4. September 2025

"In China sind keine Dämonen erlaubt"

Interview geführt von

Die Essener Thrash-Metal-Legenden Kreator schauen in der Doku "Hate & Hope" auf ihre Karriere zurück.

Wir sprachen am Tag der Deutschlandpremiere mit Mille Petrozza und Regisseurin Cordula Kablitz-Post. In dem Interview geht es um Metal als verbindendes Element, Gatekeeping im Filmbereich und Marge Simpson.

Cordula, wie sehr führt man als Regisseurin die Künstler durch die Doku? Oder haben diese bereits schon so einen ganz festen Plan, wie sie das haben wollen?

Es ist eigentlich immer so, dass man gegenseitig erstmal so eine Grundidee entwickelt und dann natürlich schaut, ob man sie überhaupt umsetzen kann. Aber in den meisten Fällen wird es dann eh nochmal alles ganz anders.

Also wir mussten ja - da ich auch die Produzentin des Films bin - erstmal die finanzielle Unterstützung von der Filmförderung bekommen. Da muss man direkt was vorlegen, und die erste Idee war eigentlich, dass Kreator mit anderen Bands ihre besten Hits nochmal neu aufnehmen. Also das war mal der ursprüngliche Gedanke, und wie du nun siehst, ist es völlig anderes geworden (lacht). Das hat sich oft sehr spontan ergeben. Ich hatte Mille einmal eine Nachricht wegen eines Treffens gesendet und als Antwort kam "Ja gut, aber wir spielen gleich in Wacken, aber kommt dann einfach mit!" zurück. Und aus genau solchen Momenten hat sich spontan alles ergeben.

Wir haben aber auch sonst die Köpfe zusammen gesteckt und überlegt was auf jeden Fall noch in den Film müsste. Es ging ja auch immer darum, du willst die Leute ja auch einerseits vorstellen, aber der Zuschauer kennt die einzelnen Bandmitglieder manchmal auch noch nicht so gut, und dann muss man das natürlich irgendwie überlegen, wie kann man das am besten umsetzt.

"Ich bin ein bisschen der Kontrollfreak"

Also ich persönlich fand die Drehs im Ausland am besten. Ich wusste auch bis dato auch gar nicht, dass es so eine große Fanbase in Asien gibt. Es ist auch vielen hier in Deutschland überhaupt nicht bewusst, wie groß Kreator sind.

Mille: Ja, das stimmt. Das kommt auch im Film wirklich gut rüber. Also dass man jetzt mal auch auf Leinwand sieht, dass Metal und wir so eine große weltweite Community hinter uns wissen.

Müsst ihr auch auf kulturelle Gepflogenheiten achten? Es gab ja vor Ort Vorgaben, die ihr beachtet musstet. Gilt das auch für den weltweiten Vertrieb des Films, und muss da noch was zensiert werden?

Mille: Ne, bisher nicht. Also wir haben jetzt erstmal alles so gemacht, wie wir das wollten und jetzt gucken wir mal, was passiert. Ich meine, China ist öfter problematisch. Da durften wir unsere Dämonen nicht aufblasen. Auf der Bühne sind da einfach keine Dämonen erlaubt, was ich etwas komisch fand.

Cordula: Ach, das habe ich ganz vergessen, dir noch zu sagen! Wir haben jetzt eine Zusage aus China. Das Goethe Institut Peking will den Film in drei Städten zeigen. In Chengdu, in Peking und in Shenzhou.

Mille: Ach krass, ja da bin auch sofort dabei! Aber die Dämonen musst du dann wahrscheinlich wirklich rausnehmen ...

Cordula: Nene, ich glaube, die haben das alles so abgenommen. Das ging schon durch die Zensur und die haben grünes Licht gegeben.

Mille: Ja geil! Ich wäre sofort dabei, wenn die uns zur Premiere einladen! Aber wenn die nur dich nur einladen, ist auch absolut okay, Das ist ja auch eine schöne Reise.

Jetzt habe ich schon Cordula zu ihrem Plan befragt, aber kannst du denn überhaupt gut Kontrolle abgeben?

Mille: Wwir hatten da sehr viele Gespräche und auch manchmal bestimmte Vorstellungen. Ich dachte erst aus so einer naiven Vorstellung, dass es so oder so werden muss, aber das ist Quatsch. Ich bin ja kein Filmemacher, also wenn ich den Film gemacht hätte, wäre der wahrscheinlich nicht so doll geworden. Du musst dir vorstellen, ich bin durchaus großer Filmfan und großer Filmkonsument, aber ich habe überhaupt nicht so diese notwendigen Skills dafür. Ich kann meine Meinung sagen, ich kann ihr sagen, was ich haben will und was ich nicht haben will. Aber am Ende des Tages ist der Film genau so geblieben, wie er war, und ich habe mich da nicht mehr groß eingemischt. Also was jetzt den ersten Schnitt betrifft, habe ich gemerkt, wir haben eine Sache noch reingebracht.

