Neeenee, also erst mal verwehre ich mich gegen den Terminus 'braves Formatradio'. Ich bin zweifellos am Ende des Tages ein Popschwein. Und wenn ich das im Studio so mache – gerade bei der letzten Platte mit Songs wie "Showgeschäft" – zeig mir mal erst mal jemanden in Deutschland, der das drauf hat, mit einer Band so was zu machen und genau diesen Sound hin zu kriegen. Genau das war nämlich mein Bestreben für die Platte. Ich wollte Tanzmusik machen und supergern diesen Sound dafür haben. Einfach weil ich das feiere und supergern auflege. Und wenn ich auflege, lege ich eben kein Funkadelic auf. Dazu kann man nicht tanzen. Das klingt zu schlecht und ist zu abgespact. Das ist einfach nicht meine Art von Mucke. Ich bin ein Popschwein!

Wenn es um deinen künstlerischen Gesamtausdruck geht, ist demnach die Tanzbarkeit das Zünglein an der Waage?

Das kommt auf die Platte an. Aber bei dieser Platte definitiv und bei der davor auch.

Wenn man eine Live-DVD auf den Markt bringt, ist es meistens ein Zeichen dafür, dass man bereits mit neuer Arbeit begonnen hat. Womit hast du schon losgelegt?

Jaja, auf jeden Fall. Ich bin die ganze Zeit parallel an zwei Platten. Einmal mach ich ne Rockplatte mit der Disco No 1. Und dann mache ich mit den Beginnern ne Rapplatte.

Gibt es da schon eine zeitliche Veröffentlichungsidee?

Nee, gar nicht. Ich muss nur irgendwann im Sommer entscheiden, was als erstes heraus kommt. Aber da bin ich noch nicht. Deshalb kann ich dazu so wenig sagen. Ich mache mal dies, mal das.

"Ey Digger, wenn du das nicht checkst ...!"

Ich würde gern auf den Urheberrechtskonflikt eingehen, da du dich hierzu wiederholt geäußert hast.

(Unwillig) Ich habe extra das Interview (im Spiegel, Anm. d. Red.) gemacht, damit mal Ruhe im Karton ist. Ich habe jetzt eigentlich wirklich alles dazu gesagt.

Nicht bei uns, Jan. Das werde ich ja nun nicht bei den Kollegen abschreiben. Da musst du jetzt leider noch mal durch.

Eine Frage dazu, ok!

Du hast Sven Regener nach seinem Monolog applaudiert. Über den guten Sven ist nun der Shitstorm hereingebrochen. Seitdem herrscht Totenruhe an der Regener-Front. Kannst du den Sturm und die erfolgte Reaktion nachvollziehen? Wie positionierst du dich?

Die Ruhe kann ich nachvollziehen. Das ist doch genau das, weshalb ich keinen Bock mehr habe, jetzt darüber zu reden. In ganz kleiner Form ist es doch bei mir das Gleiche. Man sagt einmal etwas. Dann löst es einen Sturm aus und auf einmal will jeder mit einem darüber reden. Dabei hat Sven schon alles gesagt. Ich kann vollkommen verstehen, dass der absolut die Fresse hält und keinen Bock mehr hat, es jedem noch mal zu erklären. Er hat doch alles gesagt! Was soll er mehr sagen? Und den Shitstorm? Ich weiß nicht ... so hätte ich ihn jedenfalls nicht erwartet, weil ich selbst ja alles, was Sven gesagt hat, bejubel.

Man muss ja auf der anderen Seite auch den Lovestorm sehen. Es gab ja nicht nur den Shitstorm. Es gab auch den Lovestorm. Und der kommt halt von den Leuten, die das so sehen wie er. Das bin ich und auch viele andere, die auch so was machen. Gottseidank auch ein paar Leute, die weder Popmusik hören, noch Musik machen. Und der Shitstorm? Mein Gott, das sind halt die Leute, die es nicht so sehen wie man selber. Davon gibt es leider immer sehr viele zu jeder Zeit in unserer Menschheitsgeschichte.

Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen.

(Stößt heftig die Luft aus dem Mund) Nee!

Es könnte ja auf den ersten Blick etwas widersprüchlich wirken, wenn man deinen 'Saugbefehl' vor einigen Wochen mit der Zustimmung zu Regener verknüpft. Wie würdest du das differenziert betrachten, ohne dass dir viele Leute jetzt vorwerfen: Ach, da hat er sich gedreht wie ein Wendehals?

