30. August 2011
"Wir machen uns nackig und stehen dazu"
Interview geführt von Kai ButterweckWenn sich irgendeine deutsche Band dem Thema Liebe verpflichtet fühlt, dann sind es Klee. Zwischen Kölner Dom und Eifelturm pflastern Suzie Kerstgenz und Sten Servaes einen Pfad der Zweisamkeit und schämen sich dabei keineswegs ihrer offenen Herzen. Ganz im Gegenteil: Auf ihrem im August erscheinenden neuen Album "Aus Lauter Liebe" setzen die beiden ihrem Schaffen die Krone auf.Während draußen vor den Toren des Berliner Universal-Büros das Leben tobt und die Menschenmassen mit Scheuklappen behaftet zu Hunderten aneinander vorbeihuschen, regiert im Inneren des monströsen Gebäudes die Liebe; zumindest einen Tag lang. Denn Klee bitten zur Interview-Runde. Wir lassen uns nicht lange bitten und gehen den romantischen Idealen von Liebe, Selbstbestimmung und grenzenloser Freiheit auf den Grund.
Hallo ihr zwei. Ich dachte eigentlich, wir könnten heute gemeinsam auf euer neues Album anstoßen, aber da hat uns die Industrie wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn euer Album wurde auf Ende August verschoben. Enttäuscht?
Sten: Ja, wobei so etwas natürlich auch immer zwei Seiten hat. Einerseits sind wir schon genervt und auch enttäuscht, da wir viele Termine und Vorbereitungen auf den heutigen Tag fokussiert hatten. Es ist auch emotional schwierig, weil wir uns persönlich sehr auf diesen Tag gefreut haben. So ein Album-Vorlauf fordert einen immensen Aufwand aller Beteiligten und da muss dann ein Rädchen ins andere greifen. Wenn dem dann nicht so ist, passiert dann leider das, was jetzt mit unserem Album passiert ist. Andererseits steckt so viel Herzblut in dem Projekt, dass man auch gewillt ist, den Prozess bis zur Veröffentlichung zu perfektionieren. Insofern ist es uns lieber, dass wir noch ein paar Wochen warten, als dass das Ganze nur halbgar promotet so schnell wie möglich an die Öffentlichkeit kommt.
Wurdet ihr als Band in diese Entscheidung mit einbezogen?
Sten: Ehrlich gesagt, wurden wir da jetzt nicht groß gefragt. Wir hätten sicherlich unser Veto einlegen können, aber letztlich dient es ja dem Gesamtpaket. Das wäre also sehr unsinnig von uns gewesen darauf zu pochen, dass das Album heute erscheint. So haben wir halt in den sauren Apfel gebissen.
Suzie: Wird ja nicht schlecht (lacht).
Ihr hattet bisher auf jedem eurer Alben die Liebe als thematischen Schwerpunkt. Auch auf dem neuen Album regiert der Wunsch nach Zweisamkeit und großen Gefühlen. Welchen Stellenwert hat die Liebe in eurem Leben?
Sten: Unserer Meinung nach ist die Liebe einfach die treibende Kraft im Leben. Wer nur ein bisschen sensibel oder empathisch ist, der weiß, dass die Liebe einfach allumfassend ist. Alles Gute auf der Welt ist da wegen der Liebe. Das ist der Motor, der uns antreibt; die Liebe zueinander, zur Musik und zum Leben.
Suzie: Du kannst sie nicht künstlich erschaffen. Du kannst sie pflegen und schützen, aber der Keim ist einfach da.
Sten: Genau das ist ja das magische an der Thematik. Die Liebe ist einfach präsent mit all ihren Facetten und möglichen Metamorphosen. Nicht umsonst arbeiten sich Künstler schon seit Jahrhunderten an dem Thema ab. Das Konstrukt Liebe ist einfach unerschöpflich, und das macht es so faszinierend. All die verschiedenen Formen bieten unendlich viele Ansätze sich damit zu beschäftigen. Nimm beispielsweise die bedingungslose Liebe: Der Fußballverein, den ich liebe, für den ich schwärme, gibt mir seit Jahren nichts zurück und dennoch bleibt mein Gefühl bestehen. Das ist doch wunderbar und zeigt die Kraft und die Macht, die dahintersteckt.
"Metallica singen doch auch über Liebe, oder?"
Fühlt ihr euch aufgrund eurer Offenheit angreifbarer als andere Bands?Sten: Natürlich werden wieder viele Fragen aufkommen. Was, schon wieder Liebe, Liebe, Liebe? Und wir werden sagen: Ja, ja, ja! Da stehen wir zu. Dem haben wir uns angenommen.
