17. April 2007

"David Bowie ist ein Pop-Komiker"

Interview geführt von

Mit ihrem schrillen Auftreten, freakigen Outfits und noch freakigeren Songs wirbelten James Righton (Gesang, Keyboards/Synthesizer, Bass), Jamie Reynolds (Gesang, Bass) und Simon Taylor (Gitarre, Background-Gesang) alias Klaxons die UK-Musikszene 2006 gehörig auf. Ein Song genügte und schon war ein neues Über-Genre geboren. Seitdem ist der New Rave das Schlagwort in der hype-verwöhnten oder -strapazierten britischen Musiklandschaft.Klaxons' Dancefloor-Filler "Atlantis To Interzone" versetzte die Briten dank laut jaulender Sirenen in einen kollektiven New Rave-Wahn und machte das Londoner Trio auf der Insel mächtig bekannt. Sich selbst verstehen die drei dagegen als Psychedelic-Progressive-Pop-Band - mit klassischem Madchester haben sie ohnehin kaum zu tun. James, Jamie und Simon interessieren sich für Science-Fiction-Literatur, Mythologie und Geheimkulte, kombiniert mit diversen schrägen Synthie-Klängen ergibt das die spezielle Klaxons-Song-Mischung.

Über den großen Wirbel um ihren Sound sind die drei Herren sicher nicht allzu traurig, schließlich lässt sich das New Rave-Konzept auf der Insel fantastisch vermarkten, was den Klaxons, als Anführer der Trendbewegung, gehörig Publicity einbrachte. Reihenweise weitere Bands folgten - Datarock, Shitdisco, Hot Chip, The Sunshine Underground, The Gossip oder CSS, um nur einige zu nennen. Musikalische Parallelen findet man jedoch kaum. Lediglich eines haben all die New Rave-Gruppen gemein: Sie vereinen Elektro- und Gitarrensounds. Bleibt der schale Beigeschmack, es handele sich nicht um ein neues Genre, sondern vielmehr um eine clevere PR-Strategie, die die britische Hype-Maschinerie weiter anheizen soll.

Im Interview sprach ich mit Bassist Jamie Reynolds über den New Rave-Zirkus, Noel Gallagher und das Erfolgs-Debüt "Myth Of The Near Furture". Allzu ernst schien er mich und meine Fragen jedoch nicht zu nehmen – sich selbst scheinbar aber auch nicht. Lest hier das leicht verquere Gespräch über bizarre Entitäten und die Atmosphären des Unbekannten.

Ihr werdet als die New Rave-Vorzeige-Band gehandelt. Erzählt mir doch etwas über das ganze New Rave-Ding.

Jamie: Oh, das ist mal was Neues: "New Rave-Vorzeige-Band". Das ist großartig. Wir wurden heute schon als "Poster-Boys" bezeichnet … das ist wirklich sehr komisch. Die ganze Idee bestand darin, dass ich den Journalisten etwas erzählen wollte - ich wollte über etwas sprechen, das gar nicht existiert. Mir ging es nur darum, mich zu amüsieren. Und jetzt gibt es da diese Jugend-Subkultur im UK, die mit unserer Band in Beziehung steht. Dabei hat das gar nichts mit uns oder unserer Musik zu tun. Das ist so bizarr. Alles dreht sich darum. Ich weiß eigentlich gar nicht, was da abläuft.

Ich habe mal gelesen, dass du den Begriff New Rave erfunden hast, um die Klaxons und deren Sound zu beschreiben. Stimmt das?

Jamie: Ja, genau. Ich wollte eine Szene erfinden, die gar nicht existiert. Einfach nur, um mich zu amüsieren.

Und dann hat der NME New Rave entdeckt und diesen ganzen Hype losgetreten. Du wirst doch sicher zustimmen, dass das maßgeblich dazu beigetragen hat, den Begriff New Rave zu etablieren.

Jamie: (leicht desinteressiert) Ja, aber ich weiß nicht, ob irgendjemand damit glücklich ist?!

Wie meinst du das? Du bist also nicht glücklich mit diesem Hype, mit all dem Presserummel?

Jamie: Nein, das nicht. Wir sind glücklich damit. Das ist alles einfach witzig. Das ist eine bizarre Entität.

Daraus werde ich nicht so recht schlau. Wie würdet ihr denn nun euren Sound bzw. euren Musikstil bezeichnen? New Rave oder nicht?

Jamie: Nein, wir verstehen uns als düstere, schräge Psychedelic-Pop-Band mit Gitarren.

Kannst du das etwas mehr beschreiben bzw. erklären?