(Schwer angepisst, mit einer Prise Verachtung) Ey Digger, also ich meine, wenn du das nicht checkst ... echt ...

Man Digger, ich check' das schon. Möchte hier nur dir die Möglichkeit geben, damit hinterher keine erneuten Missverständnisse herrschen.

(Etwas entspannter) Aber das ist nun wirklich die letzte Frage zu dem Thema! Ich habe gesagt: Ich hasse diese Scheiße, wo Anwaltsbüros Leute auf 1.500 Euro verklagen, weil sie irgendeine Platte, von mir aus meine, gesaugt haben. Das ist ein unverhältnismäßiges Strafmaß. Das geht nicht klar.

Völlig richtig.

Das habe ich auch im Spiegel-Interview noch mal gesagt. Ich finde, das muss bestraft werden, wie Schwarzfahren. 60 Euro! Punkt! Da muss einfach jeder mit klar kommen. Wenn du nen Duplo klaust, wirste auch bestraft. Deshalb: Wo ist da der Widerspruch? Das, worüber Sven Regener geredet hat, waren nicht die Abmahnanwälte, sondern etwas ganz anderes, worüber ich nicht geredet habe. Ich habe dazu gesagt: Ey, wenn die Leute das einfach nicht hinkriegen, dann saugt doch einfach die Scheiße weiter. Weil das kann ja wohl nicht die Lösung sein. Aber ich sage auch: Wenn ihr das toll findet, dann kauft bitte diese Platten. Und genau das Gleiche sagt Sven Regener auch, wenn du das abklopfst.

Klar.

(Genervt) Na also!

Wollte dir nur Gelegenheit geben, der Gerüchteküche mal entgegen zu wirken. Du siehst ja die sich ergebende Dynamik.

(Sehr leidenschaftlich loslegend) Das ist mir so scheißegal. Sollen sie sich doch das Maul zerreißen. Ist mir doch egal. Leute, die wegen so was Musik hören oder nicht hören, was jemand gesagt hat, die will ich sowieso nicht und dass sie meine Musik hören! Man soll Musik nicht mit dem Gehirn hören, sondern mit dem Bauch und den Ohren. Und was jemand gesagt hat, trägt oder macht, hat nichts damit zu tun, was ein Stück Musik bedeutet. Das muss man voneinander entkoppeln. Und wenn diese Leute nicht dazu im Stande sind, dann sollen sie auch nicht meine Musik hören! Ist mir dann auch völlig egal!

Das ist doch mal eine klare Ansage. Ich danke dir dafür.

(Abgekämpft und sehr freundlich) Ja, gerne.

Neulich war in der Süddeutschen ein interessantes Interview mit GEMA-Syndikus Alexander Wolf. Wichtig war die Information, dass es jedem Künstler freigestellt ist, sich nur in Teilen von der GEMA vertreten zu lassen. Es sei zum Beispiel seit Jahren möglich, die Online-Verwertungsrechte selbst zu managen. Ich habe den Eindruck, viele Künstler wissen gar nicht, was sie selbst steuern könnten.

Die Leute können halt nicht anders. Die haben irgendwann irgendwelche Verträge unterschrieben. Meist in einer Zeit, wo Download noch nicht so wichtig war. Da haben sie sich ewig und drei Tage verpflichtet, bei einer Plattenfirma ihre Platten rauszubringen. Egal ob Indie- oder Majorlabel. Von Downloads wirklich leben kann man erst, wenn man das selbst ins Netz stellt und das Entgelt erhält. Aber sonst geht das halt nicht. Und deshalb ist es ziemlich blauäugig von diesem GEMA-Typen, das einfach mal überhaupt so in den Raum zu stellen. Würde man in Deutschland bei Null anfangen – jeder würde es selbst ins Netz stellen – dann würde das gehen. Aber dann gäbe es auch keine Plattenfirmen mehr.

Exakt, man müsste damit rechnen, dass sich das gesamte System dann von Grund auf änderte.

Aber auch das enthebt die GEMA überhaupt nicht ihrer Verantwortung. Vor allem nicht in Bezug auf die ganzen Fehler, die sie in dem ganzen Kontext mit Downgeloade und Dickköpfigkeit verbockt hat.

Würdest du mir zustimmen, dass sowohl GEMA als auch Youtube an einer Transparenz gegenüber der Kundschaft nicht so richtig interessiert scheinen?