Suzie: So einzigartig behandeln wir das Thema ja nun auch wieder nicht. Ich meine, Metallica singen doch auch über die Liebe, oder? Der einzige Unterschied besteht darin, dass die sich hinter schweren Gitarren verstecken. Wir dagegen machen uns nackig und stehen dazu.
Ich kann mir vorstellen, dass die Intimität und Offenheit eurer Texte ohne einen großen Anteil Autobiografie nicht möglich wäre, richtig?
Sten: Absolut. Die Platte ist komplett autobiografisch. Anders geht es auch gar nicht. Da ist nichts konstruiert. Ich denke, der Titel "Alles aus Liebe" sagt das auch schon aus. Wir machen Musik aus der Liebe dazu, und nicht weil wir Popstars werden wollten. Viele Musiker trennen ja ihr künstlerisches Schaffen von ihrem eigentlichen Dasein. So ungefähr nach dem Motto: Das ist meine Kunst, aber mein richtiges Leben hat damit nicht allzu viel zu tun. Bei uns ist das genau umgekehrt. Wir wollen uns und unsere Gefühle mitteilen. Das ist uns sehr wichtig.
Wenn man bedenkt, dass ihr kein Paar im klassischen Sinne seid, könnte man zumindest von einer Art der Seelenverwandtschaft sprechen, oder?
Sten: Nun, was viele nicht wissen, ist, dass wir früher sehr wohl sogar und auch ziemlich lange ein klassisches Paar waren.
Suzi: Da waren wir noch Twens.
Sten: Du warst auf jeden Fall noch ein Teenie. Wie auch immer, das Schöne daran ist einfach, dass sich unsere Liebe zueinander "metamorphiert" hat. Wir haben jetzt zwar keinen Sex mehr miteinander, aber dennoch lieben wir uns.
Suizie: Das ist wieder so ein perfektes Beispiel, wie grenzenlos Liebe sein kann. Es gibt kein Schwarz und Weiß, verstehst du? Es braucht keine klassische Beziehung, um wahre Liebe zu spüren.
Sten: Aus diesem starken Verbund, den wir hatten und auf andere Weise auch noch haben, ziehen wir natürlich ganz viel Kraft, Vertrauen und Verbundenheit heraus, die es uns ermöglicht so intim und offen mit unseren Gefühlen an die Öffentlichkeit zu gehen.
Gibt es bestimmte Momente oder gar einen ganzen Song auf dem neuen Album, wo ihr euch beide als "Paar" besonders wiederfindet?
Sten: Ja, den gibt es allerdings. Auf dem Album gibt es, wie gesagt, haufenweise Augenblicke, die so nicht hätten umgesetzt werden können, wenn wir nicht diesen Bezug zueinander haben würden. Der Song "Wir Beide" hat nochmal einen besonderen Wert für uns. Das ist quasi unser Song, auch wenn sich sicherlich, oder hoffentlich, viele andere Menschen darin wiederfinden werden.
Authentizität spielt bei euch eine große Rolle. Das merkt man, finde ich, nicht nur in der Musik und in den Texten, sondern auch an der gesamten Aufmachung des Produktes. Vor allem das im Nouvelle Vague-Look gehaltene Cover, die dem Pressematerial beigefügten Fotos und auch der PR-Text sind sehr aufwändig gehalten. Die "Verpackung" scheint euch demnach sehr wichtig zu sein, oder?
Sten: Ja, das stimmt. Wir sind extra einige Tage nach Paris geflogen und haben einen befreundeten Fotografen mitgenommen, der diese Tage wunderbar eingefangen hat. Wir wollten keine klassischen PR-Fotos machen, sondern vielmehr authentische Momente einfangen. Wir sind also einfach losgezogen und Flo hat uns dabei fotografiert ohne uns zu positionieren. Das war uns sehr wichtig und wir sind total zufrieden mit den Ergebnissen.
Suzie: Die ganze französische Aufmachung hat sicherlich auch thematische Hintergründe. Natürlich bedient Frankreich das Liebes-Klischee perfekter als jeder andere Ort auf der Welt, aber es ging uns auch um die gesamte Pop-Kultur, die in den Fünfzigern mit in Frankreich entstanden ist. Da haben wir auch einen persönlichen Bezug zu. Egal ob Musik, Mode oder Kunst: In Frankreich ebnete sich so viel auf kultureller Ebene. Aber auch der Freiheitsgedanke, der uns in unserer Musik sehr wichtig ist, wird durch die Geschichte Frankreichs verkörpert.
Sten: Wir machen ja unser komplettes Artwork selber. Je mehr Glaubwürdigkeit und Liebe wir in unser Produkt stecken können, umso besser. Uns ist das Gesamtpaket genauso wichtig wie jede einzelne Zeile, die wir singen; das gehört einfach alles zusammen.