Jamie: Wir benutzen einfach ein traditionelles Line-Up: Gitarre, Bass, Schlagzeug und Keyboard. Und wir versuchen, verrückte Popsongs zum Mitpfeifen zu kreieren.

In einem anderen Interview habt ihr mal gesagt: "Wir wollen die Party zurückbringen. Wir sind keine Rave-Band, wir sind eine Party-Band." Ist das noch immer eure Meinung? Ist es das, was ihr primär mit eurer Musik erreichen wollt – die Leute zum Feiern bringen?

Jamie: (interessierter) Ich denke, dass es die Musik verdient hat, zelebriert zu werden. Wenn Musik gut ist, sollte man das feiern. Das hat mit unserem Leben zu tun - wir sind eben eine Band. Und ich finde es gut, wenn die Leute involviert sind und die Atmosphäre genießen … wenn sie Spaß daran haben einer Band zuzusehen. Das ist einfach eine gute Erfahrung.

Das New Rave-Genre ist also ein bloßes Medienprodukt?

Jamie: Das kann ich nicht sagen. Ich habe einfach nur diese zwei Wörter zusammengefügt, mehr nicht. Ich weiß, dass es diesen Hype gibt. Es wird darüber geschrieben und ich habe auch darüber gelesen, aber ich kann das alles nicht nachvollziehen. Ich verstehe zwar die zwei Wörter, aber nicht diesen Hype. Es ist wirklich total bizarr.

Was denkst du darüber, dass ihr nun ständig mit Bands wie Datarock, New Young Pony Club, Hot Chip, Shitdisco oder The Gossip in eine Schublade gesteckt werdet?

Jamie: Einige von denen sind gute Freude von uns, wirklich gute Freunde. New Young Pony Club, Shit Disco …

Trotzdem sind die musikalischen Parallelen zwischen euch und diesen anderen Bands nicht gerade groß. Und dennoch bezeichnet man all diese Gruppen als New Rave.

Jamie: Das stimmt, aber ich kümmere mich nicht darum. Ich weiß nicht, nach wem wir uns anhören oder ob bestimmte Gruppen im Moment genauso wie andere Gruppen klingen …

Habt ihr mit einer oder mehrerer dieser Bands bereits zusammengearbeitet?

Jamie: Wir haben gerade gemeinsam mit den Chemical Brothers gearbeitet, aber mit keiner der genannten Bands.

Über Ice-T, Noel Gallagher und Dr. Dre

Welche Künstler haben euch beeinflusst?

Jamie: In Bezug auf das Album?

Ja, zum Beispiel.

Jamie: David Bowie, mehr als jeder andere. Weil er eine Art Pop-Komiker ist, der außergewöhnliche Popsongs über das Nichts im Nirgendwo verfasst hat.

Aha ... Und welche Bands hört ihr gerade? Was sind eure Lieblingsgruppen?

Jamie: Ich höre gern Ice-T. Die anderen mögen Deerhunter und James mag Razorlight.

Hört ihr denn auch Oasis? Noel Gallagher ließ sich ja einmal bekannt großmäulig über euch aus und sagte: "Ich habe die Klaxons mit Kasabian in Ibiza gesehen. Das war die reinste Folter. Entweder waren all ihre Instrumente kaputt oder sie wissen wirklich überhaupt nicht, was sie machen."

Jamie: (zum ersten Mal wirklich interessiert) Ja, das hat er gesagt.

Und was hältst du davon?

Jamie: Ich denke, es zeigt, dass wir angekommen sind. Oasis haben sich etabliert und wenn sie sich die Zeit nehmen, deine Arbeit auf die eine oder andere Art zu kommentieren, zu promoten, dann bewegt sich da was. Außerdem zog er dieses Statement zurück und sagte, dass er eine unserer Singles mag. Ich habe ihn einen Tag später getroffen und er ist wirklich sehr nett.

Noel Gallagher ist ja für seine verbalen Rundumschläge bekannt. Er findet eine Band entweder vollkommen brillant oder total beschissen.

Jamie: (ironisch) Ja, und hoffentlich sind wir immer noch total beschissen. Was soll man da machen? Ich bin einfach zu ihm hingegangen, sagte hallo und das war das Verblüffendste, was ich je erlebt habe. Ich sagte: "Es ist schön dich zu treffen. Ich bin Jamie." Und er antwortete: "Ich weiß, wer du bist." Das macht doch eigentlich gar keinen Sinn?! Noel Gallagher weiß, wer ich bin. Das ist verrückt!

Und mit welchen Musikern würdet ihr gern mal zusammenarbeiten?

Jamie: Mit Dr. Dre.

Mit wem noch?