Was war das denn?

Mille: Ja, das war eine Sache aus Indien, mit den Burning Witches. Also ich musste erstmal lernen, dass das jetzt über mich ist und nicht von mir. Es ist nicht meine Arbeit, sondern die von Cordula. Und ich habe ihr absolut vertraut, weil ich ihre Arbeit ja auch schon kannte und sehr schätze. Aber wenn du dann selbst involviert und der Protagonist des Films bist, ist das immer noch mal was anderes, und man ist erstmal etwas angespannt.

Cordula: Wir hatten ja unfassbar viele Stunden Material. Wir haben acht Kameras bei den Konzerten gehabt und die ganze Zeit durchgefilmt. Das sind dann zwei Stunden allein pro Konzert.

Aber so allgemein kommst du im Film nicht wie ein großer Meckerkopf oder ständig klagender Typ rüber. "Klash of The Ruhrpott" ist ja ein Beispiel. Du machst dich da nicht beleidigt vom Acker oder lässt die Wut großartig an jemand aus, sondern überlegst direkt an Ort und Stelle wie man nach diesen wetterbedingten Konzertabbruch, auf den ihr keinen Einfluss hattet, die Fans wieder glücklich machen könnte. Das war jedenfalls spannend, so eine Situation so ungefiltert zu sehen.

Mille: Diesen Moment hat Cordula aber auch großartig eingefangen. Und ich musste erst lernen, dass so ein Film auch unkalkulierbar sein kann. Ich habe da übrigens letztens eine super Doku gesehen zu einer Band und das Cordula erzählt. Sie meinte aber, dass wir gar nicht so viel "Talking Heads" brauchen. Diesen Fachbegriff kannte ich bis dahin noch gar nicht und hab auch schnell gelernt, dass man nicht alle paar Sekunden in einem Film reden muss. Das ist vielleicht für ein so einen Making Of-Film ganz brauchbar, aber in einem Dokumentarfilm stört das auch ziemlich. Da habe ich dank Cordula nun ein ganz anderes Bild von, ich schaue auf das Genre nun mit vollkommen anderen Augen.

Also das ist, was ich lernen musste und auch gelernt habe, dass die Kontrolle abzugeben mir doch schwer fiel. Aber dadurch, dass das Cordula gemacht hat, ist es wieder gut geworden, weil sie genau weiß, in welchen Momenten wir doof aussahen und wann wir was Blödes sagen.

Aber sie hat auf der anderen Seite auch einen Humor reingebracht, den ich gar nicht vorgesehen gesehen habe. Also ich bin ja doch sehr kontrolliert, aber es gibt eine Szene in dem Film, da bin ich sauer, dass der Kameramann im Raum ist, aber dann ist das ist auch wieder im Nachhinein lustig, da kann man sich selber dann auch mal lachen. Bei solchen Sachen bin ich aber ansonsten so ein bisschen der Kontrollfreak, das gebe ich offen zu.

Cordula: Das war bestimmt auch schwer, weil ihr musstet euch ja auch an die Kameras gewöhnen. Ihr seid ja keine Band, die sich permanent Kameras vor die Nase stellt und immer irgendwen zulasst, das war ja auch das Besondere für mich, dass ihr das überhaupt zugelassen habt. Das fand ich toll. Es war irgendein Vertrauen. Und dann ist es aber auch klar, dass ihr da nicht so locker mit den Kameras umgeht, weil ihr das gar nicht gewohnt seid, dass da immer irgendjemand, es gibt ja ganz andere Bands, die machen immer nur Social Media den ganzen Tag und posten alles, was sie machen, jeder Mist aus dem Backstage-Raum wird dann auf Social Media gehauen, und das ist halt bei euch nicht der Fall.

Mille: Genau. Also wir sind da eher kamerascheu, das gebe ich auch offen zu, gerade in so bestimmten Momenten, nach dem Auftritt und so. Und ich glaube aber, wir haben da einen guten Weg gefunden, da wir so viel Material haben, haben wir sehr, sehr gute Sachen da reingekriegt. Du wolltest ja immer, dass das alles so nicht gestellt wird und ich finde, das wirkt überhaupt nicht gestellt.

"Wir haben den Film für die Fans gemacht, nicht für die Kritiker"

Überhaupt nicht! Vor allem Milles Aussage "Verkacken ist authentisch".