Suzie: Die Verpackung soll auch zum Inhalt passen. So erkennen auch die Leute, die uns vielleicht noch nicht kennen, anhand des Artworks, um was es uns geht. Es gibt so viele Mogelpackungen da draußen: Du siehst ein tolles Cover, doch wenn du die CD einlegst, bekommst du das genaue Gegenteil präsentiert und umgekehrt. Das find ich oftmals schade. Wir wollen bei uns möglichst alles in Einklang bringen.
"In England hatten wir die Hosen voll"
Ihr wart dieses Mal in Paris, und vor eurem letzten Album "Berge Versetzen" einige Tage in Portugal. Inwieweit kann man da bei euch von einem Inspirations-Ritual sprechen?Sten: Von einem Ritual würde ich da jetzt nicht sprechen. In der Tat sind wir seinerzeit aus dem kalten Winter Deutschlands geflohen, um uns in Portugal für "Berge Versetzen" ein wenig inspirieren zu lassen, aber die Reise nach Paris hatte ja eher grundlegende Motive. In Portugal hat das ganze zudem auch nicht so richtig gefruchtet. Wir haben schnell gemerkt, dass sich bei uns das Songwriting nicht so einfach planen lässt. Unsere Lieder entstehen zwischen Tür und Angel im Alltag. Sei es in der Kneipe oder abends im Bett. Das sind wir und nur so funktioniert es.
Ebenso fiel mir im Vergleich zum Vorgänger auf, dass ihr auch musikalisch wieder einen Song habt, der ziemlich aus der Reihe fällt. Bereits auf "Berge Versetzen" habt ihr mit dem Song "Die Königin" das siebziger Jahre Disco-Feeling aufleben lassen. Diesen Part übernimmt diesmal das Lied "Puls Und Herzschlag". Steckt da Tieferes dahinter?
Sten: Nein, nicht wirklich. Wir hatten zwar im vornerein überlegt, ob wir dem Inhalt auch ein einheitliches musikalisches Gewand verpassen sollten, sind dann aber auch ziemlich schnell davon abgekommen. Jeder Song sollte das bekommen was er an musikalischem Background braucht.
Suzie: Da gehören dann auch immer wieder kleine klangliche "Pieks" dazu, wenn die Songs danach verlangen.
Sten: Letztlich musst du immer gucken, was am authentischsten ist und was am besten passt. Wir haben beispielsweise bei "Adieu" dermaßen reduziert, dass am Ende nur noch ein Klavier da war, obwohl der Song gar nicht so geplant war. Da ist man dann fast schon im Bereich "Liedermacher" und merkt aber, dass es genau das ist, was der Song braucht.
Dann gibt es auf der anderen Seite aber auch ganz großes Kino auf Songs wie "Ich Will Nicht Gehen, Wenn's Am Schönsten Ist" oder auch "Stell Dir Vor", die mit opulenten Chören aufgenommen wurden.
Sten: Ja, zumal die Geschichte mit den Chören auch nochmal so etwas Reales und für uns Wichtiges hat. Wir haben keinen teuren Profi-Chor engagiert, sondern abends ein Fässchen Kölsch angestochen und all unsere Freunde und Bekannten eingeladen, die dann lauthals mit einstimmten.
Einige Freunde und Gleichgesinnte, die euch über die Jahre auch auf der Bühne begleitet haben, sind mittlerweile nicht mehr Bestandteil von Klee. Ihr fungiert nur noch als Duo. Hat das eher musikalische oder "zwischenmenschliche" Gründe?
Sten: Die Außenwahrnehmung der Band war nie wirklich so, wie sich die eigentliche Arbeit innerhalb der Gruppe dargestellt hat. Schon zu Zeiten von Rallye kam der Haupt-Input von uns beiden. Es ging jetzt nicht um irgendwelche aufgetretenen Konflikte oder ähnliches. Wir wollten uns auf dem neuen Album einfach nur neu fokussieren und uns auf die Basis konzentrieren. Das hat aber nichts mit unserer Live-Präsentation zu tun. Da haben wir unsere Band, mit denen wir auch super viel Spaß haben und sehr zufrieden sind. Insofern ist es auch immer schwierig von einem "Duo" zu sprechen, da wir uns auch als Live-Band sehen.
Live ist ein gutes Stichwort. Wie kommt es, dass eine deutsche Band fernab von endlosen Gitarren-Soli a la Scorpions oder Pyro-Theatralik im Stile von Rammstein so erfolgreich im Ausland ist wie ihr?