Voll! Extrem! Ja klar! Wobei: bei der GEMA ist alles transparent. Kannste dir anschauen. Das es nun mal ein Verein ist, wo du nur als Mitglied verändern oder ausrichten kannst. Genauso wie bei Google. Oder nein, bei Google ist es ja anders. Die sind ein finanziell orientiertes Unternehmen. Das reagiert natürlich sofort, wenn es irgendwelche finanziellen Einbußen wittert. Aber die GEMA-Mitglieder, die was ändern, sind jene mit viel Zeit.

(Verschwörerisch tuschelnd) Verstehst', was ich meine, ne? Die Leute um die es geht, die jetzt Musik machen und die jetzt beschnitten werden in ihren Urheberrechten, die jetzt kopiert werden und downgeloadet und die jetzt sich darum bemühen sollten, wie das mal aufgeteilt wird mit den Liveauftritten, mit E- oder U-Musik. Die haben gar keine Zeit, zu irgendwelchen Vorstandssitzungen nach Berlin oder München zu fahren und da etwas zu verändern.

Und deshalb sitzen da nur jene Leute, die schon lange Musik machen und die viel Zeit haben, weil keiner ihre Musik hört. Und die werden alles immer genauso abstimmen, machen und tun, dass es für sie am besten läuft. Denen ist es herzlich egal, was überhaupt auf Youtube läuft oder wie das downloadmäßig gewertet wird. Die wollen dann zB lieber, dass Ernste Musik höher eingestuft und verteilt wird als Unterhaltungsmusik. Weil sie davon mehr haben.

Könntest du dich jemals mit der zumindest piratennahen Position identifizieren, wonach Künstler lediglich Angestellte der Gesellschaft seien, die man nach der Atomisierung des deutschen Urheber-/Eigentumsrechts bequem unter einem BGE produzieren lassen könne?

Nee, auf gar keinen Fall!

"Twitter ist blöd!"

Zu etwas ganz anderem: Freestylst du noch?

Nee, schon seit diesem Jahrtausend nicht mehr. Das ist Hochleistungssport. Jetzt nicht im Sinne von körperlicher Erschöpfung, sondern im Sinne von: Wenn du das nicht täglich trainierst, dann kackst du ab. Zumindest bei mir war es so. Ich habe das gemerkt. Mir geht es jetzt eher darum, geile Songs zu machen und geile Platten. Da habe ich mich dann eben drauf konzentriert. Das war schon in den 90ern.

Beschreibe dich in einem Satz. Bist du Künstler, Musiker, Hip Hopper? Oder was ist Jan Delay eigentlich?

Jan Delay ist, würde ich sagen, in erster Linie Musiker und Entertainer.

Ok.

(Gewichtig) Er kommt aber vom Hip Hop!

Natürlich wollen wir das nicht unterschlagen. Das ist ja auch immer sehr deutlich bei dir betont. Hast du die Glaskugel und kannst weissagen, was das nächste große Ding im deutschen Hip Hop ist?

Das habe ich bereits vor einem halben Jahr gepostet und hatte auch vollkommen Recht. Cro ist auf Platz 2, glaube ich, eingestiegen. Was habe ich da noch geschrieben? Genau: Die Zukunft von Deutschland. Und ich habe Recht behalten.

Wenn man ein FB-Posting sieht, steht bei vielen die Frage im Raum, macht es der Typ selbst oder das Label im Hintergrund. Bei dir scheint das hingegen eine sehr persönliche Angelegenheit, oder?

Ja, da lege ich auch absoluten Wert drauf. Deshalb erlaube ich auch niemandem von der Plattenfirma, dort irgendwas zu posten.

Tatsächlich?

Ja klar. Das mache ich alles selber. Und wenn ich mal keine Zeit habe, dann schreibe ich das per SMS an jemanden, der das dann für mich postet und auch darauf achtet, dass immer alles schön klein geschrieben ist, damit die Leute wissen, dass ich das bin. Und wenn ich dann mal ne Werbung oder so mache, dann ist das immer von mir. Das checkt man aber auch. Ich nutze das quasi wie die anderen Leute Twitter nutzen. Nur dort ist es ja klar, dass es sie selber sind. Ich sehe Facebook wohl so wie andere Twitter sehen, weil ich Twitter überhaupt nicht verstehe und blöd finde.

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