Mille: Äh, wann habe ich das denn gesagt? *lächelt verlegen*

Cordula: Nach dem Wacken-Auftritt! Wo du dann meintest, dass du nicht so gut gespielt hast.

Gab es da schon eine Publikums-Reaktion?

Cordula: Also wir haben den Film ja bis heute noch gar nicht öffentlich groß gezeigt. Wir waren nur einmal jetzt in München, und das war dann auch nicht so ein typisches Metal-Publikum. Also das war eher sehr gemischt, würde ich sagen, und so typisches Filmfest-Publikum.

Mille: Wir haben den Film ja nicht mit der Absicht gemacht, dass die Kritiker oder das Feuilleton nun begeistert aufschreien, sondern in allererster Linie für die Fans! Ok, Und natürlich gibt es bei den Metal-Fans wahrscheinlich irgendwelche Gatekeeper, die dann rummäkeln und und alles genau auseinander nehmen Na und? Das sollen dann eben alle so sagen sagen. Uns egal! Wir finden im Film geil!

Ja, die Gatekeeper mögen ja auch "Endorama" nicht, und das ist eines meiner Lieblingsalben.

Siehst du, da bist du auch einer der wenigen. Und das ist halt das Ding, weißt du, da hat jeder so seine eigene Meinung, soll er auch haben. Aber wir dürfen uns jetzt von solchen Sachen nicht beeinflussen lassen und immer überlegen, was die Leute dazu sagen. Mir doch egal, wir haben einen geilen Film gemacht und ich glaube, die Leute, die werden einfach eine gute Zeit haben, wenn sie den Film anzugucken. Und natürlich kommen dann auch die ganz Tollen. So Leute, die das alles natürlich gaaanz anders und viieel besser gemacht hätten.

Cordula: Du kannst es nun mal nicht allen recht machen, und da ist nun meine Handschrift mit drin. Ich mag eben dieses Gefühl, dass die Kamera eigentlich nicht vorhanden ist, dass der Künstler sich dran gewöhnt. Und das war mir wichtig, dass es eben nicht gestellt ist. Wenn wir gedreht haben, dann haben wir uns immer die Frage gestellt: Würdet ihr das wirklich auch ohne Kamera machen?

Mille: Und da gab es ja diese Schlüsselszene, eine der Szenen, die im Film auch vielleicht ein bisschen speziell sind. Das ist die mit Mike Weichert von Heaven Shall Burn im KZ Buchenwald. Wir hatten ja schon lange drüber gesprochen, das mal zu machen und Mike hat es dann vorgeschlagen, dann war das so eine gute Fügung des Schicksals, dass wir zu dem Zeitpunkt auch eine Doku drehten.

Du sprichst bei den Aufnahmen in Buchenwald auch das Erstarken von faschistischen Ideen an, und dass man sich ihnen entgegen stellen muss. Allgemein ist aber unsere Gesellschaft gespalten und fragmentiert, und dann gibt es eben diese Aufnahmen aus Indien oder diese vielen glücklichen Menschen in Wacken. Klar, es gibt ja auch die Indie-Festivals, aber gerade bei Metal-Festivals erkenne ich so eine großes Zusammengehörigkeitsgefühl, vielleicht neben Fußball noch der letzte wirklich Kitt der Gesellschaft ...

Mille: Völlig richtig! Religion ist auch so eine Sache, die die Menschen manchmal spaltet, und wir spielen da echt vor allen möglichen Glaubensrichtungen, die das für den Augenblick des Konzertes alles vergessen. Und ich glaube, da ist Musik, wie du schon sagtest , eigentlich ein guter Kitt, besonders Metal. Also wenn du so ein Metal-Publikum hast, dann ist das wie so eine Utopie. Tja, wenn alles so einfach wäre wie bei einem Metal-Festival ...

Ja gut, bis auf das Wetter manchmal. Okay, dann komme ich nochmal zum Ende des Interviews auf die Aussage von Andy Sneap, der Mille als "Marge Simpson des Metals" bezeichnet. So schlecht ist die Einordnung auch nicht, schließlich ist Marge das verbindende Element in ihrer chaotischen Familie.

Mille *lacht*: Ich kann mit dem Titel auch sehr gut leben. Andy hat das mal aus Spaß gesagt, und ich höre das auch nicht zum ersten Mal von ihm, aber das ist aus seinem Mund natürlich auch geil. Wir sind ja gut befreundet, und Andy meint das absolut liebevoll und überhaupt nicht böse.

Ich überlege gerade: wäre Lisa Simpson mit ihrem Lebensstil nicht die noch passendere Wahl gewesen?

Nee, eher einer von Family Guy. Brian der Hund! Ja genau, der passt sehr gut zu mir!

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