Sten: Das ist eine gute Frage. Es steckt auf jeden Fall keine Planung dahinter. Wir haben nie versucht uns im Ausland anzubieten. All die Konzerte und Festivals in China, England, der Türkei und sonst wo kamen durch Einladungen zustande, die wir gerne angenommen haben. Auch wenn es noch so platt klingt, aber die Sprache der Musik ist einfach universell. Die Menschen im Ausland spüren irgendwie, um was es uns in unserer Musik geht. Diese Positivität kennt keine Grenzen.
Hat man fernab von gewohnten Umgebungen mit einer anderen Drucksituation zu kämpfen?
Suzie: Also vor den Konzerten ist das Kribbeln eigentlich dasselbe, egal ob du in Bielefeld oder in China spielst. Wobei China schon gigantisch war, keine Frage. Es ging in Ländern wie China oder auch der Türkei eher darum, wie sich der Kontakt mit den Menschen darstellt und wie das ganze Drumherum vonstatten geht. Das war alles sehr aufregend, neu und inspirierend.
Sten: Ich kann mich erinnern, dass wir in England etwas die Hosen voll hatten. Als deutsche Band, mit deutschen Texten in England aufzutreten, sorgte bei uns schon ziemlich für gemischte Gefühle. Aber es lief alles super. Das sind tolle Erfahrungen aus denen du ganz viel mitnimmst. Gerade auch die Begegnungen während unserer China-Reisen haben uns menschlich verändert. Der Umgang mit Musik hat dort wesentlich lebendigere Züge und ist fast schon archaisch. Die Menschen musizieren in den Parks nicht nur, um sich für den Moment zu unterhalten, sondern weil es ihre Bestimmung ist. Das war schon faszinierend.
Würdet ihr sagen, dass diese Erfahrungen zu den Höhepunkten eurer bisherigen Karriere gehören?
Sten: Sicherlich waren all diese Reisen und die damit verbundenen neuen Erfahrungen Höhepunkte für uns, aber Highlights ergeben sich auch im "normalen" Alltag. Wir haben zum Beispiel erst kürzlich in München auf dem CSD gespielt. Kurz bevor wir anfangen sollten, braute sich ein gewaltiges Gewitter auf, und alle, aber wirklich alle ergriffen die Flucht. Sogar die ganzen Buden und Stände wurden abgebaut. Wir waren total frustriert, denn wir hätten dort gerne gespielt. Zwei Stunden nachdem wir eigentlich auftreten sollten, haben wir dann in Absprache mit dem Veranstalter dann trotzdem angefangen. Der Regen hörte auf und nach vier oder fünf Songs war der Platz wieder rappelvoll. Da kriege ich heute noch Gänsehaut beim Gedanken daran, was Musik bewerkstelligen kann.
Ihr wirkt unheimlich entspannt, redselig und alles andere als gestresst, obwohl ihr im mitunter aufreibendsten Geschäft der Welt unterwegs seid. Woher kommt all diese positive Energie?
Sten: Diese Energie, von der du redest, ziehen wir beispielsweise aus so netten Gesprächen wie mit dir gerade (lacht).
Das hast du sehr schön gesagt, aber im Ernst: Wie oder wo tankt ihr euren Akku auf?
Sten: Das war gerade mein völliger Ernst! Ich meine, wir sind nicht die Typen, die sich abends aufs Sofa legen, um abzuschalten. Wir ziehen unsere Kraft und Energie aus unserer Arbeit, denn alles was mit unserer Arbeit zu tun hat, gehört zu unserem Leben. Wir reisen, wir musizieren, wir verändern uns und sehen, wie sich die Welt verändert. Aus all dem schöpfen wir immens viel.
Die "Arbeit" wird auch nicht weniger, zumindest nicht in den kommenden Wochen und Monaten. Viel Promo steht noch auf dem Programm, und ab Oktober geht’s dann endlich auf Tour. Wie große ist die Vorfreude?
Suzie: Riesengroß. Das ist dann nochmal was ganz anderes. Live zu spielen bedeutet uns unheimlich viel. Ich freu mich schon riesig auf die Proben und das ganze Vorbereiten der Tour. Wir sind keine Band, die allabendlich ihr Programm runterspielt, nur um das neue Album zu präsentieren. Bei uns hat das eher was von Zelebrieren. Da weiß auch keiner so genau wie der jeweilige Abend abläuft, weil wir manchmal auch sehr spontan sein können. Wir legen da nicht so großen Wert auf Setlisten, sondern lassen uns und den Moment treiben. Das ist Klee und das sind wir.
Und das ist auch gut so, würde der Regierende jetzt sagen. Habt vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Suzie: Gerne, gerne.
Sten: Wir haben zu danken!
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