Jamie: Da bin ich mir im Moment nicht so sicher.

"Myths Of The Near Future"

Lass uns ein wenig über euer Debütalbum sprechen. "Myths Of The Near Future" stieg auf Platz 2 der UK-Charts ein und brachte euch so großen Erfolg.

Jamie: Absolut!

Habt ihr mit einem derart erfolgreichen Start gerechnet? Und was bedeutet das für euch? Was hat sich durch den Erfolg verändert?

Jamie: Ich denke, das ist etwas, das sich erst in ein paar Jahren zeigen wird und noch nicht jetzt. Ich denke auch, dass wir, seitdem wir existieren, etwas erreicht haben. Es gibt immer etwas, dass dich denken lässt: "Wow! Es geht voran." Das ist verblüffend!

Ihr habt ein ausgeprägtes Faible für Science-Fiction, Mythologie und Geheimkulte. Das merkt man auch euren Texten an. So heißt einer eurer Songs "Atlantis To Interzone" - ein Verweis auf Science-Fiction-Autor William S. Burroughs und dessen Kurzgeschichtenband "Interzone". Seid ihr große Fans von Burroughs oder warum zitiert ihr ihn?

Jamie: Ja, das ist richtig. Wir fanden es gewissermaßen amüsant und erstaunlich, dass Leute darüber in einem Chor singen können und dabei eigentlich gar nicht so recht wissen, was sie da zitieren.

Ein anderer Song heißt "Gravity's Rainbow". Das ist der Titel eines Romans von Thomas Pynchon. Was hat es mit diesen vielen Literatur-Zitaten auf sich?

Jamie: Es ging einfach darum, all diese beeindruckenden Ideen in die Popmusik zu integrieren. Und es ist auch nicht wichtig, ob du alles verstehst. Tatsache ist, diese Ideen sind ganz einfach da.

Andere britische Bands, etwa die Arctic Monkeys oder Little Man Tate, singen über ihren Alltag, über das gewöhnliche Leben. Ihr zitiert dagegen SciFi-Literatur und ägyptischen Geheimkulte. Wollt ihr euch mit euren Texten von anderen Gruppen absetzten?

Jamie: Uns geht es nicht darum, Alben zu produzieren, bei denen die Leute alles verstehen, weil wir über alltägliche Erfahrungen, über die Realität singen. Unser Ziel ist es, Platten zu machen, die von fantastischen Orten handeln, vom Nichts und vom Nirgendwo.

Aber ihr verfolgt mit euren Songs doch sicher ein bestimmtes Motiv? Was wollt ihr primär mit eurer Musik erreichen?

Jamie: Ich denke, wir wollen die Popcharts und die Popmusik umstürzen und mit unseren verrückten Songs so viele Menschen, wie möglich erreichen. Unsere Platte sollte von möglichst vielen Leuten gehört und mitgepfiffen werden.

Auf eurem Album befindet sich auch ein Song namens "Magick", dessen Text wiederum auf Satanisten-Altmeister Aleister Crowley verweist. Warum zitiert ihr gerade Crowley?

Jamie: Weil es amüsant ist, einen Song über etwas zu machen, das anderen Bands zuvor viel Ärger einbrachte. Und das, bei unserem ersten Release auf einem britischen Major-Label.

Warum interessiert ihr euch so sehr für Mythen, Riten und Kulte?

Jamie: Ich denke, diese Dinge kreieren so eine Art Atmosphäre des Unbekannten, eine Atmosphäre des wunderlichen Nirgends. Ich meine einfach dieses Fantastische. Wir wollen einfach dieses Unbekannte, Bizarre kreieren.

Welche Bedeutung steckt hinter dem Titel "Myths Of The Near Future"?

Jamie: Es ging darum etwas zu entwerfen, das bis jetzt noch nicht existiert. Es war unsere Herausforderung, ein Debütalbum zu machen.

Und eure eigenen Mythen zu schreiben?

Jamie: Ja, das war die Herausforderung. Sie existierte bereits, bevor es die Band überhaupt gab.

Wen das verwirrt, dem sei gesagt: Man muss die Klaxons nicht unbedingt verstehen! Am Ende des Interviews gab sich Jamie doch noch kurz etwas ernster und erzählte, dass die Klaxons bereits an neuem Material für die Folge-LP arbeiten. Bevor es ans Aufnehmen geht, wird allerdings noch kräftig getourt. Das können die Briten auch wirklich gut. Was Einsatz und Hingabe angeht, geben sie sich beim Live-Spielen zumindest mehr Mühe, als beim Interview-Geben - so viel steht jedenfalls fest!

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